MOZ, Nummer 48
Januar
1990
Jugoslawien vor der Zerreißprobe

Slowenien gegen Serbien

Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, die slowenische Hauptstadt Ljubliana mit einem ungebetenen Aufmarsch von bis zu 100.000 serbischen DemonstrantInnen zu beglücken, wurden die innerjugoslawischen Beziehungen durch beispiellose serbische Boykottmaßnahmen gegen Slowenien vollends aus dem Gleichgewicht gebracht.

In- und ausländische Journalisten, gespannt auf den Verlauf des angekündigten (Nicht-)Ereignisses harrend, waren die einzigen, die am 1. Dezember 1989 gegen das vom slowenischen Innenminister Tomaz Ertl verfügte Versammlungsverbot verstießen. Zur Ansammlung von mehr als 30 Personen kam es, als das Großaufgebot der Medienleute auf dem Platz der Revolution vor dem slowenischen Regierungsgebäude unter rund 200 verstreuten Schaulustigen doch noch eine Handvoll „demonstrationswilliger“ Serben sichtete. Die jugoslawische Fahne wurde geschwenkt, die Vergangenheit beschworen, die Gleichberechtigung der kyrillischen Schrift gefordert: einer betonte mit einem Minitransparent, daß auch hier in Ljubljana immer noch Jugoslawien sei. Nach einiger Zurückhaltung wurden vier Leute von den Sicherheitskräften freundlich abgeführt. Der Vorwand für den geplanten Serbenmarsch nach Ljubljana war die angebliche Desinformiertheit der Slowenen über Kosovo. Die tatsächlichen politischen Motive wurden aber gar nicht verschleiert: „Ein Teil der einflußreichsten Funktionäre stellte sich öffentlich auf die Seite der konterrevolutionären Kräfte der albanischen Separatisten“, meinte Miljanko Buljugic, ein Führungsmitglied der serbischen Kosovo-Vereinigung, im Gespräch mit der zentralen slowenischen Tageszeitung „Delo“. „Das Volk soll zu seiner Führung Stellung beziehen“, lautet seine Maxime, und er gibt schließlich auch zu, daß das Belgrader Organ „Politika“ dies zu „einem Volksaufstand gegen die slowenische politische Führung“ verfälschte.

Statt der erwarteten hunderttausend Demonstranten kamen nur wenige ...
Bild: Contrast/Milenko Bodzil

Es gibt eine Reihe von Motiven, die slowenische Regierung unter Druck zu setzen. Diese wiederum versuchte sich gegen jede äußere Intervention abzuschotten. Der Vorsitzende der Sozialistischen Allianz Sloweniens, Jize Smole, klassifizierte den geplanten „Marsch auf Ljubljana“ als psychologischen Krieg: „Ich weiß, daß es Leute gibt, die Zwischenfälle in Slowenien wünschen, um damit einen Grund für die Einführung des Ausnahmezustandes zu bekommen. Zwischenfälle zu provozieren ist nicht schwer.“ Ein Verbot von „Exportdemonstrationen“, auch wenn man polizeistaatlicher Methoden bezichtigt wird, sei allemal besser, betonte Smole einige Tage vor dem geplanten Aufmarsch.

Schlagabtausch bis zur Zerreißprobe?

Der „Serbensturm“ nach Ljubljana blieb aus. Der Veranstalter des „Meetings der Wahrheit“, die Vereinigung der Serben und Montenegriner in Kosovo, setzte die Aktion im letzten Moment ab. Was Proteste und politische Nein-Danke-Absagen aus Slowenien ursprünglich nicht vermochten, schaffte das äußerste Mittel des Ausnahmezustandes. Dies sei undemokratisch und somit der letzte Beweis für den slowenischen Faschismus, ätzte der ehemalige Berufsboxer und jetzige Bozur-Vorsitzende Bogdan Kecman im Belgrader Rundfunk. Es folgten Protestmanifestationen in Belgrad und anderen Städten. Gleichzeitig kam es zu einer noch nie dagewesenen Eskalation der Beziehungen zwischen Belgrad und Ljubljana: sowohl die offizielle politische Massenorganisation Serbiens als auch die serbische Wirtschaftskammer appellierten an Politik und Wirtschaft, sämtliche Kontakte zu Slowenien einzustellen. Gleich in den ersten Tagen folgten diesem Aufruf an die 130 serbische Unternehmen.

Daraufhin stellte auch der slowenische Regierungschef Dusan Sinigoj öffentlich die Frage nach dem Sinn eines Weiterbestandes des gemeinsamen Staatsverbandes. Seine Diktion: ohne Demokratie, Menschenrechte und mitteleuropäische Integration könne sich Jugoslawien nicht zu einer demokratischen und effizienteren Völkergemeinschaft entwickeln. Gleich anschließend warnte der jugoslawische Ministerpräsident Ante Markovic vor dem Zerfall — der Konflikt zwischen der serbischen und der slowenischen Teilrepublik gefährde die Einheit des Landes. Prominente jugoslawische Oppositionelle (u.a. Milovan Djilas und Ex-Außenminister Koca Popovic) machten in einem offenen Brief den Bund der Kommunisten Jugoslawiens für die nationalen Spannungen verantwortlich; er bringe die jugoslawischen Völker in Konfrontation, um letztlich sein Machtmonopol aufrecht zu erhalten.

Lostrennung?

Entschiedene Kritik zu den von Belgrad gelenkten putschartigen Umwälzungen in Kosovo, der Vojvodina und in Montenegro kam — nicht zuletzt wegen der Etablierung und Legalisierung einer (Partei-)politischen Opposition — vor allem aus Slowenien. Die kroatische Teilrepublik stellt sich jetzt immer deutlicher hinter Slowenien, und auch die Mazedonier bemühen sich merklich, die brüderliche Umarmung durch die Serben etwas zu lockern.

Können die Spannungen nun eine Separation Sloweniens oder gar einen Zerfall Jugoslawiens zur Folge haben? Ein diesbezüglich umstrittener Hintergrund: Slowenien hatte im Rahmen der Verfassungsänderungen im vergangenen Herbst eine weitreichende Souveränität der Republik und eine Option zur Lostrennung gesetzlich verankert.

„19 Milliarden Auslandsschulden und neue Kredite ...“
Bild: Contrast/Milenko Bodzil

Während Slowenien eine liberale Reform des politischen Systems anstrebt, gilt Serbien als Verfechter eines konservativen Kurses, oberflächlich trifft also die Vereinfachung der Medien wohl zu. Tatsächlich gibt es bei der slowenischen Bevölkerung unter den jetzigen Umständen keine Begeisterung für den großen Bruder Serbien. Die prowestliche Orientierung ist ebenso unübersehbar wie die latente Abneigung gegen die südjugoslawischen Nachbarn. Die Vorstellungen über eine zukünftige staatliche und ökonomische Organisationsform sind geprägt vom Begriff der „Europareife“, von politischer und ökonomischer Autonomie im Rahmen einer neu definierten jugoslawischen Föderation bis zu einer Art slowenischer Schweiz und der Integration in die EG. Verständlich, daß dies in Belgrad als staats- und existenzgefährdend gesehen wird — Slowenien bringt über ein Drittel des Nationaleinkommens bei nur 8% Anteil an der Gesamtbevölkerung! Der Streit zwischen Slowenien und Serbien findet vor dem Hintergrund einer Wende zur Marktwirtschaft statt, die die gesamtjugoslawische Führung mittlerweile eindeutig vollzogen hat, ohne konkret das Wie einer marktwirtschaftlichen Restauration festgelegt zu haben. Die wirtschaftliche Lage — 19 Milliarden Dollar Auslandsschulden und neue Kredite — wird von Tag zu Tag prekärer.

Eine Lostrennung Sloweniens wäre schon nach ökonomischen Gesichtspunkten kaum praktikabel, profitiert es doch vom Süden sowohl durch den Einkauf billiger Rohstoffe als durch den Verkauf teurer Endprodukte — ein klassisches Nord-Süd-Gefälle. Die besten gesellschaftlichen und ökonomischen Perspektiven bleiben der westlichsten jugoslawischen Teilrepublik nach wie vor im Rahmen der gesamtjugoslawischen Föderation — vorausgesetzt, die ökonomisch unterschiedlich entwickelten Regionen fallen nicht bürgerkriegsähnlich übereinander her, sondern stabilisieren sich politisch.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)