FORVM, No. 239
November
1973

Spätkapitalist James Bond

Konzerne so groß wie Staaten

1 Spitzengang ITT

Wenn man von den Mantel-und-Degen-Aktionen des Giganten ITT liest, könnte man meinen, die Ursachen allen Übels sei in der Dummheit oder dem bösen Willen des höchstbezahlten Generaldirektors der Welt, Harold S. Geneen, zu suchen. Da gibt es einen Konzern, der Telefonanlagen, Brot und Versicherungspolizzen verkauft, mit 380.000 Beschäftigten in allen Erdteilen, mit 86 Milliarden Dollar Aktiva und einem Profit von einer halben Milliarde Dollar im Jahre 1972. Er war in anrüchige, ja kriminelle Geschäfte mit der Republikanischen Partei verwickelt, als es ihm darum ging, aus einem Anti-Trust-Verfahren herauszukommen, und er hat zugegeben, daß er den CIA zu veranlassen suchte, die Regierung Allende in Chile zu stürzen. In den Augen des Normalbürgers, der sich seine Meinung auf Grund der von Jack Anderson veröffentlichten Geheimdokumente gebildet hat, erscheint all das seltsam, bizarr, abwegig. Es ist die James Bond-Version des Spätkapitalismus.

Dieses dramatische, düstere Bild von der ITT wird nun verstärkt durch Anthony Sampsons Artikel im „New York Magazine“ und im „Spiegel“ (jetzt auch als Buch), wo geschildert wird, wie Geneens Vorgänger im Zweiten Weltkrieg sowohl mit den Alliierten als auch mit den Nazis kooperiert hat.

Die paranoide Verschwörungstheorie über ITT verdunkelt aber den wichtigsten Aspekt der multinationalen Konzerne: die Tatsache, daß sie Böses tun, selbst wenn sie Gutes tun wollen, daß sie sogar dann, wenn sie ganz normal arbeiten, wenn sie keinen einzigen Spion oder Lobbyisten auf ihrer Gehaltsliste haben, eine große Gefahr für die ganze Welt darstellen.

Ich stütze diese Behauptung in erster Linie — wenngleich nicht ausschließlich — auf einen Bericht der U.S. Tariff Commission (Steuerkommission) vom vergangenen Februar. Er ist als Beweis für die inhärent und strukturell antisoziale Tendenz der Multinationalen besonders überzeugend, weil er offenkundig als Apologie für diese gemeint war. Wenn eine Studie, deren erklärter Zweck es war, die amerikanische Arbeiterbewegung anzugreifen und die Weltkonzerne zu verteidigen, meine Auffassung bestätigt, dann bedarf es kaum eines Hauchs von Paranoia, um sie ernst zu nehmen.

„Die multinationale Firma, wie wir sie heute kennen, kam nach dem Zweiten Weltkrieg“, heißt es im Bericht der Kommission. „Viele Leute definieren sie als ein Großunternehmen, das nicht nur mit Waren, sondern auch mit Kapital, Technologie und Mangement über die Grenzen ihres Heimatlands hinweg handelt. Die Liste der wichtigsten multinationalen Konzerne umfaßt 300 Firmen, von denen zwei Drittel in den Vereinigten Staaten beheimatet sind.“

1970 betrug der Buchwert der amerikanischen Investitionen in Kanada, Europa, Japan und anderen entwickelten Gebieten 53,2 Milliarden Dollar, mehr als doppelt so viel wie die Investitionen in der Dritten Welt. Zwanzig Jahre zuvor, 1950, hatte die Summe der Investitionen in den entwickelten Ländern bloß 5,7 Milliarden Dollar betragen. Mit anderen Worten, es war eine finanzielle Explosion.

In seiner bemerkenswerten Rede vor der UNO im Dezember 1972 gab Salvador Allende eine brillante Analyse des Problems, das diese Konzerne darstellen. „Wir sind Zeugen einer Schlacht zwischen gigantischen transnationalen Konzernen und souveränen Staaten. Grundlegende politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden beeinflußt von weltweiten Organisationen, die von keinem einzelnen Staat abhängig und keinem Parlament und keiner das öffentliche Interesse vertretenden Institution rechenschaftspflichtig sind.“

2 Multis müssen böse sein

Die Tariff Commission, der man gewiß keine Sympathien für den Marxismus vorwerfen kann, bestätigt Allendes Behauptung. Ende 1971, heißt es in ihrem Bericht, verfügten die Multinationalen insgesamt über Aktiva in der Höhe von 268 Milliarden Dollar. Auf dem Weltwährungsmarkt „könnte die Verschiebung von nur einem Prozent dieser Summe, das sind 2,7 Milliarden Dollar, als Antwort auf Schwäche oder Stärke des Wechselkurses, eine Internationale Finanzkrise erster Ordnung hervorrufen“. (Ökonomen der First National City Bank meinen, die Kommission wäre zu streng mit den Multinationalen, sie behaupten, die Aktiva der Multis machten nicht mehr als 130 Milliarden Dollar aus. Dazu bemerkt „Wall Street Journal“, auch auf Grund dieser niedrigeren Zahl wäre „das Vermögen der Multinationalen immer noch mehr als ausreichend, um auch schon mit einem kleinen Manöver eine Krise auszulösen“.)

Diese riesigen Mittel (auch die niedrigere Schätzung beläuft sich auf das Doppelte der Reserven der Zentralbanken aller entwickelten kapitalistischen Länder zusammengenommen) werden gemäß der Taktik der „IMM“ — Internationalen Währungsverwaltung -— eingesetzt. Die Tariff Commission beschreibt dies folgendermaßen: „Idealiter verlangt das IMM-System, daß alle ihm angeschlossenen Tochterfirmen ihre finanziellen Entscheidungen einem einzigen Superkassier in der Konzernzentrale unterordnen. Es impliziert umfassende Weitergabe finanzieller Informationen — einiges davon täglich mit Hilfe eines raffinierten Kommunikationssystems — an die Zentrale, wo die Informationen gesammelt, analysiert und als Grundlage für finanzielle Anweisungen ‚unten‘ verwendet werden ...“

Das heißt: Wenn der Dollar in Europa unter Druck kommt, werden die Kontrollore der IMM schnell alle ihre Guthaben in D-Mark oder Yen umtauschen. Und Tochterfirmen in währungsschwachen Ländern werden angewiesen, ihre Zahlungen an Tochterfirmen in währungsstarken Ländern zu beschleunigen, während diese ihre Zahlungen in harter Währung an jene zurückhalten. Alles in allem bedeutet dies einen ungeheuren Druck auf die vermeintliche Souveränität der einzelnen Staaten.

Es handelt sich dabei übrigens nicht nur um solche Länder wie Chile. Unter Harold Wilson wurde Großbritannien jedesmal, wenn es soziale Verbesserungen einzuführen suchte, von den internationalen Währungsverwaltern dafür bestraft (und da die Londoner City eines der Hauptzentren dieser Intrige ist, wurden die antienglischen Maßnahmen natürlich sehr oft von Engländern veranlaßt).

In diesem Zusammenhang bringt die Tariff Commission unbeabsichtigt das wichtigste Argument vor. Es gibt, sagt sie, zwei plausible Hypothesen: „daß die multinationalen Konzerne defensiv reagieren und angesichts einer Krise nur marginale Korrekturen ihrer Aktiva und Passiva vornehmen; oder daß „eine kleine Minderheit, die imstande ist, folgenschwere finanzielle Verschiebungen zu veranlassen, dies auch tatsächlich tut“.

Nehmen wir zunächst an, die erste Hypothese wäre richtig, und sehen wir von Machenschaften à la ITT einmal ab. Wir sehen dann, daß auch diese normale, gutartige Schutzreaktion eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Staaten ist. Die Multinationalen sind schlecht, selbst wenn sie gut sein wollen, und ihre Gefährlichkeit ist keine Folge ihres bösen Willens, sondern eine solche ihres Vorhandenseins. Wenn man sich also auf das ITT-Drama konzentriert, übersieht man den prosaischeren, aber ernsteren Aspekt des Problems.

Dieses Problem wird zu einem Faktor der Weltpolitik. „Die Männer, welche die großen multinationalen Konzerne leiten“, heit es im Kommissionsbericht, „sind eine zuversichtliche Gruppe. Viele von ihnen fühlen sich eins mit dem Strom sozialer Veränderung, zu dessen Urhebern sie selbst gehören. Doch sie haben eine große Furcht, die jede ihrer internationalen Investitionsentscheidungen überschattet: die Furcht vor politischer Labilität.‘‘ Mit anderen Worten: Brasilien ja, Chile nein.

Der Internationale Metallarbeiterverband, eine Sektion des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, hat diesen Punkt mit Einzelheiten ausgemalt, welche die Tariff Commission in Verlegenheit bringen könnten. „In nur zu vielen Fällen“, heißt es da von den Multinationalen, „zeigen sie eine Vorliebe für repressive Systeme und Diktaturen, die den Arbeitern das Recht vorenthalten, sich zu organisieren und sich durch Kollektivverträge und Streikrecht zu schützen. Wo immer das Maß an sozialer Verantwortung gering ist, machen sie sich dies zunutze. In Südafrika beispielsweise bedienen sie sich des dort herrschenden Rassismus, um ihre Profite zu maximieren, mit Mitteln, die nicht nur moralisch verwerflich, sondern in den Ursprungsländern dieser Konzerne auch ungesetzlich sind.“

3 Profite sind Mono

Einer der Tricks, die diesem Zweck entsprechen, heißt „Transfer-Preisfestsetzung“. Der Konzern verkauft an seine eigenen Tochterfirmen in Ländern, wo ein nationalistisches Regime Ausländerprofite beschränkt, zu überhöhten Preisen. Auf diese Weise ist es nicht schwierig, die Profite in die Vereinigten Staaten zurückzubringen, da diese zum Teil in den bereits gezahlten überhöhten „Produktionskosten“ der Mutterfirma in Amerika verborgen sind. Kennencott Copper scheint es in Chile so gehalten zu haben, indem sie bei der Mutterfirma in den USA in den Jahren vor der Enteignung große Schulden machte. So wurde die Profitausfuhr als Schuldenrückzahlung getarnt, wie Allende vor der UNO sagte.

Ein multinationaler Konzern, den Charles W. Stabler kürzlich in „Wall Street Journal“ beschrieb, aber nicht nannte, war besonders erfinderisch. Er sah sich durch die bevorstehende Aufwertung in einem lateinamerikanischen Land bedroht, durch die der Dollarwert der nach den USA exportierten Profite verringert worden wäre. Also wies er seine Angestellten in der ganzen Welt an, ihre Flugtickets auf Rechnung der lateinamerikanischen Tochter zu kaufen. Diese wies bald keine Profite mehr aus, und das Problem der Aufwertung war gelöst.

All dies erfordert weltumspannende Planung. In einer der bemerkenswertesten Analogien, die je von der offiziellen Sozialwissenschaft gezogen wurde, formulierte die Tariff Commission es folgendermaßen: „In den größten und höchstentwickelten multinationalen Konzernen haben Planung und Überwachung der Planerfüllung ein Ausmaß und eine Detailliertheit erreicht, die ironischerweise mehr als nur oberflächlich den Planungsmethoden der kommunistischen Länder gleichen. Die Konzernspitze stellt allgemeine Ziele auf, und die Tochterfirmen entwerfen detaillierte Operationspläne für ein, fünf oder zehn Jahre. Diese Einzelpläne werden auf regionaler Konzernebene ausdiskutiert, wo Ziele, Inputs, Outputs und Kapitalbedarf aufeinander abgestimmt werden. Der regionale Generaldirektor bringt dann ‚seinen‘ Plan zu einer Konferenz mit seinen Kollegen und der Konzernspitze im ‚Kreml‘ (der Zentrale in den USA), wo weitere Abstimmungen und Kompromisse ausgehandelt werden.“

4 Multinationale Gewerkschaften?

Auch hier wieder droht der Fall ITT das eigentliche Problem — das in der Institution der multinationalen Konzerne als solcher liegt — zu verdunkeln, indem er die Aufmerksamkeit auf das Konzern-Melodrama ablenkt. Ja, die Macht der Multinationalen wird bereits so offenkundig, daß allenthalben der Ruf nach einer Reform laut wird. Als Senator Frank Church die Untersuchung über die ITT-Affäre eröffnete, sagte er: „Es erhebt sich eine Woge des Nationalismus, die sich zunehmend gegen die Rolle der in amerikanischem Besitz befindlichen multinationalen Konzerne in Wirtschaft und Gesellschaft der betreffenden Länder richtet.“

Bei der europäisch-amerikanischen Konferenz in Amsterdam im März 1973 bekam man eine Ahnung davon, worauf solche Reformen hinauslaufen könnten. Harvey Brooks von der Harvard-Universität sagte: „Wir würden wahrscheinlich eine Übereinkunft, sagen wir, der OECD-Länder (d.h. der entwickelten kapitalistischen Staaten) über einen Minimalstandard des Verhaltens multinationaler Firmen brauchen. Eine solche Übereinkunft sollte sich auf Fragen wie Kapitaltransfer und Steuervermeidung beziehen. Sie könnten beispielsweise eine allgemeine Garantie für Forschung, Entwicklung und Planung sowie Ausbildung einheimischen Personals für technische und Leitungsaufgaben vereinbaren ...“

Eine ernstere Gefahr für die Multinationalen sind die Gewerkschaften. Die Arbeiterorganisationen kommen allmählich darauf, daß die Multinationalen Streiks brechen können, indem sie die Produktion von einem Land in ein anderes verlegen. Darum drängen die AFL-CIO, die UAW (Vereinigte Automobilarbeiter) und die einzelnen Sekretariate des IBFG auf internationale Gesetze zur Zügelung der Konzerne und sogar für internationales Kollektivvertragsrecht.

Es geht also nicht nur um Machenschaften wie jene der ITT. Das könnte sogar eine Ablenkung vom eigentlichen Problem sein. Es geht darum, daß die Produktion der Konzerne international geworden ist und daß Privatfirmen, wie Allende aus unmittelbarer Erfahrung sagte, in vielen Fällen schon mächtiger sind als manche souveräne Staaten. Es ist ein Phänomen, das radikale Lösungen verlangt, einschließlich Sozialisierung und anschließende Unterwerfung unter demokratische Entscheidungsbildung im nationalen wie im internationalen Rahmen.

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