FORVM, No. 205/206
Januar
1971

Stalin gegen Yves Montand

„Das Geständnis“ von Costa-Gavras

Der westliche Antikommunismus lebt von der Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Stalinismus, wobei dieser, im Rahmen einer abstrakten Kritik des Totalitarismus, wiederum faschistischen Formen angeglichen wird. Erstere Gleichsetzung übersieht die historische Situation der Sowjetunion nach der Revolution, welche sich keineswegs als Quellpunkt der Weltrevolution bewies; vielmehr sah sich die SU einer konterrevolutionären Umwelt gegenüber, in der die Praxis der permanenten Revolution und die Theorie der unabschließbaren Dialektik erstarren mußten wie flüssiges Blei in kaltem Wasser. Der Stalinismus ist, als Entartungsform der „Diktatur des Proletariats“, für das Wesen des Kommunismus atypisch. Die Angleichung von Stalinismus und Faschismus übersieht ihrerseits die Differenz von politischer Macht und ökonomischer Herrschaft; diese hat ihre Basis in einer ausbeuterischen Klassentrennung, jene in einer Hypertrophie des Apparats der Funktionäre. Dieser kann höchstens in einem metaphorischen Sinn eine „Neue Klasse“ werden, denn seine Macht ist politisch delegiert, nicht aber ökonomisch fundiert in einer Diktatur der Funktionäre, als ob diese den Staat so betrieben, daß er ihnen unmittelbar maximalen Nutzen abwirft: unter Stalin hat die „Neue Klasse“ der Funktionäre für sich und ihre Nachkommen nicht in dem Sinn Reichtümer angehäuft und gesichert wie etwa deutsche Kapitalisten unter Hitler.

Wohl aber hatten die Funktionäre den Genuß einer politischen Machtposition: sie durften Gespräche abhören, Leute aus den Betten zerren, sie einsperren, auf den Kopf schlagen, ihnen ihr Gehirn gründlich waschen und sie in Schauprozessen als programmierte Marionetten „bekehrt“ einer präparierten Öffentlichkeit präsentieren. Diese Erscheinungen gibt es auch im Faschismus; ihnen liegt aber im Stalinismus ein anderes Wesen zugrunde; den unmittelbar Betroffenen wird das gleich sein; für eine prognostische Analyse ist es aber entscheidend.

Des „Z“-Regisseurs Costa-Gavras neuer Film, „Das Geständnis“, zeigt Erscheinungen. Mit Recht zählt er auf die sadomasochistische Gier des gehobenen Publikums nach subtilen Grausamkeiten in geheimen Gewölben; dem Freien ist das Gefängnis romantisch, den Überfüllten erscheint die Beschränkung als Lyrismus der Zelle. Yves Montand wird von dunklen Gestalten in den Alltagsuniformen der Detektive unverschämt beschattet, seiner Gattin, Simone Signoret, entrissen, systematisch gedemütigt und für den großen Prozeß hergerichtet: eine UV-Lampe beseitigt die Gefängnisblässe, das selbstkritische Geständnis wird auswendiggelernt, mediokre Existenzen lassen an Yves Montand ihren Antiintellektualismus und Antisemitismus aus: mit Gebrüll, Schlafentzug und enervierend stupiden Quälereien („Auf und ab gehen! Auf und ab gehen!“) holt der kleine Staatsbeamte den Intellektuellen vom hohen Roß und kriegt ihn noch kleiner, als er selber ist. Die stalinistischen Methoden entpuppen sich als durch keine kritische Instanz mehr eingedämmte Schikanen des Amtsschimmels; der Staat wird ein einziges riesiges Amt. Bei der Gehirnwäsche darf die durch seine Lakaienfunktion bedingte Frustration des Angestelltensektors ihr Mütchen kühlen.

Das hinter solchen kafkanischen Erscheinungen stehende stalinistische Wesen kann oder mag Costa-Gavras nicht zeigen; nur das Bild Stalins erscheint immer wieder als Butzemann. Dennoch hat die im Film implizite Trennung von Kommunismus und Stalinismus („Heute muß man erst recht Kommunist sein!“) eine aufklärende und für manchen provozierende Funktion: ein Wiener Filmkritiker warnte seine Leser verärgert davor, Costa-Gavras die Aussage abzunehmen: denn der Kommunismus sei immer Teufelswerk und Stalinismus gewesen, und so müsse es auch bleiben.

Für Yves Montand jedenfalls hat dieser Film eine ungetrübt positive Rolle: um glaubwürdig abgezehrt zu wirken, nahm er mehrere Kilo ab und verlor den für seine Verehrer schon sehr beunruhigenden Embonpoint.

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