FORVM, No. 462-464
Juli
1992

»Täglich alles« ist noch schlimmer!

Der österreichische Boulevard zwischen Desinformation und Indoktrination

Wer täglich österreichische Zeitungen liest und sich dennoch ein gewisses Maß an Optimismus bewahrt hat, der mag es auch zuwege bringen, von der Einführung einer neuen, bunten Billig-Gazette etwas zu erhoffen: vielleicht weniger, daß er selbst um drei Schilling „täglich Alles“ erführe, als daß der erdrückende Erfolg der »Kronen Zeitung« geschmälert, ihr Meinungsmonopol aufgeweicht würde. Solches täte dringend not, da die »Krone« mehr und mehr (noch mehr freilich geht’s bald nimmer) Schulter an Schulter mit der FPÖ kämpft. 2,8 Millionen Österreicher lesen Haiders Hauspostille; rosige Aussichten für die Zukunft.

Wiener Leser haben seit 5. April das Vergnügen (?) mit der neuen Tageszeitung (?); und tatsächlich: Den Freiheitlichen ist sie nicht wohlgesonnen. Aber trotzdem ... Was alles uns täglich geboten wird, ist rasch beschrieben: Illustriertenschund in kleinen Portionen. »Die ganze Woche«, die die Nation ebenfalls Kurt Falks segensreichem editorischem Wirken verdankt, geteilt durch sieben: Chronik, bei der Schicksalsschwangerschaft vor Aktualität geht, Horoskop, Gesundheitstips, Quizfragen, Stargeflüster, Kochrezepte („Was bei Toni Sailer auf den Mittagstisch kommt“), gewürzt mit aktuellen Sportberichten. Das ist beinahe alles. Täglich. Zwei Seiten über Politik gibt es auch; in Wahrheit sind das, zerdehnt durch ein großzügiges Layout, geschmückt mit bunten Bildchen, nur ein paar Zeilen.

Sensible Gemüter sollten die Lektüre dieses Artikels jetzt abbrechen. Ich versteige mich nämlich dazu, die »Kronen Zeitung« zu loben: Im Vergleich zu »täglich Alles« bietet sie die geballte Information. Eine Prognose sei gewagt: Falls das neue Blatt Erfolg haben wird, dann nur bei jenen, die bisher keine Zeitung gelesen haben, weil sie sogar die »Krone« überfordert; deren treue Kunden hingegen werden sich von Falk und seinen Mannen gefrotzelt fühlen. Keine Chance also, Dichands und Nimmerrichters Macht zu mindern.

Falk wirbt für sein Produkt — irgendwie ehrlich — nicht des Inhalts, sondern ausschließlich des durchgehenden Vierfarbdrucks und des niedrigen Preises wegen; dahinter könnte man ein Konzept vermuten. Eva Deissen legt in einer Kolumne täglich alles dar, was sie bewegt; in der Ausgabe Nr. 2 war sie „ehrlich entsetzt, als ich die frischgebackene Staatssekretärin Ederer im Radio ihre ersten Statements abgeben hörte.“ Welche Ungeheuerlichkeiten waren es, die das Deissensche Grauen erregten? Was tat Ederer kund? Aber, aber, vom Inhalt war ja nie die Rede: „Was sie sinngemäß gesagt hat, verblaßte vom Eindruck her; denn ich war wie gelähmt vor Entsetzen über den Klang ihrer Stimme. Die neue Staatssekretärin sprach zu hoch, zu schnell, mit extrem unschöner Artikulation.“ Da Frauen mit sonorer Stimme größere Kompetenz zugebilligt werde (was stimmt), solle Ederer Sprechunterricht nehmen. Wunderbar: Wir beurteilen Zeitungen nur mehr nach der Qualität ihrer Farbbilder, Politiker nach der Tonhöhe ihrer Stimme. Ivan Rebroff for President! Der bedingungslose Ersatz des Inhalts durch die Form — ist das die Zukunft des Boulevards?

Schon durch den Aufbau des Blattes wird suggeriert, der Politik komme ungleich geringere Bedeutung zu als dem, was in den Sternen steht. Die Geisteshaltung der politischen Berichtchen und Kommentarlein tut ein übriges. Die vornehmste Aufgabe wird darin gesehen, Neidkomplexe gegenüber den bösen Bonzen zu züchten, die sich auf Kosten des braven, kleinen Steuerzahlers, auf unsere Kosten also, schamlos bereichern. Wird zum Halali auf die Nationalbank geblasen, ergeben sich hübsche Gleichklänge mit Jörg Haider. Mit Sozialkritik hat das, wohlgemerkt, gar nichts zu tun, schon eher mit primitiver Hetze kraft letztklassiger Kurzschlüsse: „ÖIAG-Chefs verprassen unser Geld ... aber kündigen 8000 in der Verstaatlichten“ (9. April); „Walter Fremuth: mehr als fünf Millionen im Jahr. Er spricht von weiterer Strompreiserhöhung“ (10. April).

Welche Konsequenz zieht da der biedere Bürger, die biedere Zeitung? Richtig: Die, daß die Politik ein schmutziges Geschäft sei, an das anständige Menschen wie wir nicht einmal anstreifen wollen. Kolumnist Gerd Leitgeb läßt keine Gelegenheit aus, uns vor Augen zu führen, in welchem Sumpf wir sonst versänken: Die vier Präsidentschaftskandidaten hält er, ohne Unterschied, für „drittklassig“, „feig“, „Jammergestalten“ und „Duckmäuser“ (11. April). Als Erhard Busek erklärte: „Am Freitagnachmittag sind die Universitäten zu wie die burgenländischen Maurer“ — gewiß keine seiner klügsten Bemerkungen —, tobte Leitgeb: „Mit dieser schier unglaublichen Entgleisung hat der Vizekanzler Zehntausende Pendler niedergemacht, die täglich um vier Uhr aus dem Südburgenland nach Wien fahren, hier fleißig schuften und erst spätabends wieder heimkommen.“ Um ungleich geringeren Lohn, versteht sich, als der zweite Mann der Bundesregierung: „Zu seinem fürstlichen Salär tragen übrigens jene Burgenland-Pendler mit ihren Steuern bei, die Busek jetzt so verhöhnt.“ (15. April) Ich wüßte so manches an Busek zu kritisieren, aber auf diese Idee, muß ich gestehen, wäre ich nie verfallen. Bei »täglich Alles« ist man eben konsequent: Form statt Inhalt.

„Israelische Politiker haben in der Vorwoche eine dringliche Sondersitzung ihres Parlaments gefordert. Drohten etwa Palästinenser mit neuem Terror? Oder gar Saddam Hussein mit Raketenangriffen? Weit gefehlt! Die Aufregung entstand, weil der deutsche Kanzler Kohl unseren Präsidenten Waldheim empfangen hat. Das rief den uns sattsam bekannten Herrn Bronfman vom sogenannten ‚Jüdischen Weltkongreß‘ auf den Plan: jenen Bronfman, der Lügen über unseren Bundespräsidenten verbreitet und behauptet hat, dieser sei ein arger Nazi gewesen und hätte sich während des Krieges am Balkan aufgeführt wie ein Schlächter. — Alles Blödsinn. [...] Völlig zu Recht hat der deutsche Kanzler den aufmüpfigen Haxelbeißern daher gesagt, ihre Kritik sei ihm schnurzegal.“ So kann nur einer schreiben: Staberl — oder? Nein, es war der Reserve-Staberl: Gerd Leitgeb, am 6. April. Man sieht: Wird ausnahmsweise einmal eine Position bezogen, dann ist sie von der »Krone« und dem von ihr bekrönten König Jörg nicht gar so weit entfernt ...

Ungeachtet dessen, ist man der FPÖ nicht hold. Haiders Mitarbeiter Peter Westenthaler wird beschuldigt, seinen Ingenieur-Titel auf unlautere Weise erschlichen zu haben (10. April). Haider selbst ist für Leitgeb „der blaue Maulheld“ (7. April), der „mitunter einen rechten Unsinn daherredet“ (13. April). Wie das kommt, darüber läßt sich nach vierzehn Tagen »täglich Alles« nur spekulieren. Erste Hypothese: Ist Dichand für, so muß Falk gegen Haider sein. Zweite: Der Deutschnationalismus der FPÖ stört das offenbar österreichisch-nationale Weltbild der neuen Zeitung. Dritte: Die Kritik entspringt dem Grundsatz „Form statt Inhalt“: Haider ist zu frech. Als der Führer der Freiheitlichen Robert Jungk als Nazi-Sympathisanten verunglimpfte, rügte ihn Leitgeb auch deshalb, weil er es besser wissen müsse: Wie er Jugks Artikel von 1942 zerpflücke, sei eine ebensolche „Gemeinheit“, wie sie ihm widerfahren sei, als seine Landeshauptmannschaft in Kärnten beendet wurde, weil er von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ sprach. Damals habe er sich „wenn auch nicht unbedingt in der Sache — so doch im Ton vergriffen“ (7. April). Vierte Hypothese: Haider ist einfach deshalb suspekt, weil er ein Politiker ist, ein Aussätziger also.

Die Gretchenfrage heißt: Soll ich mir überhaupt wünschen, daß dieses Blatt der »Krone« Leser wegnimmt? Nun, wer hohe Ansprüche an eine Gesinnung stellt, die er für demokratisch halten kann, dem wird jene der »Kronen Zeitung« vielleicht nicht genügen, und er wird finden, daß sie ihr Publikum indoktriniere. Aber eines muß man Cato und seinen Getreuen lassen: Daß Politik etwas Wichtiges ist, worum es gilt, sich zu kümmern, steht für sie außer Zweifel, sonst könnte ein Staberl sich nicht so giftig darüber alterieren. »täglich Alles« hingegen ist nicht nur die Zeitung der Nicht-Zeitungsleser, sondern auch die der Nicht-Wähler.

Kurzfristig mögen diese ungefährlicher sein als die FPÖ-Wähler, hetzen sie doch längst nicht im selben Maße gegen das ABC von Andersdenkenden über Auserwählte und Arbeiterkämmerer bis Zivildiener und Zuwanderer —, grenzen sie nicht so wütend aus. Aber langfristig sind sie die größere Gefahr: Wem „ollas ans“ ist, der läßt alles geschehen, alle gewähren, auch die Hetzer und Ausgrenzer. Wer sich wenigstens für irgendeine Politik begeistert, mag es auch heute die der FPÖ sein, ist wohl leichter resozialisierbar; später läßt er sich vielleicht von Argumenten überzeugen. Nicht gelingen wird dies aber bei denen, die sich aus dem demokratischen Prozeß ausklinken, die jede Politik aggressiv ablehnen.

Eine düstere Vision: Die österreichischen Zeitungsleser planschen ahnungslos zwischen Dichands Skylla und Falks Charybdis; und nur ganz wenige kommen durch.

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