Transnationale Staatsbürgerschaft
Eine durchaus vielseitige Bandbreite von Autorinnen unternimmt den Versuch, sich dem schillernden Begriff der transnationalen Staatsbürgerschaft anzunähern. Man ist versucht zu erwarten, daß in den Beiträgen der anscheinend unausweichlich gewordene „natürliche“ Nationalismus im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft weit hinter sich gelassen wird. Enttäuscht quält man sich dann durch den ersten Artikel: Raymond Aron (der Artikel stammt aus dem Jahr 1974) untersucht die Möglichkeit einer multinationalen Staatsbürgerschaft für die damalige EG und kommt schließlich zum Schluß, daß diese nicht möglich ist. Warum gerade dieser Artikel notwendig schien, wenn man doch über das „utopisch“ Mögliche, nämlich die Überwindung der Nation als ersten und wichtigsten Bezugsrahmen der „Staatsbürger“ diskutieren wollte, ist nicht gerade einleuchtend. Die gebetsmühlenartige Betonung der Nation als Garant der Wahrung von Menschen- bzw. Bürgerrechten ist teilweise sehr ermüdend. Nichtsdestotrotz finden sich auch einige interessante Beiträge: Nina Glick Schiller et al. beispielsweise. Sie widmen sich dem Begriff des Transnationalismus, ein Prozeß, in dem Migrantinnen ihre Identität sowohl aus Elementen des Herkunfts- als auch des Aufenthaltslandes zusammenfügen. Die Anerkennung einer solchen vielschichtigen Identität, die zwar Realität ist, als solche aber nicht wahrgenommen wird, wäre die Grundvoraussetzung für die Überwindung der landläufigen Definition von Staatsbürgerschaft, die sich auf eine nationalistische und rassistischen Abgrenzung ihrer Bürgerinnen gegenüber den Migrantinnen beruft. — Siehe auch die aktuelle österreichische Diskussion bezüglich der Einbürgerung von Migrantinnen: Einbürgerung nur dann, wenn deutsch gesprochen wird, wenn man bereit ist, sich der herrschenden Kultur, die katholisch, „europäisch“ etc. ist, zu unterwerfen. Auch Ulrich Preuß verläßt bewußt das Terrain der Nation und stellt sich den „Problemen eines Konzepts europäischer Staatsbürgerschaft“, während Marco Martiniello („Einer multikulturellen EU-Bürgerschaft entgegen?“) auf die Problematik hinweist, daß die Idee an Bedeutung gewinnt, „daß man, um von den ökonomischen Wohltaten Europas profitieren zu dürfen, europäischer Bürger und davor .kulturell’ europäisch sein muß“, was einem ethnisch-rassistischen Konzept entspringt. Martiniello weist die chauvinistische Konstruktion der europäischen Kultur und Identität zurück und plädiert für eine multiple, dynamische und offene Identität sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene.
Heinz Kleger verspricht meines Erachtens in der Einleitung mehr, als die Beiträge tatsächlich einlösen. Sein abschließender Text über „Bausteine transnationaler Demokratie“ könnte auch als sein Versuch interpretiert werden, die anfangs geweckten Erwartungen an das Buch doch noch erfüllt zu wissen.
Heinz Kleger (Hg.): Transnationale Staatsbürgerschaft. Campus, Frankfurt/M. 1997, 337 S, öS 423,—