ZOOM 2/1998
Mai
1998
Heinz Kleger (Hg.):

Transnationale Staatsbürgerschaft

Eine durchaus vielseitige Bandbreite von Autorin­nen unternimmt den Versuch, sich dem schillernden Begriff der transnationalen Staats­bürgerschaft anzunähern. Man ist versucht zu erwarten, daß in den Beiträgen der an­scheinend unausweichlich gewordene „natürliche“ Natio­nalismus im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft weit hinter sich gelassen wird. Enttäuscht quält man sich dann durch den ersten Artikel: Raymond Aron (der Ar­tikel stammt aus dem Jahr 1974) untersucht die Möglichkeit einer multinationalen Staatsbürgerschaft für die da­malige EG und kommt schließlich zum Schluß, daß diese nicht möglich ist. War­um gerade dieser Artikel notwendig schien, wenn man doch über das „utopisch“ Mögliche, nämlich die Überwindung der Nation als ersten und wichtigsten Bezugsrah­men der „Staatsbürger“ dis­kutieren wollte, ist nicht ge­rade einleuchtend. Die gebetsmühlenartige Betonung der Nation als Garant der Wahrung von Menschen- bzw. Bürgerrechten ist teil­weise sehr ermüdend. Nichts­destotrotz finden sich auch einige interessante Beiträge: Nina Glick Schiller et al. bei­spielsweise. Sie widmen sich dem Begriff des Transnatio­nalismus, ein Prozeß, in dem Migrantinnen ihre Identität sowohl aus Elementen des Herkunfts- als auch des Auf­enthaltslandes zusammenfügen. Die Anerkennung einer solchen vielschichtigen Iden­tität, die zwar Realität ist, als solche aber nicht wahrge­nommen wird, wäre die Grundvoraussetzung für die Überwindung der landläufi­gen Definition von Staatsbür­gerschaft, die sich auf eine na­tionalistische und rassistischen Abgrenzung ihrer Bürgerin­nen gegenüber den Migran­tinnen beruft. — Siehe auch die aktuelle österreichische Dis­kussion bezüglich der Ein­bürgerung von Migrantinnen: Einbürgerung nur dann, wenn deutsch gesprochen wird, wenn man bereit ist, sich der herrschenden Kultur, die ka­tholisch, „europäisch“ etc. ist, zu unterwerfen. Auch Ulrich Preuß verläßt bewußt das Ter­rain der Nation und stellt sich den „Problemen eines Kon­zepts europäischer Staatsbürgerschaft“, während Marco Martiniello („Einer multikul­turellen EU-Bürgerschaft ent­gegen?“) auf die Problematik hinweist, daß die Idee an Be­deutung gewinnt, „daß man, um von den ökonomischen Wohltaten Europas profitie­ren zu dürfen, europäischer Bürger und davor .kulturell’ europäisch sein muß“, was ei­nem ethnisch-rassistischen Konzept entspringt. Martini­ello weist die chauvinistische Konstruktion der europäi­schen Kultur und Identität zurück und plädiert für eine multiple, dynamische und of­fene Identität sowohl auf na­tionaler wie auf EU-Ebene.

Heinz Kleger verspricht meines Erachtens in der Ein­leitung mehr, als die Beiträge tatsächlich einlösen. Sein ab­schließender Text über „Bau­steine transnationaler Demokratie“ könnte auch als sein Versuch interpretiert werden, die anfangs geweckten Er­wartungen an das Buch doch noch erfüllt zu wissen.

Heinz Kleger (Hg.): Transna­tionale Staatsbürgerschaft. Campus, Frankfurt/M. 1997, 337 S, öS 423,—

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