MOZ, Nummer 40
April
1989

Unternehmen Staatshygiene

Perestroika bei der Stapo? Glasnost bei HNA und HAA? Die unglaublichen Parolen von der Demokratisierung der geheimen Staatspolizei und der Öffnung der NATO-Heeresspionage.

„Staatssicherheit und Staatsgefährdung“ sind nach Ansicht des VP-Jus-Professors Felix Ermacora sogenannte „offene Rechtsbegriffe“. Die läßt man offen, je nach politischer Notwendigkeit. Letztendlich entscheiden die Beamen der Staatspolizei selber auch, wie diese Begriffe zu interpretieren sind.

So geschehen in den Wochen nach der Räumung und Schleifung des Wiener Gebäudekomplexes Ägidi-/Spalowskygasse im Spätsommer letzten Jahres. Damals bewohnten die nunmehr Obdachlosen provisorisch das Geschäftslokal einer ehemaligen Vogelhandlung, und zwar in der Unteren Augartenstraße in der Leopoldstadt. Zur Verköstigung der hier Untergebrachten wurde eine „Volksküche“ eingerichtet, für die sich unter anderem die Sozialarbeiterin Maria B. (Name geändert) engagierte. Anläßlich einer Ägidi-Solidaritätsveranstaltung hält sich die schwangere Frau eines Freitagabends auf dem Veranstaltungsgelände der „Arena“ auf und kündigt von hier aus telefonisch ihre Absicht an, anschließend in die Vogelhandlung zu kommen.

Maria kommt jedoch nicht. Auch an den zwei darauffolgenden Tagen bleibt sie wie vom Erdboden verschluckt. Anzunehmen ist lediglich, daß ihr Telefongespräch von der Staatspolizei belauscht worden ist.

Eine Stunde nach dem Anruf befindet sich Maria in der Novaragasse zwischen Praterstern und Unterer Augartenstraße beinahe am Ziel. Hier erwarten sie zwei unbekannte Männer in Zivil, die sich mittels Marke als Polizisten ausweisen. „Sie haben eine Aussage zu machen“, behaupten die Organe der staatlichen Sicherheit, die nebenbei ihre Kenntnis von Marias Schwangerschaft betonen.

Sie wolle doch ihr Kind später behalten? — „Wenn das Jugendamt davon erfährt, daß Sie sich in Obdachlosenkreisen herumtreiben, in denen Alkohol konsumiert wird und vielleicht Drogen auch ...?“ In ihrem eigenen Interesse solle Maria lieber freiwillig mitkommen, drohen die Geheimpolizisten. Die eingeschüchterte Frau steigt, von den beiden im staatspolizeilichen Psychoterror geübten Männern begeleitet, in ein Auto, das mit Fahrer bereit steht. Sie wird in die Sicherheitsdirektion am Schottenring gebracht.

Hier wird Maria B. von Freitag bis einschließlich Sonntag in einer versperrten Amtsstube festgehalten und muß etliche „Geheimdienstmethoden“ über sich ergehen lassen. Aus „Staatsräson“. Täglich wird sie viele Stunden verhört, zur Situation der Leute in der Augartenstraße befragt. Was sie von den Aktivitäten der Ägidi-Leute wisse und von den verschiedenen anderen politisch Engagierten aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis. Die Beamten wollen auch erfahren, was ganz allgemein an politischen Aktionen geplant sei. Erst am dritten Tag wird die Entführte — zutiefst verstört — wieder freigelassen. Die Stapo mußte einsehen, daß die erwarteten Informationen von Maria nicht zu erhalten sind. Ein Gedächtnisprotokoll ihres unheimlichen Erlebnisses deponiert sie beim Anwalt. Bislang hat sich aber noch kein Staatsanwalt mit dieser freien Auslegung von Tätigkeit zum Schutz der Staatssicherheit (genannt Amtsmißbrauch) befaßt.

„Dort kommen besonders dumme Leute hin“

Die 700 Beamten in Österreich im staatspolizeilichen Dienst, denen die Rechtsinterpretation freisteht, zeichnen sich nicht nur durch merkwürdige Auslegungen, sondern in der Regel auch durch ein hohes Maß an politischer Wendigkeit bis hin zum Parteien-Chamäleon aus. „Je nachdem, welcher Posten grad frei ist, treten diese Leute jener Partei bei, die erforderlich ist, um den Posten zu kriegen“, weiß der Lucona-Untersucher und Stapo-Kenner Peter Pilz. Dadurch entstehe eine Art „negative Auslese“, weshalb die „pathologisch veranlagten Gewalttäter“ ohne den Schutz ihrer Beamten-Immunität schon längst mehrjährige Gefängnisstrafen zu verbüßen hätten. „Negative Auslese bedeutet auch, daß dort besonders dumme Leute hinkommen, die besonders hemmungslos sind“ (Pilz).

Bisweilen leistet die Staatspolizei auch Beihilfe zum Personalabbau der ÖIAG und gibt dem Dienstgeber all jene Personen bekannt, die staatspolizeilich vorgemerkt sind.

Den Unternehmen fallen dann Entscheidungen darüber, wer von der nächsten Entlassungswelle mitgerissen werden soll, etwas leichter.

Dr. Fritz Novak (Name geändert), Bediensteter eines großen Chemie-Unternehmens der verstaatlichten Industrie, hatte dabei noch unglaubliches Glück, weil ihm eines Tages ein Bekannter einen Tip gab: „Hearn’S, gegen Sie läuft ja ein Verfahren bei der Staatspolizei! Sie sollen ein hoher Funktionär bei den Grünen sein!“

Novak, völlig verdutzt („Was ist los?“), wußte von nichts. Allerdings war der Vorwurf existenzbedrohend. Der Informant verriet ihm, daß er mit seiner Kündigung zu rechnen habe. Der Hinweis, Novak sei ein „grüner Spitzenfunktionär“, war bereits im EDV-Dokumentationssystem der Firma zu finden und für eine ganze Reihe von Leuten abrufbar. Was ihm da vorgehalten wurde, war indes völlig aus der Luft gegriffen. Novak war (und ist) kein Grüner, kein „Funktionär“, und ein „hoher“ schon gar nicht.

Er wußte vom Dienstgeber, daß mit der gerade angelaufenen Kündigungswelle gleich 1.000 MitarbeiterInnen — immerhin 20% der Belegschaft — an die Luft gesetzt werden sollten. Der junge Novak wäre da als neuer Mitarbeiter gar nicht aufgefallen. Nach seinem jetzigen Wissensstand jedoch handelte es sich bei ihm um den Versuch einer Motivkündigung aus politischen Erwägungen. Der entlarvte Trick wäre über die Gewerkschaft allemal anfechtbar gewesen.

Der vermeintliche „Grüne“ ging in die Offensive und trug dem Personalchef seine Kenntnis von den Kontakten zwischen Stapo und Personalbüro, also vom verdeckten Kündigungsmotiv, prompt vor, worauf dieser (plötzlich konziliant) den Vorwurf sogleich „nicht ernst“ nahm.

Novak behielt den Job. Unter den gegebenen Umständen wäre es auch zu riskant gewesen, ihn zu feuern.

Happy end? — Mitnichten. Für den Mann war die bittere Erkenntnis aus dem Diffamierungsfall die, daß Personallisten an der Verstaatlichten in regelmäßigen Abständen mit denen der staatspolizeilichen Evidenz verglichen werden, wie es ihm der Personalchef bestätigte. Hier ist kein Platz für „politisch Auffällige“.

Desgleichen gilt für Bewerbungen im Bundesbereich, wobei es regelmäßig zu Rückfragen im Innenministerium kommt. Nicht nur die AktivistInnen der als oppositionell empfundenen politischen Gruppierungen werden dabei aus allen Ämtern ausgefiltert. Auch Schnee von gestern wird zum Thema solch einer geheimen Anfragebeantwortung. Folglich stellt die Stapo dann ebenso keinen „Undenklichkeitsbescheid“ im Rahmen diese Amtshilfe aus, wenn die Teilnahme an einer bestimmten Demonstration schon Jahre zurückliegt.

Politisch auffällige BewerberInnen werden weggeschickt.

Der Chef der „Linksabteilung“ der Stapo, Mag. Zander

Keine Beschwerdemöglichkeit

Ein Zustand, der nicht nur eine permanente Verletzung der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK Art. 8) darstellt. Gegen derartige staatspolizeiliche Eingriffe in die Personalstruktur öffentlicher Dienststellen gibt es nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht einmal eine Beschwerdemöglichkeit.

Über Einwände gegen Grund- und Menschenrechtsverletzungen, wie sie inzwischen ausreichend dokumentiert vorliegen, wären die obersten Richter theoretisch zwar zu entscheiden berufen, allerdings verweisen sie auf die Verfassung, wonach sie nur solche Beschwerden zu behandeln hätten, die sich gegen Grundrechtsverletzungen durch einen Behördenbescheid oder durch die „Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt“ (Hausdurchsuchung, Verhaftung) richten.

Klammheimliche Überwachungsmaßnahmen, die Diffamierung und Verleumdung durch die Staatspolizei betrifft das nicht. Aktionen wie diese gehen ohne jeglichen Zwang vor sich. Ein schriftlicher Bescheid wird Leuten, die bespitzelt und über die Akten angelegt werden, auch nicht zugestellt. Folglich waschen die Verfassungsrichter ihre Hände in Unzuständigkeit. Ohnehin ist die Voraussetzung für eine Beschwerde, daß Betroffene überhaupt vom Vorhandensein des Spitzelaktes erfahren. Ein- und Übergriffe dieser geheimen Staatspolizei gelangen nur in Ausnahmefällen ans Tageslicht, die quasi einem „Fehler im System“ gleichkommen. Dies ist nicht überall so. In skandinavischen Ländern herrscht seit langem eine Glasnost der Ämter, wie sie in Österreich nicht einmal denkbar wäre. Jede(r) BürgerIn kann dort allzeit umfassende Auskunft darüber verlangen, was über ihn/sie in den Akten steht. Und zwar bei allen Behörden.

Nur aus ganz bestimmten Gründen, die glaubhaft zu belegen sind, können im nördlichsten Europa gewisse Informationen verweigert werden. Es herrscht eine Umkehr der Beweislast. Die Behörde muß den Ausnahmefall begründen, nicht die Bürger die Existenz der über sie angelegten Akten nachweisen.

Hierzulande lacht der Beamte, denn er weiß, daß es genügt, sich auf elastische Worthülsen zu berufen. „Aus Gründen der Staatssicherheit“ kann Akteneinsicht mit Leichtigkeit verweigert, können lästige Fragesteller abgewimmelt werden. Der/die Bürgerln rennt gegen eine Gummiwand.

Obstlt. Neugeboren, bewährter Hüter demonstrativer Ordnung

Die Generalklausel bleibt!

Anfang März stellte der neue Innenminister Franz Löschnak die Weichen für ein Polizeibefugnisgesetz, das für die gesamte Exekutive gelten soll. Im Rahmen dessen will der noch frische Ressortchef auch die Belange der Staatspolizei regeln.

„Eine Geheimpolizei öffentlich zu machen, sie zu demokratisieren, ist unmöglich, ohne daß sie aufhört, eine Geheimpolizei zu sein“, lançiert Peter Pilz, „die einzig vernünftige Lösung wäre die Auflösung der Staatspolizei.“

Löschnaks Gesetzesentwurf soll noch vor dem Sommer auf den Tisch kommen, für Gummiparagraphen wird darin ausreichend Raum gelassen. Der Blecha-Nachfolger beabsichtigt lediglich die Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen die Exekutive zu agieren hat, die jedoch für alle Abteilungen, also auch für die Staatspolizei, gleich gelten sollen. Zu einer taxativen Auflistung dessen, was die Polizei wann tun darf, wird es nicht kommen. „Wenn ein Fall eintritt, der nicht vorgesehen war, darf die Polizei gar nichts?“ gibt ein Pressesprecher des Bundesministeriums für Inneres zu bedenken.

„Auf Grund der relativ langen staatlichen Existenz Österreichs ist bekannt, welche Fälle anfallen können“, argumentiert der grüne Ex-Staaatsanwalt Walter Geyer, „man weiß, was sich abspielt, und weiß daher, was für Instrumente man benötigt.“ Auch Geyer stellt die Frage: „Brauchen wir die Staatspolizei? — Da müßte der Minister, der dafür eintritt, daß es die Staatspolizei gibt, den Beweis führen, daß sie notwendig ist. In welchen Fällen hat die Stapo die Sicherheit Österreichs gewährleistet? Wann wäre Österreich in Gefahr geraten, gäb’s die Spitzelaktionen nicht?“

Von der 1929 entstandenen „Generalklausel“, auf Grund der die Polizisten der Ersten Republik in die Menge schossen und die heute in jedem Fall einen unkontrollierten Ermessensspielraum einräumt, beabsichtigt Löschnak nicht, sich zu trennen. Der Freibrief wird erhalten bleiben. „Bei einer genauen konkreten Aufzählung der Befugnisse können die Obergerichte deren Einhaltung kontrollieren“, so Geyer, „solange ich aber im Ermessensspielraum bin, hat der Bürger schon verloren.“

Anläßlich einer Pressekonferenz im Innenministerium, bei der Löschnak seine Vorhaben höchst medienwirksam erörterte, zeigte sich der neue Ressortchef nicht bereit, sich mit einer neuen Besetzung der Begriffe „Staatssicherheit — Staatsgefährdung“ auseinanderzusetzen: „Man wird um eine gewisse Mobilität und Absicherung nicht herumkommen. Wenn es einen engeren Begriff gibt, bin ich der erste, der ihn annehmen würde“ (Löschnak).

Staatsanwalt Geyer im Grauen Haus schlägt das Strafgesetzbuch auf: „Den neuen Begriff hätt’ ich grad in der Hand. Da heißt es: Staatsfeindliche Verbindungen, Angriff auf oberste Staatsorgane, Landesverrat, Preisgabe von Staatsgeheimnissen, ...“

Freilich, dem Inneminister geht es nicht um eindeutige gesetzliche Bestimmungen, sondern um „Maßnahmen im Vorfeld der strafbaren Handlungen“.

Die Frage ist nur, wie elastisch das neue Gesetz werden soll. Wie Gummi oder Rohgummi?

Drehscheibe zwischen Ost und West

Nach Löschnaks Plänen sollen sich auch die zwei militärischen Geheimdienste in Österreich einer Kontrolle unterwerfen. „Man wird nicht die Stapo an die Leine legen, und die anderen dürfen herumfuhrwerken“, heißt es aus dem Innenministerium.

Verteidigungsminister Lichal gibt sich konziliant. Er beabsichtige sowieso, die beiden Organisationen wieder zu vereinen.

Getrennt wurden sie erst 1985 von FP-Verteidigungsminister Frischenschlager, nachdem er vom Heeresnachrichtenamt selbst bespitzelt worden war. Mal fehlte ihm ein Foto aus seinem privaten Album, mal bemerkte er, wie ihn ein HNA-Agent fotografierte. — Das war selbst Friedhelm zuviel! Es kam zur sozialpartnerschaftlichen Trennung der Bereiche Abwehr und Information.

Geändert hat sich an den undurchschaubaren Machenschaften nichts. Lediglich ein (wesentlich kleineres) Konkurrenzunternehmen wurde geschaffen. Seither operieren das „schwarze“ HNA (Heeresnachrichtenamt) und das „rote“ HAA (Heeresabwehramt) nebeneinander — und auch gegeneinander. Lichal: „Mir würde ein Nachrichtendienst genügen. Der wäre leichter zu kontrollieren.“

Und zwar von ihm selbst, natürlich. Lichal geht es darum, seine Hausmacht durch die Firmenfusion von HNA und HAA durchzusetzen. Auf solch eine Gelegenheit hat er schon lange gewartet. Nach seinem Willen soll es die Konkurrenz des SP-nahen HAA in Zukunft nicht mehr geben. „Das ist ein rein parteipolitischer Schachzug“, betont Peter Pilz, „damit könnte Lichal das Abwehramt der VP unterwerfen.“

Eine peinliche Situation durch die Konkurrenz ergab sich für das Nachrichtenamt erst zuletzt, als das Abwehramt dem Lucona-Ausschuß wesentlich mehr ungefiltertes Material zur Verfügung stellte als das besser informierte HNA. Der Schluß lag nahe, daß das HNA gemogelt hatte.

Lichal schätzt sein geheimes Amt so ein: „Wir haben kein Spionagegesetz aufgebaut, das ist für unseren kleinen Staat auch gar nicht notwendig. Aber wir brauchen Informationen, bitte.“

Eine Behauptung, die in ihrer militärischen Logik zwar stimmen dürfte. Nur wie hoch der Preis der Information ist, wird sorgsam verschwiegen. HNA und HAA sind nämlich auf „Importe“ von Berichten der NATO-Geheimdienste angewiesen.

Bezahlt wird nicht mit Geld, sondern wiederum mit Informationen. Mit etlichen Westgeheimdiensten gibt es seit Jahrzehnten eine rege Zusammenarbeit auf der Basis sogenannter „Kompensationsgeschäfte“. Darunter ist ein permanenter Deal zu verstehen, wobei unsere Geheimdienste den befreundeten Schnüffler-Organisationen regelmäßig Informationen über österreichische StaatsbürgerInnen zukommen lassen, um ihrerseits Angaben über diverse militärische Vorgänge in Osteuropa zu erhalten.

Spitzelakte über politisch mißliebige Personen in Österreich beschäftigen auch die „Company“, wie die CIA unter Insidern genannt wird. „Sicherlich interessiert sie auch die österreichische Innenpolitik, insbesondere die Entwicklungen und Tendenzen der linken Parteien und Gruppen, vor allem der Linken in der Sozialistischen Partei“, verrät der abgesprungene CIA-Agent Philip Agee. Inzwischen dürften auch die Grünen in den Blickpunkt dieses Interesses gelangt sein.

Von den östereichischen Stellen wird ein Ausverkauf der nationalen Souveränität durch „Kompensationsgeschäfte“ folgendermaßen begründet: „Es stehen finanzielle Mittel in lächerlichem Ausmaß zu Verfügung, der Informant verlangt aber für seine Mitteilung eine Gegenleistung.“

Den österreichischen Geheimdiensten mag es zwar nicht schwer fallen, über unbequeme Linke Daten zu verschachern, dennoch stellt ein solches Handeln einen strafbaren Tatbestand nach dem 14. Abschnitt des Strafgesetzbuches („Hochverrat und andere Angriffe gegen den Staat“) dar. Als selbstverständlich gilt die einseitig prowestliche Haltung unserer Geheimen sowie aktive Zusammenarbeit mit NATO-Diensten.

Kenner des HNA bezeichnen das Amt längst als eine vorgeschobene Bastion der westlichen Verteidigungsallianz. Der ehemalige Chef des deutschen MAD (Militärischer Abschirmdienst) dazu: „Aufklärung von Straftaten des Landesverrats bedingen enge Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten. Es kann erforderlich sein, da oder dort auch auf neutralem Boden Hilfe zu erbitten.“

Bisweilen operiert der MAD hierzulande auch ganz ungeniert selbst.

Die bundesdeutschen Nachrichtendienstler pflegen zwar bei ihren österreichischen Kollegen kurz vorbeizuschauen und „Guten Tag“ zu sagen, wenn sie hier zu tun haben. Auf der Beamtenebene ist das Innenministerium in solchen Fällen auf informelle Weise durchaus informiert. Lediglich die offiziellen Stellen verlieren darüber kein Wort.

Nicht nur mit einem Seitenblick auf Moskau ist es für West-Geheimdienste bedeutsam zu erfahren, was in neutralen Ländern in den nächsten Jahren vor sich gehen wird. Offizielle Kontakte und Kanäle werden dazu genützt, mehr über andere Nachrichtengruppen zu erfahren, als diese mitzuteilen bereit sind. „Das Ziel dieser Arbeitskontakte ist die Unterwanderung des jeweiligen befreundeten oder lokalen Dienstes, um schließlich die dortigen Leute für die CIA zu gewinnern“, so der Ex-CIA-Mann Agee, „um damit Loyalität zum eigenen Land und zum eigenen Dienst auf die CIA hinzuleiten.“

Ausgehend von ihrer historischen Entwicklung (siehe Kasten) stellten die österreichischen Geheimdienste ihre Loyalität zur NATO auch nie in Frage. Dennoch konnten hier auch die Organisationen der Staaten des Warschauer Paktes Fuß fassen. Vor allem der polnische Geheimdienst Sluba Bezpieczenstwa (SB) hatte nach dem Weltkrieg einige Asse im Ärmel. Die SB spielte ihre umfangreichen Archivbestände mit Aufzeichungen über ehemalige Nazis aus, die in Östereich in Zeiten des Kalten Krieges wieder hohe Ämter bekleideten. Die Herren mit der braunen Weste waren so durch Erpressung verhältnismäßig leicht für Hilfsdienste anzuwerben.

Ein mittlerweile pensionierter Stapo-Oberst namens Adolf Grün stand auf einer Liste von SB-Mitarbeitern, die ein polnischer Überläufer 1987 dem Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach bei München vorlegte. Ein Einstandsgeschenk, wie es bei Seitenwechsel von Agenten üblich ist, um die Aufnahme im gegnerischen Lager zu gewährleisten.

Auf der Liste stehen noch 28 weitere Namen: polnische Emigranten, ein Mitarbeiter der UNO-City, Geschäftsleute und etliche Journalisten, die vor der Stapo ihre geheimdienstlerische Tätigkeit bestritten. Wie sollte es anders sein.

Die Gestapo lebt

Die ersten Anfänge der österreichischen Geheimpolizei reichen zurück bis 1646, in die Zeit des 30jährigen Krieges: weiter ausgebaut wurde die Organisation unter Josef II. von einem gewissen Graf Pergen, der als der eigentliche Vater der Stapo bezeichnet wird.

1806 teilte Sumerau den geheimen Dienst „in den für das auswärtige Interesse Seiner Majestät oder die eigentliche Staatspolizei, und in die geheime Polizei des Innern“. Metternich war zu dieser Zeit im Vormärz der eigentliche Polizeichef, während der Präsident der Polizei-Hofstelle die „geheime Staatspolizei des Innern“ selbständig leitete, soweit nicht der Kaiser selbst mitredete. Natürlich konnte Metternich auch auf den inneren Dienst der Stapo Einfluß nehmen, soweit diese — und das war häufig der Fall — auch auswärtige Interessen berührte. Hauptaufgabe der Stapo war, „alle beim Volk einschleichende Unzufriedenheit, üble Gesinnung oder wohl gar aufkeimende Meuterei zu entdecken“, „alle für den Staat verdächtigen oder gefährlichen Personen auszuforschen“, „Mißvergnügte“ zu überwachen und das „revolutionäre Gift“ zu eliminieren.

Aus der Zeit nach der März-Revolution gibt es eine „allerhöchste Entschließung“des Kaisers, die die Befugnisse der Stapo regelt. Das Dekret hat auch heute noch Gültigkeit.

Den Grundstein für die „strukturelle Denkunfähigkeit“ (Pilz) dieses Beamtenzweigs legte dann in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts Oswald Peterlunger. Vor seinem Amtsantritt als Stapo-Chef stand ihr der Kommunist Heinrich Dürmayer vor. Bis 1947 nahm die Behörde ihre Aufgabe der Ausforschung von Nazi-Kriegsverbrechern so erfolgreich wahr, wie es die Amerikaner zuließen.

Dieser Zustand unter dem ebenfalls kommunistischen Innenminister Honner war für seinen Nachfolger, den Sozialisten Oskar Helmer, untragbar. Der Antikommunist par excellence scharte alte Nazis um sich. Allen voran: Oswald Peterlunger.

Nach einer kurzen Entnazifizierung folgte so, in Reaktion darauf, eine lange Ära der Re-Nazifizierung. Peterlungers personelle Änderungen waren jahrzehntelang von Kontinuität. Dem ist es zu verdanken, daß ein provisorisches Gestapo-Überleitungsgesetz von 1945 nie geändert wurde und heute noch existiert.

„In dem ist nur bestimmt, daß die Organisation der früheren Gestapo abgeschafft wird“, erklärt dazu Staatsanwalt Walter Geyer, „organisatorisch ist demanch die örtlich zuständige Sicherheitsbehörde befugt, diese Agenden zu übernehmen, aber ohne inhaltliche Einschränkung der Tätigkeit. Die Staatspolizei darf inhaltlich dasselbe wie die Nazi-Gestapo.“

Peterlunger entwickelte in seiner Ära ein perfektes System zur politischen Machterhaltung, indem er innerhalb der Stapo selbst für eine allumfassende Verschleierung sorgte. Untergebene erhielten lediglich Detailaufgaben zugewiesen, sodaß niemand wußte, was wirklich im Interesse jenes höchsten Chefs stand.

Intime Details zahlreicher Politiker wurden auf sein Geheiß recherchiert. Durch sein Wissen wurde dieser Mann für viele bald zu einer stilllen Drohung von unbekannter Größe.

1968 verkündete der damalige Abgeordnete Christian Broda: „Die Ära autonomer gesetzesfreier staatspolizeilicher Überlegungen ist zu Ende. Wir werden nicht dazu schweigen, daß Funktionäre der Staatspolizei glauben, daß für Österreich gut ist, was die Staatspolizei für gut hält. Ganz gleichgültig, wer regiert.“

Broda wurde später Justizminister. Die Stapo interpretierte weiterhin, was „Staatswohl“ ist, und Broda schwieg.

Seit zwei Jahrzehnten ist es üblich, daß immer die jeweilige Opposition gesetzliche Grundlagen und eine Kontrolle für die Stapo fordert.

Bis sie selbst an die Macht kommt. Dann verschwindet dies Bedürfnis und taucht bei der neuen Opposition wieder auf. Aus diesem Grund gab es bisher noch keine rechtlichen Schranken oder auch nur eine Revision der Spitzelorganisation.

Die jeweiligen Machthaber wollten es sich mit ihr nicht verderben, denn sie pflegt stets sehr hilfreich zu sein.

Mit den mysteriösen Angelegenheiten der Schnüffler befaßte sich schon 1969 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß (unter Ausschluß der Öffentlichkeit) und forderte in seiner Abschlußerklärung „die Schaffung eines Staatspolizeigesetzes und eines Ausschusses des Nationalrats für Fragen der staatlichen Sicherheit“. Dann fielen die Reformer in eine Art Dornröschenschlaf. Nicht jedoch der polizeiliche und militärische Geheimdienst. Die schnüffelten munter weiter.

Eine Außenstelle von Langley und Pullach

Zu Beginn des politischen Ränkespiels der Bundesheeroffiziere steht die Vorliebe amerikanischer Militärangehöriger für Alt-Nazis. Gleich nach Kriegsende baute in Deutschland der ehemalige „Fremde Heere Ost“-Chef der Wehrmacht und spätere US-Günstling Reinhard Gehlen unter amerikanischer Anleitung einen neuen deutschen Geheimdienst namens „Organisation Gehlen“ als Nukleus des späteren Bundesnachrichtendienstes (BND) aus. In Österreich etablierte der Gehlen-Schüler Kurt Fechner 1955 die „Gruppe Nachrichtenwesen“ (Nagrp.). Das Verhältnis der beiden Chefs der Frühzeit ist die simple Ursache dafür, daß Nagrp. und BND einander von Anbeginn an bestens verstanden.

Bald reisten die Nagrp.-Offiziere regelmäßig zu Fortbildungszwecken in die USA, und die CIA überwies hohe Summen auf ihre Konten, um sie bei Laune zu halten. Die Delegationen des Bundesheer-Nachrichtendienstes trafen aber nicht nur in Langley (Virginia), dem Hauptquartier des größten (keinesfalls einzigen) US-Nachrichtengeheimdienstes CIA ein. Auch in Pullach bei München gab es bald Treffs in der dortigen BND-Zentrale. Nach Wien meldeten die Herren: „Die Aussprache erfolgte in durchaus kameradschaftlicher und offener Weise.“

In den 50ern regte sich in Österreich noch Widerstand gegen das Einsickern hochkarätiger Alt-Nazis in den Geheimdienst. Doch ohne Erfolg. Robert Wrabel, der sich 1934 schon als austrofaschistischer Heimwehrführer beim Sturm auf Arbeiterwohngegenden in Wien bewährt hatte, machte nach 1955 ebenfalls eine steile Zweit-Karriere. Gedeckt von weiteren großdeutschen Kameraden, schlossen die neuen Chefs den österreichischen Militär-Geheimdienst rasch der deutsch-amerikanischen NATO-Allianz an.

Feste und mobile Horchzentren gingen in den östlichen Bundesländern in Betrieb. Weitere interessante Informationsquellen erschloß die Stapo mit der routinemäßigen Einvernahme von Ost-Flüchtlingen. Kopien der dabei entstandenen Protokolle gehen seither automatisch auch an das HNA und weiter gegen Westen

Mit der 1979 erfolgten Neuorganisation des Apparats trat an Stelle der noch halbwegs überschaubaren Nagrp. das gänzlich unkontrollierbare Heeresnachrichtenamt (HNA), eine völlig eigenständige und isolierte Abteilung mit eigener Administration und Personalhoheit. Das Hauptquartier befindet sich seither in einem streng abgeschirmten Trakt der Körner-Kaserne in der Wiener Hütteldorferstraße.

Von nun an wollte sich das verselbständigte Amt von der amtierenden SP-Regierung nicht mehr in die Karten schauen lassen. Zu diesem Zeitpunkt waren die HNA-Agenten emsig daran, belastendes Material gegen Politiker zu sammeln. Ihre Bosse waren auf Informationen über allfällige NDSAP-Mitgliedschaften nunmehriger Sozialisten erpicht. Auf die österreichische SP-Regierung konnte mit solchen Daten über die USA erheblicher Druck ausgeübt werden, und das HNA macht seither mit dieser Art der „suspendierten Gewalt“ eigene Politik.

Besonders dann, wenn es darum geht, das Treiben des HNA einzudämmen. Als der Nachrichtendienst unter General Lütgendorf nicht mehr ganz so ungeniert hätte operieren sollen, griffen die Herren wieder einmal in die untere Schublade ihres Repertoires. Der Presse wurden Informationen über Verbindungen des Verteidigungsministers zu diversen Waffenhändlern zugespielt. Lütgendorf mußte zurücktreten.

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