FORVM, No. 100
April
1962

Verlegen, verlegt, verlogen

Erfahrungen eines Komponisten mit seinen Verlegern

Es wurde gesagt, daß der Komponist drei natürliche Feinde habe: die Kritiker, die Interpreten und die Verleger. Das Publikum rechnet er gewöhnlich nicht dazu, denn dieses ist im Zweifelsfall — so glaubt er zumindest — doch auf seiner Seite. Und wenn es ihn manchmal unsanft behandelt, so wird der Komponist meist jener Trias von Widersachern die Schuld daran geben.

Daß die Kritiker, die des Komponisten Werk verreißen, seine Feinde sind, liegt auf der Hand. Aber selbst denen, die ihn gelegentlich belobigen, ist nicht zu trauen. Die Interpreten lassen sich (mit ganz wenigen Ausnahmen) in zwei Kategorien einteilen: in solche, die sein Werk überhaupt nicht spielen, und solche, die es schlecht spielen. Die wenigen Ausnahmen aber spielen sein Werk nicht oft genug — woran sie von ihren Managern gehindert werden, die wiederum von den bösen Kritikern beeinflußt sind.

Bleibt der Verleger. Warum sollte auch er zu den Feinden gehören? Er hat doch das Werk „erworben“, wie es heißt, und tut sein Möglichstes, um es an den Mann zu bringen. Tut er das wirklich? Es gibt wohl kaum einen Komponisten, der daran nicht zweifelt. Selbst der erfolgreichste Autor wird davon überzeugt sein, daß der Verleger für sein Werk noch viel mehr „tun“ sollte. Eigentümlicherweise hegt der Komponist ganz phantastische Vorstellungen von den Machtmitteln, die seinem Verleger zur Verfügung stehen. Selbst intelligente und einsichtige Komponisten können (oder wollen) sich nämlich nicht vorstellen, daß der Erfolg eines Kollegen anderen Faktoren zugeschrieben werden könnte als einer raffinierten und unermüdlichen Propaganda von seiten des Verlegers. Der eigene Erfolg ist natürlich stets der Vortrefflichkeit des Werkes zu verdanken, seiner ausgezeichneten und einem im Grunde aufnahmefreudigen Publikum unmittelbar einleuchtenden künstlerischen Qualität. Der Erfolg anderer ist auf Machinationen zurückzuführen, die nur so lange als düster gelten, als der Verleger es versäumt, sie auf das Werk des Beschwerdeführers anzuwenden.

Die Vorstellung von einer geradezu mythischen Machtfülle der Verleger beherrscht auch die Köpfe jener Gegner der neuen Musik, denen es nicht eingehen will, daß diese Musik sich trotz ihrer Isolierung vom Massenbewußtsein irgendwie behauptet. Sie glauben an eine gigantische, von den unerschöpflichen Geldmitteln der Verleger genährte Verschwörung, in welcher Kritiker, Manager, Rundfunkdirektoren, Interpreten durch Bestechung und Erpressung veranlaßt werden, einem unschuldigen und wehrlosen Publikum die ungenießbare neue Musik aufzuzwingen. Die naheliegende Frage, warum die Verleger das tun, da sie doch viel leichter und viel mehr Geld verdienen könnten, würden sie eine vom Publikum begehrte, populäre Musik vertreiben, wird seltsamerweise nie gestellt oder beantwortet.

Die Erwartung, daß der Verleger das ihm zugeschriebene Machtpotential zur möglichst weiten Verbreitung der ihm übergebenen Werke benützen werde, beruht auf den eigentümlichen Voraussetzungen dieser Übergabe. Wenn ein Kunsthändler einem Maler ein Bild um zehn Dollar abkauft und es später um zehntausend weiterverkauft, so ist das ein einfacher und klarer Handel. Es scheint zwar aufreizend und unethisch, daß der Maler an der Differenz nicht partizipiert. Nach den bestehenden Sitten und Gesetzen ist die Transaktion jedoch korrekt. Wenn jemand ein Grundstück kauft, auf dem später eine Ölquelle entdeckt wird, hat der Vorbesitzer ja auch keinen Anspruch auf Beteiligung an der Wertsteigerung. Der Verleger jedoch kauft das Kunstwerk nicht, er erwirbt nur das Recht und mit diesem allerdings auch die Verpflichtung, das Werk zu „verwerten“ oder „auszunützen“ — Ausdrücke, die allein schon einem romantisch veranlagten Autor einen leichten Schauer verursachen.

Anders als beim literarischen Werk besteht die „Ausnützung“ des Musikwerkes überwiegend in der Herbeiführung entgeltlicher Wiedergaben. Der Verkauf von Noten spielt heutzutage eine sehr untergeordnete Rolle. Selbst die schwierigen Klavierauszüge der Wagner’schen Musikdramen wurden noch zu tausenden — man spricht sogar von hunderttausenden — verkauft. Im Zeitalter des Radios und der Schallplatte gibt es kaum noch Amateure, die in ihrer Bemühung um neue Musik ihre Finger zu etwas anderem als zum Drehen von Knöpfen benützen. Und der Fachmusiker erwartet, daß er die Neuerscheinungen für sein Instrument als Werbeexemplare spesenfrei erhält, wobei die Werbung natürlich darauf abzielt, den Interpreten zur öffentlichen Aufführung der Werke zu ermuntern und so endlich zu einer „Verwertung“ zu gelangen.

Das geringe „Papiergeschäft“, das es trotzdem noch gibt, unterscheidet sich immerhin wohltuend vom Buchhandel dadurch, daß ein als erfolgreich zu bewertendes Musikstück nicht in ein paar Wochen nach seinem Erscheinen ausverkauft sein muß, um dann im Orkus der Vergessenheit zu verschwinden. Es gibt keine musikalischen Bestseller (wir sprechen natürlich nur von sogenannter „ernster“ Musik). Was gedruckt ist, wird auch noch nach Jahren gekauft, wenn auch in sehr spärlichen Quantitäten.

Aufführungen sind also der wesentliche Schauplatz der „Verwertung“, da von den an der Kasse eingehobenen Eintrittsgeldern dem Urheber gesetzlich festgelegte Tantiemen bezahlt werden müssen. Aufführungen aber sind das Werk der Interpreten, und diese sind abhängig von (oder eingebaut in) Apparaturen, die ihrerseits abhängen von der Kaufwilligkeit und Kaufkraft des Publikums. Da hier die wichtigsten Möglichkeiten der „Verwertung“ liegen, erwartet der Komponist von seinem Verleger, daß er auf gerade diesem Gebiet Scharfsinn und Energie ohnegleichen entfalte, um den Wiedergabe-Apparat dem Werk dienstbar zu machen. Und gerade hier erlebt der Komponist seine größten Enttäuschungen, da sein Werk natürlich nie so verbreitet ist, wie es das seiner Ansicht nach verdient.

Wenn er die Ursachen zu erforschen sucht, so fällt ihm in der Gebarung seiner Verleger immer wieder ein Faktor auf, den er schonungsvoll als himmelschreiende Untüchtigkeit bezeichnen muß. Daß der Musik-Verleger von Musik nichts „versteht“, nimmt der Komponist stillschweigend in Kauf; in etwas reiferen Jahren leuchtet es ihm sogar ein, daß der Verleger kein Fachmusiker zu sein braucht und daß es sogar zum Vorteil seines Unternehmens ist, wenn er zur Musik eine mehr lockere, „subkutane“ und eher auf Instinkt als auf Wissen beruhende Beziehung hat. Was den Komponisten mit wirklichem Entsetzen erfüllt, ist die Entdeckung, daß mancher seiner Verleger nicht einmal vom Geschäft etwas zu verstehen scheint. Er gewinnt den Eindruck, daß man einen Gemischtwarenladen keine acht Tage so führen könnte, wie mancher Musikverlag anscheinend jahrein jahraus, und dabei recht gedeihlich, geführt werden kann.

Das Sündenregister ist lang: unbeantwortete Briefe, unerledigte Anfragen, unbeachtete Anregungen, vernachlässigte Kontakte, verspätete Abrechnungen, und oft jahrelang völliges Stillschweigen ohne jede Spur einer Aktivität zum Zweck der „Verwertung“ des Verlagsobjektes. Der Komponist beginnt sich zu fragen, warum wohl ein solcher Verlag überhaupt ein Werk von ihm „erworben“ hat. Oft genug scheint es dem Autor, daß der Verleger in Wirklichkeit darauf bedacht ist, Aufführungen durch bürokratische Pedanterie, kleinliche Pfennigfuchserei oder ganz gewöhnliche Schlamperei und Faulheit zu sabotieren und daß er ohne Verlag viel besser dran wäre. Die Entfremdung gibt Anlaß zu finsteren Theorien: wahrscheinlich hat ein erfolgreicher Kollege, der finanziell an dem Verlag beteiligt ist, einen Druck ausgeübt; vielleicht hat der Verlag das Werk nur erworben, um dessen Verwertung durch andere unmöglich zu machen; vielleicht gibt es den Verlag gar nicht mehr. (Mir ist es passiert, daß ein Verlag, von dem ich nie etwas gehört hatte, sich bei mir entschuldigte, daß er über ein gewisses Werk noch keine Abrechnung vorgelegt habe, worauf sich herausstellte, daß dieser Verlag die Restbestände eines längst ins Reich der Schatten abgegangenen Originalverlages übernommen hatte, ohne zu merken, daß das in Frage stehende Werk überhaupt nie erschienen war.) Ich kenne Komponisten — und nicht etwa „verkannte Genies“ oder berufsmäßige Querulanten —, die davon überzeugt sind, daß der Verleger sie im kommunen Sinn des Strafgesetzbuches betrügt, indem er tückische Vertragsklauseln schikanös auslegt oder sogar direkt Einnahmen verschweigt und unterschlägt, Abrechnungen fälscht und Auszahlungen hintanhält.

Sind solche schwerwiegende Verdächtigungen berechtigt? Konkret müßte das natürlich von Fall zu Fall festgestellt werden. Die meisten Verlagsverträge geben dem Komponisten das Recht auf sogenannte „Bucheinsicht“, doch haben selbst jene, die sich aufs schwerste benachteiligt fühlen, genug Einsicht, dieses Recht nicht auszuüben. Gewöhnlich ist auch vorgesehen, daß der Autor verlangen kann, aus dem Vertrag entlassen zu werden, wenn der Verlag das Werk nicht hinreichend „verwertet“. Ein Prozeß würde schwer zu gewinnen sein. Kann der Verleger darauf hinweisen, daß das Werk in seinen Katalogen verzeichnet ist, so ist die ungenügende „Verwertung“ offenbar auf mangelnde Nachfrage zurückzuführen, d.h. darauf, daß das Werk ein Mißerfolg ist. Und was sollte ein Komponist im Falle einer Vertragsauflösung mit solchen an ihn zurückgelangten Werken anfangen? Einen anderen Verleger wird er für sie kaum finden.

Wie berechtigt also die Mißgefühle in Einzelfällen, und wie unberechtigt sie im allgemeinen sein mögen — ihr Aufkommen allein tut dar, daß in der Beziehung des Komponisten zum Verleger etwas nicht stimmt. Vielleicht wäre es gut, sich klar zu machen, daß es nicht stimmen kann, weil unter den gegebenen Umständen der Verleger den Komponisten überhaupt nicht, oder höchstens vergleichsweise, zufriedenstellen kann. Das liegt daran, daß die neue Musik sich im offenen Handel — also durch den Vertrieb von gedruckten Exemplaren oder durch den Verkauf von Eintrittskarten zu den Aufführungen — nicht bezahlt macht, und keine noch so tatkräftige und raffinierte Propaganda, die ein Verleger entwickeln mag, kann diesen Tatbestand grundlegend ändern. So ist die neue Musik auf Subsidien angewiesen, und diese gehen vor allem von den Individuen und Institutionen aus, die Kompositionsaufträge erteilen.

In einem seiner Gespräche mit Robert Craft gibt Igor Strawinsky der pessimistischen Überzeugung Ausdruck, daß für neue Musik überhaupt kein Bedarf vorhanden sei und daß die Auftraggeber Überschuß-Sinfonien so aufkaufen wie Regierungen das Überschuß-Getreide, ohne an dem Produkt als solchem interessiert zu sein. Mir will scheinen, daß da ein wesentlicher Unterschied besteht. Wenn der amerikanische Kongreß Jahr für Jahr ungeheure Geldmittel zum Ankauf der überschüssigen Landwirtschaftsprodukte bewilligt, so hat das damit zu tun, daß es sehr viele wahlberechtigte Farmer gibt; wer gern wiedergewählt werden möchte, tut gut daran, ihnen gefällig zu sein. Im Gegensatz dazu gibt es sehr wenige Komponisten, und die Direktoren der auftraggebenden Stiftungen werden nicht von ihnen gewählt. Es gibt jedoch eine gewisse Anzahl von Menschen, die — zum Beispiel — eine serielle Komposition von Strawinsky wirklich gern hören wollen. Sie numerisch mit der Anzahl der Anhänger des Rock-and-Roll oder auch nur mit jener der Tschaikowsky-Liebhaber zu vergleichen, hat keinen Zweck. Jedenfalls ist ihre Zahl und Kaufkraft nicht ausreichend, um Strawinsky und die anderen seriellen Komponisten standesgemäß zu erhalten. Die Institute, welche die Überschuß-Sinfonien aufkaufen, leisten also doch einen wesentlichen philantropischen Dienst. Im übrigen kennen wir eine Reihe von Individuen, die Kompositionsaufträge erteilen, weil sie sich wirklich darauf freuen, ein neues Werk des von ihnen beauftragten Komponisten zu hören, darin durchaus vergleichbar den Esterházys, Lichnowskys, Rasumowskys, denen wir direkte, sachgemäße und im besten Sinn selbstsüchtige Motivierung ohne weiteres zu unterstellen pflegen.

Es liegt auf der Hand, daß — je avançierter die Musik ist — dem Komponisten die Auftragshonorare wichtiger werden als die Aufführungstantiemen, die ihm durch die Tätigkeit des Verlegers zufließen. Diese zählen erst, wenn viele Stücke oft gespielt werden, und das trifft nur bei der sogenannten „gemäßigt modernen“ Musik zu. Daß das fortschrittliche Werk frühestens nach dem Tode des Autors, höchstwahrscheinlich zwanzig bis fünfzig Jahre danach, populär sein wird, kann ihn über das Fehlen von Einnahmen zu seinen Lebzeiten kaum trösten. Daß Anton Webern 1934, auf dem Gipfel seiner Karriere und im Zeitalter der gesetzlich verankerten Tantiemenpflicht, seinen Verlag anflehen mußte, ihm mit fünfhundert Schilling auszuhelfen, ist kaum weniger beschämend als die Bettelbriefe, die Mozart an seinen Logenbruder Puchberg richten mußte.

In keinem dieser Fälle war die Notlage von einem Verleger verschuldet. Ein solcher hätte nur Abhilfe schaffen können, wenn er gleichzeitig ein Mäzen gewesen wäre. Die Zeit der mäzenatischen Verleger ist offenbar vorüber — falls es sie jemals gegeben hat. Der Verlag, den Wagner gründlich geschröpft hat, scheint nicht so sehr vor dem richtigen Altar geopfert als vielmehr auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, denn er hat sich ja später von dem Aderlaß bekanntlich sehr gut erholt.

Mag auch die Verhaltensweise des Verlegers den Komponisten von Fall zu Fall zur Verzweiflung bringen: der Komponist wäre im allgemeinen besser beraten, wenn er seinen Zorn für die wirklichen Feinde aufsparte und sich der Schwierigkeiten bewußt wäre, unter denen der Verleger zu operieren hat. Diese sind zum großen Teil in dem Charakter der Musik begründet, die er vom Komponisten zur Verwertung erhält. Würde seine Musik so durchschlagend „verwertet“, daß die Spatzen sie von allen Dächern pfeifen oder wenigstens alle Lautsprecher sie zergurgeln, so wäre es dem Komponisten vermutlich auch nicht recht. Denn es ist für ihn ja geradezu eine Ehrensache geworden, daß er ein schwer verkäufliches Produkt erzeugt. Er wird sich erinnern, daß das Participium perfecti passivi von „verlegen“ nicht „verlogen“ ist, sondern „verlegt“ — auch wenn ein Werk manchmal so gut verlegt ist, daß es selbst der eifrigste Kunde nicht finden kann.

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