FORVM, No. 157
Januar
1967

Vor allem ein Herr

Er war das, was man einen Herrn nennt, aber er war es nicht bloß deshalb, weil er einen Titel führte und das Protokoll beherrschte, sondern weil er unter den vielen Herren dieses Landes, betitelten und unbetitelten, protokollären und unprotokollären, zu den wenigen gehört hat, die sich auch wirklich wie Herren benehmen. Daran vermochte nicht einmal der Umstand etwas zu ändern, daß er außerdem auch noch Literat war.

Es ist zu fürchten, daß er als eine — zumindest in gewissem Sinne — tragische Figur in die Geschichte unserer Literatur eingehen wird, obwohl er sich, zum Unterschied etwa von Grillparzer, der sich immer nur beklagt hat, nie beklagt hat. Er hatte gleichsam alles auf die eine Karte der Literatur gesetzt, aber seine Erfolge haben’s ihm nicht vergolten: zuerst hatte er ihrer überhaupt keine, oder zum mindesten so gut wie keine, und dann starb er, seinen Jahren zum Trotze, immer noch zu früh, um ihrer wirklich welche zu haben.

Er war oft genug für den Nobelpreis vorgeschlagen worden und wäre glücklich gewesen, wenn ihm jenes in Stockholm amtierende, in betreff seines literarischen und insbesondere seines politischen Geschmacks etwas eigentümliche Komitee den Preis auch tatsächlich verliehen hätte. Gott mag wissen, warum, statt seiner, eine ganze Menge von Leuten den Unglückspreis davongetragen haben, die, kaum ausgezeichnet, auch schon wieder vergessen waren. Doch war er trotzdem überzeugt, daß auch er des Preises würdig sei, und es gehört mit zu seiner Tragik, daß er, Jahr um Jahr, die Enttäuschung hinzunehmen hatte, von jener Institution übergangen worden zu sein, die, wenngleich noch so sehr nur mittelbar, die Ehrgeizigen der Weltliteratur zu terrorisieren vermag; und als es am Ende dann doch nur mehr ein, höchstens zwei Jahre bis zu seiner Auszeichnung gewesen wären, starb er.

So hatte er sich denn mit der Anerkennung durch seine Freunde und Leser zu begnügen gehabt, die aber in der Tat schr groß war. Zwar weiß niemand, warum ihm seine Freunde und Leser nicht schon längst, sondern erst seit der Zeit anhingen, zu der er faktische Erfolge gehabt hat; und gleichsam um das Versäumte wettzumachen, konnte der Durchschnitt auf einmal gar nicht genug daran tun, ihn zu rühmen. Kurzum, die Literatur zeigte sich da wieder einmal nicht von ihrer schönsten Seite, ja sie hätte sich sogar von ihrer tragischen Seite gezeigt, wenn ein — Gott weiß warum am Ende dann doch wieder nötiges — Übel wie die Literatur dieser unserer Gegenwart wirklicher Tragik überhaupt noch fähig wäre. Aber so sind die Menschen nun einmal auch ganz im allgemeinen, sogar Freunde sind so, und vielleicht ist die Faszination, die von einem Autor persönlich, von seinen gleichfalls persönlichen Erfolgen und selbst von denjenigen Erfolgen ausgeht, die bloß auf die Umstände zurückzuführen sind, wirklich mehr wert als alles Erschriebene oder sonstwie Erarbeitete. Es ist als ob das Leben immerzu beweisen wollte, daß es stärker ist als alles Schreiben. Dieser Autor schrieb sehr viel, ja sozusagen Tag und Nacht, er tat, wie Eichendorff von Hauff sagte, „nichts als schreiben“, und an Büchern, die seiner Existenz, mag sie für uns auch allzubald zu Ende gegangen sein, lange Dauer verleihen werden, fehlt es wahrlich nicht. Mit seinem Werk hat er eine große Epoche österreichischer Epik abgeschlossen. Es handelte sich bei ihm immer wieder um jenen Komplex, in welchen noch die Monarchie gleichsam lebendig einbalsamiert wurde. Es wurde behauptet, er reiche auch in die Gegenwart, ja in die Zukunft hinein. Ich kann das von ihm nicht recht glauben und übrigens auch von kaum einem von uns. Seit es Österreich gibt, haben wir zahllose Vergangenheiten überwunden — die Monarchie zu überwinden ist uns bisher weder literarisch noch politisch gelungen. Anders nämlich dürfte von ihr überhaupt nicht mehr die Rede sein. Statt dessen ist fortwährend von ihr die Rede. Auch Doderers Bewältigung der Zehner- und Zwanzigerjahre war nur ein Versuch, das beste aus ihnen zu machen; und daß er sie uns in der Tat unvergeßlich gemacht hat, wird auch ihn selbst unvergeßlich machen.

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