ZOOM 7/1997
November
1997

Warum Österreich nicht in Asien liegt

Eine Studie [1] von Christian Stifter beschäftigt sich mit der geheimen Remilitarisierung und ihren Implikationen für den Abschluß des Staatsvertrags. Eine Empfehlung.

Für die österreichischen Politiker war nach Ende des Zweiten Weltkriegs schnell klar, auf welcher Seite des sich anbahnenden Ost-West-Konfliktes sie sich zu positionieren hatten. Bereits im September 1945 bekundete Leopold Figl gegenüber dem Office for Strategie Studies, der Vorläuferorganisation der CIA: „The great issue at present in Austria is a cultural issue of the East versus West.“ Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, untermauerte der spätere Bundeskanzler dies mit einem Verweis auf, wie Christian Stifter schreibt, fremdenverkehrsmäßige Bilanzen: „Do you think your tourists would like to come skiing in Austria if it became an Asiatic country?“

Dabei war das gegenseitige Bild, daß sich die Österreicherlnnen und ihre amerikanischen Besatzer voneinander machten, nicht immer das freundlichste. Während die Amerikaner schon mal leicht abfällig ihr strategisches Desinteresse am hauptsächlich von „peasants“ und „mountain folk“ besiedelten Westösterreich bekundeten, erinnerte sich Innenminister Oskar Helmer später: „Die Besetzung war auch im Westen hart zu ertragen, ganz besonders dort, wo Negertruppen ins Land kamen.“

Anekdoten wie diese machen die Lektüre der vorliegenden Abhandlung über die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen zunächst einmal zu einem Lesevergnügen – für ein Buch, das sich mit militärischen Fragen beschäftigt, nicht gerade selbstverständlich.

Der Autor spannt den Bogen von den noch während des Krieges einsetzenden Remilitarisierungsbestrebungen über die Aufstellung von Alarmbataillonen und die Errichtung eines „schwarzen Bundesheeres“, wie die sogenannte „B-Gendarmerie“ von ihren damaligen KritikerInnen treffend bezeichnet wurde, bis hin zu dessen Legalisierung in Folge des Staatsvertrags. Auf den Inhalt will ich hier nicht weiter eingehen, hieße es doch nur verknappen, was bereits in einem ausführlichen Interview mit Christian Stifter in der ZOOM (4+5/96) zu lesen stand.

Was die vorliegende Monographie darüber hinaus wohltuend von gängigen Werken der Militärhistorie unterscheidet, ist einerseits ihre kritische Distanz zum Thema – so verzichtet Stifter ausdrücklich dort auf die Darstellung militärtechnischer Details, wo diese für die politische Analyse wenig aussagekräftig sind – und andererseits die klare antimilitaristische und antifaschistische Haltung des Autors, die ihn Entmilitarisierung nie losgelöst von Entnazifizierung denken läßt. Die eine scheiterte bekanntlich ebenso wie die andere und die ‚Logik‘ klingt auch für heutige Ohren noch vertraut, wenn Stifter einen Angestellten der US-Militärregierung in Deutschland mit den Worten zitiert: „The whole denazification is nonsense. Finally what is a Nazi? A Nazi is a German with a rifle. The rifles we took them away and therefore there are no more Nazis.“

Nach dem Verbot durch den Alliierten Rat im Dezember 1945 erfolgte die Wiederaufrüstung der westlichen Besatzungszonen im Geheimen. Die beabsichtigte Geheimhaltung konnte aber keineswegs vollständig durchgehalten werden. Die Presse, vor allem aber kommunistische und linkssozialistische Antimilitaristlnnen machten eine große Zahl konkreter Aufrüstungsschritte publik, etwa in dem 1951 erstmals erschienen Weißbuch des Österreichischen Friedensrates „Die Wiederaufrüstung Österreichs“. Doch die KPÖ, die bei ihren Veröffentlichungen vermutlich auf sowjetische Geheimdienstquellen zurückgreifen konnte, war öffentlich viel zu diskreditiert, als daß die Verfügbarkeit dieses Wissens politische Wirksamkeit hätte entfalten können (siehe etwa das exemplarische Statement des früheren Innenministers Erwin Lanc in Ernst Chorherr, Westlich orientierte Remilitarisierung, Öffentlichkeit und Neutralität, in: ZOOM 7/96). Für das „Ausbleiben geharnischter Reaktionen seitens der sowjetischen Besatzungsmacht“, das Ausbleiben eines Eklats, findet auch Stifter „keine klare Antwort“. Sowjetische Quellen, die diesen erstaunlichen Sachverhalt erklären helfen könnten, sind bis heute bedauerlicherweise nicht zugänglich.

Zusammenfassend kommt Stifter zu dem Ergebnis, daß sich für keines der beiden Eckdaten 1945 und 1955 – Kriegsende und Staatsvertrag – der „lange Zeit unhinterfragte Mythos von der ‚Stunde Null‘“ aufrechterhalten lasse. Und weiter über die dazwischenliegenden Jahre: „Die österreichische Bundesregierung blieb in jener Phase weder teilnahmsloser Beobachter, noch war diese gar ‚Opfer‘ der Konfrontation zwischen den USA und der UdSSR. Wenn in dieser Phase überhaupt etwas ‚geopfert‘ wurde, dann wahrscheinlich die Chance eines wirklich friedensbezogenen, demokratisch offenen, auf den Prinzipien eines glaubwürdigen Antifaschismus und Antimilitarismus beruhenden Wiederaufbaus.“

MG-Jeeps der „B-Gendarmerie“-Oberösterreich
bei einer Parade in Ebelsberg, einen Tag nach Unterzeichnung des Staatsvertrags

Was hingegen erreicht wurde, war die Einheit des Landes, dank der von den Sowjets ins Spiel gebrachten Neutralitätsoption: „Hätte die Regierung Raab sich ab 1953 letztendlich nicht in so distinkter Weise auf eine militärische Bündnisfreiheit verlegt, wäre Österreich gerade unter dem massiven militärstrategischem Interesse der NATO an einem ‚by-pass‘ in Richtung Italien bzw. Griechenland und Türkei, womöglich ein ähnliches Schicksal wie das Deutschlands nicht erspart geblieben (...)“

Die von Stifter abschließend geäußerte Hoffnung, mit seiner Arbeit „einen Beitrag zur Dekonstruktion der oftmaligen Inszenierung der Vergangenheit“’ geleistet zu haben, wird sicher nicht daran scheitern, daß sie ihm nicht gelungen wäre – vermutlich aber daran, daß sie von jenen, die die Neutralität zu einem „Mythos“ zu verklären nicht müde werden, kaum zur Kenntnis genommen werden wird. Andererseits scheint mir aber ein Studium der historischen Bedingungen von Wiederaufrüstung und Neutralität auch für jene von Nutzen, die wie der Rezensent einen NATO-Beitritt ablehnen und denen daran liegt, die Neutralität zu einem den veränderten politischen Verhältnissen angepaßtem friedenspolitischen Konzept weiterzuentwickeln. Mit einem bloßen Beharren auf dieser wird es nicht getan sein angesichts einer österreichischen Militärpolitik, der das Ende des kalten Kriegs endlich erlaubt, zu sich zu kommen.

In diesem Sinne abschließend noch ein Zitat Stifters aus einer „Denkschrift an die österreichische Bundesregierung über die Wiederaufrüstung Österreichs“ der Österreichischen Friedensgesellschaft:

Wenn aber tatsächlich, so wie es jetzt den Anschein hat, eine Armee mit allgemeiner Wehrpflicht, einem großen Berufsoffizierskorps und völlig unzureichender Bewaffnung aufgestellt werden soll, dann kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß weit weniger die Verteidigung der österreichischen Grenzen angestrebt wird, als die Erfassung und Ausbildung des gesamten erreichbaren österreichischen Soldatenmaterials, damit es im gegebenen Augenblick nicht so sehr der Verteidigung des eigenen Landes als politischen und strategischen Zielen anderer Mächte dienstbar gemacht werden könne, die dann schon für die moderne Bewaffnung unserer Soldaten sorgen werden.

Geschrieben vor fünfzig Jahren, im Mai 1947.

[1Christian Stifter, Die Wiederaufrüstung Österreichs: die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1945–1955. Studien-Verlag, Innsbruck 1996, ISBN 3-7065-1176-2, öS 298,–

[2Christian Stifter, Die Wiederaufrüstung Österreichs: die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1945–1955. Studien-Verlag, Innsbruck 1996, ISBN 3-7065-1176-2, öS 298,–

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