FORVM, No. 233
Mai
1973

Warum wir bleiben

Warum bleibe ich im NF?

  1. Es gibt in Österreich keine andere politische Zeitschrift, in der ich mitarbeiten könnte; weder „Tagebuch“ noch „Weg und Ziel“ entsprechen meiner politischen Position.
  2. Es gibt Bindungen an die SPÖ, der Herausgeber und Geschäftsführer ist Sozialdemokrat, der einzige in der Redaktion. Das war und ist kein Geheimnis für Redakteure und Leser, (doch die ökonomische Abhängigkeit hält sich in Grenzen).
  3. Im Gegensatz zu anderen Zeitschriften gibt es im NF eine Form der „Mitbestimmung“, die im journalistischen Bereich praktisch unbeschränkt, im ökonomischen Bereich undefiniert und juristisch undurchsichtig ist. Die Vorherrschaft Nennings ist aber kein einfaches politisches Problem, wie Holzinger & Springer meinen. Bestimmend wirkt der Umstand, daß Nenning das NF bis Ende 1969 selbständig produziert hat und die Funktion des Herausgebers, Geschäftsführers und Chefredakteurs noch heute in seiner Person vereinigt. Die Verfügungsgewalt Nennings über Organisation und Herstellung schränkt die Kontrolle ein. Eine Konsequenz dieser Haltung ist, daß Veränderung und Erweiterung des NF unmöglich gemacht werden, konkret: Die historisch überholte Organisation des NF bedroht seine Existenzgrundlage („Ausweg“: Zusammenarbeit Nenning—Profil).
  4. Dieser unbefriedigende Zustand wurde des öfteren analysiert und mit Gegenpositionen beantwortet. Meine Position war stets strikte Solidarität mit der „Opposition“ in der Redaktion. Aufgründ der unterschiedlichen politischen Auffassung, bestimmt durch Biographie, Berufssituation, Studentenbewegung usw. war es nicht möglich, eine klare Alternativstrategie zu entwerfen, eine maximale Ausnutzung der gegebenen Verhältnisse zu erreichen. Diese Situation war beim Austritt von Holzinger & Springer entscheidend. Der dubiose politische Charakter der Aktion zeigt sich in der Halbheit — Austritt aus der Gesellschaft der Redakteure und Angestellten, aber keine Kündigung der Mitarbeiterverträge. Die Formel „Im Eigentum der Redakteure“‘ war immer leer, bestenfalls eine Täuschung der Leser. Geändert hat sich durch den Austritt nichts, die Mehrheitsverhältnisse in der Redaktion sind ungünstiger.
  5. Die Verhältnisse sind nicht so, die marxistische Linke kann sich nicht aussuchen, wo sie schreiben will. Das NF erreicht heute eine große radikaldemokratische und sozialistische Öffentlichkeit, das ist gerade gegenwärtig von Bedeutung. Österreich gerät in den Wirbel der internationalen politischen und gesellschaftlichen Krise, der Kapitalismus kennt keinen Ausnahmezustand: Die Rechtsparteien gewinnen Stimmen, die Sozialdemokratie verliert rasant und gerät unter Druck, Kreiskys Stern fällt. Jetzt muß gegen Bürgertum und sozialdemokratischen „Reformismus“ die sozialistische Alternative gezeigt werden. In diesem Licht beweist sich, wie „politisch“ ein Austritt zu diesem Zeitpunkt sein kann.
  6. „Me-ti sagte: Das schlimmste ist nicht: Fehler haben, nicht einmal sie nicht bekämpfen, ist schlimm. Schlimm ist, sie zu verstecken. Nicht scheinen was man ist, das ist unglücklich für einen selber. Scheinen, was man nicht ist, das ist unglücklich für die andern. Wie soll einer an deiner Seite in den Kampf gehen, wenn du ihm deine Fehler nicht gezeigt hast?“ (B. Brecht)
Wilhelm Burian

Warum ich nicht austrete

  1. Die finanzielle Abhängigkeit des NF war immer schon bekannt. Sie schränkt die redaktionelle Freiheit heute nicht mehr ein als vor Jahren; sie ist daher kein aktueller Austrittsgrund.
  2. Die Ausgetretenen haben ihre eigentlichen politischen Motivationen nicht dargelegt. Es besteht daher für mich keine Möglichkeit der Solidarisierung.
  3. Die Entwicklung des Kapitalismus in Westeuropa verlangt verstärkt nach Aktionseinheit bündnisbereiter und bündnisfähiger linker Kräfte. Die Ausgetretenen waren — mit unterschiedlicher Intensität — eher Gegner bündnispolitischer Konzeptionen. Auch aus diesem Grund sehe ich keine Veranlassung, mich ihrem Schritt anzuschließen.
  4. Das NF erreicht einen Leserkreis, der quantitativ. und qualitativ nicht uninteressant ist. Durch meine Mitarbeit und die Möglichkeit redaktioneller Mitbestimmung kann ich einen wenn auch beschränkten EinfluB auf die Blattlinie ausüben, auf den zu verzichten ich im Moment nicht verantworten könnte.
  5. Wenn das Massenmedienangebot in Österreich einmal so sein sollte, daß man auf die politischen Freiräume im NF verzichten kann, werde ich aus der „Gesellschaft der Redakteure“ austreten. Ich werde auch austreten, wenn ich keine Möglichkeit sinnvoller Mitarbeit mehr sehe oder die politischen Freiräume weiter eingeengt werden sollten. Bis dahin bleibe ich.
Adalbert Krims

Erklärung

Am 23. Dezember 1969 entstand das Mitbestimmungsmodell des Neuen Forums. Es gab vorher das Neue Forum mit dem Eigentümer Schriften zur Zeit GmbH — Herausgeber Günther Nenning und ab dem Zeitpunkt ein Neues Forum im Eigentum der Redakteure, später im Eigentum der Redakteure und Angestellten.

Faktisch bestand ab nun eine Gesellschaft der Redakteure inkl. Günther Nenning als verbriefter Geschäftsführer einerseits und ein notarieller Vertrag mit dem Eigentümer der Schriften zur Zeit GmbH, deren Alleingesellschafter gleichzeitig Günther Nenning war.

Diese Konstruktion gibt dem Geschäftsführer den Vorteil bei unveränderten Eigentumsverhältnissen jedoch nach beiderseitiger Kündigung des Vertrages dem Neuen Forum sowohl langfristig, aber auch von heute auf morgen die ökonomische Basis zu entziehen. Zusätzlich kann die Zustimmung zur Auflösung des Vertrages vom Geschäftsführer durch eine defizitäre Situation erzwungen werden.

Da ökonomische Interessen im Neuen Forum eng mit den politischen Intuitionen der Vereinsmitglieder zusammenhängen, kann man hier für den Bestand oder Nichtbestand dieses Modells nur das tatsächliche, in diesem Fall der Situation der Linken insgesamt entsprechende Verhalten aller Beteiligten zur Einschätzung heranziehen.

Verbleiben 5 Punkte dazu:

  1. Das Mitbestimmungsmodell beim Neuen Forum entspricht in erster Linie der Position des Geschäftsführers im Arbeitskreis für Mitbestimmung (Teilnehmer Betriebsräte, Gewerkschaftsfunktionäre und andere). Es ist daher als solches ein typisch linkes Anliegen und entspricht gleichfalls den Intuitionen vieler aus dem radikaldemokratischen und sozialistischen Leserkreis des Neuen Forums.
  2. Die bisher erreichte nahezu unumschränkte Mitbestimmung im journalistischen Bereich ist kein Geschenk eines Gönners, sondern das Ergebnis zahlreicher, keinesfalls belangloser Auseinandersetzungen im Redaktionskollektiv.
  3. Die im vergangenen Jahr durch organisatorische Maßnahmen ermöglichte Transparenz der Geschäftsgebarung ermöglichte eine rückhaltlose Einsicht in die ökonomische Situation des Neuen Forums.
    1. Trotz Rücknahmen des Eigentümers aus dem Stammkapital und der damit verbundenen Abwertung des gesetzlichen Vetorechtes ergab sich keine Alternativmöglichkeit, um beispielsweise durch Aufstockung des Stammkapitals, Verschiebung der Besitzverhältnisse auf mehrere und/oder andere Eigentümer, eventuell die Verfügungsgewalt über den technischen Teil des Betriebes, der Verwaltung und Organisation zu verändern. Diesbezügliche Forderungen waren bisher illusionär.
    2. Die verschiedenartigen Bindungen des Sozialisten Günther Nenning an sozialistische Geldgeber zuletzt durch das Projekt Neue Freie Presse sind nicht zuletzt Ausdruck aus der Dialektik eines Leserkreises (Linksradikale, engagierte Sozialisten und Christen), deren kritische Einstellung direkte Interessen großer Parteien, letzthin der heutigen Regierungspartei, berühren. Die „‚Stärke‘‘ des Neuen Forums liegt zufolge dieser Zusammensetzung darin, zur Bildung eines Machtmonopols aus den Eigentumsverhältnissen, trotz des Vorteils des Geschäftsführers, unfähig zu sein. Das breite Spektrum linker Politik (siehe die Hefte des letzten Jahres) zeigen, daß 20.000 bis 30.000 Leser und Mitleser einen bedeutenden Faktor im Neuen Forum darstellen.
    3. Gemeinsam war es den Redakteuren möglich, jeweiligen ökonomischen Druck gut zu verkraften. (Siehe journalistischen Bereich, das Kontrollrecht — und letzthin das mit der Honorarfrage eingefrorene Vetorecht.)
    4. Günther Nenning ist interessant durch den persönlichen Anteil an der Entwicklung des Neuen Forums — als politische Person beruht das Interesse und die damit verbundene Kreditwürdigkeit vorweg auf der politischen Konstellation des Neuen Forums.
  4. Der Austritt der drei Redakteure aus der Gesellschaft verringert die oppositionelle Präsenz in der Redaktion. Dieser Schritt insbesonders im Zusammenhang mit einer Honorarforderung wirkt absurd. Eine politische Begründung wird kaum glaubwürdiger, wenn zwei Redakteure in der Zeitung der KPÖ (siehe Volksstimme vom 24.3.) einen Leserkreis ansprechen wollen, der Ansichten und Absichten der revolutionären Linken bestenfalls aus dem Zerrspiegel einer negativen Kritik erfährt.
  5. Der Grund meiner Mitarbeit im Neuen Forum bleibt wie bisher: Es bestand die Möglichkeit, die verschiedenen Aspekte der Weltpolitik im Kontext der Ereignisse in Vietnam, Paris und Prag darzustellen, es besteht die Möglichkeit an den politisch-ideologischen Ergebnissen dieser Ereignisse, die irreversibel sind, festzuhalten.
Franz Jindra
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