FORVM, No. 157
Januar
1967

Wider den Altmarxismus

Karl Korsch, Universitätsprofessor und Reichstagsabgeordneter in der Weimarer Republik, gehört zu jenen deutschen Marxisten, denen in ihrer Lebenszeit ein dreifacher geistiger Tod beschert wurde: erst wurden sie von der pseudo-marxistischen Orthodoxie der Sozialdemokratie auf den Index gesetzt, dann von der pseudo-marxistischen Orthodoxie des Stalinismus aus der KPD verstoßen, schließlich wurden vom Faschismus ihre Bücher verbrannt. Korsch, der marxistische Lehrmeister Bert Brechts, [*] starb 1960 in der amerikanischen Emigration. Der Europa Verlag, Wien, und die nunmehr mit ihm assoziierte Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt, machen das verschollene Werk dieses originellen Marxisten wieder zugänglich. „Marxismus und Philosophie“ (1923) liegt soeben vor; wir drucken daraus einen Abschnitt. Demnächst sollen folgen: „Gesammelte Aufsätze“, „Karl Marx“ und „Die materialistische Geschichtsauffassung“. In der gleichen Reihe „Politische Texte“ der beiden Verlage erscheinen Schriften von Fourier, Lafargue, Luxemburg, Thalheimer, Bakunin, Landauer.

Für die bürgerlichen Gelehrten von heute bedeutet der Marxismus nicht nur eine arge praktische und theoretische Verlegenheit ersten Grades, sondern überdies auch noch eine theoretische Verlegenheit zweiten Grades, nämlich eine „wissenschaftstheoretische“ Verlegenheit. Er läßt sich in keinem der hergebrachten Schubkästen des Systems der bürgerlichen Wissenschaften unterbringen, und selbst wenn man eigens für ihn und seine nächsten Kumpane einen neuen Schubkasten, Soziologie genannt, eröffnen wollte, würde er nicht einmal ruhig darin bleiben, sondern fortwährend aus seiner Lade hinaus in alle anderen hineinfahren. „Ökonomie“, „Philosophie“, „Geschichte“, „Rechts- und Staatslehre“, keines dieser Schubfächer vermag ihn in sich zu halten, keines aber wäre vor ihm sicher, wenn man ihn in ein anderes hineinstecken wollte.

Es fehlt ihm also ganz an jener Charaktereigenschaft, die Karl Marx einmal als den „Hauptstock deutscher Moral und Ehrlichkeit, nicht nur der Individuen, sondern auch der Klassen“ gerühmt hat, nämlich an jenem „bescheidenen Egoismus, welcher seine Beschränktheit geltend macht und gegen sich geltend machen läßt“. Vielmehr erkennt man seine völlige „Undeutschheit“, von allem übrigen ganz abgesehen, auch schon an dieser welschen Unbeständigkeit, mit der er allen Registrierungsversuchen, selbst der allerhöchsten Würdenträger in der bürgerlichen Gelehrtenrepublik, ein Schnippchen schlägt.

Die einfache Erklärung für diese vom Standpunkt bürgerlicher Wissenschaftstheorie unauflösliche Schwierigkeit besteht darin, daß der Marxismus, sogar in jenem weitesten bürgerlichen Sinne des Wortes „Wissenschaft“, in welchem dieses Wort noch die spekulativste metaphysische Philosophie in sich einschließt, nicht als eine „Wissenschaft“ bezeichnet werden kann.

Wenn man also bisher den marxistischen Sozialismus und Kommunismus im Gegensatz zu den „kritisch-utopischen“ Systemen eines Saint-Simon, Fourier, Owen usw. gewöhnlich als den „wissenschaftlichen“ Sozialismus bezeichnet und damit der ehrlichen Spießerseele zahlreicher deutscher Sozialdemokraten jahrzehntelang ganz unbeschreiblich wohlgetan hat, so muß dieser schöne Traum grausam zerstört werden durch die Feststellung, daß gerade im wohlanständigen, gutbürgerlichen Sinne des Wortes „Wissenschaft“ der Marxismus eine „Wissenschaft“ niemals gewesen ist und, solange er sich selbst treu bleibt, auch niemals werden kann. Er ist weder eine „Ökonomie“, noch „Philosophie“, noch „Geschichte“, noch irgendeine sonstige „Geisteswissenschaft“ oder Kombination von solchen Wissenschaften — alles dies verstanden im Sinne bürgerlicher „Wissenschaftlichkeit“.

Vielmehr enthält das ökonomische Hauptwerk Marxens, wie sein Untertitel ausdrücklich besagt und sein gesamter Inhalt auf jeder Seite bestätigt, von Anfang bis zu Ende eine Kritik der politischen Ökonomie, worunter natürlich zu verstehen ist eine Kritik der bisherigen, angeblich „voraussetzungslosen“, in Wahrheit strikte „bürgerlichen“, d.h. durch bürgerliche Voraussetzungen bestimmten und beschränkten politischen Ökonomie, und wobei sich von selbst versteht, daß diese Kritik der bürgerlichen Ökonomie ausgesprochenermaßen erfolgt von dem neuen Standpunkt jener Klasse, die unter allen bestehenden Klassen als einzige an der Aufrechterhaltung jener bürgerlichen Vorurteile nicht mit interessiert ist, vielmehr umgekehrt durch ihre gesamte Lebenslage auf die endliche, praktische wie theoretische Durchbrechung jener bürgerlichen Vorurteile immer gebieterischer hingewiesen wird.

Keine neue Philosophie

Und ganz das gleiche wie für die marxistische Ökonomie gilt auch für alle übrigen Bestandteile des marxistischen Gedankensystems, also für die Lehren des Marxismus über solche Fragen, die nach den hergebrachten Einteilungsprinzipien der bürgerlichen Wissenschaftstheorie in das Gebiet der Philosophie, der Geschichte oder irgendeiner sonstigen „Geisteswissenschaft“ gehören würden. Auch in diesen Teilen seiner Lehre will sich Marx nicht als ein „staatengründender Herkules“ betätigen.

Ganz falsch sind alle jene Vorstellungen der bürgerlichen und halbsozialistischen Gelehrsamkeit, die davon ausgehen, daß der Marxismus an die Stelle der bisherigen (bürgerlichen) Philosophie eine neue „Philosophie“, an die Stelle der bisherigen (bürgerlichen) Geschichtsschreibung eine neue „Geschichtsschreibung“, an die Stelle der bisherigen (bürgerlichen) Rechts- und Staatslehre eine neue „Rechts- und Staatslehre“ oder auch nur an die Stelle jener unfertigen Gebilde, die die heutige bürgerliche Wissenschaftslehre als „die“ soziologische Wissenschaft bezeichnet, eine neue „Soziologie“ setzen wollte.

Die marxistische Theorie will dies ebensowenig, wie die gesellschaftliche und politische Bewegung des Marxismus, deren theoretischen Ausdruck sie darstellt, darauf abzielt, an die Stelle des bisherigen bürgerlichen Staatensystems und aller seiner einzelnen Mitglieder neue „Staaten“ und ein neues „Staatensystem“ zu setzen. Karl Marx setzt sich statt dessen als Ziel die „Kritik“ der bürgerlichen Philosophie, die „Kritik“ der bürgerlichen Geschichtsschreibung, die „Kritik“ sämtlicher bürgerlicher „Geisteswissenschaften“, mit einem Wort die „Kritik“ der gesamten bürgerlichen „Ideologie“ — und er unternimmt diese Kritik der bürgerlichen „Ideologie“, ganz ebenso wie die Kritik der bürgerlichen „Ökonomie“, vom Standpunkt der proletarischen Klasse.

Während also die bürgerliche Philosophie und Wissenschaft dem trügerischen Phantom der „Voraussetzungslosigkeit“ nachjagt, verzichtet der Marxismus in allen seinen Teilen von vornherein auf diese Illusion. Er will keine „reine“ Wissenschaft oder Philosophie sein, sondern vielmehr die „Unreinheit“ aller bisherigen bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie durch eine rücksichtslose Entlarvung ihrer verschwiegenen „Voraussetzungen“ kritisieren.

Und auch diese seine „Kritik“ wiederum will durchaus keine „reine“ Kritik im bürgerlichen Sinne des Wortes sein. Sie wird nicht in „voraussetzungsloser“ Weise um ihrer selbst willen vorgenommen, sondern steht im innigsten Zusammenhang mit jenem praktischen Befreiungskampf der Arbeiterklasse, als dessen bloßen theoretischen Ausdruck sie sich empfindet und bezeichnet. Sie unterscheidet sich daher auch von alledem, was in der bisherigen, bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie als „Kritik“ bezeichnet wurde und was seinen vollendeten theoretischen Ausdruck in der kritischen Philosophie Kants gefunden hat, in ganz ebenso fundamentaler Weise, wie sie sich von aller unkritischen, also dogmatischen, metaphysischen oder spekulativen bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie unterscheidet.

Wollen wir nun den besonderen, neuen und eigenartigen Standpunkt verstehen, von dem aus der Marxismus, in seiner Eigenschaft als „allgemeiner Ausdruck tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes“, [1] seine „Kritik“ der Ökonomie und Ideologie des Bürgertums unternommen und durchgeführt hat, so kommt es darauf an, daß wir uns einen klaren und ausführlichen Begriff von jener spezifisch marxistischen Auffassung des gesellschaftlichen Lebens der Menschen verschaffen, die von ihren Anhängern und Gegnern heute gewöhnlich mit dem nicht nach allen Richtungen hin ganz zutreffenden Ausdruck „materialistische Geschichtsauffassung“ bezeichnet wird.

Und hierzu wiederum müssen wir beginnen mit der Frage: Welche Beziehung besteht im Gesamtsystem des Marxismus zwischen jenen beiden, von uns unterschiedenen Teilen seiner Lehre, also zwischen der Kritik der Ökonomie einerseits und dem, was wir die Kritik der Ideologie nannten, andererseits? Von vornherein ist hier vorauszuschicken, daß diese beiden miteinander in untrennbarer Einheit zusammenhängen. Es ist gänzlich unmöglich, daß jemand die „ökonomischen Lehren“ des Marxismus ablehnt, zugleich aber in seiner Stellungnahme zu politischen, juristischen, historischen, soziologischen, oder sonstigen außerökonomischen Fragen ein „Marxist“ sein möchte.

Und auch das Umgekehrte ist ein gänzlich unmögliches Unternehmen, so oft sich bürgerliche Ökonomen, die sich der Wahrheit der „ökonomischen Lehren“ des Marxismus nicht mehr verschließen konnten, daran auch versucht haben: Man kann nicht der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie zustimmen, zugleich aber die Konsequenzen ablehnen wollen, die sich daraus für die Stellungnahme zu politischen, juristischen usw. Problemen ergeben.

Die „Kritik der politischen Ökonomie“ und die „Kritik der Ideologie“ der bürgerlichen Klasse bilden also im System des Marxismus ein einheitliches Ganzes, dessen Teile nicht einfach voneinander losgelöst und getrennt für sich gesetzt werden können. Die Bedeutung aber, die innerhalb des marxistischen Gesamtsystems den beiden Teilen zukommt, ist eine durchaus verschiedene. Diese Verschiedenheit zeigt sich unter anderem auch darin, mit wie verschiedener Ausführlichkeit Marx in seinen auf uns gekommenen Werken die beiden Teile seines Systems behandelt hat.

Von der Ideologie zur Ökonomie

Karl Marx, der in seiner ersten, jugendlichen Epoche selbst auf einem philosophischen Standpunkt gestanden ist, den man nach seinem späteren Sprachgebrauch als einen durchaus „ideologischen“ zu bezeichnen hätte, hat sich von diesem seinem ideologischen Standpunkt nur durch eine harte und lange währende Denkerarbeit loslösen können. Zwischen seiner ersten, jugendlichen Epoche und der eigentlichen Reifeperiode seines Schaffens liegt eine lange Arbeit der „Selbstverständigung“. In dieser hat er sich aber von aller Ideologie auch so gründlich losgelöst, daß er sogar für die „Kritik der Ideologie“ in seiner späteren Schaffenszeit nur noch gelegentliche Nebenbemerkungen übrig hatte, während sein Hauptinteresse sich nun mehr und mehr der „Kritik der politischen Ökonomie“ zuwandte.

Er hat also sein Lebenswerk in der Weise vollbracht, daß er mit einer „Kritik der Ideologie“ begonnen und in dieser Kritik seinen neuen, materialistischen Standpunkt gefunden hat, diesen dann auf allen Gebieten gelegentlich in höchst fruchtbarer Weise angewendet, wirklich bis in seine letzten Konsequenzen aber nur noch auf dem einen Gebiete durchgeführt hat, welches ihm nun als das wichtigste erschien: auf dem Gebiete der politischen Ökonomie.

Diese verschiedenen Stadien der Marx’schen Entwicklung lassen sich in seinen Werken auf das genaueste aufzeigen. Er begann die zweite und wichtigste Periode seines Schaffens mit der durch Feuerbachs Religionskritik angeregten „Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie“ (1843/44) und hat noch einige Jahre später zusammen mit seinem Freunde Engels „zwei starke Oktavbände“ mit einer Kritik der gesamten nachhegel’schen Philosophie Deutschlands angefüllt. Er hat aber schon dies zweite Werk nicht mehr drucken lassen und überhaupt in der nun anhebenden eigentlichen Reifezeit seines Lebens auf die nähere Ausführung der „Kritik der Ideologie“ keinen großen Wert mehr gelegt.

Statt dessen widmete er sich von nun an mit voller Kraft der kritischen Erforschung des ökonomischen Gebietes, in welchem er den wirklichen Angelpunkt aller geschichtlich-gesellschaftlichen Umdrehungen entdeckt hatte. Und auf diesem Gebiet hat er nun seine „kritische“ Aufgabe auch bis zu Ende durchgeführt. Er hat die überlieferte politische Ökonomie der bürgerlichen Klasse nicht nur negativ kritisiert, sondern darüber hinaus auch positiv, indem er, um einen seiner Lieblingsausdrücke hier anzuwenden, der „politischen Ökonomie des Besitzes“ die „politische Ökonomie der Arbeiterklasse“ gegenübergestellt hat.

In der Nationalökonomie der bürgerlichen Besitzerklasse herrscht, auch theoretisch, das Privateigentum über den gesamten gesellschaftlichen Reichtum, die aufgehäufte tote Arbeit der Vergangenheit über die gegenwärtige lebendige Arbeit. In der politischen Ökonomie des Proletariats, und also auch in ihrem „theoretischen Ausdruck“, dem ökonomischen System des Marxismus, herrscht umgekehrt die „Sozietät“, die Gesellschaft, über ihr gesamtes Produkt, d.h. also die lebendige Arbeit über die aufgehäufte tote Arbeit oder das „Kapital“. Hier liegt nach Marx’ Erkenntnis der Angelpunkt, um den die bevorstehende Umwälzung der Welt sich drehen muß; um diesen Punkt muß sich darum auch theoretisch eine „radikale“, d.h. nach Marx eine „die Sache an der Wurzel fassende“ Auseinandersetzung zwischen der bürgerlichen Philosophie und Wissenschaft und den neuen Ideen der zu ihrer Befreiung aufsteigenden proletarischen Klasse drehen. Ist dies mit Gründlichkeit geschehen, so verstehen sich alle übrigen Umwälzungen, also die Umwälzungen auf allen ideologischen Gebieten fast von selbst.

Kritik an Himmel und Erde

Alle „ideologische“ Kritik der Vergangenheit kann somit, wenn die Stunde der geschichtlichen Tat herannaht, nur noch als eine unreife Form derjenigen Erkenntnis gelten, auf die es für das praktische Vollbringen der Umwälzung der geschichtlichen Welt letzten Endes ankommt.

Nur rückblickend auf die geschichtliche Entwicklung des revolutionären Bewußtseins der gegenwärtigen Epoche können wir sagen, daß „die Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik“ gewesen ist. Blicken wir vorwärts, so gilt umgekehrt der Satz, daß der Kampf gegen die Religion erst höchst mittelbar der Kampf gegen jene Welt ist, deren „geistiges Aroma“ die Religion ist. Es gilt also, wollen wir zu der realen geschichtlichen Tat kommen, die „Kritik des Himmels“ umzuwandeln in eine „Kritik der Erde“.

Und hierfür ist es wiederum nur ein erster Schritt, wenn wir die „Kritik der Religion“ umwandeln in die „Kritik des Rechts“, die „Kritik der Theologie“ in die „Kritik der Politik“. Mit alledem erfassen wir immer nur die „andere Seite“ des menschlichen Wesens, und noch nicht seine eigentliche „Realität“, noch nicht die „eigentlich irdische Frage in ihrer Lebensgröße“. Dies geschieht vielmehr erst, wenn wir den Gegner auf dem Boden aufsuchen, auf dem er mit allen seinen wirklichen Handlungen und auch mit allen seinen Illusionen in Wirklichkeit steht, d.h. auf dem Boden der Wirtschaft, der materiellen Produktion.

Alle Kritik der Religion, der Philosophie, der Geschichte, der Politik und des Rechts muß also ihre letzte Fundierung in der „radikalsten“ oder „wurzelhaftesten“ aller Kritiken, d.h. in der Kritik der politischen Ökonomie finden. [2]

Aus dieser für alles übrige grundlegenden Stellung der „politischen Ökonomie“ im kritischen Gesamtsystem des Marxismus (die Bürger würden sagen: die politische Ökonomie sei die marxistische „Grundwissenschaft“!) folgt, daß es zur theoretischen Begründung des Marxismus einer ausführlichen, in die Entwicklung einer neuen, marxistischen Rechts- und Staats- und Gesellschaftswissenschaft ausmündenden Kritik der bürgerlichen Rechts- und Staatswissenschaft, Geschichtsschreibung und aller sonstigen bürgerlichen „Ideologien“ überhaupt nicht bedarf.

Diejenigen, sich selbst zu den „orthodoxen Marxisten“ zählenden Marx-Epigonen sind auf einem vollständigen Holzwege, die, wie Karner-Renner in Österreich oder Kärrner-Cunow in Deutschland, das unabweisliche Bedürfnis empfinden, die politische Ökonomie des Marxismus durch eine ausgeführte marxistische Rechts- und Staatslehre oder gar durch eine vollständig ausgebaute marxistische Gesellschaftslehre oder Soziologie zu „ergänzen“. Das marxistische System bedarf dieser Ergänzung nicht, sowenig es einer besonderen marxistischen „Philologie“ oder „Mathematik“ bedarf.

Auch der Inhalt der mathematischen Systeme ist, wie heute eigentümlicherweise gerade auf diesem Gebiet weniger als auf manchen anderen, ungleich erdennäheren menschlichen Wissensgebieten bestritten wird, historisch, gesellschaftlich, ökonomisch, praktisch bedingt; kein Zweifel, daß in der bevorstehenden Umwälzung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt, vor, bei und besonders nach dieser Umwälzung, auch die Mathematik „langsamer oder rascher“ mit umgewälzt werden wird.

Auch für die „Mathematik“ besteht also die materialistische Geschichts- und Gesellschaftsauffassung zu Recht. Aber es wäre eine lächerliche Torheit, wollte deshalb ein „Marxist“ behaupten, er könnte aus seiner tieferen Einsicht in diejenigen ökonomisch-gesellschaftlich-geschichtlichen Realitäten, die „in letzter Instanz“ auch für die bisherige und künftige Entwicklung der mathematischen Wissenschaft bestimmend sind, nun seinerseits den durch die jahrtausendelangen Bemühungen der mathematischen Forscher aufgebauten mathematischen Systemen eine neue, „marxistische“ Mathematik entgegensetzen.

Ganz dasselbe aber ist es, was Karner-Renner und Kärrner-Cunow auf bestimmten anderen, besonderen Wissenschaftsgebieten (auf dem gleichfalls jahrtausendealten Gebiet der „Rechtswissenschaft“, und auf dem jüngsten „bürgerlichen“ Wissenschaftsgebiet, der „Soziologie“!) mit ihren hierfür gänzlich unzureichenden Mitteln zu tun versucht haben. Und das gleiche versuchen unzählige andere Pseudomarxisten, die da wähnen, daß sie mit der monotonen Wiederholung ihres marxistischen Glaubensbekenntnisses zu den sachlichen Ergebnissen der geschichtlichen Forschung oder der Philosophie, oder irgendeiner sonstigen Natur- oder Geisteswissenschaft irgend etwas Neues hinzufügen könnten.

[*Vgl. Ernest J, Salter, Bertolt Brecht und Karl Korsch, FORVM, Dezember 1964.

[*Vgl. Ernest J, Salter, Bertolt Brecht und Karl Korsch, FORVM, Dezember 1964.

[1Vgl. Kommunistisches Manifest, Abschnitt II: „Proletarier und Kommunisten“.

[2Die Zitate in den letzten Sätzen sind aus dem Artikel über das Holzdiebstahlgesetz, aus dem Briefwechsel Marx-Ruge-Feuerbach-Bakunin und aus der Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie (alles abgedruckt im Nachlaß, Band I).

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