FORVM, No. 230/231
März
1973

Wie die Europäer Afrika ruinierten

Zur Geschichte der Befreiungsbewegungen I

In der Nacht zum 21. Jänner 1973 wurde in Conakry der Generalsekretär der „Afrikanischen Unabhängigkeitspartei von Guinea und den Kapverdischen Inseln“ (PAIGC), Amilcar Cabral, ermordet. Einem Verbindungsmann des portugiesischen Geheimdienstes (PIDE) war es gelungen, das Vertrauen führender PAIGC-Funktionäre zu gewinnen. Mit seiner Hilfe versuchte eine portugiesische Söldnergruppe am 20. Jänner, mehrere Spitzenfunktionäre der PAIGC nach Bissau zu verschleppen, um sie dort lebend den Portugiesen auszuliefern: Cabral und die Mitbewohner seines Hauses verteidigten sich, Cabral wurde dabei ermordet. Sein Stellvertreter Aristid Pereira (jetzt geschäftsführender Generalsekretär) wurde auf ein Schiff entführt. Beim Auslaufen aus Conakry gelang es jedoch der guineischen Marine, Pereira zu befreien und einen Großteil der Attentäter festzunehmen.

Im Februar 1969 gelang es einer Spezialabteilung des PIDE, den Präsidenten der Befreiungsfront von Mozambique (FRELIMO), Eduardo Mondlane, in Dares-Salaam zu ermorden. Im November 1970 schlug ein Versuch fehl, den ehemaligen Präsidenten von Guinea, Sekou Touré, und die PAIGC-Vertretung in Conakry in die Luft zu sprengen.

Schon die Ermordung Mondlanes zeigte jedoch, daß die Rechnung der Portugiesen nicht aufgeht. Die FRELIMO war bereits so gefestigt, daß die Ermordung ihres Präsidenten zu keiner Desorganisation führte. Die FRELIMO setzte ihren Kampf eher entschlossener und einiger fort.

Dies gilt sicher noch mehr für die fortgeschrittenste unter den Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonien, die PAIGC. Cabral war eine außergewöhnliche Persönlichkeit; er gehört in der Geschichte der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung sicherlich auf eine Stufe mit Patrice Lumumba und Kwame Nkrumah. Aber er konzentrierte die Entscheidungen nicht auf sich, sondern baute eine gut funktionierende Partei auf, in der politische und militärische Führung des Befreiungskampfes vereint ist. Cabral war ein entschiedener Verfechter der führenden Rolle der Partei und des demokratischen Zentralismus, doch ein ebenso entschiedener Gegner des Personenkults und der führenden Rolle einer einzelnen Person.

Die bürgerlichen Massenmedien, in denen der protugiesische Kolonialkrieg in Afrika praktisch nicht vorkommt, konnten zur Ermordung Cabrals nicht einfach schweigen. Sie würdigten daher die Persönlichkeit des Toten und konstruierten einen Gegensatz zwischen ihm und „radikalen“ Kräften in der PAIGC. Dadurch, daß man Cabral zum „Gemäßigten“ oder gar zum „Verfechter westlich-demokratischer Ideen“ machte, konnte man seine Ermordung den „Radikalen“ innerhalb seiner Partei in die Schuhe schieben. Die Untersuchungsergebnisse ergeben aber eindeutig die Schuld des portugiesischen Geheimdienstes, und überdies gab es jenen Gegensatz innerhalb der PAIGC gar nicht. Dieselbe Berichterstattung versuchte man auch 1969 bei der Ermordung Mondlanes.

Die dahinterstehende Taktik ist klar: man rehabilitiert tote Führer, indem man Gegensätze zur Volksbewegung konstruiert.. Damit will man insgesamt die Befreiungsbewegung verleumden. Als 1971 Portugal versuchte, eine Invasion in Guinea vorzubereiten, wurde dies in den bürgerlichen Medien als „Hirngespinst“ Sekou Tourés hingestell. Die UNO-Untersuchungskommission bestätigte dann die Angaben der guineischen Regierung — doch darüber war nichts zu lesen.

Das portugiesische Kolonialregime ist so sehr mit den Interessen der kapitalistischen Länder verflochten, daß eine klare Verurteilung Portugals auch das internationale Kapital treffen würde. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit und der wachsenden Kritik in den eigenen Ländern müssen sich die Regierungen der imperialistischen Länder zwar verbal den Aufrufen der UNO zur Dekolonisierung anschließen, doch ihre praktische Politik gegenüber dem portugiesischen Kolonialismus wird dadurch nicht beeinflußt.

Zur Sicherung ihrer Kapitalinteressen in den Kolonien liefern die Regierungen der NATO-Länder immer neue Waffen an Portugal. Formal dürfen diese nur in Portugal im Rahmen der NATO-Aufgaben verwendet werden. Dennoch wird ein Großteil direkt im Kolonialkrieg eingesetzt. Portugal nennt die Kolonien „Überseeprovinzen“, sie sind integraler Bestandteil Portugals, insofern auch NATO-Gebiet. Obwohl Portugal diesen Standpunkt mehrmals offen darlegte, hat keine Regierung eines NATO-Staates daraus Konsequenzen gezogen. Die BRD ist auch unter der Regierung Brandt nach wie vor der zweitwichtigste Waffenlieferant Portugals im NATO-Bereich (nach den USA).

Das wesentliche ideologische Instrument zur Aufrechterhaltung der portugiesischen Herrschaft über seine „Überseeprovinzen“ ist die Legende vom „geschichtslosen Afrika“, das erst durch die zivilisatorische Tätigkeit der Europäer in die Geschichte eingetreten sei. Demnach sind die Afrikaner auch nicht imstande, sich selbst zu regieren. Die Führer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen — dies geht vor allem auch aus den Schriften Cabrals hervor — sehen daher die Wiederentdeckung der afrikanischen Geschichte und das Finden einer nationalen und kulturellen Identität als Hauptaufgabe einer Befreiungsstrategie an. Eine solche historische Aufarbeitung muß wesentlich die europäisch-afrikanischen Beziehungen seit dem 15. Jahrhundert analysieren.

Bisher waren umfassende historische Untersuchungen über die Zeit vor der „Entdeckung“ nicht möglich. In den portugiesischen Kolonialgebieten wird jeglicher Versuch einer afrikanischen Geschichtsschreibung unterdrückt. Auch bereits unabhängige Länder können sich wegen der geringen Zahl einschlägiger Experten und der Priorität anderer Aufgaben nur ungenügend einer eigenständigen afrikanischen Geschichtsschreibung widmen. Überdies haben die Europäer seit ihrem Eintreffen die alten Städte und die Geschichtsquellen systematisch zerstört. Die Rekonstruktion dieser frühen Geschichtsepoche ist. daher auf einige beinahe zufällige Funde sowie Berichte der ersten europäischen „Besucher“ angewiesen.

Es steht fest, daß vor dem Eintreffen der Europäer vor allem an den afrikanischen Küsten (Kongo, Guinea, Ost- und Südostküste) relativ hochentwickelte Staatsverbände mit zentraler Regierungsgewalt, umfangreichem Handel und einheitlichem Währungssystem bestanden. An der Ostküste (heutiges Tansanie und Mozambique) gab es bereits seit etwa 1500 Jahren einen regelmäßigen und friedlichen Seehandel mit den Städten am Roten Meer, an der persischen Küste und in Indien — ja sogar mit China. Die Städte waren — nach Berichten holländischer Seefahrer — durchaus mit den europäischen Städten vergleichbar (Steinbauten, breite Straßen, Architektur und Kunst).

Die Stammesstruktur bildete zwar eine Grundlage der damaligen Gesellschaften, durch den Zusammenschluß zu größeren staatlichen Gebilden war sie jedoch nicht mehr das bestimmende Merkmal der afrikanischen Gesellschaft (zumindest in Küstennähe). Die Europäer zerschlugen die staatlichen Zentralverbände, schürten die Stammesgegensätze im Interesse besserer Beherrschung, setzten Staats- bzw. Kolonialgrenzen willkürlich fest. So wurde der Tribalismus im Läufe der Kolonialgeschichte wieder belebt und zu einem wesentlichen Element der afrikanischen Gesellschaften.

Bis ins 15. und 16. Jahrhundert existierte eine afrikanische Form des Feudalismus. Er unterschied sich vom europäischen Feudalismus durch demokratische Elemente sowie durch Stützung auf „natürliche“ Gemeinschaften. Vor allem in den Küstengebieten gab es bereits relativ differenzierte Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilung sowie einen hohen Entwicklungsstand im Gewerbe und in der Verarbeitung verschiedener Rohstoffe. So stützte sich der Bergbau in Südamerika zu Beginn des Sklavenhandels vor allem auf afrikanisches Knowhow. Der durch den umfangreichen Handel akkumulierte Reichtum in den Städten hätte die Basis abgeben können für den Sprung in die nächste historische Entwicklungsstufe, den merkantilen Kapitalismus.

In Europa entwickelte sich im 14. und 15. Jahrhundert der Kaufmannsstand zu einer eigenen gesellschaftlichen Klasse, dem Bürgertum. Vor allem einige italienische Städte — die damals am höchsten entwickelt waren — hatten bereits einen umfangreichen Orienthandel. Die Profite der europäischen Kaufleute waren jedoch beschränkt durch ihre Abhängigkeit vom arabischen Zwischenhandel. Außerdem war der Landweg von Indien äußerst unsicher und wurde vom Türkischen Reich kontrolliert. Neue, gesicherte Handelswege und Ausschaltung des arabischen Ziwschenhandels waren wesentliche Voraussetzungen für die Herausbildung des Kapitalismus in Europa.

Da die Ausdehnung Afrikas unbekannt war, versuchten Italiener und Spanier, in westlicher Richtung einen Seeweg nach Indien zu finden. Die Portugiesen hingegen, die bereits einige Expeditionszüge nach Nordafrika unternommen hatten, wollten nach Indien durch die Umschiffung Afrikas. An der afrikanischen Küste — die im Norden größtenteils unbewohnt war — wurden Militär- und Handelsstützpunkte errichtet. 1482 drangen portugiesische Schiffe unter dem Kommando von Diego Cao in die Kongomündung ein. Cao meinte vorerst, den neuen Seeweg nach Indien entdeckt zu haben. Er errichtete einen Stützpunkt und eine Missionsstation.

Erst 1498 entdeckte Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. Unterwegs landete er an der Küste des heutigen Mozambique und nahm die gleichnamige Stadt unter Beschuß. Auf weiteren Expeditionszügen zerstörten die Portugiesen die blühenden Handelsstädte an der Ost- und Südostküste. Innerhalb weniger Jahrzehnte waren die meisten Städte dem Erdboden gleichgemacht und der dort angesammelte Reichtum vernichtet. Den Portugiesen ging es hier vorerst nur um die Ausschaltung des afrikanisch-indischen Handels.

An der Westküste — vor allem am Kongo — verfolgten die Portugiesen eine andere Strategie. Hier ging es darum, diese Gebiete in einen für Portugal günstigen Wirtschaftsaustausch einzubeziehen. Daher wurden Verträge mit Königen geschlossen, denen teure Geschenke (z.B. Pferde) und europäische Luxusgüter angeboten wurden. Als durch die Entwicklung des Sklavenhandels der Widerstand der Könige gegen die Ausplünderung ihrer Gebiete durch Portugal zunahm, wurden einzelne Häuptlinge korrumpiert und durch die Zusage persönlicher Vorteile gegen die Zentralgewalt aufgewiegelt. Dadurch wurde das königliche Handelsmonopol — eine wesentliche Grundlage der starken Zentralgewalt — untergraben. Waffenlieferungen an einzelne Häuptlinge förderten den Auflösungsprozeß der afrikanischen Feudalstaaten.

Als die Portugiesen von Silbervorkommen im Reiche der Mbundu (dem heutigen Angola) hörten, gingen sie zur Taktik der militärischen Eroberung über. Unter Führung von Paolo Diaz de Novais begannen portugiesische Truppen 1580 den Marsch zu den Silberbergen vom Bambambe (dem heutigen Dondo). Innerhalb weniger Jahre eroberten sie ein Gebiet von der Größe Portugals.

Der Mani-Kongo (König des Kongo-Reiches) weigerte sich, den Portugiesen die Erlaubnis zu erteilen, in seinem Land nach Gold- und Kupfervorkommen zu suchen. Der portugiesische König ordnete daher 1665 die militärische Invasion an. 1666 wurden in der Schlacht bei Ambuila die kongolesischen Truppen vernichtet; der Mani-Kongo erlitt dabei den Tod. Periodisch wiederkehrende Aufstände im Kongo und in Angola wurden von den portugiesischen Truppen niedergeschlagen.

Seit Entdeckung Amerikas wurde der Sklavenhandel für die Zuckerplantagen Mittelamerikas und die Bergwerke Südamerikas zum bestimmenden Element der afrikanisch-europäischen Beziehungen. Der sogenannte „Ringhandel“ war bis Ende des 18. Jahrhunderts die entscheidende Voraussetzung für eine sehr rasche Kapitalakkumulation in den Händen der europäischen Bourgeoisie: aus Europa wurden Fertigwaren (Textilien etc.), Luxusgüter (zur Bestechung von Häuptlingen) und Waffen nach Afrika geliefert und dort gegen Sklaven eingetauscht. Teilweise wurden sie auch direkt gefangengenommen. Die Sklaven wurden dann nach Amerika oder den Westindischen Inseln transportiert und dort gegen mineralische und landwirtschaftliche (z.B. Zucker) Rohstoffe verkauft. Diese Rohstoffe wurden dann nach Europa gebracht. Jede dieser drei Etappen brachte enorme Profite. Dazu kamen die Riesengewinne durch die Ausbeutung der Sklavenarbeit in Amerika, denn die Bergwerke und Plantagen waren ebenfalls im Besitz von Europäern.

Allein aus Angola wurden bis ins 19. Jahrhundert ca. 5 Millionen Sklaven abtransportiert, was der heutigen Bevölkerungszahl dieses Landes entspricht. Insgesamt dürften etwa 20 Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika verschifft worden sein. Dies hatte wesentliche Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung Afrikas, führte zur Zerstörung der vorhandenen Gesellschaftsstrukturen und verhinderte eine eigenständige Weiterentwicklung dieser Gebiete.

Der Handel ganz Afrikas wurde praktisch von diesem einen Produkt, den Sklaven, abhängig. Die europäischen Güter, die dafür geliefert wurden, geben keine Impulse für die einheimische Wirtschaft. Dazu kam, daß die relativ hochentwickelten rechtlichen und moralischen Systeme in Afrika zerstört wurden.

Portugal spielte zur Blütezeit des Ringhandels nur noch eine untergeordnete Rolle. Die strukturelle Ursache dafür lag im engen Bündnis der Handelsbourgeoisie mit dem Feudaladel und der Kirche. Dieses Bündnis, das den Portugiesen im 15. und frühen 16. Jahrhundert in Afrika einen Vorsprung gegenüber anderen europäischen Mächten verschafft hatte, wirkte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hemmend auf die Expansion des Handels. In England, Holland, Frankreich konnte die Handelsbourgeoisie die Wirtschaftsbeziehungen autonom ausweiten und Kapital akkumulieren. Hingegen waren die portugiesischen Kaufleute durch königliche Gesetze erheblich eingeschränkt. Außerdem diente ein wesentlicher Teil des in Afrika und Amerika realisierten Mehrwerts dem unproduktiven Luxuskonsum des Adels und der Kirchenfürsten. Überdies war der Ringhandel für die portugiesischen Kaufleute weniger profitabel als für ihre europäischen Konkurrenten: Für die erste Etappe, die Lieferung europäischer Fertigprodukte nach Afrika, konnten die Portugiesen nicht auf eigene Manufakturen zurückgreifen. Sie mußten diese vorher bei ihrem Konkurrenten (England, Holland) einkaufen. Dazu kam die Annexion Portugals durch Spanien von 1580 bis 1640.

Diese Schwächeperiode nützten die Holländer, um das portugiesische Monopol im Ostindienhandel zu brechen, Sie gründeten 1617 die Ostindienkompanie, 1621 die Westindienkompanie, beide als Aktiengesellschaften: damit wurden moderne kapitalistische Formen im Handel eingeführt. Die Kompanien konnten billigere Fertigwaren nach Afrika liefern, für Sklaven und Elfenbein höhere Preise zahlen als die portugiesischen Händler, die durch das königliche Handelsmonopol an bestimmte Fixpreise gebunden waren. Auch hier zeigte sich, daß die dominierende Rolle des Feudaladels und der Kirche in Portugal zur Unfähigkeit führte, sich an die Entwicklung des Kapitalismus in Europa anzupassen. Der portugiesischen Handelsbourgeoisie gelang es nicht, sich zu emanzipieren. Vielfach nahm sie die feudalen Lebensformen an und verbrauchte einen Großteil der Profite für den Luxuskonsum. Das war einer der Gründe dafür, daß in Portugal das merkantile Kapital nicht in industrielles transformiert werden konnte.

Das Zurückbleiben Portugals führte schon im 17. Jahrhundert zur zunehmenden Abhängigkeit von England. Der Vertrag von Menthuen (1703 — gemeinsamer Verteidigungspakt, zollfreier Austausch zwischen englischen Textilien und portugiesischem Wein) wurde zur Grundlage für die endgültige ökonomische Vorherrschaft Englands. Als Portugal 1822 seine wichtigste Kolonie Brasilien verlor, versank es ökonomisch, politisch und militärisch fast in Bedeutungslosigkeit. Es wurde faktisch zur britischen Halbkolonie.

Die Weiterentwicklung des Kapitalismus in Europa veränderte die Beziehungen zu Afrika. Der bis dahin dominierende Sklavenhandel war dem Stand der Produktivkräfte nicht mehr angemessen. Der Zunahme industrieller Produktionsweisen entsprach die „freie“ Lohnarbeit. So kam es zum Verbot der Sklavenarbeit, 1807 im industriell am weitesten fortgeschrittenen England, 1815 in Frankreich, unter dem Druck der Briten 1827 auch in Portugal. Für die industrielle Produktion wurden immer neue Rohstoffquellen sowie Absatzmärkte für Fertigwaren benötigt. Reichten für den Sklavenhandel Stützpunkte an den afrikanischen Küsten aus, so war es nun notwendig, auch das Binnenland zu besetzen.

Im 2. Drittel des 19. Jahrhunderts begann ein Wettlauf um die Aufteilung Afrikas, vor allem zwischen England, Frankreich und Deutschland, samt kleineren bewaffneten Auseinandersetzungen auf afrikanischem Territorium. Aber ein großer Krieg lag damals nicht im Interesse der drei kapitalistischen Metropolen. Man einigte sich durch Abgrenzung der Einflußsphären. Auf der Berliner Konferenz 1884/85 wurde die Aufteilung besiegelt.

Da man bei einigen Gebieten keine für alle drei Mächte akzeptable Lösung fand, wurden Satellitenstaaten vorgeschoben. So erhielt Belgien (protegiert von Frankreich) eine ziemlich große Kolonie (Kongo, das heutige Zaire) und Portugal bekam ein Gebiet, das 20mal so groß ist wie das Mutterland (Angola, Mozambique, Guinea-Bissau und einige Inseln). Nachdem auf diese Weise die Konflikte zwischen England und Frankreich beigelegt waren, konnten beide zusammen weitergehende Gebietsansprüche des Deutschen Reiches zurückdrängen.

Bis zur Jahrhundertwende waren die aufgeteilten afrikanischen Gebiete auch weitgehend militärisch besetzt. Die Eroberung entsprach dem Entwicklungsstand und den Bedürfnissen des Kapitalismus in England, Frankreich und Deutschland. Die Satelliten — Belgien und vor allem Portugal — waren hingegen zu einer Eroberung des Binnenlandes aus anderen Gründen gezwungen: um Gebietsforderungen anderer Staaten zuvorzukommen. Die militärische Besetzung entsprang also nicht einer inneren Entwicklung des Kapitalismus, sondern wurde durch äußere Faktoren aufgezwungen.

In den britischen, französischen und deutschen Kolonien entstand eine für den modernen Kapitalismus effiziente Form der Ausbeutung durch „freie“ Lohnarbeit sowie Heranbildung einer einheimischen „Mittelschicht“. Hingegen entwickelte sich in Belgisch-Kongo und noch mehr in den portugiesischen Kolonien ein „Ultrakolonialismus“, der auf Zwangsarbeit, planloser ökonomischer Ausraubung und Verhinderung einer einheimischen „Mittelschicht“ beruhte. Portugal als rückständige Kolonialmacht entwickelte die unmenschlichsten Formen: durch rigorose Arbeitsgesetze konnte praktisch jeder Afrikaner zu jeder beliebigen Arbeit im Dienste der Kolonialherren gezwungen werden. Ein zentrales, von Lissabon autoritär geführtes Verwaltungssystem schloß jede Mitwirkung der einheimischen Bevölkerung aus. Das Schulmonopol der katholischen Kirche brachte es mit sich, daß noch zu Beginn des Befreiungskrieges 1964 98 Prozent der mozambikanischen Bevölkerung Analphabeten waren (in Angola ist die Zahl etwas niedriger, in Guinea eher noch höher).

(Wird fortgesetzt)

Afrika im NF

  • Bob und Mary Fitch: Sollen sie Öl fressen. Biafra wie es keiner kennt. NF März 1969.
  • Adalbert Krims: Schwarzafrika darf nicht rot werden. NF November 1971.
  • Lutz Holzinger: Afrika: Schwarz-weißer Dialog. NF Mai/Juni 1971.
  • Adalbert Krims: Sambia: Erdrutsch. NF September/Oktober 1971.
  • Kurt Greussing: Äthiopien: Linke Schweden. NF Dezember 1971.
  • Pamela Blockey: KZ Südafrika. Oktober/ November 1971.
  • Basil Davidson: Afrika: Vom Reformismus zur Revolution. NF April 1972.
  • Heinz Gibus: Inder plündern Neger. Zum Rassismus Idi Amins. NF November 1972.
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