FORVM, No. 301/302
Januar
1979

Wie die schreit

Bürogeschichten aus der DDR

1 Zwei Sekretärinnen

Die eine Beschützerin — die andere Kumpel. Beide gleichermaßen unentbehrlich, nicht einfach austauschbar.

Gesichtslos die eine, im Hintergrund wachsam, die andere laut, lärmend und ganz direkt. Sie eignet sich nicht nur das Vokabular desjenigen an, dem sie — widerstrebend — dient, auch die Witze, Gesten von Wichtigkeit, Ausdrucksweisen.

Die eine eher Vermittlerin, die andere Beraterin, erste Instanz vor der zweiten.

Ehrgeizig beide: Die eine behauptet sich geduldig und beharrlich, kocht Tee, serviert ihn still zur bestimmten Stunde und muß an nichts erinnert werden. Die andere zeigt ihre Wichtigkeit bereits in der Art, Kaffee zu kochen, wenn sie sehr gebeten wird, bricht ohne anzuklopfen durch die Tür, demonstriert Charakter, indem sie schwungvoll die Tasse auf Papiere türmt. Vor Besuchern einen lässig hingeplauderten Satz, dem zu entnehmen ist, wie sehr sie weiß, was hier gespielt wird. Wenn sie ein Auto für halb zehn bestellen soll, teilt sie dem Fahrer mit: 9 Uhr 40, verschafft sich Einlaß in die Anonymität perfektionierter Bürogespräche, indem sie die Tür aufreißt, hineinruft: Sie fahren 9 Uhr 40! Wobei sie die Zigarette nicht aus dem Mund nimmt.

Die andere telefoniert so lange, bis sie erreicht hat, was von ihr erwartet wurde, zehn Minuten vor der Zeit klopft sie sacht, beugt den Oberkörper durch die halbgeöffnete Tür und sagt: Der Wagen wartet. Dies in so beruhigender Weise, daß nicht daran zu zweifeln ist: Der Wagen wartet, wartet, wartet ...

Heldentum am Telefon, hinter schalldichten Türen, vor Kaffeedämpfen und Teekanne. Spielregeln aus Handarbeit, gestrickt und gehäkelt und völlig vermottet.

Die eine niemals müde, niemals nervös, selten krank geschrieben, absolut nicht vergeßlich, nicht launisch und nie privat.

Die andere zähneknirschend strahlend, immer lebendig und immer auch ganz privat.

Sie hält ihm den großen Flieder vors Gesicht, während die andere Veilchen in die Vase stellt, bevor er kommt.

2 Ehe im Büro

Hii, sah der wieder scheußlich aus! höre ich Frau Schröder sagen und weiß augenblicklich, daß sie von ihrem Ehemann spricht. Die anderen sind schon da. Sie sind immer schon da, wenn ich komme. Ich stehe allein und zu spät auf, verbrenne mir die Zunge am eiligen Morgenkaffee, verpasse die Bahn — die anderen müssen früh raus, richten den Männern das Frühstück, legen Socken bereit, binden Krawatten und fügen Aktentaschen in fordernd offene Hände.

Meinem klappt immer der Kiefer runter, wenn er vorm Fernseher einschläft, sagt Frau Kuhn. Die anderen lachen zustimmend, und Frau Weber fragt: Sabbert er auch so? Da nickt Frau Kuhn heftig und erfreut.

Wenn meiner müde wird, kichert Frau Sanders, fällt er tootaal zusamm im Sessel und hat die Augen so halb auf, eklig!

Frau Schröder kreischt begeistert auf.

Später ruft Herr Kuhn an. Ach, du lieber Himmel, sagt Frau Kuhn, als sie ans Telefon gerufen wird, was will denn der schon wieder? Sie horcht gelangweilt in den Hörer hinein, sagt: Aber sicher doch, vergesse ich nicht!, schlenkert den Hörer an der Schnur ein wenig herum und verdreht die Augen. Die anderen grinsen beifällig und verständnisvoll. Mach’s gut! sagt Frau Kuhn, sinkt auf den Stuhl und seufzt: Mann, Mann, der hat Sorgen! Und das meinen die anderen auch.

Am Abend ist Abteilungsfeier, und die Männer haben mitkommen dürfen. Ich gehe früh, um Unauffälligkeit in meinem Verschwinden bemüht. Grad, als ich die Tür hinter mir schließen will, vernehme ich einen der Männer, ich glaube, es ist Herr Schröder, der sagt: Hier, wissen Sie, wenn Sie genau diese Stelle treffen und dann fest zukneifen, was meinen Sie, wie die schreit ...

3 Oma im Amt

Es muß gewartet werden. Das ist so auf Ämtern und auch sehr still. In endlosen Gängen sitzt man auf Bänken und Stühlen und starrt auf Türen, die sich in großen Abständen dezent knarrend öffnen und schließen. Oder argwöhnisch auf unsicher Herumstehende, ob die nicht Anstalten machen, sich vorzudrängen.

Eine Oma ordnet sich auf einen Stuhl.

Ein grauer Mensch mit einer fetten Akte unterm winkligen Arm kommt dahergestürzt und bringt die Oma ins Wanken.

Augenblicklich eilt ein zweiter herbei und nimmt den Gang in geübter Schräge.

Daß er dabei die Oma streift, die nach zierlicher Pirouette zu Fall kommt, bemerkt ein dritter, stoppt hilfreich und stellt die Oma auf. Diese umklammert hektisch atmend eine Stuhllehne.

Allerdings nützt ihr das nichts. Ein vierter naht mit den Worten: Einen Moment, Kollege!, stürzt auf die Oma zu und schmettert sie heftig winkend mitsamt dem Stuhl aufs Linoleum.

An einem der folgenden Tage beobachte ich die Oma im Park, wie’sie einem Blinden den Stock versteckt.

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