MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
Häuserräumung als Bürgerkrieg:

Wie Gefangene hinausgezerrt ...

Mit einem Ostberliner Hausbesetzer führte Birge Krondorfer am 17. November das folgende Gespräch.

MONATSZEITUNG: Wie hat alles angefangen? Kam der Polizeieinsatz und die Räumung überraschend oder habt Ihr etwas geahnt?

Besetzer: Wir haben nichts geahnt. Wir hatten angenommen, daß bis zum 2.12., also bis zur Wahl, nichts passieren wird.

Wie war der Verlauf der Ereignisse?

Am Montagmorgen, dem 12. November, sind in Berlin Lichtenberg ohne Vorwarnung drei besetzte Häuser von der Westberliner Polizei geräumt worden. Daraufhin gab es sofort eine kleine Protest- und Solidaritätskundgebung von ca. 50 bis 100 Leuten auf der Frankfurterallee, wodurch der Verkehr für ungefähr 10 Minuten blockiert war. Das nahm die Polizei zum Anlaß, um sofort mit Räumungspanzern und Wasserwerfern durch die Mainzerstraße zu donnern und ohne Vorwarnung die Wasserwerfer einzusetzen und sämtliche Häuser, auch die nichtbesetzten, unter Beschuß zu nehmen. Die kleinen Blockaden auf der Straße — wie Mülltonnen und Autos — wurden einfach beiseite geschoben.

Wie habt Ihr Euch dann verhalten?

Es strömten sofort Hunderte von UnterstützerInnen, SympathisantInnen und Neugierigen in die Gegend, und wir haben dann begonnen, an beiden Enden der Mainzerstraße Barrikaden zu errichten. Im Laufe des frühen Nachmittags kam es zu weiteren Bullenprovokationen wie z.B. das Eintreten einer Tür in einem besetzten Haus um die Ecke.

Habt Ihr Euch gewehrt?

Ja, wir haben die Barrikaden verstärkt und gegen die anrückenden Bullen Steine geschmissen. Inzwischen ist der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain, Mundiburu, gekommen und hat versucht zu vermitteln. Erfolglos.

Wie haben sich die UnterstützerInnen verhalten?

Es gab verschiedenste Versuche von den in der Zwischenzeit herbeigeeilten VertreterInnen des Bündnis 90, wie z.B. Bärbel Bohley, von der PDS und von den Grünen, vermittelnd einzugreifen. Auch die SPD Friedrichshain sowie die gesamte Bezirksversammlung und selbst der Stadtbaurat der CDU versuchten, mit dem Westberliner Innensenat in Kontakt zu kommen, um den Einsatz zu verhindern. Aber das war dem Westberliner Senat völlig egal, was die Ostberliner zu melden hatten.

Wie ging das dann in der Nacht weiter?

Erst gegen drei Uhr früh wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt — zum ersten Mal in der Berliner Häuserkampfgeschichte. Aber es war wohl eine Taktik der Exekutive, weil sie merkten, daß sie zu wenig Einsatzkräfte hatten. Wir räumten dann noch die Barrikaden unter den Augen der Bullen von der Frankfurterallee fort, damit der Berufsverkehr durchkonnte. Inzwischen ist die Internationale Presse gekommen, und ganz Friedrichshain war von SympathisanntInnen belagert. Bärbel Bohley und die gesamte ehemalige DDR-BürgerInnenbewegung versuchten am Dienstag mit dem Innensenator Pätzold, der sich verleugnen ließ, und dem Polizeipräsidenten Scherz in Kontakt zu treten, aber das war alles umsonst. Wir verhandelten mit Momper um eine Nichträumungsgarantie. Unter dieser Bedingung hätten wir dann die Barrikaden weggeräumt. Noch am Montag hatte der Innensenator in einer Presseerklärung mitgeteilt, daß es nie zu einer Räumung kommen würde. Dazu muß man auch sagen, daß wir offiziell legal in den Häusern gewohnt haben. Doch ab Montag 0.00 Uhr war es klar, daß die Mainzerstraße um jeden Preis zu räumen sei. Inzwischen waren auch am Prenzlauerberg rechtswidrige Räumungen gelaufen, weil angeblich eine Eigentümerin den Antrag gestellt hatte, was aber überhaupt nicht zutraf. Ab 19 Uhr wurde vom Innensenat und dem dort tagenden Krisenstab eine Nachrichtensperre verhängt, die auch für die AL galt. Dort wurde die endgültige Räumung für Mittwoch beschlossen. Es gab Gerüchte und Vermutungen, daß ab 5 Uhr früh der Großeinsatz begänne. Die ganze Nacht noch versuchten die AL und das „Bündnis 90“, den Kontakt zum Innensenator herzustellen, aber das erwies sich als völlig sinnlos. Die Ostberliner hatten es bis zur letzten Minute nicht für möglich gehalten, daß die westdeutsche Staatsmacht tatsächlich so agieren würde. Auch Leute, die uns vorher kritisch gegenüberstanden sind, waren völlig entsetzt.

Wie kam es dann zu den Fernsehbildern, die an Beirut erinnert haben?

Um etwa 4 in der Früh begann ein Keller einer Kohlenfirma zu brennen und das, obwohl das Haus völlig abgeschlossen war. Wir versuchten sofort, den Brand zu löschen, haben die Feuerwehr gerufen und die Leute und Kinder aus dem Haus gerettet. Wir ließen die Feuerwehr durch die Barrikaden, und als sie um halb fünf hineinfuhren, rückten sofort die Bullen an, was uns vermuten läßt, daß das eine geplante Provokation war. Der Totaleinsatz begann mit militärischen Mitteln: Großangriff auf die Barrikaden, Bombardement mit Tränengas, Blendschockraketen, Gummigeschosse. Es wurde auch scharf geschossen. Einen der Besetzer traf ein Querschläger ins Bein. Und oben flogen die Hubschrauber. Um halb 9 war dann alles vorbei. Wir, in unserem Haus, hatten beschlossen auszuhalten und haben uns im Gemeinschaftsraum versammelt. Wir haben noch ständig versucht, Leute ins Haus zu lassen, damit sie nicht draußen angegriffen würden. Die Bullen drangen von allen Seiten und über das Dach ein. Wir hatten insofern Glück, als bei uns Prominente, Abgeordnete und Presseleute im Haus waren. So wurden wir wenigstens nicht zusammengeschlagen. Wir mußten in den Hof gehen, zum Teil mit Handschellen, und warteten dort über 4 Stunden im Regen. Inzwischen zertrümmerten die Bullen das ganze Haus. Dann wurden wir wie Gefangene hinausgeschleppt, gezerrt, geschliffen und getreten im Spießrutenlauf. Es gab ca. 400 Festnahmen, und wir wurden für eine Nacht in verschiedene Polizeiknäste gebracht. Manche von uns werden kriminalisiert werden: z.B. Haus- und Landfriedensbruch. Frauen wurden mißhandelt. Am Mittwoch selber noch hatte der Pressesprecher gegenüber einer AL-Abgeordneten versichert, daß unserem Hab und Gut nichts geschehen würde. Aber das war ein schlechter Witz, denn, wie gesagt, haben die Bullen sofort alles kurz und klein geschlagen — auch um dann gegenüber den Springerpressefotografen beweisen zu können, wie schweinisch die Besetzer gehaust hätten. Die Häuser wurden für Plünderer freigegeben und alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus den Fenstern geschmissen. Am Donnerstag kam schon ein Bautrupp der Wohnbaugesellschaft, um sämtliche Installationen und Öfen zu demolieren. Unten stehen die Bagger und schaufeln alles zusammen. Selbst eine diesbezügliche Intervention des evangelischen Bischofs von Ostberlin hat das nicht mehr unterbinden können. Wir nehmen an, daß die Häuser bald gesprengt werden, um damit endgültig unsere Rückkehr zu verhindern.

Sind noch weitere Häuser geräumt worden?

Noch nicht, aber die Leute werden total unter Druck gesetzt. In ganz Ostberlin ist Bundespolizeieinsatz. Es ist jetzt dort wie in einem Hexenkessel. Überall versammeln sich Menschengruppen und probieren, ihre Fassungslosigkeit auszudrücken. Die DDR- Bürger sind total empört, weil sie merken, daß sie der letzte Dreck sind, denn, wie jetzt endgültig klar geworden ist, werden die Entscheidungen in Bonn und Westberlin getroffen. So eine Art Besatzungsarmee hat es in den ganzen letzten 40 Jahren dort nicht gegeben.

Hier waren Mompers Worte zu hören, daß die Besetzer, die Chaoten, die Randalierer mit einer menschenverachtenden Gewalt, die nichts mehr mit Politik und Sozialem zu tun hätte, agierten.

Das ist die totale Lüge. Er ist den härtesten Kurs gefahren, den es je überhaupt gegeben hat. Wir haben bis zum letzten nur möglichen Moment versucht zu verhandeln.

Wie soll es nun weitergehen? Was wollt Ihr machen?

Wir wollen, solange es geht, zusammen bleiben. Im Moment wohnen wir zu dreißigst in einer Fünfzimmerwohnung. Wir fühlen uns völlig leer. Aber wir wollen politisch retten, was zu retten ist: Öffentlichkeitsarbeit, Widerstand organisieren. Wir brauchen internationale Unterstützung. Morgen wird es wieder eine Demonstration geben.

Wir danken für das Gespräch.