Heft 1-2/2005
Mai
2005

„Wir sind noch keine vollständig funktionierende Demokratie ...“

Ein Gespräch mit Naushirwan Mistefa Emin (PUK)

Naushirwan Mistefa Emin gilt als Stellvertreter Jalal Talabanis und damit als zweitwichtigster Mann der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). In der 1975 als Parteienfront gegründeten Bewegung hat­te er nach der Ermordung von Shaswar Celal 1978 die Führung der Komele, der „Liga der Werktätigen“ übernommen. Aus dieser linken Fraktion innerhalb der PUK stammte der Großteil der aktiven Peshmerga. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 vertrat er die PUK in Bagdad und gehörte damit zu den einflußreichsten kurdischen Politikern in Irak. Er spielte dabei nicht nur eine wichtige Rolle bei der Ernennung kurdischer Regierungsmitglieder, son­dern auch bei der Wahl Jalal Talabanis zum neuen irakischen Präsidenten. In der jüngsten Vergangen­heit trat er zudem immer wieder als innerparteilicher Kritiker der PUK in Erscheinung, was seinen Ruf als integerem Politiker innerhalb der kurdischen Partei­en entgegenkam. Mit ihm sprach Thomas Schmidinger in Sulemaniya.

Was bedeutet die Wahl Jalal Talabanis zum Präsidenten des Irak für die Kurden und füt den Irak?

Bis jetzt gab es eine Art politischer Apartheit im Irak. Wenn du ein Kur­de bist, hast du kein Recht Präsident oder Premierminister zu werden. Selbst wichtige Ministerien, wie das Verteidigungs-, Aussen- oder Innenministerium waren für Kurden tabu. Wir wollen mit dieser politischen Tra­dition brechen und ei­nen Staat auf Basis der Gleichheit aller Staats­bürger aufbauen. Wenn wir wirklich gleich sind, dann können wir auch jede Position im neuen Irak einnehmen.

Bis jetzt waren wir weit weg von den Entscheidungen in Bagdad. Von jetzt an wollen wir ein Partner jener Gruppen sein, die Entscheidungen fällen. Des­halb brauchen wir eine starke Position in Bagdhad.

Was bedeutet die Abmachung zwischen PUK und KDP, dass Jalal Talabani Präsident wird und Masud Barzani von der KDP Chef der Autonomieregion, für das Verhält­nis zwischen den großen kurdischen Par­teien? Ist das Amt des Präsidenten nicht ein weitgehend symbolisches und Bagdad noch immer weit weg von Kurdistan?

Nein, Badgad ist die Haupt­stadt des Irak und Kurdistan ist ein Teil des Irak.

Darf man das auch so in­terpretieren, dass die Wahl Talabanis zum Präsiden­ten, Kurdis­tan wieder stärker in den Irak rückt? Garantiert die Wahl ei­nes kurdischen Präsidenten die Einheit des Landes?

Ja, die neue Regie­rung wird sicher zur Einheit des Lan­des beitragen. Die sunnitischen Araber haben nichts gegen die Wahl Talabanis und wir konnten uns auch mit den Schi­iten einigen. Die neue Regierung wird alle wichtigen Elemente der irakischen Bevölkerung zusammenbringen.

Gibt es einige Punkte, die für das Verbleiben der Kurden in einem gemein­samen Staat unabdingbar sind? Oder anders gefragt: Könnten sie sich eine Situation vorstellen bei der die Kurden doch noch dem Irak den Rücken kehren könnten?

Nein, denn es ist im Interesse der Kurden im Irak zu verbleiben. Die Zeit kleiner Nationalstaaten ist vorbei. Wenn wir unsere nationalen Rechte als Kur­den im Irak garantiert bekommen und zum wirklichen Partner werden, kön­nen wir die Unterstützung von 22 ara­bischen Staaten erhalten. Dann können zum Beispiel auch unsere StudentInnen von arabischen Universitäten in 22 Staa­ten profitieren. Unsere Wirtschaft kann vom arabischen Markt in 22 Staaten profitieren, von den arabischen Erfah­rungen. Schließlich gibt es fast 300 Mil­lionen Araber.

Was sind in diesem Falle die nächsten Ziele ihrer Partei? Wie positioniert ihr euch in Bezug auf Kirkuk oder die Frage eines laizis­tischen oder religiösen politischen Systems?

Kirkuk ist sicher für alle Kurden eine wichtige Frage. In Bezug auf einen islamischen Staat kann ich sie aber be­ruhigen. Niemand hier will ein religiö­ses politisches System, nicht einmal die schiitischen Parteien. Sie fordern ledig­lich den Respekt vor der Religion der Mehrheit der irakischen Bevölkerung ein, fordern aber kein theokratisches Regime.

In Europa gibt es jedoch nicht nur Angst vor einem islamischen Staat im Irak. Auch noch zwei Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins gingen große Teile der Linken in Europa auf die Straße um gegen den Krieg zu demonstrieren. Was denken sich irakische Linke dazu?

Die irakische Opposition zahlte ei­nen sehr hohen Preis für ihren Kampf gegen Saddam Hussein, konnte ihn aber trotzdem nicht stürzen. Deshalb musste Saddam Hussein und das Ba’th-Regime durch eine Intervention von aussen ge­stürzt werden. Die Situation hier war ähnlich jener in Deutschland unter den Nazis. Auch dort war die Opposition nicht in der Lage selbst die Diktatur zu stürzen. So sehen wir eine Parallele zwi­schen der amerikanischen Intervention im Irak und der Landung der Allierten in der Normandie, die ja der Beginn zur Demokratisierung ganz Europas war. Die Demokratisierung des Irak ist ein Erfolg. Das haben nicht nur die Wah­len im Jänner gezeigt. Wir sehen bereits jetzt, dass der Wind der Demokratie hier in der Region vom Irak ausgeht. Es wird nun über die Verfassung in Ägyp­ten debattiert, es gibt eine Frauenbewe­gung in Kuwait, Demonstrationen im Libanon und sogar in Saudi-Arabien fanden Gemeinderatswahlen statt. Das wäre ohne die Demokratisierung des Irak nicht möglich gewesen.

Sie waren einer der prominenten innerpar­teilichen Kritiker der PUK, die vor kurzem einen offenen Brief an Jalal Talabani ge­schrieben haben und darin innerparteiliche Reformen gefordert haben. Was sind denn die wichtigsten Kritikpunkte und Forderungen von ihnen an die eigene Partei?

Sehen sie, das ist der Hauptunter­schied zwischen der PUK und anderen Parteien im Irak und im Nahen Osten. Wir haben ein gewisses Maß an De­mokratie innerhalb unserer Partei. Wir können frei unsere Parteiführung kriti­sieren, unser Programm und unsere kon­krete Politik diskutieren. Wie sie wissen wurde die PUK nach dem Zusammen­bruch der kurdischen Revolution 1975 gegründet. Wir begannen damals mit einem Guerillakrieg und einer Unter­grundorganisation. In dieser Zeit eines harten und blutigen Kriegs mit dem Ba’th-Regime war unsere Partei eine Guerillabewegung mit allen Strukturen die für die Bekämpfung des Ba’th-Regimes notwendig waren. Jetzt wurden wir zu einer neuen Partei, die am politi­schen Prozess teilnimmt. Wir brauchen dafür andere Strukturen, andere Pro­gramme und Instrumente. Dafür ist es notwendig transparent zu arbeiten. Wir brauchen eine kollektive Parteiführung. Entscheidungen sollen in Zukunft kol­lektiv gefällt werden. Und wir brauchen den Kampf gegen Korruption innerhalb der Regierung und der Partei.

Vor diesem Hintergrund wollen wir unser politisches Denken und Handeln erneuern und damit auch ein Modell für die anderen Parteien schaffen.

Und denken sie dass ihre Intervention Er­folg hatte? Sehen sie schon konkrete Resultate?

Ja, diese Intervention war sogar sehr erfolgreich. Nach den Regionalwahlen haben wir nun zum Beispiel ein neues Parlament. In diesem neuen Parlament wird unsere Fraktion in Zukunft immer wieder die Minister befragen. Wann im­mer der Verdacht auf Korruption auf­taucht — und damit meine ich nicht nur Bestechung mit Geld sondern auch Ne­potismus — werden wir den Minister zur Verantwortung ziehen. Unsere Fraktion wird das jährliche Budget überwachen und damit eine finanzielle Transparenz herstellen. Das neue Regionalparlament wird nicht nur die Funktionen des bis­herigen Regionalrates haben, sondern ein voll funktionstüchtiges Parlament mit allen Kontrollrechten sein, das die Regierung bestellen und entlassen kann.

In Zukunft wird es also auch nur eine kur­dische Regionalregierung geben und keine PUK-Regierung in Sulemaniya und eine KDP-Regierung in Arbil?

Ja, wir haben nun bereits ein ge­meinsames Parlament und wir werden versuchen die Administration zwischen Sulemaniya und Arbil zu vereinheitli­chen.

Führt die von ihnen angestrebte Erneue­rung der PUK auch zu einer kritischen Debatte über Fehler der Vergangenheit?

Welche Fehler meinen sie?

Zum Beispiel den Mangel an Demokratie für andere Parteien. Es gab ja nicht nur den Parteienkrieg zwischen PUK und KDP, sondern auch die Repression gegen die ArbeiterkommunistInnen.

Kein einziger Arbeiterkommunist sitzt bei uns im Gefängnis. Wir hatten Kämpfe mit den jenen Fraktionen der Islamisten, die wie die Ansar al-Islam, Teil der al-Qaida sind. Es gibt eine Be­drohung durch deren Terror. Europa hat uns ja nie geglaubt, wenn wir auf die Gefährlichkeit dieser Gruppierung aufmerksam gemacht haben. Aber die Arbeiterkommunisten haben ja damit nichts zu tun und sie können deshalb hier auch öffentlich arbeiten.

Ja, man sieht sie ja manchmal auch Flug­blätter verteilen, aber sie beschweren sich zum Beispiel darüber, dass ihre Partei nicht legal ist und immerhin kam es vor einigen Jahren bei der Schließung ihres Büros durch die PUK zu einigen Toten auf Seiten der Ar­beiterkommunisten.

Wir würden es begrüßen wenn sie sich legal registrieren lassen. Aber sie anerkennen unsere Regierung nicht und deshalb haben sie sich nicht re­gistrieren lassen. Was diesen Vorfall bei der Schließung ihres Büros betrifft waren es glaube ich nur vier oder fünf Tote. Das war noch vor dem Sturz Sad­dam Husseins und es war für uns eine sehr gefährliche Situation. Immerhin hatten sich nicht nur Iraker, sondern auch Iraner, Afghanen und Palästinen­ser bei ihnen verschanzt. Sie hatten auch sich damals durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit bei den Nachbarn sehr unbeliebt gemacht. Wir baten sie daraufhin nicht nur eine Genehmigung einzuholen, sondern auch ihr Büro an einen Ort zu verlegen wo sie weniger Leute stören. Sie haben sich jedoch geweigert diesen Anordnungen Folge zu leisten und danach kam es zu dieser Auseinandersetzung.

Heute könnten sie sich aber registrieren las­sen und offen arbeiten?

Ja, jede Gruppierung die nichts mit dem Terror zu tun hat, kann heute hier arbeiten. Wir sind zwar noch keine voll­ständig funktionierende Demokratie, aber auf dem Weg dorthin.

Anmerkung: Dankenswerterweise hat Dipl.-Ing. Hawrre Talabani, Ak­tivist der Patriotischen Union Kur­distans (PUK), auf seinen Beitrag in Context XXI zugunsten des Inter­views mit Naushirwan Mistefa Emin verzichtet.

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