MOZ, Nummer 43
Juli
1989
Nichts geht mehr:

Wohin mit dem Atommüll?

Österreichs Atommüll-„Entsorgung“ ist ein Skandal der Sonderklasse. Klein, aber fein. Die Hauptdarsteller — Politiker, Wissenschafter, Techniker — geben oder zeigen sich uninformiert, hinter’s Licht geführt, im Stich gelassen, überfordert.

Bild: Österreichisches Ökologieinstitut

Daß der Hut brennt, wissen alle „Verantwortlichen“ schon lange: weit über 5.000 Fässer mit schwach- und mittelaktivem Atommüll strahlen derzeit im Forschungszentrum Seibersdorf vor sich hin. Der kleine Flecken in Niederösterreich wurde kurzerhand als „Zwischenlager“ deklariert. Endlager gibt es keines, obwohl die besten Köpfe dieses Landes seit geraumer Zeit mitbekommen, daß die Atomdrecklawine wächst und wächst. Sie kommt aus Spitälern, Forschung und Industrie, aus den Atommüllinstitutionen der Universitäten, Labors (z.B. auch aus jenem der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien) und last not least aus dem Forschungszentrum Seibersdorf selbst. Zum Drüberstreuen gabs nach der Katastrophe in Tschernobyl noch eine ganze Menge radioaktiver Filterstäube und strahlenverseuchtes Gerümpel.

Damit gleich ein gezielt in Umlauf gesetztes Gerücht zerstreut wird: die Spitäler sind nur nach dem Volumen die Hauptlieferanten des Atommülls (43,3%), gefolgt von der Industrie (31,7%), Forschung und Entwicklung (20,9%) und Seibersdorf (13,3%). Nach der Gesamt-Aktivität liegen die Industrie mit 83,3% der Beta- und 58,3% der Gammaaktivität sowie das Forschungszentrum Seibersdorf mit 70% der Alpha-Aktivität bei weitem an der Spitze, gefolgt von der Industrie mit 19,4%. Die Alpha-Aktivität — insgesamt 108 Curie (1 Ci entspricht 37 Milliarden radioaktiven Zerfällen pro Sekunde) — stammt vor allem vom Plutonium, der giftigsten Substanz, die der Mensch je in die Umwelt gebracht hat. Beta-Strahler sind Strontium-90 und Tritium. Kobalt-60, das etwa für medizinische Zwecke, aber auch zum Bestrahlen von Lebensmitteln eingesetzt wird, ist ein Gamma-Strahler. Gamma- und Betastrahlung geben Cäsium-137, die alte Tschernobylbekannte, und Jod-131 ab. Insgesamt beträgt die Beta-Aktivität des österreichischen Atommülls 718 Curie, die Gamma-Aktivität 4.700 Curie.

Es ist also keine Tarnbehauptung, daß der größte Teil des radioaktiven Abfalls aus der medizinischen Anwendung stammt und somit den Patienten zugute kommt.

Ein Skandal im Skandal: Niemand weiß, wie sich der Atommüll chemisch zusammensetzt, mit welchen anderen Stoffen er vermischt ist. Einige Experten halten es aber für „denkbar“, daß es da durchaus um „chemischen Sondermüll“ gehen könnte. Unbekannt ist auch, welcher Atommüll von wem und zu welchem Zweck im Detail produziert wird. Auch das Österreichische Institut für Gesundheitswesen hat im Rahmen seiner „Abfallerhebung 1984 in Betrieben“ nichts zur Aufklärung beigetragen und über „lückenhafte oder widersprüchliche“ Antworten der angeschriebenen Industrie- und Gewerbebetriebe geklagt. Das Institut berechnete damals eine jährliche Gesamtmenge von 7 Tonnen radioaktiver Abfälle.

Wohin mit dem Atommüll?

Die Notwendigkeit eines Atommüllendlagers war auch den größten Siebenschläfern dieses Landes spätestens 1980 bekannt. 1981 wurde das Forschungszentrum Seibersdorf von der Bundesregierung beauftragt, eine entsprechende Studie auszuarbeiten. Diese Studie, erarbeitet von 8 Arbeitsgruppen, lag 1985 vor — und wurde im Geheimfach schubladiert. An die 30 mögliche Standorte für das Endlager waren diskutiert worden. 16 Standorte blieben letztlich über. Die betroffenen Gemeinden erfuhren erst Anfang 1988 von ihrem „Glück“: aus Zeitungsartikeln! Dabei hatte der Seibersdorfer Bürgermeister schon 1986, nach dem Super-GAU in Tschernobyl, erklärt: „Das Forschungszentrum ist sowohl personal- als auch lagerkapazitätsmäßig überfordert. Die Regierung muß Endlagerpläne schaffen. Sonst sehe ich mich gezwungen, jede weitere Lagerung radioaktiven Abfalls in Seibersdorf zu unterbinden.“

Bis zum Ende dieses Jahres sollen aus den 16 bisher ausgewählten Standorten für das Endlager (siehe Karte) möglicherweise zwei Plätze ausgewählt werden: einer für ein Endlager (Typ A), das etwa 300 Jahre von der Umwelt abgeschlossen wird, für Abfälle mit geringer Anfangstoxizität und Halbwertszeit, und ein Ort für ein Endlager Typ B auf etwa 1.000 Jahre für Abfälle mit langer Halbwertszeit und hoher Aktivität (zirka 10% des österreichischen Atommülls).

Denkbar ist auch ein einziger Standort. Welcher Weg aber auch immer beschritten wird: das Problem ist nicht nur auf radioaktive Abfälle beschränkt. Alle „Experten“ haben mehr als angedeutet, daß — nachdem endlich ein Standort durchgedrückt wurde — gleichzeitig auch Giftmüll gelagert werden soll.

Da sind die Seibersdorfer Forscher ebenfalls Spezialisten. Seit Jahren experimentieren sie mit einer Demonstrationsanlage für die Verbrennung chemischen Sondermülls. Als 1988 aufflog, daß dort auch 6.850 Fässer Atommüll aus dem italienischen Atomkraftwerk Caorso verbrannt wurden, ward der Skandal perfekt. Es stellte sich heraus, daß nicht einmal die Aufsichtsbehörden informiert waren und daß diese besondere Art von Mülltourismus von Seibersdorf in eigener Machtvollkommenheit entschieden wurde. Einer der vielen Staaten im Staate. Nach außen hin wurde der ganze Deal als Forschung verkauft. Seibersdorf-Geschäftsführer Peter Koss meinte, es sei nur um die „Erprobung einer neuen Verbrennungsanlage für Problemmüll“ gegangen: „Radioaktive Stoffe eignen sich am besten zum Markieren der Verbrennungsrückstände. Auch geringste Spuren davon können noch meßtechnisch erfaßt werden.“

Was heißt, daß die Umgebung des Forschungszentrums als Testgelände benutzt wurde. Ein Stör- oder Unfall hätte unabsehbare Folgen haben können.

Strafanzeige gegen das Forschungszentrum

Rund um Seibersdorf traut sich aber niemand gegen das allmächtige Forschungszentrum aufzumucken. Denn in fast jeder Familie gibt es wenigstens ein Mitglied, das in Seibersdorf arbeitet oder in irgendeiner Form von dort abhängig ist.

Daß das italienische Atomkraftwerk Caorso auf der Schmiergeldliste des deutschen Nuklearunternehmens NUKEM stand, daß vieles an diesen ganzen Geschäften nicht gerade koscher aussieht, daß der dritte Nationalratspräsident Gerulf Stix Strafanzeige gegen die Seibersdorfer Geschäftsführung erhob, weil Geschäftsführer Koss ihm gegenüber nur von einem Import von 100 bis 200 Fässern gesprochen habe (Stix: „Ich muß einbekennen, daß ich hinter’s Licht geführt worden bin.“), ist heute längst Makulatur. Vergessen im Strudel nichtendenwollender Skandale. Nur so nebenbei stellte sich heraus, daß Österreich auch für dubiose Atommülltransporte als Durchhaus herhalten muß. Sogar als „Leergut“ deklarierte Bahnfracht mit extrem gefährlichen Materialien (radioaktives Kobalt) wurde entdeckt.

Politiker, Behörden und Bürger werden für blöd verkauft. Auch eine Art von Konditionierung ...

Wie lüstern die Seibersdorfer auf eine Kombilösung Atommüll/hochgiftige Abfälle aus der Industrie sind, ließ der zweite Geschäftsführer von Seibersdorf, Windfried Schenk, durchblicken. Er sagte: „Es gibt keine konkrete Untersuchung über die Art und die anfallende Menge. Hier könnte es aber durchaus sein, daß den Ländern der Schwarze Peter zugespielt wird. Diese Stoffe müssen mit der gleichen Sicherheit gelagert werden wie die atomaren Abfälle.“ Angesichts des Seibersdorfer Atommüll-Giftmüll-Skandals sollte nicht vergessen werden, daß das Forschungszentrum mit über 200 Millionen Schilling aus Steuermitteln subventioniert wird. Der Wiener Biologe und Atomenergie-Kritiker Peter Weish erklärte dazu: „In Zeiten, in denen für den Umweltschutz praktisch kein Geld vorhanden ist, fließen in Seibersdorf offensichtlich zweistellige Millionenverträge in die Subventionierung der ausländischen Nuklearindustrie“ (Umweltschutz, 3/1988).

Ob das Atommüll-Endlager so gewählt wird, daß auch die Deponierung von festem konditioniertem Chemiemüll möglich ist (Isolationszeitraum bis zu 100.000 Jahre), ist noch immer nicht klar oder wird verschwiegen. Richtig schreiben daher Peter Bossew und Antonia Wenisch vom Wiener Öko-Institut: „Es ist Sache der Regierung und der übrigen verantwortlichen Politiker und Behörden, im voraus offen darzulegen und zu deklarieren, wonach gesucht wird. Schließlich ist es ein gravierender Unterschied, ob in einer Region ein Atommüllager liegt, in das pro Jahr ein paar hundert Fässer eingelagert werden, oder ob dort eine Deponie und Recycling- und Konditionierungsanlagen für Sondermüll errichtet werden sollen.“

Die Befürchtungen der beiden Autoren sind nicht von der Hand zu weisen:

Zunächst wird ein Atommüllager errichtet. Wenn dann noch immer keine Deponie für gefährlichen Giftmüll vorhanden ist, könnte leicht ein Teil des schon vorhandenen Atommüllagers umfunktioniert werden ...

Was bisher nicht eben vielen bekannt ist: Aus dem Jahr 1985 existiert noch eine zweite Studie: zusammen mit dem Atommüll sollen jährlich auch rund 3.000 Tonnen toxische Sonderabfälle verscharrt werden.

Widerstand gegen radioaktiven Müll

Daß etwas nicht stimmt, spüren offenbar auch die Bürger. Die Reaktionen auf die Bekanntgabe der 16 möglichen Standorte in den Medien 1988 waren entsprechend. Der Imster Bürgermeister Manfred Krimser sagte: „Die Bürger der Stadt sollen über dieses Problem entscheiden. Ich würde in jedem Fall eine Volksbefragung in die Wege leiten.“ Auch Wörgl war im Gepräch. Bürgermeister Fritz Atzl erklärte: „Das ist der absolute Gipfelpunkt. Wenn man daran denkt, uns auch noch den radioaktiven Müll vor die Haustür zu knallen, dann wird es Widerstände geben, gegen die alles, was man an sich als Widerstand bezeichnet, ein Mailüfterl ist ... Ich befürchte, daß es dann Aktionen geben wird, die die gesetzlichen Grenzen überschreiten!“

Zum Standort Matrei im Amertal ließ Umweltlandesrat Sepp Oberkirchner wissen: „Der Bereich gehört zum Nationalparkgebiet. Undenkbar, dort ein Sondermüllendlager zu errichten.“

In Sitzenberg, Niederösterreich, kündigte der Bürgermeister einen sofortigen Investitionsstopp für den Fremdenverkehr sowie seinen Rücktritt an, sollte das Endlager kommen. Für den oberösterreichischen Umweltlandesrat Josef Pühringer kommen die genannten Standorte nicht in Frage. Ähnlich scharf ablehnend sind die Reaktionen in der Steiermark. Der berühmte Schilcher-Wein wird schon als „Strahlenopfer“ gesehen. Letzte Meldungen: Alle mündigen Bürger werden sich zu wehren wissen, wenn das Dürrnberger Salzbergwerk ausgesucht wird. „Geologisch gesehen sind wir ein Erdbebengebiet und daher für eine solche Deponie nicht geeignet, ganz abgesehen davon, daß sich Atommüll und Fremdenverkehr nicht vereinbaren lassen.“ So der Obmann des Umweltausschusses im Gemeinderat von Spital am Pyhrn, Stefan Hackl.

Den besorgten Bürgern vorzuwerfen, sie huldigten dem „Florianiprinzip“, ist eine beliebte Taktik von Politikern — und absolut unfair. Denn die Bürger machen sich zurecht Sorgen.

Sie werden nicht informiert, es wird gelogen, vorgeschoben, verheimlicht. Und es gibt massive Sachargumente. Eines von vielen ist besonders gravierend. Österreich gehört zu den durch Tschernobyl am allermeisten belasteten Ländern. Jedes Quantum Strahlung, auch die sogenannte Niedrigstrahlung, ist schädlich. Schädlicher, als man bis vor kurzem annahm. Das ergab sich aus neuen Analysen der Strahlung in Hiroshima und Nagasaki. Da die Neutronenstrahlung weit überschätzt wurde, müssen die Toleranzwerte bei Erwachsenen um das Dreifache, bei Kindern sogar um das Zehnfache niedriger angesetzt werden.

Und wie immer sprechen die „Verantwortlichen“ nie von Müllvermeidung. Allenfalls wurde damit spekuliert, den lästigen Dreck ins Ausland zu bringen. Dieser schmutzige Mülltourismus in Entwicklungsländer oder in den Ostblock ist aber nicht zu rechtfertigen. „Wir halten diese Geschäfte für verbrecherisch, und sie sollten mit aller Kraft bekämpft werden, auch wenn das gegen die freie Marktwirtschaft ist.“ So formulierten es P. Bossew und A. Wenisch vom Öko-Institut.

Kein Politiker sollte sich wundern, daß die Menschen kein Vertrauen mehr haben. Bis heute werden die Gefahren der Atomenergie von Seibersdorf verharmlost. Jahrelang wurde statt Information Werbung für die Atomenergie betrieben, wurden Halbwahrheiten und unvollständige Angaben verbreitet. Die Worte „Entsorgung“ und „Nuklearpolitik“ wurden erfunden, um das Atomabfallproblem zu verschleiern. Auf Sozialverträglichkeit wurde gehustet, auf Ökologie sowieso.

Jetzt setzen sich die mißtrauisch gewordenen, getäuschten BürgerInnen zur Wehr. Nichts geht mehr. Und das ist nicht ihre Schuld. Das lag und liegt an jenen, die Bürgerbeteiligung an den entscheidenden Lebensfragen, an Sein oder Nichtsein eines ganzen Lebensraums nicht ernst nehmen.

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