FŒHN, Heft 9
Januar
1987

Zum Beispiel der Transitverkehr

Warum fahren Strangen von LKWs Tag für Tag und Nacht für Nacht unablässig quer durch Europa? Warum werden dabei gleichartige Güter aneinander vorbei von Norden nach Süden und von Süden nach Norden transportiert? Zu wessen Gunsten? Zu wessen Lasten? Wer schickt sie? Wer erwartet sie? Warum müssen sie, bis sie an End und Ort sind, viele Male durch Tirol durch? Wer zahlt die Fuhr?

Der Verkehr ist ein Mittel, den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf auszutragen. Das Schlachtfeld hierbei sind die Märkte, die Anmarschstraßen sind die Autobahnen. Wer mehr und bessere (billigere, schnellere) Verkehrsmittel einsetzen kann, wird den Kampf für sich entscheiden.

In der Ware ist so viel möglicher Gewinn enthalten, daß die Transportkosten für eine Verfrachtung über 1000 km ohne weiteres abzugelten sind.

Andererseits will der Unternehmer natürlich den ganzen Gewinn — ohne Transportkostenabzug — einstreichen. Allein die zwangsläufige Überproduktion im Kapitalismus (nicht nach den Bedürfnissen wird produziert, sondern nach den Gesetzen des Gewinns, was Konzentration, Rationalisierung, Ausdehnung der Produktion mit sich bringt) zwingt den Unternehmer, neue Märkte für seine Ware zu suchen. Dies umso mehr, als ihm die Konkurrenz ihrerseits seine eigenen Märkte streitig macht.

Es handelt sich bei den transportierten Gütern jedoch nicht durchwegs um Fertigwaren, ja nicht einmal vorwiegend. Vielfach geht es um den Transport von Teilfabrikaten von einem Fertigungsort über Hunderte Kilometer zum nächsten. Große Konzerne lassen die einzelnen Teile ihrer Produkte an den jeweils günstigsten Produktionsorten, verstreut über die ganze Welt, herstellen. Es gibt Spezialisten, die den jeweils vorteilhaftesten Produktionsstandort (Lohnniveau, Steuerleistung, Energiekosten, öffentliche Förderung, Umweltauflagen) auf dem Kontinent und darüber hinaus ausfindig machen. Produziert wird dann, wo es am billigsten ist: Hemdkragen da, Knopfleiste dort. Der ständige Verkehr zwischen den einzelnen Produktionsstätten für ein Produkt sorgt dafür, daß die Vorteile des gewählten Standortes zum Tragen kommen. (Das IKEA- Möbelhaus verrät in einem Katalog das Geheimnis seiner „tiefen Preise“: „Daß wir für unsere Möbel so wenig Geld verlangen, hat nämlich viele gute Gründe. Einer davon ist, daß wir nicht alle Teile bei einem einzigen Hersteller kaufen. Sondern jedes genau dort, wo es am besten und günstigsten produziert werden kann. In den verschiedensten Ländern. Bei den verschiedensten Lieferanten.“)

Der durch die Warenproduktion hervorgerufene Verkehr beginnt natürlich mit der Heranschaffung der Rohstoffe. Häufig gilt, je entfernter das Ursprungsland, desto billiger sind diese zu haben. Die Grundstoffe werden nun dahin transportiert, wo billige Arbeitskräfte vorhanden sind. Seit einigen Jahrzehnten gibt es jetzt einen Zuzug billiger Arbeitskräfte aus den wirtschaftlich unterlegenen europäischen Randgebieten zu den Industriezentren, der dazu geführt hat, daß die großen Betriebe das billige Arbeitermaterial auch an Ort und Stelle zur Verfügung haben. Dadurch möglicherweise ausgefallener Güterfernverkehr ist durch den sogenannten Gastarbeiterverkehr mehr als wettgemacht worden. Statt hin zur billigen Arbeitskraft heißt es da, her mit der billigen Arbeitskraft, wobei sie selbst für ihre Heranschaffung aufzukommen hat. Was bleibt, ist der Verkehr.

Erschließung für wen?

Der Bau der Verkehrswege scheint ein einfaches, natürliches, demokratisches, kulturelles, zivilisatorisches Unternehmen zu sein. In Wirklichkeit dienen diese Anlagen der Unterdrückung von Millionen Menschen in den abhängigen Ländern und der Lohnarbeiter in den Problemregionen unserer Breiten. Autobahnen sind somit ein Werkzeug der Unterwerfung ganzer Gebiete, das heißt, die dort lebenden Menschen werden gezwungen, für das Kapital der Zentren zu arbeiten. Der Bau von Straßen wird uns erklärt als Anschluß „unterentwickelter“ Regionen an die Metropolen. In Wahrheit erschließen sie ebendiesen Metropolen Arbeitsmärkte und Verbrauchermärkte. Verkehr ist also ein Mittel der Ausbeutung der sogenannten unterentwickelten Länder und Landesteile, nicht nur hinsichtlich ihrer Bodenschätze, sondern auch ihres Arbeitskräftepotentials.

Die arbeitsteilige Produktion führt zu einer ständig wachsenden Konzentration auf der Seite der Hersteller. Immer weniger Betriebe haben einen immer höheren Produktions- und Marktanteil, immer weniger Konzerne bestimmen über immer größere Gebiete und über immer mehr Menschen.

Der in die Waren hineingearbeitete Gewinn kann nur durch den Verkauf der Ware in bare Münze umgesetzt werden. Es ist der Sinn der Gütererzeugung, die Güter zu verkaufen. Das Produkt, zu dessen Endfertigung die Bestandteile aus allen Ecken des Kontinents in den Mutterbetrieb gefahren worden sind, muß nun auf die regionalen, nationalen und internationalen Märkte gebracht werden.

Unser System ist ja nicht gekennzeichnet durch zu geringe Produktion, sondern durch Überproduktion. Daraus erwächst der Zwang, immer neue und immer entferntere Märkte zu erobern. Je entwickelter die Produktion ist, desto notwendiger ist der Kampf um die Käufer, und desto hemmungsloser tobt er. Das Schlachtfeld, auf dem sich die Konkurrenten in diesem Wirtschaftskrieg gegenüberstehen, wächst ständig, und die Flotte, mit der er geschlagen wird, ist die LKW-Flotte. Die Explosion des Güterverkehrs, die in keinem normalen Verhältnis zum Wirtschaftswachstum steht, deutet hin auf die Eskalation dieses Kampfes um die Märkte.

Die Straße entspricht dem profitwirtschaftlichen System weit mehr als die starre Schiene. Der LKW ist eine schnelle, wendige Waffe im Ringen um die wirtschaftliche Vorherrschaft. Mit ihm kann der Konkurrenzkampf auf Leben und Tod ausgefochten werden — auf Kosten der Fahrer, der Anrainer, der Natur.

Die Ware wird dort verkauft, wo der höchste Gewinn zu erzielen ist. 100 Tonnen Tomaten in Neapel oder in München, das macht einen Unterschied, der den Transport mehr als bezahlt macht. Freilich auch nicht viel mehr, da ja alle Händler es versuchen. Der Wert der Ware Tomate verwirklicht sich erst in ihrem Verbrauch, das heißt, sie muß dorthin geschafft werden, wo der Verbrauch gegeben ist. Die Konzentration auch auf dem Agrarsektor, die industrielle Produktion von Obst und Gemüse, Milch und Fleisch, hat dazu geführt, daß am einen Ende des Festlandes Salatgurken und am anderen Ende Tomaten hergestellt werden. Der Markt aber ist kein nationaler oder gar regionaler, sondern ein europäischer. Also müssen Salatgurken und Tomaten über tausend und mehr Kilometer in alle Teile des Kontinents transportiert werden. Großen Betrieben, der Agrarindustrie, ist es natürlich möglich, ihre Ware in alle Länder zu verfrachten und die kleinen Anbieter auf deren lokalen Märkten aufgrund der kostengünstigeren industriellen Fertigung kaputtzukonkurrenzieren. Das Ergebnis ist: weitere Konzentration, immer weniger Großbetriebe haben immer mehr Marktanteil, ihre Anbaufläche wird noch größer, ihre Herstellungsweise wird noch weiter rationalisiert, die Überproduktion schwillt noch mehr an, der Kampf um den Absatz wird noch rücksichtsloser geführt, der Angriff auf die Märkte muß auf noch mehr Straßen mit noch mehr Fahrzeugen geführt werden. Dieser unerbittliche Konkurrenzkampf zwischen den Produzenten eröffnet der Transportwirtschaft das Riesengeschäft. Logischerweise tobt innerhalb der Transportwirtschaft auch wieder ein brutaler Kampf um Anteile. Er hat beispielsweise in Tirol im vergangenen Jahr dazu geführt, daß die Zahl der Frächtereibetriebe bei Zunahme der eingesetzten Fahrzeuge um mehr als drei Prozent abgenommen hat.

Straße oder Schiene?

Im Bericht, der bei einem ›Roundtable-Treffen der europäischen Industrie‹ vorgelegt wurde, stand zu lesen: „Der Roundtable of European Industrialists ist besonders über die Mängel der grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen besorgt. Zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit muß die europäische Industrie eine höhere Produktivität des investierten Kapitals erreichen. Sie darf deshalb bei großräumigen Markt- und Produktionsstrategien durch mangelhafte Transporteinrichtungen nicht behindert werden. Europa kann sich nur zu einem einheitlichen und wachsenden Markt entwickeln, wenn der bestmögliche Transport von Menschen, Gütern, Kapital und Ideen gewährleistet ist.“ (›Missing Links. Bericht zur Vorlage beim Roundtable-Treffen der europäischen Industrie‹, 1984)

Die Verteilung des Autobahnnetzes, die Ungleichmäßigkeit dieser Verteilung, die Ungleichmäßigkeit seiner Entwicklung — das sind Erzeugnisse des modernen Kapitalismus.

Die Straße ist der dem sogenannten freien Markt in idealer Weise entsprechende Verkehrsweg. Der LKW ermöglicht den ständigen Transport kleiner Warenmengen und damit die Einsparung von Lagerhaltungskosten bei den Betrieben. Die Profite der Industrie werden nicht mehr durch die Anlage großer und teurer Lagerhäuser geschmälert. Wenn also weniger auf Vorrat produziert wird, weil alles gleich ausgeliefert wird, ist weniger Kapital in Waren gebunden, das heißt, es ist produktiv nutzbar. Die Umschlagszeit des eingesetzten Geldes wird kürzer.

Die Straße ist der dem sogenannten freien Markt in idealer Weise entsprechende Verkehrsweg. Die LKW-Lenker sind fast grenzenlos belastbar, auf ihre gesundheitlichen und finanziellen Kosten können zusätzliche Marktanteile herausgefahren werden.

Die Straße ist der dem sogenannten freien Markt in idealer Weise entsprechende Verkehrsweg. Weder die erzeugende Industrie noch die Transportwirtschaft hat die Verbindungswege zwischen den Rohstoffquellen und den verschiedenen Produktionsstätten bzw. zwischen den Auslieferungslagern und den Märkten herzustellen. Ja, sie haben nicht einmal für die von ihnen verursachten Schäden an dem ihnen hingestellten Fernstraßennetz aufzukommen.

Der Lastwagenverkehr verursacht gegenüber dem Personenwagenverkehr einen weitaus höheren Strassenbau- und Unterhaltsaufwand. Breitere Straßen, größere Lichtraumprofile, Kriechspuren und stärkere Fahrbahnen verteuern den Bau. Höhere Fahrleistung und höherer Achsdruck führen zu stärkerer Strassenabnützung und steigern damit die Unterhaltskosten.

Wir bezahlen den Bau der Straßen. Wir zahlen Mautgebühren und Mineralölabgaben. Wir zahlen mit dem Verlust unserer Gesundheit und mit dem Absterben der Natur. Wir bezahlen Umweltschutzmaßnahmen und Umweltreparatur. Und wir zahlen die Transportkosten durch den Kauf der transportierten Waren.

Die Bahn hingegen muß sich ihre Schienenwege selbst bauen und muß Reparaturen selbst bezahlen. Ein weiterer Grund dafür, warum die Bahn gegen den Straßentransport nicht ankann, ist, daß in ihren entscheidenden Gremien die Privatindustrie sitzt. Bei der Deutschen Bundesbahn haben Konzerne wie Siemens und Mercedes das Sagen. Im Verwaltungsrat der ÖBB, neben dem zweiköpfigen Vorstand das wichtigste Organ dieses Betriebes, sitzen Bankiers, Unternehmer und Manager großer Firmenkomplexe dicht an dicht.

Die Folge davon ist die völlige Umkehrung des Verhältnisses von Straßengütertransitverkehr und Bahngütertransitverkehr. 1970 wurden erst halb soviele Güter auf der Straße durch Österreich transportiert wie auf der Schiene, 1983 aber schon doppelt soviele per LKW wie per Bahn.

Wem gehört die EG?

Die Bedingung, auf allen Märkten konkurrieren zu können, ist der Zugang zu ihnen. Die Billigkeit des Straßengütertransports (besonders durch Österreich) hat den Einfluß der Großkonzerne sehr gefördert. Der freie Markt ist ja nur ein sogenannter freier, in Wahrheit ist er durch eine Fülle von staatlichen Interventionen, einseitigen Förderungen, ungleichmäßigen Lastenverteilungen einerseits und privatwirtschaftlichen Kartellen und Monopolen andererseits geradewegs dessen Fratze. Die beherrschenden Konzerne bedienen sich mehr denn je der nationalen und internationalen Institutionen, um ihre Interessen durchzusetzen.

So unterliegt aufgrund der Macht der großen Industrie deren werkseigener Verkehr nicht der zwischen den einzelnen Staaten ausgehandelten Mengenbeschränkung an Durchfahrtsgenehmigungen („Kontingentierung“). Die multinationalen Konzerne können damit ohne jede Beeinträchtigung zwischen ihren unzähligen Produktionsstandorten hin- und herfahren.

So diktieren einige wenige riesige Aktiengesellschaften die ihnen genehmen Ladegewichte (zuletzt von 38 auf 40 Tonnen hinaufgesetzt, demnächst auf 44 t brutto pro LKW), sie verhindern Nachtfahrverbote, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Routenbindungen.

Die nationalen Regierungen sind dabei ein Werkzeug in den Händen des Großkapitals. Sie sorgen per Verordnungen, Beschränkungen, Privilegien, Förderungen hauptsächlich für dessen ungestörte Ausdehnung. Die EG in Brüssel ist das Instrument der Großindustrie zur wirtschaftlichen Unterwerfung Europas. Ihre Gesetze sind Weichenstellungen in Richtung Aufteilung des Kontinents unter ein paar riesige Monopole.

Ein ganz bedeutender, den „freien Markt“ auf den Kopf stellender staatlicher Eingriff ist die Exportförderung, die die Wirtschaft dem Staat für den Absatz ihrer Produkte abknöpft. Diese soll bewirken, daß die jeweilige nationale Wirtschaft auf dem internationalen Markt die Konkurrenz ausstechen kann. Sie ist geradezu ein Ansporn fürs Herumfahren. Im Sumpf unseres Systems gedeihen dabei die tollsten Blüten. „Eine Ware wird mehrmals über die Grenze hin- und hertransportiert, wo bei der Ausfuhr jedesmal eine Erstattung oder ein Grenzausgleichsbetrag eingestrichen wird.“ (Wirtschaftskriminologe Professor Klaus Tiedemann, zitiert in ›Wiener Zeitung‹, 9. August 1986) Die ›Tiroler Bauernzeitung‹ weiß von alltäglichen Praktiken, die sie aber ganz verschämt weiterflüstert: „Es würden da“, schreibt sie, „Waren aus Italien nach Deutschland exportiert und dafür Exportförderung kassiert. In Deutschland wird dieselbe Ware umetikettiert und woanders hin, oder womöglich wieder nach Italien zurück, transportiert, wofür der deutsche Exporteur eine Förderung erhält.“ (TBZ, 31. Juli 1986)

„Untersuchungen zur Kriminalität in der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) haben ergeben, daß mehr als die Hälfte aller Subventionszahlungen für Schrotteinkäufe erschlichen war und insbesondere etwa ein Drittel aller angeblichen Schrotteinfuhren nicht existierte (sog. Luftschrott). Auf EG-Ebene sind umfangreiche Wirtschaftsverbrechen bekanntgeworden, die vom Karussell- und Kreisverkehr bestimmter Produkte über mehrere Staaten hinweg bis zum Export von Phantasierzeugnissen gegen Zahlung entsprechender Exportsubventionen reichen.“ (Tiedemann) Das Ergebnis ist Verkehr. Viele Regierungen zahlen der Großindustrie über diese Förderungen hinaus noch Transportzuschläge. „Sie sollen, zusätzlich zur Normalerstattung gewährt, die Frachtkosten in fernere Länder auffangen. Der Transportweg verteuert also die Ware nicht mehr.“ (Hans Gurski, Außenhandelskriminalität, insbesondere die Subventionserschleichung, 1972) Schwächere Nationalwirtschaften werden damit von den Wirtschaftsgroßmächten zu Tode gehetzt. Der Verkehr ist in der Tat eine entscheidende Waffe im Wirtschaftskrieg.

Und was ist mit Österreich?

„Außerdem muß die Gemeinschaft dahin streben, daß Drittländer die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine Freizügigkeit über die Grenzen hinweg zu garantieren. Der freie Transitverkehr zwischen Mitgliedstaaten auf dem Wege über Drittländer stellt nur einen Aspekt dieser Zielsetzung dar.“ (›Bulletin der Europäischen Gemeinschaften‹, Beilage 16/1973)

Das „Drittland“ Österreich hat, im Gegensatz zum Drittland Schweiz, die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die gewünschte Freizügigkeit über die Grenzen hinweg zu garantieren. Österreich hat Autobahnen für den schnellen Transitverkehr von Staatsgrenze zu Staatsgrenze gebaut. Österreich hat alle Regelungen bezüglich Gewicht, Geschwindigkeit, Nachtfahrten denen des Auslandes angepaßt. Die Straßenbenützungsgebühr hierzulande (inklusive Maut) mußte selbst von einem heimischen Politiker kürzlich als Sozialtarif bezeichnet werden.

Das bedeutet, daß von den derzeit täglich über die Brenner-Autobahn fahrenden 4000 LKWs 3320 sich auf einem Umweg befinden. Der Güterverkehr nimmt nämlich nicht den geographisch günstigsten Weg, sondern den betriebswirtschaftlich vorteilhaftesten. Und so rechnet sich eben ein Umweg um die Schweiz über Österreich bis zu einer Routenverlängerung von 175 Prozent. Das heißt, wenn der Transportweg durch die Schweiz 1000 km lang ist, ist es bis zu einer Streckenlänge von 1750 km noch immer günstiger, um die Schweiz herum über das billige und willige Österreich zu fahren. Der Umweg von Brüssel nach Turin über den Brenner (1430 km) gegenüber der Verbindung durch die Schweiz (868 km) beispielsweise beträgt gewaltige 562 km. Aufgrund der im Interesse der Schweizer und nicht der EG-Konzerne gelegenen Politik der Schweiz (Tonnenbeschränkung, Nachtfahrverbot, Schwerverkehrsabgabe, ...) fahren 97 von 100 LKWs, die durch die Schweiz den kürzesten Weg hätten, um diese herum. Daher donnern über den Brenner zweiundzwanzigmal soviele Fernlaster als durch die gesamte Schweiz.

„Es ist darauf zu verweisen, daß Österreich das einzige europäische Land ist, das ein Straßennetz ausbaut, das ausschließlich nach Transitinteressen orientiert ist und die österreichischen verkehrspolitischen Forderungen, inklusive des Fremdenverkehrs hintanstellt.“ (Erich Schaller, Bundeswirtschaftskammer, Leiter der verkehrspolitischen Abteilung)

Warum ist es so, daß Österreich überfahren wird? Warum leistet die Politik keinen Widerstand? Warum wird nicht nur kein Widerstand geleistet, sondern Beschränkung um Beschränkung aufgehoben? Warum werden weiter Durchzugsstraßen für die ausländische Wirtschaft gebaut? Warum ist der Gütertransitverkehr durch Österreich in den letzten 20 Jahren um das Fünfundzwanzigfache angestiegen? Warum hat sich der LKW-Verkehr über den Brenner innerhalb von 12 Jahren mehr als verfünffacht?
Was ist der Grund dafür, daß die Regierungen der EG-Konzerne so mit Österreich umspringen können? Warum bedeutet der Erlaß einer EG-Bestimmung automatisch auch ihr Inkrafttreten in unserem Land?

Die österreichischen Regierungen von Figl und Raab bis Kreisky und Vranitzky haben diesen Staat vom Ausland abhängig und erpreßbar gemacht. Das fängt an beim Druck, dem sie schon in den ersten Nachkriegsjahren entgegen allen anfänglichen Beteuerungen nachgegeben haben. Unsere Energiequellen (Ölfelder im Osten, Wasserkraft im Westen des Bunesdgebietes) wurden damals auf Geheiß der Besatzungsmächte der ausländischen Industrie überlassen. Und das geht herauf bis zur Zertrümmerung unserer Grundstoffindustrie, die den internationalen Stahlriesen immer schon ein Dorn im Auge war und nun an eben diese veräußert werden soll.

Österreich, das heißt: seine Regierung, benimmt sich heute wie ein besetztes Land. Während der Besatzungszeit, als US-Regierung und US-Army mittels Marshall-Plan Europa nach ihrem strategischen Bedürfnis ordneten, war es Österreich untersagt, bestimmte Güter (Stahlbleche etc.) in osteuropäische Länder zu exportieren. 1984: Die US-Regierung verlangt von Österreich gesetzliche Maßnahmen gegen den Weiterverkauf amerikanischer Hochtechnologieprodukte in den Ostblock. Wochen später beschließt der österreichische Nationalrat, daß in Hinkunft österreichische Gerichte die Nichtbefolgung dieses amerikanischen Wunsches bestrafen.

Als Österreich 1946 den Erdölsektor verstaatlichte, protestierte die amerikanische Öl-Firma Socony-Vacuum Oil (die heutige Mobil Oil Corp.) wegen ihrer in Österreich schürfenden Rohölgewinnungs-AG ›RAG‹ dagegen. Die Bundesregierung hob daraufhin am 7. September 1946 den Beschluß zur Durchführung der Verstaatlichung bezüglich der ›RAG‹ auf. 1981: Die ausländischen Erdölgesellschaften verlangen die Freigabe des amtlich geregelten Benzin- und Dieselpreises. Der Handelsminister zögert. Mitten in der Reisesaison, zur Zeit einer internationalen Ölschwemme, inszenieren die Konzerne eine Benzinknappheit. Die Regierung gibt nach. Seit September 1981 haben wir die von den Multis gewünschten Höchstpreise.

Im April 1947 drohte die britische Besatzungsmacht damit, die Kohlenlieferungen an Österreich aus dem Ruhrgebiet einzustellen, falls der Stromexport Tirols und Vorarlbergs — wie beabsichtigt — in die Schweiz und nach Frankreich gehen sollte. Österreich kapitulierte und beliefert seitdem die Schwer- und Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet mit Spitzenstrom. 1986: „Spätestens in einem Jahr, wenn die Tiroler Zemm-Zillergruppe ihren Vollbetrieb aufnimmt, ist mindestens ein Viertel der österreichischen Wasserkraftwerks-Kapazität fest in deutscher Hand.“ (Süddeutsche Zeitung, 31. Juli 1986)

Wohin führt diese Politik?

Darüber, wohin diese Politik der Unterwerfung unter ausländische Interessen führt, darüber gibt die österreichische Geschichte hinreichend Auskunft. Die Erste Republik (1918- 1938) wurde aufgrund genau dieser Politik eine Beute Hitlers. „Die Kuh springt über den Zaun, wo er am niedrigsten ist“, sagt ein heimisches Sprichwort. Die Töne, die heuer aus der Bundesrepublik Deutschland zu hören waren — „Österreich hängt ganz eng am deutschen Währungssystem, die BRD ist der weitaus größte Handelspartner, der weitaus größte Tourismusbringer, es wäre für Österreich ein großer Schaden, wenn diese Beziehungen sich verschlechtern sollten.“ (Friedrich Zimmermann, BRD-Innenminister, in einem Fernsehinterview, zitiert nach ›Kurier‹, 31. Mai 1986) — gemahnen schon allzu deutlich an die Knebelung Österreichs durch das Dritte Reich. Viele Österreicher fühlen sich an die seinerzeitige 1000-Mark-Sperre erinnert, mit der das Nazi-Regime zwischen 1933 und 1936 Österreich in die Knie zu zwingen gehofft hatte. Sogar den Kärntner Landeshauptmann schreckten die unverhohlenen Drohungen Zimmermanns auf: „Seit der Nazi-Zeit hat niemand mehr den Mut gehabt, so mit Österreich zu reden.“ Er bezeichnete es als „Kolonialstil“, wenn man glaube, daß der wirtschaftlich Starke den Schwachen jederzeit zum Schweigen bringen könne.

Die jüngere Geschichte hat noch ein anderes Beispiel für den Umgang einer starken, aggressiven Macht mit einem kleinen, armen, ihr vorgelagerten Land parat. „Die faschistische deutsche Regierung nötigte der Tschechoslowakei am 19. November 1938 (nach der erzwungenen Abtretung des Sudetenlandes) einen Staatsvertrag ab, der dem Deutschen Reich das“Recht„gab, mitten durch die Tschechoslowakei eine Autobahn von Wien über Brno nach Breslau zu bauen und zu betreiben. Für diese Linie hatte die Tschechoslowakei den Boden kostenlos zur Verfügung zu stellen, die Autobahn sollte als exterritorial (der Landeshoheit nicht unterworfen) gelten und deutsches Zoll-, Gerichts- und Paßgebiet sein. Das Deutsche Reich beanspruchte die Überwachung, den Schutz und die Sicherung des Verkehrs. Jede Einflußnahme auf die Linienführung dieser Autobahn war der Regierung der Tschechoslowakei verwehrt. Die für dieses Vorhaben gebildete deutsche Planungsgruppe reiste am 1. Dezember 1938 in die Tschechoslowakei ein.“ (Karl Lärmer, Autobahnbau in Deutschland 1933 bis 1945, Berlin 1975)

Dazu gibt es zwei Entsprechungen aus den letzten Jahren, wo mit vielleicht etwas feineren Methoden derselbe Zweck verfolgt wird. Am 22. Jänner 1972 schreibt die ›Tiroler Tageszeitung‹ von „verlockendsten Angeboten Italiens und Bayerns“ an Österreich und das Land Tirol bezüglich des Baues der ›Alemagna-Autobahn‹: „Österreich wird finanziell nicht nur nicht belastet, sondern man wäre sogar bereit, sämtliche Grundablösen der Autobahn selber zu bezahlen. Das Interesse der Verwirklichung der Alemagna-Autobahn liegt bekanntlich bei Italien und Bayern, die allerdings Österreich für die Durchfahrtsgenehmigung benötigen. Das heißt mit anderen Worten, Österreich müßte nur den ›Weg‹ geben, alles andere würde die Autobahngesellschaft ›besorgen‹.“ 1979 heißt es in einer Wahlbroschüre der SPÖ-Tirol: „1972 sprachen sich die Landtage von Südtirol und Tirol für den Bau einer Schnellstraße zwischen Ulm und Mailand aus. 1975 jedoch beschloß die ARGE Alp, auf der Strecke Ulm-Mailand eine Autobahn zu errichten. (...) Der mächtigste Gegner der Tiroler Umweltschützer sitzt in München — Franz Josef Strauß. Er hat sich nämlich bereit erklärt, in den nächsten fünf Jahren Milliarden D-Mark an Ablösesummen auf die Tische der Tiroler Bauern zu blättern, um so aus der zweispurigen Schnellstraße eine vierspurige Autobahn werden zu lassen.“

Österreich blutet aus. Schritt für Schritt weichen die als unsere Vertreter eingesetzten Regierungen in Wien und Innsbruck der Gewalt aus München, Bonn, Brüssel. Die österreichische Verkehrspolitik ist ein eindringliches Beispiel. Sie wird schon seit langer Zeit in der Bundesrepublik Deutschland gemacht. Der österreichische Verkehrsminister in Wien ist heute soetwas wie ein Staatssekretär im Verkehrsministerium in Bonn, der die dort getroffenen Entscheidungen in der österreichischen Provinz zu vertreten hat. Und der Landeshauptmann von Tirol ist bestenfalls Sprecher der bayrischen Staatskanzlei. Als vor wenigen Wochen beschlossen wurde, den Preis für die Brenner-Jahresmautkarte für Ausländer etwas anzuheben, sagte Wallnöfer laut Tiroler Tageszeitung, „daß sich Tirol einen Streit mit Bayern nicht leisten kann“. Zu den im Falle der Nichterhöhung der Mautgebühren dann aber zu erwartenden Protesten der leidtragenden Tiroler Bevölkerung sagte Franz Josef Strauß’ Mann in Innsbruck keck: „Das werden wir auch durchstehen müssen.“ (Tiroler Tageszeitung, 2.10.1986)

Gehören wir der EG?

Die EG integriert sich Österreich schon und die österreichischen Politiker betteln noch um Integration in die EG. Die Regierungen seit 1945 haben die wirtschaftliche Selbständigkeit (Autarkie) unseres Landes erneut verspielt, indem sie die lebenswichtigen Rohstoffquellen und Industrien den Österreichern genommen und an Kapitalgruppen im Ausland verscheppert haben. Hunderttausende Österreicher erarbeiten heute Dividenden für Aktiengesellschaften mit Sitz in Frankfurt, Basel und anderswo. 57,6 Prozent des Handels in Österreich sind in ausländischem Besitz und 73 Prozent der hier tätigen Versicherungen haben die Kassa außerhalb unserer Staatsgrenzen. Die fortschreitende, von den Parteien gebilligte, ja, der Machterhaltung willen sogar geförderte Kolonialisierung Österreichs ermöglicht auch noch den politischen Zugriff auf unser Land.

Der bayrische Wirtschafts- und Verkehrsminister Anton Jaumann hat vor ein paar Jahren unmißverständlich kundgetan, was ihm die Souveränität Österreichs und seiner Bürger gilt. Zur Erhaltung und Hebung des Wohlstandes in den Ballungsgebieten nördlich und südlich der Alpen seien dem Bergland und seinen Bewohnern weitere Belastungen durch transnationale Autobahnen zumutbar, sagte er wörtlich. Und zwei hohe Herren von der EG in Brüssel äußerten sich letztes Jahr beim Mayrhofener Verkehrssymposium laut der Zeitschrift ›Verkehr‹ 25/1985 so: „Es bestehe kein Zweifel, daß der Transit durch Österreich für die EG lebenswichtig ist, erklärte Dr. Eberhard Brandt stellvertretend für die EG, aber daß Österreich topographisch so ›ungünstig‹ in den EG-Raum hineinrage, sei sein eigenes Problem, gab der ECEMT-Generalsekretär Dr. J.C. Terlouw zu bedenken.“

Immer dann, wenn Österreich für die unterwürfigst dem überquerenden Verkehr bereitgestellten Autobahnen die EG um einen Kostenbeitrag ersuchte, war aus der europäischen Machtzentrale nur Hohn und Spott zu vernehmen. Anstelle einer Zusage oder auch nur einer Antwort, kam aus Brüssel stets ein Forderungspaket nach Wien.

„Nach fast fünf Jahren informeller Gespräche faßte der EG-Verkehrsministerrat am 15. Dezember 1981 den Beschluß, Österreich die Aufnahme von Verhandlungen über Verkehrsfragen betreffend Verkehrsinfrastrukturen, Abgaben auf Straßenfahrzeuge, mengenmäßige Beschränkungen für den Güterverkehr, die Zusammenarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs sowie im kombinierten Verkehr Schiene/Straße vorzuschlagen. Österreich gab seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, daß dieses Mandat nicht die Frage des von Österreich beantragten EG-Finanzierungsbeitrages einschloß, sondern Österreich vielmehr noch zusätzliche Lasten im Straßentransit zumutete.“ So zu lesen im ›Außenpolitischen Bericht der österreichischen Bundesregierung für das Jahr 1984‹.

Wo auch immer Österreich eine Vorleistung zugunsten der EG-Staaten erbracht hat, ist es zu keiner Gegenleistung der anderen Seite gekommen. Die Vorleistung aber ist stets in Kraft geblieben. Als Österreich die Bundesrepublik Deutschland um mehr Kontingente (+ 300 pro Tag) auf der Autobahn über das Deutsche Eck bat, verknüpfte das Bonner Verkehrsministerium diese eine Frage seinerseits mit der Forderung nach mehr Brenner-Genehmigungen und mit der Forderung nach Abstrichen bei der Tauernmaut und mit der Forderung nach Begünstigungen beim Straßenverkehrsbeitrag. Österreich wurde also einfach verarscht. Trotzdem hat unsere Regierung durch die Schaffung einer günstigen Brenner-Jahresmautkarte für Ausländer (mehr als fünfzigprozentige Ermäßigung gegenüber der Punktekarte) neuerlich eine Vorleistung erbracht. Der wieder keine Leistung des Auslandes gegenübersteht, ist hinzuzufügen. Und Österreich gestattet die ständige Übertretung seiner eigenen Gesetze bezüglich der Ladebeschränkungen. Und Österreich hat jenen Punkt des österreichischen Zollgesetzes, wonach LKWs nur mit 30 Liter Diesel Tankfüllung zollfrei einreisen durften, den EG- Bestimmungen angeglichen, das heißt außer Kraft gesetzt. Ebenfalls ohne Anerkennung seitens der EG.

Wo also sitzt unser Feind?

In Brüssel? Ja. Aber er hat hier seine Helfershelfer. Er hat hier seine Stützpunkte. Die heimische Unternehmerschaft macht im Gefolge der großen ausländischen ihre Geschäfte. Sie ist deshalb lauthals für alles, was jene sich wünscht. Sie ist deren Sprachrohr an Ort und Stelle. Die Organe der Gewerbetreibenden sind — oft genug gegen die Interessen der Mehrzahl ihrer Zwangsmitglieder — die Unterhändler des großen internationalen Kapitals. Man kann sicher sein, daß sich für jede Forderung, die in München, Bonn oder Brüssel erhoben wird, in Wien und Innsbruck Herren finden, die sie zu ihrer eigenen machen.

1984: Als Hunderte LKW-Chauffeure auf Druck ihrer Dienstherren Österreichs Grenzübergänge vollständig blockieren, um den Wegfall der lästigen Grenzkontrollen zu erzwingen, unterstützen die Handelskämmerer diese Belagerung.

1985: Als auf der Zirlerberg-Straße ein grauenhafter Unfall passiert, ist die Tiroler Handelskammer flugs zur Stelle, um unter Ausnützung des Schocks ganz im Interesse der durchfahrenden ausländischen Wirtschaft, den Ausbau der Strecke von der Grenze bei Scharnitz bis zur Autobahn bei Zirl (513) zu fordern.

1986: Als in den Staaten der EG die Tonnenbegrenzung von 38 auf vorerst 40 Tonnen hinaufgesetzt wird, verstärken die Funktionäre der österreichischen Wirtschaft den auf Österreich ausgeübten Druck, indem sie unaufhörlich die Anhebung des Gewichtslimits in unserem Lande gleich auf 44 Tonnen (›Tirols Wirtschaft‹, 25. Jänner 1986) verlangen.

Selbstredend treten die heimischen Wirtschaftsvertreter, ganz im Interesse ihrer großen ausländischen Bundesbrüder, mit Nachdruck gegen jede Maßnahme auf, die von den durch Lärmterror und Vergiftung der Umwelt geschädigten Bewohnern der Durchzugstäler gefordert werden (Geschwindigkeitsbegrenzung, Nachtfahrverbot, Gewichtsbeschränkung). Die Verbände der Unternehmer hierzulande sind damit ein ausgezeichnetes Werkzeug in den Händen der unser aller Leben mehr und mehr beherrschenden internationalen Konzerne. So macht es erst Sinn, daß etwa die Bundeswirtschaftskammer in der westeuropäischen Union der Handelskammern vertreten ist, und daß die Österreichische Industriellenvereinigung Mitglied der EG-Industriellenvereinigung (UNICE) ist und an deren 14-tägigen Sitzungen in Brüssel teilnimmt.

Leider kann hier auf den Druck, den die Transportwirtschaft (50 Groß-Speditionen z.B. beherrschen den Transportmarkt der Bundesrepublik Deutschland!) ausübt, genausowenig eingegangen werden wie auf die Rolle, die die Bauwirtschaft in der Straßenbaupolitik spielt. Ein bezeichnendes Licht wirft eine in der Zeitung ›Die Presse‹ (7. September 1983) unter dem Titel „Bauindustrie fordert Steuererhöhungen“ erschienene Meldung: „Die Vereinigung Industrieller Bauunternehmer Österreichs (VIBÖ) fordert neuerlich vehement höhere Belastungen der Autofahrer durch Erhöhung der Kfz-Steuer oder durch eine Generalmaut, damit der Straßenbau nicht reduziert werden muß.“ Der Präsident der genannten VIBÖ und Manager der Fa. Mayreder, Helmuth Rendulic, ein militanter Gegner der Leute, die keine weiteren Straßen wollen, fordert die Zweckbindung aller von den Autofahrern an den Staat abgeführten Gebühren und Steuern für den Straßenbau. „Jede Verwässerung“, sagt er, „führt da nur zu neuen Problemen und entfernt uns mehr und mehr von dem großen Ziel, nämlich im Herzen von Europa für Europas Wirtschaft großartige Autobahnen und Gebirgsstraßen zu bauen.“ (›Brenner Autobahn‹ — Werbeschrift, 1978)

Tirol wieder unter Bayern?

Politisches Standbein einer ausländischen Macht in (West-)Österreich ist die ARGE Alp, die von der bayrischen Staatsregierung ins Leben gerufen wurde und von dieser beherrscht wird. Daß Eduard Wallnöfer zu ihrem Begründer stilisiert wird, ist Teil der Maskierung, die dieses Unternehmen braucht. Hinter dem Titel Arbeitsgemeinschaft Alpenländer verbirgt sich die Unterwerfung der bayrischen Nachbarländer durch die Macht- und Wirtschaftszentrale München. Zur Wahrung des schönen Scheins ist auch der schweizerische Kanton Graubünden Mitglied der ARGE Alp, ihn betrifft jedoch die bayrische Expansionspolitik — schon geographisch — vorerst überhaupt nicht. Wichtig sind für die süddeutsche Industrie die bayrischen Vorlande Salzburg, Tirol, Vorarlberg.

Es sagte der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß: „Wenn es die ARGE Alp noch nicht gäbe, müßte man sie erfinden.“ Und einer der drei westösterreichischen Landeshauptmänner wird 1978 anläßlich der Amtsübernahme von Strauß in München und damit in der ARGE Alp von der ›Süddeutschen Zeitung‹ wie folgt zitiert: „Entweder wird er uns als Vehikel für die Außenpolitik Bayerns gebrauchen, oder er schuriegelt uns wie Landräte.“ Geschuriegelt von Strauß sind zwei Landeshauptleute erst jüngst wieder worden, als sie in München den Protest der Bevölkerung gegen die Errichtung einer Atomfabrik im grenznahen Wackersdorf zum Ausdruck bringen sollten. Die Wirtschaftsmacht Bayern läßt sich von den bereits kolonialisierten Vorlanden doch nicht ins Geschäft pfuschen.

Umgekehrt aber funktioniert die Einflußnahme seit vielen Jahren problemlos. Anton Jaumann, der bayrische Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, konnte in einer Rede vor der Salzburger Industriellenvereinigung feststellen: „Wir müssen gemeinsam überlegen, was, wo und in welcher Reihenfolge gebaut werden muß. Das ist nicht an allen europäischen Grenzen so problemlos wie an der österreichisch-deutschen, wo seit jeher in enger Zusammenarbeit geplant und gebaut wird. Eine besondere Rolle kommt in der Verkehrsplanung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer zu.“

Das ARGE Alp-Büro in Innsbruck ist eine Geschäftsstelle der bayrischen Staatskanzlei. Hier wurden und werden nach den Bedürfnissen der süddeutschen Großindustrie Schnellstraßen und Autobahnen geplant, damit diese rasch die oberitalienischen Ballungsräume erreichen kann. Die ARGE Alp ist jener Ort, wo von den Landesregierungen Vorarlbergs, Tirols und Salzburgs die Interessen der Bevölkerung verraten werden. Gegen jeden nationalen Bedarf, ja gegen die Ablehnung der hier wohnenden Menschen wurden und werden Straßen noch und noch geplant und auch gebaut. In den ARGE Alp-Verkehrskonzepten finden sich folgende Tiroler Durchzugsrouten: Reutte-Reschen („Ulm-Mailand“), Scharnitz-Brenner („Diretissima“), Kufstein-Zillertal-Ahrntal („Alemagna“) und Kufstein-Paß-Thurn-Plöcken (Ersatz-„Alemagna“). Drei von ihnen sind leider immer noch hochaktuell.

Minister Jaumann hat die verkehrspolitischen Ziele der bayrischen Wirtschaft oft genug und deutlich genug formuliert. Willy Erlwein schreibt in einer wissenschaftlichen Arbeit über die ARGE Alp 1978: „Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Jaumann hat Bayern, das in den Wirtschaftsräumen der EG verkehrsmäßig im Abseits liege, ein vitales Interesse an einer zusätzlichen Verbindung der bayrischen Wirtschaftsräume mit den norditalienischen Mittelmeerhäfen als ›Tor zur Welt‹. Das bedeutet, daß auch die sog. ›Alemagna‹ — jene Autobahn durch das Zillertal, die den Wirtschaftsraum München auf kürzestem Wege mit dem Hafen von Venedig verbinden würde — für Bayern immer noch aktuell ist, d.h. daß diese Autobahn einzig und allein im Interesse von Bayern liegen kann.“

Die ›Südtiroler Wirtschaftszeitung‹ zitiert in ihrer Ausgabe vom 9.6.1971 wie Jaumann das bayrische Verkehrskonzept erklärt: „›Ein Tor zum Mittelmeer im östlichen Teil mittels der Alemagna-Autobahn — eine Verbindung zum lombardischen Industrieballungszentrum durch die Schnellstraße Ulm-Mailand und kürzeste Verbindung zum Erholungszentrum südlich des Alpenhauptkammes.‹“

Das Interesse an diesen Verbindungen ist seitdem nur noch größer geworden. Die bayrische Industrie wächst überdurchschnittlich stark, sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich. Sie braucht neue Anlageplätze für ihr Kapital, neue Absatzmärkte und dafür zuallererst neue Zugangswege. Die Schnellstraße „Ulm-Mailand“ steht in der von den ursprünglichen Plänen etwas abweichenden Linienführung kurz vor ihrer Vollendung (Füssen — Reutte — Fernpaß — Tschirganttunnel — Innsbruck — Brenner). Die anfänglich durch das Zillertal geplante „Autostrada Alemagna“ soll nun via Kitzbühel / St. Johann — Paß Thurn — Felber Tauern — Plöckentunnel realisiert werden. Die „Diretissima“ (Garmisch — Scharnitz — Brenner) ist immer noch nicht gestorben. Die Pläne für den Ausbau dieser Straße zu einer durchgehenden Schnellstraße liegen in den Schubladen. Schon vor etlichen Jahren erklärte der Chef des Tiroler Landesstraßenbauamtes, Hofrat Leo Feist, dazu: „Das generelle Projekt dieser Schnellstraße (vierspurig) ist bereits endgültig fertiggestellt. Die Studien sind ausgearbeitet, die meisten Grundprobleme sind geklärt, die Pläne sind bereits vom Ministerium bewilligt.“

Besagter Straßenbau-Hofrat ist inzwischen pensioniert und zum Leiter der Verkehrskommission der ARGE Alp aufgestiegen. Eine auch für die Landesregierung sinnbildliche Karriere: Sie ist als Vertretung der Tiroler in den Ruhestand getreten und hat sich in den Dienst der bayrischen Verkehrspolitik gestellt. Wallnöfer und sein Klüngel sind heute, ohne jede Übertreibung gesagt, das ausführende Organ der bayrischen Expansionspolitik vor Ort. Sie sind dazu da, gegen den Widerstand der hier lebenden Menschen, aber mit deren Geld, Transitrouten durch das Land zu planen und zu bauen.

Die bayrische Regierung vertritt in der ARGE Alp natürlich auch die Vorstellungen der großen Konzerne der anderen deutschen Bundesländer. Und die Tiroler Landesregierung vertritt diese Vorstellungen gegenüber dem Bund. So mußte, als das südwestdeutsche Industriegebiet mit dem Raum Mailand/Turin schnurstracks verbunden zu werden begehrte, die autobahnmäßige Verbindung „Ulm-Mailand“ in das österreichische Straßenbauprogramm hineingezwängt werden. Als mit bayrischem und italienischem Kapital die „Autostrada Alemagna“ quer durch Tirol gebaut werden sollte, fand sich der Tiroler ÖVP-Landtagsabgeordnete und spätere Bundesratsvorsitzende Rudolf Schwaiger, um durch seine Präsidentschaft der ›Zillertal Autobahn Studienges.m.b.H.‹ das rein in ausländischem Interesse gelegene Unternehmen zu tarnen. Als vor einem Jahr auf massiven Protest der Menschen in den Außerferner Gemeinden hin der Bund die in Bau befindliche Fempaß-Schnellstraße (S14) auf dem Papier wieder in eine Bundesstraße zurückverwandelte, protestierte die Tiroler Landesregierung sofort gegen diese Rückstufung. Dem Protest vorausgegangen war ein Besuch des bayrischen Verkehrsministers Jaumann in Innsbruck. Und erst vor wenigen Tagen wurde die Landesregierung vom Tiroler Landtag „mit einem Beschluß aufgefordert, beim Bautenministerium den ehestmöglichen Bau des Tschirganttunnels zu erwirken“ (›Neue Tiroler Zeitung‹, 19. November 1986). Der Tschirganttunnel stellt die Vollendung der Fernpaß-Schnellstraße dar, er verkürzt die bestehende Route um 14 Kilometer und bindet die S14 bei Haiming in die Oberinntal-Autobahn ein.

Das Vorgehen beim Bau nicht nur dieser Straße entspricht jenem des rheinland-pfälzischen Verkehrsministers Heinrich Holkenbrink, der die Errichtung der A 60 (Autobahn von Antwerpen über Frankfurt bis Fulda) in seinem Bundesland als Ausbau der Bundesstraße B 41 zu verschleiern suchte. Sein Motto: „Erst in die Länge bauen, dann in die Breite, hier ’ne Ortsumgehung und da eine, dann haben wir zum Schluß die ganze Autobahn“ (›Trierischer Volksfreund‹, 27. Mai 1978). Für Ortsumfahrungen kämpfende lokale Bürgerinitiativen haben die Anlage von Schnellstraßen auch bei uns durchaus nicht behindert, sondern geradezu erleichtert.

Woran denkt der Landeshauptmann am Nationalfeiertag?

Es bedarf keiner weiteren Beweise mehr dafür, wem die als unsere Vertreter eingesetzten Herren in Wahrheit dienen. Und doch liefern sie solche Beweise am laufenden Band. Ausgerechnet am Nationalfeiertag dieses Jahres, der für die meisten Österreicherinnen und Österreicher immer noch Ausdruck der Neutralität und Unabhängigkeit ihrer Heimat ist, wies Landeshauptmann Wallnöfer Tirol die Aufgabe zu, im „westlichen Staatenverband“ „als Paßland zwischen nördlichen und südlichen Nachbarn Bindeglied“ zu sein. Die damit verbundenen Probleme seien „nur gemeinsam mit den angrenzenden Staaten“, „etwa in der ARGE Alp“, zu lösen. (›Kurier‹, 27.10.1986) Und der Tiroler ÖVP-Abgeordnete im Nationalrat, Otto Keimel, Mitglied des parlamentarischen Bautenausschusses, forderte in einem Maßnahmenpaket „zur Bewältigung des Verkehrsproblems in Tirol“ glasklar: „Ende des Streites mit Bayern, statt dessen Zusammenarbeit mit München“ (›Tirols Wirtschaft‹, 8.10.1986).

Die Idee der Alpenländer-Union ist ja etwas von oben Kommendes, von oben Aufgesetztes, und hat nichts mit den Menschen dieses Raumes zu tun, ja, ist in der Tat gegen sie gerichtet. Die ARGE Alp ist (wie auch die EG) keine demokratische, im Interesse der breiten Bevölkerung liegende Sache. Sie hat den Mund zu halten und den Dreck durch die Nase einzuatmen. Die Absicht jedoch war, die Idee in der Bevölkerung zu verankern, um sich von dorther Gewicht für politische Aktionen gegen Wien holen zu können. Es ist kein Zufall, daß die ARGE Alp seinerzeit bald nach dem Regierungswechsel von der ÖVP zur SPÖ eingesetzt wurde. Dieses Konzept ist nicht aufgegangen. Das Volk braucht keine künstlichen Freunde und keine künstlichen Feinde. Die gute Nachbarschaft zwischen den einzelnen Alpenregionen ist selbstverständlich und braucht darum gar nicht erst hergestellt zu werden. Auf jeden Fall läßt sie sich nicht mißbrauchen. Das Großmachtstreben ist in der Geschichte nie von unten gekommen. Der Zweck der ARGE Alp aber ist die Herausreißung Westösterreichs aus dem neutralen Alpenriegel.

Deutschland spielt in den vielfältigen Unternehmungen, Europa zu einer Weltmacht zu machen, eine besonders wichtige Rolle. Und dieses Deutschland, das so ein starkes Europa (an der Seite Amerikas) anstrebt, hat sein politisches und wirtschaftliches Zentrum im Süden der Republik. In den letzten Jahren hat eine bedeutsame Verlagerung von Industriebetrieben aus Norddeutschland in die beiden Österreich benachbarten Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern stattgefunden. Ein Beispiel für die starke wirtschaftliche Konzentration in diesem Teil Deutschlands ist neben der Autoindustrie (BMW, Mercedes, Audi u.a.) auch die Rüstungsindustrie. „Die wichtigste Waffenschmiede der Bundesrepublik ist sicher der Großraum München. 1984 flossen allein fast 40 Prozent der Zahlungen des Amts für Wehrtechnik und Beschaffung nach Bayern. Ein weiteres wichtiges Rüstungszentrum bilden Friedrichshafen und Karlsruhe in Baden-Württemberg mit einem Anteil von mehr als 20 Prozent.“ (Alfred Mechtersheimer, ›Militarisierungsatlas der Bundesrepublik‹ 1986)

Die Rüstungsindustrie — und hier schließt sich der Kreis wieder — wird weltweit immer mehr dominiert von der Autoindustrie. Ob General Motors, Ford, Fiat oder Chrysler, Renault, Saab, BMW oder DAF, um nur einige zu nennen, der Anteil der Rüstung an ihrer Produktion nimmt immer mehr zu. Mercedes ist heute der größte Rüstungskonzern der Bundesrepublik Deutschland. Hergestellt werden in den Mercedes-Werken und deren Tochterbetrieben (MTU, Dornier, AEG) unter anderem: Seegrundminen, Aufklärungsflugkörper, Fliegerfäuste, Motoren für Panzer und U-Boote, Triebwerke für Militärflugzeuge, Funksysteme und Radaranlagen, Raketen und Raketenbauteile, Bauteile für Tornado und Phantom, Transportpanzer. Diese Entwicklung bedeutet für die Autoindustrie neben wachsendem wirtschaftlichen Einfluß wachsenden politischen Einfluß. Das heißt, sie diktiert immer eindeutiger die Verkehrspolitik. Das ist auch eine Erklärung dafür, warum die von vielen Menschen gewünschten Beschränkungen des Verkehrs nicht in Kraft gesetzt werden.

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