Heft 3-4/2002
Juni
2002

Zur Entschlüsselung der Rolle der USA im Condor–Pakt

Dieser Artikel wurde erstmals 2001 von The Crimes of War Project veröffentlicht. Mit Erlaubnis der Autorin wird der Artikel überarbeitet, übersetzt und abgedruckt.

Mitte April 2001 erteilte der argentinische Richter Rodolfo Canicoba bahnbrechende internationale Haftbefehle gegen zwei ehemalige hohe Funktionäre der Militärregimes von Chile und Paraguay. Diese beiden, zusammen mit einem argentinischen General, der auch vom Gericht vorgeladen wurde, wurden beschuldigt, Verbrechen innerhalb des Systems der Operation Condor begangen zu haben. Richter Canicoba führt den Vorsitz über einen von mehreren Fällen weltweit, die Entführungen und Morde im Zusammenhang mit Condor, einem düstereren Lateinamerikanischen Militärnetzwerk, das in den 1970er Jahren gegründet wurde und dessen Schlüsselmitglieder Chile, Argentinien, Uruguay, Bolivien, Paraguay und Brasilien waren (später kamen auch noch Peru und Equador dazu), untersuchen.

Condor war ein geheimes Intelligenz- und Operationssystem, das es den lateinamerikanischen Militärstaaten ermöglichte, politische Opponenten über Staatsgrenzen hinweg zu verfolgen, zu ergreifen und zu exekutieren. Flüchtlinge, die vor Militärputschs und Repression in ihrem eigenen Land flüchteten, ließ man in kombinierten transnationalen Operationen „verschwinden“. Die Militärs setzten sich über internationales Recht und über Traditionen politischer Sanktionen hinweg, um ihren grausamen antikommunistischen Kreuzzug auszutragen.

Des Richters Aufforderung nach Verhaftung und Auslieferung von Manuel Contreras aus Chile, ehemaliger Chef der Gestapo-ähnlichen Directorate of National Intelligence (DINA) und von Alfredo Stroessner, dem ehemaligen paraguayischen Diktator, gemeinsam mit den Vorladungen für Ex-Juntaführer Jorge Videla aus Argentinien repräsentieren ein weiteres Beispiel der rapiden Fortschritte, die seit der Verhaftung von General Augusto Pinochet 1998 in der internationalen Rechtsprechung gemacht wurden. Tatsächlich wird der Kampf gegen Straflosigkeit „globalisiert“.

Nachdem Menschenrechtsorganisationen, die Familien der Opfer, Rechtsanwälte und Richter auf Enthüllung und Verantwortlichkeit bezüglich Menschenrechtsverletzungen, die während des Kalten Krieges begangen wurden, drängten, stellten sich unvermeidbare Fragen zur Rolle des vordersten Anführers der antikommunistischen Allianz der Vereinigten Staaten.

Dieser Artikel untersucht neue Beweismittel, die den nationalen Sicherheitsapparat der USA mit der Operation Condor in Verbindung bringt.

Condor fand in einem weiteren Zusammenhang mit einer interamerikanischen Koordination der Aufstandsbekämpfung und Operationen statt, die vom Pentagon und der CIA geleitet und gesponsert wurden.

US-amerikanisches Training, Doktrinen, organisatorische Modelle, technologischer Transfer, Waffenverkäufe und ideologische Haltungen formten auf profunde Art und Weise die Sicherheitsmaßnahmen in der Region.

Kürzlich freigegebene Dokumente tragen in gewichtiger Weise zu der These bei, dass U.S.-Kräfte die Operation Condor geheim unterstützt und gefördert haben. Die U.S. Regierung sah die Lateinamerikanischen Militärs als Alliierte im Kalten Krieg, arbeitete eng mit ihren Geheimdiensten zusammen und unterstützte koordinierte Aktionen und die Modernisierung ihrer Fähigkeiten. Wie hier gezeigt wird, wurden „gegensubversive“ Operationen von U.S. Exekutivbehörden zumindest entschuldigt, und manchmal aktiv unterstützt.

Was war die Operation Condor?

In den 1960ern und 1970ern entstanden populistische, nationalistische und sozialistische Bewegungen in allen durch Klassenunterschiede gekennzeichneten Ländern in Lateinamerika, welche die fest verwurzelten Privilegien der lokalen Oligarchien und die politischen und ökonomischen U.S.-amerikanischen Interessen herausforderten. In diesem Zusammenhang begannen amerikanische Sicherheitsstrategen (die ein zweites Kuba befürchteten) und ihre lateinamerikanischen Pendants große Teile dieser Gesellschaft für potentiell oder tatsächlich subversiv zu halten. Nationale Sicherheitsdoktrinen des Kalten Krieges — eine politisierte Doktrin eines inneren Krieges und Gegenrevolution, die “interne Feinde“ zum Ziel hatte — schlossen U.S. amerikanische und französische Konzepte des Gegenaufstandes und antikommunistische Ideologien mit ein. Die Doktrin gab den Militärs eine messianische Mission: Ihre Staaten und Gesellschaften zu erneuern und “Subversion“ zu eliminieren. Politische und soziale Konflikte wurden durch die Linse des gegensubversiven Krieges gesehen, die Konterrevolutionäre glaubten, dass der Weltkommunismus ihre Gesellschaften infiltriert hätte. Während dieser Jahre vertrieben Militärs in einer Serie von Staatstreichen die zivilen Regierungen in einem Land nach dem anderen — sogar in so lange bestehenden Demokratien wie Chile und Uruguay — und setzten repressive Regimes ein. Der „antikommunistische Kreuzzug“ wurde zu einem Kreuzzug gegen die Prinzipien und Institutionen der Demokratie und gegen progressive , liberale und revolutionäre Kräfte. Die „Sicherheits-Staaten“ institutionalisierten staatlichen Terrorismus.

Operation Condor erlaubte den lateinamerikanischen Militärs ein schlüsselstrategisches Konzept der nationalen Sicherheitsdoktrin in die Tat umzusetzen: Hemisphärische Verteidigung, die von ideologischen Grenzen definiert wird. Das limitierende Konzept der territorialen Verteidigung wurde abgelöst. Für den nationalen U.S.-Sicherheitsapparat (der die neue kontinentweite Sicherheitsdoktrin in ihren Trainingszentren, wie z.B. die Army School of the Americas in Panama förderten) und die meisten der lateinamerikanischen Militärs repräsentierte der Kalte Krieg den Dritten Weltkrieg, den Krieg der Ideologien.

Sicherheitskräfte in Lateinamerika klassifizierten Personen eher aufgrund ihrer politischen Ideen ab als an illegalen Handlungen. Die Regimes verfolgten DissidentInnen und Linke, Gewerkschafts- und Bauernführer, Priester und Nonnen, Intellektuelle, StudentInnen und LehrerInnen und nicht nur Guerillas (die, nach internationalem Recht, auch Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit haben).

Condor war auf gezielte Entführungen, auf das Verschwindenlassen von Menschen, auf Verhöre und Folter und auf das Überführen von Menschen über Grenzen spezialisiert. Laut einem 1976 freigegebenen FBI-Bericht hatte Condor verschiedene Ebenen.

  • Die erste Ebene bestand aus gegenseitiger Kooperation zwischen den Geheimdiensten, welche die Koordination politischer Überwachung und Austausch von geheimen Informationen mit einschloss.
  • Die zweite Ebene war das organisierte grenzüberschreitende Abkommen, um Dissidenten zu verhaften und verschwinden zu lassen.
  • Die dritte und geheimste Ebene, „Phase III“, war die Bildung spezieller Teams von Auftragskillern von Mitgliedsstaaten, die in der ganzen Welt herumreisten, um Attentate auf „subversive Feinde“ auszuüben. „Phase III“ zielte auf politische Führer ab, die wegen ihres Potentials, die Weltmeinung zu beeinflussen bzw. zu mobilisieren oder eine breite Opposition zu den Militärstaaten zu organisieren, gefürchtet waren.

Zu den Opfern der „Phase III“ von Condor zählten in den 1970ern der Chilene Orlando Letelier (Außenminister unter Präsident Salvador Allende und ein erbitterter Gegner des Pinochet-Regimes), sein amerikanischer Kollege Ronni Moffitt in Wahington D.C. und der chilenische Christlichdemokratische Führer Bernardo Leighton und dessen Frau in Rom. Condor-Attentate in Buenos Aires wurden gegen General Carlos Prats (ehemaliger Oberbefehlshaber der chilenischen Armee), Juan Jose Torres (nationalistischer Ex-Präsident von Bolivien), Zelmar Michelini und Hector Gutierrez Ruiz (uruguayanische Abgeordnete, die für ihre Opposition zu dem uruguayanischen Militärregime bekannt waren) durchgeführt.

In den ersten beiden Fällen verpflichteten die Killerteams der DINA lokale terroristische und faschistische Organisationen, um bei der Durchführung der Verbrechen zu assistieren. Ein in den USA geborener DINA-Attentäter (der ausgewanderte Michael Townley) gestand seine Rolle in den an Prats, Letelier-Moffitt und Leighton begangenen Verbrechen. Offensichtlich war die Operation Condor ein organisiertes System staatlichen Terrorismus’ von transnationaler Reichweite.

Laut einem freigegebene Bericht der Defense Intelligence Agency (DIA) von 1976, benützte Condor multinationale Kommandoteams, die aus militärischen und paramilitärischen Agenten bestanden, welche kombinierte grenzüberschreitenden Einsätze ausführten. Zeugenberichte Überlebender dieser Einsätze bestätigen dies.

Condor setzte auch ein Telekommunikationssystem ein („Condortel“), um ihre Pläne und Operationen gegen politische Gegner zu koordinieren. Eine Quelle des argentinischen Militärs berichtete einem Kontaktmann der US Botschaft 1976, dass die CIA eine Schlüsselrolle bei der computerisierten Vernetzung der Geheimdienste und operativen Einheiten der sechs Condor Staaten einnahm.

Freigegebene U.S. Dokumente verdeutlichen, dass U.S.-Sicherheitsoffiziere Condor als legitime „Anti-Terror“-Organisation gesehen haben. Ein DIA Bericht von 1976 legt zum Beispiel dar, dass ein Condor-Team „sehr ähnlich wie ein U.S. Special Forces Team strukturiert war“ und beschreibt Condors „gemeinsame Aufstandsbekämpfung um „marxistische Terroraktivitäten zu eliminieren“. Dieser Bericht erwähnte auch, dass lateinamerikanische Militäroffiziere vor ihren U.S.- Verbündeten mit Condor prahlten. Zahlreiche andere Dokumente der CIA, DINA und des Außenministeriums beziehen sich auf Condor als eine antiterroristische und antisubversive Organisation und manche beschreiben ihre Fähigkeit, Attentate durchzuführen, in einer sachlichen Art und Weise.

So schrieb zum Beispiel 1978 die CIA, dass im Juli 1976 „die Agentur Berichte erhalte, wonach Condor plane, bei Ermordungsaktionen einzugreifen, welche außerhalb des Territoriums von Mitgliedsstaaten stattfänden.“ Tatsächlich zeigen die vorliegenden Dokumente, dass die CIA sich solcher Fähigkeiten und Einsätze schon Jahre vorher voll bewusst war.

Bekannte Fälle von U.S. Kollaboration mit Condor

Ein Schlüsselfall, der die U.S.-Verstrickung in Condors gegensubersive Operationen beleuchtet, war der des Chilenen Jorge Isaac Fuentes Alarcón, der von der paraguayanischen Polizei gefasst wurde, als er im Mai 1975 die Grenze zwischen Argentinien und Paraguay überquerte. Fuentes, ein Soziologe, wurde verdächtigt, ein Kurier einer linken, chilenischen Organisation zu sein. Chiles Nationale Kommission für Wahrheit und Versöhnung erfuhr später, dass die Verhaftung von Fuentes eine Kooperationsleistung des argentinischen Geheimdienstes, Personal der U.S. Botschaft in Buenos Aires und der paraguayanischen Polizei war. Fuentes wurde der chilenischen Polizei überstellt, die ihn nach Villa Grimaldi brachte, ein berüchtigtes DINA-Internierungszentrum in Santiago. Dort wurde er, grausam gefoltert, zuletzt gesehen.

Kürzlich freigegebene U.S.-Dokumente enthalten einen Brief der U.S.-Botschaft in Buenos Aires (geschrieben vom FBI –Beamten Robert Scherrer), in dem er das Chilenische Militär von der Verhaftung von Fuentes informiert. Zusätzlich lieferte er die Namen und Adressen von drei in den USA lebenden Personen, die Fuentes während seiner Befragung genannt hatte, und erzählte seinen Kollegen des Pinochet-Regimes, dass das FBI Untersuchungen über die drei durchführe. Dieser Brief, gemeinsam mit anderen, bestätigt, dass U.S.-Beamte und Behörden mit den Militärdiktaturen kooperierten and als Bindeglied innerhalb der Condor-Kette fungierten. Am bemerkenswertesten ist wahrscheinlich, dass diese Art von Koordination Routine (wenn geheim) bzw. Standard innerhalb der U.S. Politik ist.

Zwei der explosivsten Entdeckungen bezüglich der U.S.-Verbindung zu Condor sind in den letzten Monaten aufgetaucht. Die erste ist ein Roger Channel-Telegramm von 1978 von Robert White, damals Botschafter in Paraguay, an den Außenminister, entdeckt 2001 von Patrice McSherry.

Dieses freigegebene Dokument des Außenministeriums verknüpft die Operation Condor mit den ehemaligen U.S.-Militärhauptquartieren in der Panamakanal-Zone.

In dem Telegramm berichtet White über ein Treffen mit dem Chef des paraguayanischen Militärs, General Alejandro Fretes Dávalos. Fretes identifizierte die U.S-Militärbasis in der Panamakanal-Zone als den Standort eines sicheren transnationalen Kommunikationscenters für Condor.

Laut Fretes Dávalos benützten Geheimdienstchefs aus Brasilien, Argentinien, Chile, Bolivien, Paraguay und Uruguay „ein verschlüsseltes System innerhalb des U.S.-Telekommunikationsnetzes“, welches ganz Lateinamerika umfasst, um „Geheimdienstinformation zu koordinieren“. In dem Telegramm zieht White die Verbindung zur Operation Condor und wirft die Frage auf, ob das Arrangement im U.S. Interesse liege, aber er erhielt nie eine Antwort.

Die Basis in Panama beherbergte während der meisten Zeit des Kalten Krieges unter anderem die Hauptquartiere der U.S. Southern Command (SOUTHCOM), der U.S. Special Forces und der Army School of the Americas. Zehntausende lateinamerikanische Polizeibeamte wurden dort trainiert, und die berüchtigten Folterhandbücher, die Mitte der 1990er vom Pentagon und der CIA freigegeben wurden, wurden dort verwendet. Lateinamerikanische Offiziere, welche dort trainiert wurden, bestätigten, dass die Basis das Zentrum der hemisphärischen antikommunistischen Allianz war. Ein Militärabsolvent der Schule sagte: „Die Schule war immer eine Speerspitze für andere Spezialoperationen, geheime Operationen.“ Ein anderer Offizier von der argentinischen Navy, dessen Einheit in 1972 in Kidnap-Kommandos (Spezialeinheiten) organisiert war, sagte, die Repression sei „Teil eines Plans“ gewesen, „der einer Doktrin der Nationalen Sicherheit entsprach, die als Basis die School of the Americas hatte und vom Pentagon in Panama geleitet wurde.“

Die zweite erstaunliche Information, die erst kürzlich veröffentlicht wurde, war das Eingeständnis der CIA selbst im September 2000, dass der DINA Chef Manuel Contreras zwischen 1974 und 1977 ein CIA-Agent war und eine nicht näher bezeichnete Bezahlung für seine Dienste erhielt. Während derselben Jahre war Contreras als „Condor One“ bekannt, der leitende Organisator und Befürworter der Operation Condor. Die CIA gab diese Information 1978 niemals bekannt, als Contreras von einem Bundeschöffengericht (federal grand jury) für seine Rolle in den Letelier-Moffitt-Attentaten angeklagt wurde. Contreras wurde für seine Verbrechen zu einer Haftstrafe in Chile verurteilt und in Abwesenheit in Italien wegen des Leighton-Angriffs verurteilt. Die CIA behauptet, dass er Contreras bis nach der Ermordung von Letelier und Moffit im September 1976 nicht über Condor befragt hätte. Diese Aussage ist wenig glaubwürdig, vor allem wenn man bedenkt, dass die CIA in frühere Attentatspläne von Condor eingeweiht war. Darüber hinaus half die CIA 1974 die DINA zu organisieren und zu trainieren, und sie behielt Contreras noch ein Jahr nach den Letelier/Moffit-Attentaten als Aktivposten. Die CIA zerstörte die Contreras-Akte 1991.

Die Beziehung von Michael Townley zur CIA ist ebenfalls zwielichtig. Townley trat in der Letelier/Moffit Attentats-Verhandlung als Kronzeuge auf, sagte einen kurzen Satz und wurde ins Zeugenschutzprogramm übernommen. In Chile sagte Townley, er wäre ein CIA Agent gewesen, und das sagte auch der Verteidiger von beschuldigten Exilkubanern in der Letelier/Moffit Verhandlung in den Vereinigten Staaten. Tatsächlich zeigen freigegebene Dokumente, dass Townely im November 1970 von CIA Mitarbeitern befragt wurde und als „als möglicher [Satz herausgeschnitten] der Einsatzleitung von 1971“ beurteilt wurde, obwohl die Aktennotiz vorsichtig anmerkt, dass das „Büro für Sicherheitsakten nicht bedenkt, ob Mr. Townley tatsächlich jemals von der Agentur verwendet wurde.“

Eine andere Erklärung sagt, dass „im Februar 1971 die Einsatzabteilung im Voraus eine Sicherheitsgenehmigung verlangte, um Mr. Townley operativ einsetzen zu können.“ Townley hatte enge Verbindungen zur U.S.-Botschaft und zu hochrangigen Außendienstmitarbeitern, die von seinen Verbindungen zur faschistischen paramilitärischen Anti-Allende Gruppe Patria y Libertad [„Heimat und Freiheit“] wussten. Die Frage, die gestellt werden muss, ist, ob Townley oder Contreras in Condor-Planungen und Aktionen unabhängig agierten oder als CIA-Agenten.

Schlussfolgerung

Obwohl die dokumentarischen Belege noch immer fragmenthaft sind und viele Quellen unter Verschluss gehalten werden, zeugen zunehmend gewichtige Hinweise davon, dass der nationale U.S.-Sicherheitsapparat Condor Operationen gesponsert und unterstützt hat. Die neuen Hinweise eröffnen wichtige ethische, legale und strategische Fragen, die noch aus der Ära des Kalten Krieg herrühren. In den heutigen fragilen lateinamerikanischen Demokratien kämpfen zivile Regierungen immer noch mit den Hinterlassenschaften von staatlichem Terrorismus und mit der Kontrolle ihrer immer noch mächtigen militärischen Sicherheitsorganisationen, während Familien immer noch herauszufinden versuchen, was mit ihren verschwundenen Angehörigen geschehen ist. Für U.S.-Bürger tauchen aus neuen Dokumenten beunruhigenden Fragen auf zu der zentralen Rolle der USA bei der Finanzierung, dem Training und der Kollaboration mit Militär, Geheimdienst und Polizei, die im Namen der nationalen Sicherheit Folter, Mord und Staatstreiche durchführten. Während des Kalten Krieges wurde davon ausgegangen, dass der Zweck die Mittel heilige, woraus, unterstützt von der U.S. Regierung, entsetzlicher Missbrauch resultierte, der die Menschenrechte und fundamentale Freiheiten missachtete.

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Teilnehmer der staatsterroristischen, multinationalen Geheimdienstoperation Operation Condor
Grün: Teilnehmende Staaten,
Hellgrün: Teilweise beteiligte Staaten,
Blau: Unterstützende Staaten. Bis heute ist die Rolle der USA nicht annähernd vollständig aufgeklärt.

Unter dem Codenamen Operation Condor (spanisch Operación Cóndor) operierten in den 1970er- und 1980er-Jahren die Geheimdienste von sechs südamerikanischen Ländern – Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien – mit Unterstützung der Vereinigten Staaten,[1] mit dem Ziel, linke politische und oppositionelle Kräfte weltweit zu verfolgen und zu töten. In geringerem Umfang waren auch die Geheimdienste Perus, Kolumbiens und Venezuelas[2] an den Aktionen beteiligt.[3][4] Fast alle beteiligten Länder wurden zu Beginn der Geheimoperation von Militärdiktaturen oder rechtsautoritären Regimen regiert. Sie endete in den einzelnen Ländern jeweils spätestens mit deren Übergang zur Demokratie. Die wirksame juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen kam erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Gang und dauert bis heute an.

Die Operation Condor wurde offiziell im November 1975 auf Wunsch des chilenischen Diktators Augusto Pinochet gestartet. Die Hauptphase der Operation fand zwischen 1976 und 1978 statt. Die Beziehungen zwischen Chile und Argentinien wurden 1978 angespannt, was schließlich zum Zusammenbruch des gesamten Condor-Netzwerks führte, obwohl der Betrieb bis 1981 fortgesetzt wurde.[5]

Die 1992 in Paraguay entdeckten Archive des Terrors enthüllten die Existenz der Operation Condor und dokumentierten zahlreiche Missbräuche. Sie dokumentieren die Entführung, Folter, Vergewaltigung und Ermordung von mindestens 763 Menschen, darunter mindestens 370 Morde.[5] Der amerikanische Politikwissenschaftler J. Patrice McSherry schätzt, dass bei der Operation 402 Menschen getötet wurden.[6]

Nach dem bisherigen Kenntnisstand beschlossen die Vertreter der sechs Staaten auf Vorschlag des damaligen chilenischen Geheimdienstchefs Manuel Contreras am 25. November 1975 die grenzübergreifende Zusammenarbeit. Die Übereinkunft fiel mit dem 60. Geburtstag des damaligen chilenischen Diktators General Augusto Pinochet zusammen. Fünf Tage zuvor war der spanische Diktator Franco gestorben. Die Länder kooperierten beim Informationsaustausch sowie der Verfolgung und Tötung von als Staatsfeinden eingestuften politischen Gegnern in den Nachbarstaaten sowie im Ausland. Eine gemeinsame Informationszentrale wurde im Hauptquartier der chilenischen Geheimpolizei DINA eingerichtet.[7][8]

Intern wurden die geheim gehaltenen Aktivitäten mit der Ausschaltung von Regimegegnern sowie als Kampf gegen internationale terroristische Elemente begründet. Dabei setzten die Geheimdienste ihre Agenten auf die Spur von Gegnern der Militärregime, linken Politikern, Priestern, Gewerkschaftern, Oppositionellen sowie Vertretern von Menschenrechtsorganisationen. Die Opfer wurden in der Regel ohne Begründung oder gerichtliche Grundlage verhaftet oder verschleppt und danach oft ermordet (span. Desaparecidos ‚[die] Verschwundene[n]‘; siehe auch Verschwindenlassen).

Mehrfach wurden auch im Ausland, u. a. in den USA, Italien, Frankreich und Portugal, Mordanschläge verübt. Unter anderem wird das tödliche Attentat auf den ehemaligen chilenischen Außenminister Orlando Letelier im September 1976 in Washington (Autobombenanschlag) mit Agenten der Operation Condor in Verbindung gebracht. DINA-Chef Manuel Contreras wurde für diese Tat vor einem US-Gericht angeklagt (siehe Rolle der USA). Im Jahr 2004 wurde er wegen „gewaltsamen Verschleppens von Personen“ in Chile zu 12 Jahren Haft verurteilt (siehe Juristische Aufarbeitung).

Gedenkmarsch mit Fotos von Verschwundenen zum Anlass des dreißigsten Jahrestages des Militärputsches in Argentinien, 24. März 2019

Nach dem bisherigen Stand der offiziellen Ermittlung sowie der Auswertung von Dokumenten fielen mindestens 200 Personen der Zusammenarbeit der Staaten während der Operation Condor zum Opfer. Die weitaus größere Zahl der Opfer ist jedoch auf direkte Maßnahmen der nationalen Regierungen gegen ihre eigenen Bürger zurückzuführen, allein in Argentinien gelten etwa 30.000 Menschen als dauerhaft verschwunden, in Chile 2.950. Doch die Bilanz der lateinamerikanischen Repressionspolitik ist nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen weitaus höher: Etwa 50.000 Ermordete, 350.000 Verschwundene und 400.000 Gefangene.[9][10]

Juristische Aufarbeitung

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Die Geheimdienstoperation wurde durch Zufall bekannt, als bei Recherchen des paraguayischen Anwalts Martín Almada im Dezember 1992 in einer Polizeistation im Vorort der Hauptstadt Asunción Dokumente über die Operation Condor entdeckt wurden. Diese so genannten Terrorarchive führten zu intensiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in den inzwischen demokratisch regierten Ländern.

Paraguays ehemaliger Diktator Alfredo Stroessner wurde in mehreren Fällen wegen der Operation Condor angeklagt – er starb jedoch im brasilianischen Exil geschützt vor einer Strafverfolgung. Am 13. Dezember 2004 erhob ein chilenisches Gericht Anklage gegen den chilenischen Ex-Diktator Pinochet; er starb jedoch, bevor es zu einer Verurteilung kommen konnte. Die meisten angeklagten Politiker, die sich bisher zu den Vorwürfen geäußert haben, lehnen jede Verantwortung für die Operation Condor und die blutige Repression in ihren Ländern ab und beschuldigen die nationalen Polizeidienste. Mittlerweile wurden jedoch einige Beteiligte rechtskräftig verurteilt, unter anderem der chilenische DINA-Chef Manuel Contreras, mehrere chilenische und argentinische Offiziere sowie im Jahr 2010 auch der ehemalige Junta-Chef von Argentinien, Jorge Rafael Videla. Contreras wurde im April 2003 von einem chilenischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt. Im Januar 2004 bestätigte ein Berufungsgericht den Schuldspruch, setzte seine Strafe aber auf 12 Jahre herab. Es handelte sich dabei um die erste Verurteilung wegen „gewaltsamen Verschleppens von Personen“ während der Militärdiktatur in Chile. Zahlreiche Prozesse sind in den betroffenen Ländern anhängig.

Im Jahr 2009 kehrte Sabino Montanaro nach jahrelangem Exil nach Paraguay zurück. Montanaro war erst Chef der paraguayischen Geheimpolizei und später ab 1966 Innenminister unter Diktator Stroessner. Ihm wurde eine tragende Rolle bei der Operation Condor zugeschrieben. Er hatte sich 1989 mit einem Diplomatenpass nach Honduras abgesetzt. Ob Anklage erhoben werden sollte, war zunächst unklar, da er zu krank und alt für eine Gerichtsverhandlung erschien.[11] Montanaro verstarb schließlich 2011, bevor es zu einer Verurteilung kommen konnte. Zu diesem Zeitpunkt waren sieben Gerichtsverfahren wegen diverser Menschenrechtsverletzungen gegen ihn anhängig, unter anderem wegen des gewaltsamen Verschwindenlassens von Personen.[12]

Ende Mai 2016 wurden in Argentinien insgesamt fünfzehn frühere Militärangehörige wegen ihrer Beteiligung an der Operation verurteilt. Der ehemalige Militärmachthaber des Landes, Reynaldo Bignone, erhielt wegen der Beteiligung an mehr als einhundert Morden eine zwanzigjährige Haftstrafe. Der ursprünglich ebenfalls angeklagte Jorge Videla war im Laufe des sich über mehr als drei Jahre hinziehenden Prozesses verstorben.[13]

2017 wurde der 95-jährige Ex-Präsident Perus Francisco Morales Bermúdez in Rom zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Rolle der USA und Frankreichs

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Die Rolle der US-Regierung und der US-Geheimdienste bei der Operation Condor ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. In den Jahren 2000 und 2001 veröffentlichte US-Geheimdienstdokumente[14] legen den Schluss nahe, dass das FBI und der amerikanische Geheimdienst CIA von den Aktivitäten Kenntnis hatten, sie duldeten und logistisch und technisch unterstützten. Den Dokumenten zufolge lieferten sie technische Hilfsmittel und gaben Ausbildungskurse für die Agenten. Eine wichtige Rolle spielte dabei das militärische Ausbildungszentrum School of the Americas in der Kanalzone Panamas.

Französische Veteranen aus dem Algerienkrieg schulten Offiziere der Militärregime in der so genannten Französischen Doktrin, die ein umfassendes Instrumentarium zur Unterdrückung von Oppositionellen darstellt und unter anderem die systematische Folter und Ermordung von (oftmals willkürlichen) Verdächtigten umfasst.[15]

Laut einem internen CIA-Untersuchungsbericht hielt die Behörde von 1974 bis 1977 enge Kontakte zum Leiter der Operation Condor, Manuel Contreras.[16] Die CIA bestätigte auch, zu mindestens einem Zeitpunkt Zahlungen an Contreras geleistet zu haben, die Summe wurde nicht veröffentlicht. Als Contreras 1976 wegen des Mordes an Orlando Letelier in Washington von einem US-Bundesschöffengericht (federal grand jury) angeklagt wurde, hatte die CIA diese Information zurückgehalten, sie kam erst im Jahr 2000 an die Öffentlichkeit.

Unter den im Jahr 2000 freigegebenen US-Dokumenten befand sich auch ein Telegramm[17] des damaligen US-Botschafters in Panama an den US-Außenminister aus dem Jahr 1978. Darin berichtet der Absender, dass eine US-Nachrichtenzentrale in Panama für den Informationsaustausch der Condor-Agenten diene. Er drückte die Befürchtung aus, dass das Bekanntwerden dieser Tatsache ein schlechtes Licht auf die Rolle von US-Behörden bei der Ermordung von Orlando Letelier werfen könnte, die zu dieser Zeit Gegenstand eines Strafprozesses in den USA war.

Vor allem dem US-Sicherheitsberater (1969–1973) und Außenminister (1973–1977) Henry Kissinger wird aufgrund von Dokumenten vorgeworfen, dass er die Aktion aktiv unterstützt habe, da er in den lateinamerikanischen Ländern kommunistische Revolutionen fürchtete (Domino-Theorie) und die diktatorischen Machthaber als Verbündete der USA im Kampf gegen den Kommunismus ansah.[18]

In Südamerika wurden in den 1970er und 1980er Jahren fast alle Länder längere Zeit von politisch rechtsgerichteten, meist von den USA unterstützten Militärdiktaturen regiert. Diese unterdrückten fast durchweg mit Gewalt die meist links stehende Opposition. Ein verbreitetes Mittel dazu war die heimliche Entführung (Verschwindenlassen) missliebiger Personen durch anonym bleibende Mitglieder von Sicherheitskräften. Die Opfer wurden während der Haft in Geheimgefängnissen meist gefoltert, erniedrigt und in sehr vielen Fällen anschließend ermordet (siehe Desaparecidos). Allein während der Militärdiktatur in Argentinien von 1976 bis 1983 verschwanden auf diese Weise bis zu 30.000 Menschen spurlos. Nach dem Übergang der Staaten zur Demokratie, meist in den 1980er und 1990er Jahren, wurde die Strafverfolgung solcher Verbrechen in vielen Ländern durch generelle Amnestiegesetze für die Täter jahrelang be- oder verhindert. Diese wurden in den letzten Jahren jedoch in mehreren Ländern rückwirkend aufgehoben, so dass zahlreiche ehemalige Diktatoren und Folterer mittlerweile bestraft wurden oder noch vor Gericht stehen.

Einzelnachweise

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  1. A. J. Langguth: Hidden terrors. New York : Pantheon Books, 1978, ISBN 978-0-394-40674-9 (archive.org [abgerufen am 1. Februar 2023]).
  2. El Nacional text. 6. Dezember 2011, archiviert vom Original am 6. Dezember 2011; abgerufen am 1. Februar 2023.
  3. Predatory States. Operation Condor and Covert War in Latin America/When States Kill. Latin America, the U.S., and Technologies of Terror (Memento vom 16. Juni 2011 im Internet Archive)
  4. Daniel Brandt: Operation Condor: Ask the DEA. 10. Dezember 1998, abgerufen am 1. Februar 2023 (englisch).
  5. a b Giles Tremlett: Operation Condor: the cold war conspiracy that terrorised South America. In: guardian.co.uk. The Guardian, 3. September 2020, abgerufen am 11. Juni 2023.
  6. J. Patrice McSherry: Predatory States: Operation Condor and Covert War in Latin America. Rowman & Littlefield Publishers, Lanham, Maryland 2005, ISBN 978-0-7425-3687-6 (google.com).
  7. Virtual Truth Commission: Reports by Topic: Operation Condor (Memento vom 9. Januar 2006 im Internet Archive), 27. Juni 1999
  8. Operación Cóndor en el Archivo del Terror. National Security Archive, 21. Dezember 2007, abgerufen am 1. Februar 2023.
  9. "Operation Condor": Terror im Namen des Staates | tagesschau.de. 24. August 2007, archiviert vom Original am 25. März 2023; abgerufen am 1. Dezember 2023.
  10. amerika21: In Chile wird an Henry Kissingers Mitwirkung am Putsch 1973 erinnert. 1. Dezember 2023, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  11. Ailing Stroessner Henchman Returns to Paraguay. In: Latin American Herald Tribune. 4. Mai 2009, abgerufen am 5. Mai 2009 (englisch).
  12. Jan Päßler: Ex-Innenminister Montanaro letzte Nacht verstorben. (Memento vom 7. Dezember 2012 im Internet Archive) Das Wochenblatt, Asunción, 11. September 2011
  13. Südamerikanische Militärdiktaturen: Argentinien verurteilt Militärs wegen "Plan Cóndor". Spiegel Online, 27. Mai 2016, abgerufen am gleichen Tage
  14. National Security Archive: Chile: 16,000 Secret Documents Declassified. CIA Forced to Release Hundreds of Records of Covert Operations, 13. November 2000
  15. Marie-Monique Robin: Todesschwadronen - Wie Frankreich Folter und Terror exportierte. In: Arte Programmarchiv. 8. September 2004, archiviert vom Original am 21. Juli 2012; abgerufen am 13. Januar 2009.
  16. Christopher Hitchens: The Case Against Henry Kissinger. In: Harper’s Magazine. Februar 2001, S. 37 (Online (Memento vom 7. August 2010 im Internet Archive) [PDF]).
  17. Telegramm des US-Botschafters in Panama zur Nutzung von US-Einrichtungen durch Condor-Agenten (PDF; 48 kB), 20. Oktober 1978, Quelle: George Washington University
  18. Christopher Hitchens: The Case Against Henry Kissinger. In: Harper’s Magazine. Februar 2001, S. 2–3 und vorletzte Seite. Online (Memento vom 7. August 2010 im Internet Archive)