MOZ, Nummer 48
Januar
1990
ÖVP präsentiert: „Ökosoziale Marktwirtschaft“

Alles wird gut

Auf ihrem letzten Parteitag versuchte die ÖVP, ihrem Grünanstrich eine programmatische Grundlage zu geben. Sie verabschiedete ein Konzept für eine „Ökosoziale Marktwirtschaft“, das die Partei aus der ideologischen Orientierungslosigkeit führen soll. Vorangestelltes Motto: „Lassen wir den Markt die Umwelt schützen.“

ÖVP-Visionen: Grüne Unverbindlichkeit
Bild: ÖVP Pressestelle/R. Apostel

Der präsentierte Vorschlag sollte „ein neues politisches Ordnungsmodell für die 90er Jahre“ darstellen, ein Anspruch, den das 42 Seiten umfassende Papier allerdings nicht einmal für konservative grüne Geister erfüllen kann. Von „Konzept“ oder gar „Programm“ zu sprechen, wäre stark übertrieben — selbst Hans Rauscher bezeichnete im „Kurier“ den Leitantrag lediglich als „Idee“ — aber immerhin, „das war es ja, was die ÖVP seit geraumer Zeit gesucht hat“.

Das unter der Federführung von Karl Aiginger, Leiter der Abteilung Industrie am „Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung“, entstandene Papier beginnt mit einem Bekenntnis zur und einer Huldigung an die Soziale Marktwirtschaft: Diese habe „den Beweis erbracht, daß Konflikte zwischen Arbeit und Kapital, zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Gewinnstreben partnerschaftlich gelöst werden können“. Noch nicht gelöst werden konnten Umweltprobleme, daher gehe es jetzt um die „Weiterentwicklung und Ergänzung unserer erfolgreichen Wirtschaftsordnung um ökologische Gesichtspunkte“.

Dabei setzt die ÖVP auf „marktwirtschaftliche Lösungen“, auf die „Dynamik eines qualitativen Wachstums“ sowie auf die „Vernunft und Lernbereitschaft der Menschen“.

Laut Leitantrag war der entscheidende Mangel bisher, daß „die Ökonomie zu wenig ins Preissystem Eingang gefunden“ hat. Umweltschäden blieben deshalb unberücksichtigte Kosten, folglich entstand — getreu der Marktdevise: „Was nichts kostet, ist nichts wert“ — ein „Konsumverhalten und eine Nachfrageentwicklung in Richtung Wegwerfgesellschaft“.

Der Natur(zerstörung) ihren Preis

Zukunftsweisend ist für die ÖVP daher ihr Vorschlag, die real durch Umweltschäden entstehenden Kosten in der ökonomischen Kalkulation (mit)zuberücksichtigen. Weiters müsse die Wirtschaftspolitik von der Erkenntnis ausgehen, daß natürliche Ressourcen wie Wasser, Luft, Boden oder auch die Artenvielfalt zu „knappen, erschöpfbaren und damit kostbaren Gütern geworden sind“. Hat die Belastung der Umwelt, sei es durch Verschmutzung oder Ressourcenverbrauch, erst einmal ihren meßbaren volkswirtschaftlichen Preis, dann ergibt sich die ebenso rechenbare Größe der möglichen Ersparnisse, wenn Umweltbelastungen reduziert oder vermieden werden: „Eine marktwirtschaftliche Umweltpolitik wird vor der Einführung zusätzlicher Verbote, Auflagen und gesetzlicher Verordnungen — auch wenn sie teilweise unentbehrlich sein mögen — zu allererst stets prüfen, mit welchen marktwirtschaftlichen Maßnahmen das Umweltziel erreicht werden kann“.

Wie diese Selbstregulierung des Marktes funktionieren könnte, wird nicht ausgeführt. Statt dessen enthält der Leitantrag absatzweise christlich-demokratische Bekenntnisse, die an Unverbindlichkeit kaum zu überbieten sind. Man will die Umweltqualität erhöhen und den Lebensstandard beibehalten, man will Solidarität mit Natur und Leben üben, man will persönliche Verantwortung statt bürokratischer Kontrolle, man wendet sich gegen Fortschrittsskepsis, Wirtschaftsfeindlichkeit und Zukunftspessimismus.

Grüne Unverbindlichkeit

Grundsätzlich kennen ökokapitalistische Konzepte zwei Instrumente zur Steuerung einer umweltgerechten Produktion: Auflagen und Verbote einerseits, Steuern und Abgaben andererseits. Auf Grund ihrer bündischen Struktur und Abhängigkeit von der heimischen Wirtschaft konnte sich die ÖVP nicht einmal am Papier auf ein halbwegs konsequentes Konzept für eine „ökosoziale Marktwirtschaft“ einigen. Denn für ordnungspolitische Maßnahmen hat die ÖVP kaum etwas über, ist doch das Aussprechen von Verboten notwendigerweise eine staatliche Aufgabe und somit im Widerspruch zum konservativen Dogma der Entstaatlichung. Was die Abgabenpolitik betrifft, spricht man sich zwar einerseits für „eine schrittweise Umorientierung zu einem ökologisch ausgerichteten Steuersystem“ aus, andererseits warnt man vor „einer Flut neuer und unübersichtlicher Belastungen ..., die den Bürger und die Wirtschaft in gleicher Weise verunsichern“ könnten. Angedeutet werden lediglich eine mögliche Abgabe auf verschmutztes Abwasser sowie eine Belastung nicht regenerierbarer fossiler Energieträger wie Heizöl, Kohle oder Erdgas nach dem Kriterium ihrer Umweltverträglichkeit.

Daß die ÖVP die sogenannten Umweltzertifikate als „interessant“ einstuft, zeigt, daß ihre „Leitidee für die 90er Jahre“ rettungslos verstaubt ist. Diese Umweltzertifikate, die einem Unternehmen erlauben, ein bestimmtes Kontingent an einer zugelassenen Gesamtverschmutzung zu erwerben, werden selbst von konservativen Ökologen als gescheitert betrachtet. Die etwa in den USA gemachten Erfahrungen zeigen, daß Umweltzertifikate nicht zu weniger Verschmutzung führen, sondern lediglich den industriellen Konzentrationsprozeß beschleunigen. Die Großen können sich eben mehr Umweltverschmutzung leisten als die Kleinen.

So bleibt die ÖVP bei Appellen und Wunschdenken. Wie realistisch allerdings ihre Prognose, „daß im Umweltschutz sehr oft einvernehmliche Lösungen gefunden werden können“, ist, zeigte sich an den Diskussionen um das Nachtfahrverbot.

Nachtfahrverbot ökokapitalistischer Flop

Dieses, schon in Streichers Konzeption alles andere denn radikal (man denke nur an die absurde Wortschöpfung „Flüster-LKW“ oder die zahlreichen Ausnahmen für Fahrzeuge des Straßendienstes, des Bundesheeres, Transporte für leicht verderbliche Lebensmittel, „lärmarme“ LKW, Transporter unter 7,5 Tonnen), wurde von den ÖVP-Granden Partl und Katschthaler völlig ad absurdum geführt. So erteilte allein die Salzburger Landesregierung noch vor dem ersten Dezember zusätzlich zu den bestehenden Ausnahmen Sondergenehmigungen für weitere 286 LKW. Eine Ziffer, die den tatsächlichen Verkehr auf der Tauernautobahn — derzeit knapp 160 LKW pro Nacht — um fast das Doppelte übersteigt.

Die Stärke der Frächter, die keineswegs mit wirklich mächtigen kapitalistischen Lobbies wie Automobil- und Chemieindustrie gleichzusetzen sind, hätte der ÖVP vor Augen führen können, daß „Vernunft“ keine Kategorie innerhalb kapitalistischen Wirtschaftens ist. Denn was kümmert es den einzelnen Transportunternehmer, daß die gesamtgesellschaftlichen Kosten bei Bahntransporten nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was der Weg über die Straße kostet? Da er betriebs- und nicht volkswirtschaftlich kalkuliert, kümmert es ihn verständlicherweise nicht.

Ein Widerspruch, der gemeinhin für die Frächter erkannt wird. Dieser Erkenntnis folgt leider keine verallgemeinerte Konsequenz. Denn das Beispiel „Frächter“ ist beliebig, im Kapitalismus agiert jedes Unternehmen auf eigene Faust, getrieben vom Wunsch und Zwang, Profite zu maximieren. Und diese können unter anderem deshalb erwirtschaftet werden, weil soziale wie ökologische Folgekosten nicht vom einzelnen Unternehmer, sondern von der Allgemeinheit bezahlt werden.

Freiwillig wird kein Unternehmer die in seinen Werken produzierte Umweltzerstörung bezahlen. Er muß dazu gezwungen werden. Wie schwach die Position des Staates dabei ist, kann wieder am Beispiel Nachtfahrverbot ermessen werden.

Also sind doch Steuern die geeigneteren Instrumente? Mitnichten. Denn sollte eine ökologische Steuerpolitik mehr als bloßes Alibi sein, müßten die Steuersätze so hoch bemessen sein, daß sie die gemachten Profite tatsächlich spürbar beschneiden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß eine solche Steuerreform gegen den massiven Widerstand der Industrie durchgesetzt werden kann.

Unauflösbare Widersprüche

Die ÖVP ist als Dienerin mehrerer Herren verschiedenen Interessen verpflichtet. Kein Wunder, daß der Versuch, die Sorge um den Zustand der Umwelt mit wirtschaftlichen Interessen unter einen Hut und in ein Programm zu bringen, scheitern muß.

Aber auch Konzepte, die zum Beispiel von den Grünen präsentiert werden und die weniger deutlich auf die Interessen der Industrie Rücksicht nehmen müssen, lassen die grundsätzlichen Probleme offen.

  • Ökosteuern haben zutiefst unsoziale Auswirkungen: steigende Produktionskosten durch verteuerte Energie etwa werden zwangsläufig auf die KonsumentInnen abgewälzt — real werden also nicht die Unternehmer, sondern die VerbraucherInnen zur Kasse gebeten werden.
  • Nicht bedacht oder, schlimmer noch, in Kauf genommen wird ferner, daß, sollten tatsächlich einschneidende Verbote und Ökosteuern durchgesetzt werden können, die Industrie nicht ihre Produktion, sondern ihre Standpunkte verändern wird. Auslagerung ganzer Branchen in die sogenannte „3. Welt“, für die es weder Sozialleistungen noch halbwegs angemessene Löhne gibt, war die Folge des Sozialstaates in West- und Mitteleuropa, Auslagerung wird die Folge von Produktionshemmnissen wie steigende Kosten oder Auflagen sein. Damit würden bestenfalls „unsere“ Flüsse reiner, „unsere“ Wälder gesünder werden die Kosten bezahlen wieder einmal andere.
  • Gemeinsam ist ökokapitalistischen Konzepten auch ihr resignativer Ansatz. Umweltzerstörung soll nicht verhindert, sondern verteuert werden. Christoph Chorherr, Mitarbeiter im grünen Parlamentsklub, verlangt etwa, der „Natur ihren Preis“ zu geben. Damit aber wird sie endgültig und ein für allemal zur Ware, eine Ware, die getreu dem Grundsatz der freien kapitalistischen Welt gekauft, benützt und zerstört werden kann. Auf Utopien einer anderen Produktionsweise, die nicht per se Mensch und Natur ausbeutet und zerstört, wird durch solch vordergründig realistische Ökologiekonzepte endgültig verzichtet.
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