FORVM, No. 208/I/II
März
1971

Antikommunismus statt Politik

Leider kranken die Bundesdeutschen immer noch daran, daß sie den von den Nazis initiierten Verfolgungswahn gegenüber Juden und Kommunisten nicht von innen heraus überwunden haben. Bei vielen ist rational nicht erklärbarer Antikommunismus an Stelle antisemitischer Vorurteile getreten. Für solche Haßausbrüche waren zeitweise die Studenten fast allein die Leidtragenden. Diese Feststellung traf anläßlich des Attentats auf Rudi Dutschke auch Sebastian Haffner. Wir haben beide die Kristallnacht in Berlin erlebt und stimmen darin überein, daß es Goebbels damals nur gelungen war, zu jeder Schandtat bereites Gesindel zur Plünderung aufzuwiegeln, während die den Juden in einem erfreulichen Ausmaße wohlgesinnte Bevölkerung sich abseits hielt.

In dieser Beziehung war Springer weit erfolgreicher als Goebbels und seine NS-Presse. Es bleibt unverzeihlich, daß der Berliner Senat solcher Hetze nicht bereits entgegentrat, als dazu noch Zeit war. So wäre vor dem Schöneberger Rathaus anläßlich einer vom Senat veranstalteten Kundgebung beinahe ein junger Mann gelyncht worden, weil er Rudi Dutschke ähnlich sah, ohne daß es der Senat für nötig hielt, daraus die Konsequenzen zu ziehen und gegen die dafür Verantwortlichen Strafantrag wegen Volksverhetzung zu stellen. Dafür stellte der Regierende Bürgermeister — wenn auch ohne Erfolg — Strafantrag gegen den Ostberliner Dichter Wolf Biermann, weil er die Untätigkeit gegenüber der Springer-Presse in dem Liede „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“ angeprangert hatte.

Weit schlimmer ist der Versuch der SPD-Führung, nun auch noch den Jungsozialisten Kommunistenhaß, der gleich einer Seuche unter den Bundesdeutschen über vierzig grassiert, als Parteidoktrin aufzuerlegen. Wegen ihrer Aussöhnungspolitik mit dem Osten sieht sich die SPD aus innerer Unsicherheit veranlaßt, jede gemeinsame Aktion mit den Kommunisten für ihre Parteigänger zu verbieten, um so der Verleumdungskampagne der CDU und einem dadurch befürchteten Wählerschwund zu entgehen. Nun läßt sich leider nicht leugnen, daß auch die SPD eine ansehnliche Reihe unbelehrbarer Revanchisten zu ihren Wählern zählt, aber diese wird sie durch solche Panikmaßnahmen nicht zurückholen. Sie sollte sich auf die Einsicht ihrer übrigen Wähler verlassen.

Man kann unmöglich die Gespräche zwischen Bahr und Kohl als „innerdeutsche“ Dialoge proklamieren, obgleich es sich um Dialoge zwischen Vertretern zweier deutscher souveräner Staaten handelt, und gleichzeitig innerdeutsche Dialoge, wo sie tatsächlich zwischen Kommunisten und Sozialisten oder Jungsozialisten stattfinden, mit dem Parteiausschluß der eigenen Genossen bedrohen.

Ein solches Fehlverhalten zieht den Fluch der Lächerlichkeit nach sich, der sich aus ähnlichen Gründen auch die Nazis ausgesetzt sahen, solange die Presse noch nicht gleichgeschaltet war. So richtete im Berliner „Montagmorgen“ ein angeblicher SA-Mann einen Brief an seinen „über alles geliebten Führer“ und bat ihn um die Erlaubnis, daß er außer ihm auch „weiterhin seiner nur zu drei Vierteln rein arischen Magdalena als Ehemann die Treue halten darf“. Die Jungsozialisten gingen in ihrer Persiflage noch einen Schritt weiter und bewerteten einen ähnlichen fiktiven Hilferuf als Initiativ-Antrag:

Liebe Genossen,

ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Die Frieda, meine Frau, macht bei den Kommunisten mit, sie ist in der Betriebsgruppe Stadtwerke der DKP am Arbeiten. Nun ist ja die Frieda meine Frau, und jetzt habe ich ja in der Zeitung gelesen, daß auch unser Willy und die anderen in der Baracke gesagt haben, daß man nicht mit den Kommunisten paktieren darf. Ich weiß nun weder ein noch aus. Was darf ich denn jetzt mit der Frieda noch machen? Meine Kollegen haben nun gesagt, mit der Frieda wäre es wohl jetzt nichts mehr, genauso wie das mit den Katholischen und Evangelischen nicht geht. Nun ist das ja so, Frieda ist eben meine Frau, und mögen tue ich sie ja immer noch. Ich möchte ja überhaupt mal wissen, ob ich mit der Frieda noch über Politik reden soll, wenn sie davon anfängt.

Und wenn ich mit ihr einkaufen gehe, oder auf einen Betriebsausflug, dann sagen die Leute ja doch, daß meine Frieda eine Rote ist. Schadet das nun unserer Partei? Und überhaupt ist die Frieda doch unter Adolf meine Frau geworden, wo Sozialdemokraten und Kommunisten zusammenhalten mußten.

Und wie ist das mit den Kindern? Muß ich jetzt schriftlich erklären, daß sie sozialdemokratisch erzogen werden? Und weiß ich auch nicht weiter mit meinen „ehelichen Pflichten“. Denn wenn ich meine Frieda liebhabe, ist das dann, wie Willy und die anderen sagen, auch eine Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten? Ich sehe ja ein, wie das so ist mit den Opfern für die Partei. Dafür ist ja auch gut, daß der Genosse die Ehescheidung verbessert hat. Aber ich mag die Frieda doch.

Euer Anton

Man geht wohl nicht fehl in der Erwartung, daß Willy Brandt hier doch noch die Einsicht zeigen wird, die dem Nazi-Regime fehlte. Und leider auch der CDU. Dafür nur noch ein Beispiel. Während das BDM-Mädchen Erika den Dichter Stefan Zweig wenigstens insgeheim unter der Bettdecke lesen konnte, genügt für die CDU der Umstand, daß Dokumente wie im Falle Globke oder Lübke aus der DDR stammen, für die Unglaubwürdigkeit derselben. Das gilt hier um so mehr, als die CDU die Nazi-Vergangenheit ihrer Mitglieder positiv bewertet.

Die antikommunistische Orientierung der bundesdeutschen Politik geht so weit, daß sich die Bundesregierung und der Berliner Senat nicht entschließen können, die von der DDR angebotene Berlin-Regelung in einem Vertrag mit dieser zu fixieren, obgleich die Vorschläge den Erwartungen der Berliner SPD und der FDP entsprechen.

Eine solche Berlin-Regelung könnte anschließend von den vier Siegermächten sanktioniert werden. Statt dessen sollen die Vereinbarungen in Form eines Diktats der vier Siegermächte aufgesetzt werden.

Das heißt: die befriedigende Berlin-Lösung soll nicht zur Anerkennung der DDR als gleichberechtigten Partner führen.

Und das bedeutet, zusätzlich, daß man in Westberlin vom Verbleiben der vier Siegermächte für alle Zeiten ausgeht bzw. sich keine Gedanken darüber macht, was einmal werden soll, wenn die bereits 26 Jahre in Berlin weilenden Besatzungsmächte die Stadt verlassen.

Ein solches Verhalten resultiert aus dem Kommunistenhaß. Offenbar können die davon befallenen Westdeutschen genauso wenig wie die Nazis ohne eine Minderheit auskommen, die sie zum Sündenbock für ihr eigenes Unvermögen machen.

Kein bundesdeutscher. Politiker hat bisher die Frage befriedigend beantworten können, warum man von allen Ostblockstaaten einzig und allein die DDR-Regierung als Regierung nicht anerkennt. Hier vernebeln Kommunistenhaß und Revanchismus die Tatsache, daß die DDR eine genauso legitime Regierung wie alle anderen Ostblockstaaten hat. Eine solche Diffamierung ist Wahnsinn und hat dennoch Methode. Sobald man nämlich zugibt, daß die DDR ein souveräner Staat mit einer rechtmäßigen Regierung ist, entfällt der Einverleibungsanspruch der Bundesrepublik. Wenn man sich dagegen darauf beruft, daß in beiden Staaten Deutsche wohnen, könnte sich die Bundesrepublik mit weit größerer Berechtigung Österreich und die deutsche Schweiz einverleiben, weil in den drei Staaten überdies dasselbe kapitalistische Wirtschaftssystem besteht.

Warum verzichtet also die BRD nicht endlich genauso wie gegenüber Österreich und der Schweiz auch gegenüber der DDR auf ihren Vereinigungsanspruch und beharrt statt dessen weiterhin auf der Fiktion von der geteilten Nation?

Die von der CDU zur Begründung ihres Anspruches auf Ostdeutschland aufgestellte These, die Bundesregierung sei aus freien Wahlen hervorgegangen und deshalb legitimiert, für ganz Deutschland zu sprechen, entspricht nicht den Tatsachen. Sie wird durch das Verhalten Adenauers widerlegt, der auf die Wiedervereinigung verzichtete, um in Westdeutschland an der Macht zu bleiben. Adenauer wurde mit einer Stimme Mehrheit — seiner eigenen — gewählt; Schumacher wäre mit sicherer Mehrheit Bundeskanzler geworden, wenn die Westberliner Abgeordneten Stimmrecht besessen hätten. Wenn schon eine Wahlbeteiligung der Westberliner das Zustandekommen einer CDU-Regierung verhindert hätte, bleibt unerfindlich, wie die CDU außer mit der ihr eigenen Arroganz ihren Alleinvertretungsanspruch aller Deutschen begründen will.

In Wahrheit war es die CDU mit Adenauer als Kanzler, die die Vorschläge der Sowjetunion von 10. März/9. April 1952 und vom 23. Oktober 1954 ungeprüft ablehnte: Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands mit begrenztem militärischem Status, freie Wahlen unter Beiziehung der UNO. [1]

Obgleich die CDU nur deshalb in der BRD an der Macht blieb, weil sie sich freien Wahlen in beiden deutschen Staaten nicht stellte und auf Wiedervereinigung verzichtete, versucht sie auch heute noch auf dem Umweg über eine stetige antikommunistische Verleumdungskampagne ihre Repräsentanten als angebliche Vorkämpfer für „Wiedervereinigung in Freiheit“ hinzustellen und bezichtigt die sozialdemokratisch-liberale Koalition des Ausverkaufs der deutschen Interessen.

Was die Regierung Brandt/Scheel aufgegeben hat, waren nur längst überholte Vorstellungen und Wunschträume unbelehrbarer Revanchisten, die mit einer Politik der Stärke (Natopakt, Bundeswehr) die Sowjet-Union in die Knie zu zwingen glaubten. Die Worte „Ausverkauf“ und „Verzicht“ bedeuten bloß, daß man nicht länger vom Unmöglichen träumt, sondern sich auf die Verwirklichung des Möglichen beschränkt. Wobei man der CDU einräumen muß, daß sie diese Möglichkeiten in zwanzigjähriger Machtausübung auf ein Minimum eingeengt hat.

In der Politik sollten nur die Argumente entscheiden und nicht die Rasse oder Parteizugehörigkeit. Es kommt nicht darauf an, ob eine Aussage von einem Juden oder einem Kommunisten stammt, sondern auf ihre hieb- und stichfeste Begründung. Nicht vergessen sollte man auch, daß die Kommunisten in weit größerem Ausmaße als die Sozialdemokraten unter Einsatz ihres Lebens sich der Zerstörung des Deutschen Reiches durch den Nationalsozialismus entgegengestellt haben und daß zu ihren Mördern und Widersachern viele Nazis zählten, die später in der CDU untergetaucht sind.

SPD und FDP täten gut daran, wenn sie die angestrebte Aussöhnung mit dem Osten und die Ratifizierung des Moskauer und Warschauer Vertrages nicht von sich aus dadurch in Frage stellen, daß sie sich von den Kommunisten in ähnlich unerträglicher Form abgrenzen wie in finsterster deutscher Vergangenheit, nämlich zu Zeiten Hitlers, der gleichzeitig die Kommunisten verfolgte und mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt abschloß. Damit würde die jetzige Bundesrepublik in den peinlichen Verdacht geraten, daß sie sich an Verträge genauso wenig wie Hitler gebunden fühlt; ein Gewaltverzichtvertrag mit der Sowjetunion schlösse dann jede Hetze auf die kommunistische Ideologie des Vertragspartners ein.

Nicht vergessen sollte man ferner, daß der jetzige CDU-Vorsitzende Kiesinger der Mann war, der bei dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion den Verrat in den ihm unterstellten Rundfunksendungen ins Gegenteil verkehrte und als Notwehr hinstellen ließ. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, später als Bundeskanzler zu erklären, er bezweifle die Redlichkeit der sowjetischen Vertragsabsichten, obgleich in Wahrheit nicht die Sowjetunion, sondern er ein Verräter im Dienst Hitlers war.

Literatur

  • Warum anerkennt Österreich die DDR nicht? Interview mit dem österreichischen Außenminister Rudolf Kirchschläger, von Adalbert Krims, NF Mitte November 1970.
  • Adalbert Krims: DDR überflügelt BRD, NF Mitte November 1970.
  • Eugen Kogon: Antikommunismus, eine deutsche Krankheit, NF Anfang Februar 1970.
  • Manfred Krämer: Katholische Idioten in Ostberlin, NF Jänner 1970.
  • Günther Nenning: Deutschland, Deine Außenpolitik!, mit Beiträgen von W. Abendroth, H. Gollwitzer, G. Heinemann, R. Neumann, NF April/Mai 1966.

[1vgl. Eugen Kogon (Köln): Antikommunismus, eine deutsche Krankheit, NF, Anfang Februar 1970.

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