Risse, Risse 6
Oktober
2003

Antirassismus als Lachnummer

«Juden arbeiten», und «eine Thailänderin macht abends das Licht an». Mit solchen Aussagen versucht eine neue Öffentlichkeitskampagne, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen.

Wie kommen Juden zu ihrem Geld? Woher haben die Kosovo Albaner ihre Autoradios? Was macht ein Schwarzer über Mittag mit seiner Frau? Wer solches fragt, wähnt sich zumeist im Wissen, dass der Albaner klaut, Schwarze triebgesteuert sind und Juden sowieso von der Arbeit anderer leben.

Auf diese Stereotypen hat es die «Stiftung gegen Antisemitismus und Rassismus» im Rahmen ihrer Kampagne «Gemeinsam gegen Rassismus und Antisemitismus» abgesehen. [1] In deren Auftrag entwarf die Werbeagentur «Wirz» ein halbes Dutzend Plakate, auf denen in grossen Lettern Fragen vom Schlage der obenstehenden abgedruckt wurden. Illustriert werden die Botschaften von Karikaturen eines spitznasigen Juden, eines Schwarzen, umgeben von Bananen und mit weissen Zähnen, oder einer grell geschminkten Thailänderin. Und das Kleingedruckte im unteren Teil der Plakate will antirassistisch wirken. Auf die Frage «Wie kommen Juden zu ihrem Geld?» heisst es: «Durch Arbeiten, wie andere Leute auch.» Auf «Woher haben Kosovo Albaner ihre Autoradios?» folgt: «Aus dem Fachgeschäft, wie die meisten Schweizer auch.»

Die Botschaften sind leicht verständlich: Man soll kein Rassist sein, denn Juden raffen nicht nur, sie schaffen auch. Und auch der Kosovo-Albaner ist ein anständiger Mensch, denn wie Herr und Frau Schweizer unterstützt er bei Anschaffung der Unterhaltungsanlage fürs Auto das lokale Kleingewerbe.

Nicht nur Kenner der Rassismus- und Antisemitismusforschung nehmen hier wahr, dass sich in Aussagen wie den genannten die rassistischen und antisemitischen Gedanken perpetuieren, beispielsweise in der Fetischisierung von Arbeit, die im Plakat zu den Juden durchschimmert. Eine An-biederung an den Wertekodex von Rassisten und Antisemiten ist offensichtlich. Dazu schrieb 1962 Theodor W. Adorno: «Indem man so [von der Arbeitsleistung von Juden. A.H.] spricht, gibt man den Antiintellektualismus bereits vor und begibt sich damit schon selbst auf die Ebene des Gegners, auf der man stets im Nachteil ist.» Als Gegenentwurf führt Adorno aus: «Man müsste stattdessen aussprechen, dass diese ganze Argumentation eine Rancune-Argumentation ist: Weil man glaubt, hart arbeiten zu müssen oder es wirklich muss; und weil man im tiefsten weiss, dass harte physische Arbeit heute eigentlich bereits überflüssig ist, denunziert man dann die, von denen zu Recht oder Unrecht behauptet wird, sie hätten es leichter.» [2] Die Bekämpfung muss stattdessen von folgender Er-kenntnis ausgehen: «Den Antisemitismus kann nicht bekämpfen, wer sich zur Aufklärung zweideutig verhält.» [3]

Wer von einem falschen Bewusstsein der Realität ausgeht, kann nicht Antisemitismus (und Rassismus) als Ausdruck solch falschen Bewusstseins bekämpfen. Dies zu versuchen wird notwendig scheitern.

Lachen über die Opfer

Die Kampagne will durch Satire und Überzeichnung wirken. Gewissermassen in einer psychoanalytischen Schnellbleiche sollen verdrängte Reflexe beim Betrachter in dessen Bewusstsein katapultiert werden, um durch Reflexion wieder abgebaut zu werden. Während dies jedoch innerhalb der psychoanalytischen Therapie als langwieriger und schmerzhafter Prozess vonstatten geht, wobei der Therapierte sich primär mit sich selbst auseinandersetzt, findet bei Gestaltung der Plakate keine «Wendung aufs Subjekt» [4] statt, welche Adorno als Voraussetzung jeder Bekämpfung des Antisemitismus postuliert hat.

Der Antisemit und Rassist bleibt ungeschoren, man beschäftigt sich mit seinen Opfern. Dies erinnert an die weit verbreitete Abwehrreaktion, die Juden seien am Antisemitismus selbst schuld, was wiederum eine Form von sekundärem Antisemitismus ist. So gilt nach wie vor Adornos Diktum: «Die Wurzeln sind in den Verfolgern zu suchen, nicht in den Opfern.» [5]

Stattdessen wird in der Kampgne über «die Juden», «die Neger» oder «die Tamilen» gelacht. Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, die Werber müssten eine besondere Gaudi gehabt haben, als sie bis ins kleinste Detail hinein den rassistischen und antisemitischen Stereotypen gehuldigt haben. Fast schon liebevoll wird dem Kosovo-Albaner ein Goldzahn verpasst, damit sein Lächeln besonders dümmlich-unterwürfig ausfällt. Zum fiesen Grinsen des arbeitsscheuen Juden läuft im Kinospot «hava nagila». Nichts wird als zu geschmacklos verworfen. Auf die Gefühle derjenigen Menschen, die von der Kampagne dem Spott preisgegeben werden (und deren Organisationen die Kampagne scharf kritisierten), wird in keinerlei Hinsicht Rücksicht genommen. Goldene Ähren umrahmen als äusserst diffuse Bildsymbolik die Karikatur des Juden und als «biblische Illumination» steht statt ein zum deutschen «W» umstilisiertes hebräisches «Shin». Eine Idee, welche übrigens schon die Nazis zwecks Verspottung der hebräischen Typographie bei Gestaltung des Wortes «Jude» auf dem gelben Stern umgesetzt hatten. Unkritisch werden bestimmte Physiognomien einzelnen «Völkern» zugeordnet, ohne dass der Rest der Plakatbotschaft in irgendeiner Weise auf das damit bediente Vorurteil Bezug nimmt und sich diesem entgegenstellt.

Ideologie des Antirassismus

Antisemiten empfinden ihr Ressentiment als Idiosynkrasie und als natürlichen Reflex; sie glauben, sie können sie «nicht leiden.» Es gibt ein Bedürfnis, rassistisch zu denken und zu handeln. Die gesamte Ästhetik der Plakate ist ein Reizgeber für rassistische und antisemitische Reflexe, ohne dass durch eine vernünftige Argumentation auf deren gesellschaftliche und historische Hintergründe hingewiesen wird. Es war ein Verdienst Horkheimers und Adornos, dass sie im Zusammenhang mit der Dialektik der Aufklärung den Antisemitismus als Moment eines Fortschritts, der nicht mit dem Fortschritt der Freiheit identisch ist, entschlüsselt haben. Wird der Antisemitismus als skurrile Randerscheinung abgetan, dem man mittels ebenso skurriler Plakatmotive entgegentreten möchte, sitzt man selbst einem falschen Schein auf. Die antisemitische Strukturierung der Gesellschaft selbst wird und Antisemitismus als infantiles Denkmuster interpretiert. Antisemitismus gerät so zu einer Fehlreaktion, der man mittels gutgemeinter Hinweise entgegenwirken kann. Dass man Antisemitismus vielmehr als Alltagsreligion der Massen in Europa behandeln müsste, der eine irrationale und regressive Erklärung für die Widersprüche der modernen Gesellschaft bietet, wird dabei geflissentlich ignoriert. [6] Genausowenig berücksichtigt solch eine Kampagne den Vorteil, den Rassisten und Antisemiten aus ihrem Ressentiment ziehen. [7] Wenn der Eindruck erweckt wird, Antisemitismus und Rassismus entstamme reiner Unkenntnis über die Objekte der Aggression, so wird diese Aggression gleichsam entschuldigt.

Es ist nicht per se falsch, auch mit unorthodoxen Mittel verdrängte antisemitische und rassistische Reflexe ans Tageslicht zu fördern, doch wer solche Reflexe so bewusst weckt wie die Kampagne, muss einerseits die ganze Tragweite und die Genese solcher Ressentiments erkennen und andererseits ein Konzept vorliegen haben, wie sie kompromisslos bekämpft werden können. Wer mit dem rassistischen Feuer spielt, sollte wissen, wie man es löscht. Man scheint der Ideologie aufgesessen zu sein, dass man heutzutage in der Schweiz gar nicht rassistisch und antisemitisch sein könne und dass es reichen würde, antisemitische und rassistische Ladenhüter ans Tageslicht zu bringen, um sie so endgültig verschwinden zu lassen. Die Debatten um das Naziraubgold und die Plakatkampagnen der SVP sollten eigentlich reichen, den mangelnden Realitätsgehalt solch einer schönen Illusion aufzuzeigen.

Abwehrmechanismen überwinden

Auch wenn die Werbeaktion inhaltlich und formal zu einem grossen Teil verunglückt ist, so muss man ihr doch zugute halten, dass hier ernsthaft versucht wurde, die gutmenschelnden und moralinschweren «Mein Freund ist Ausländer und wir haben uns alle lieb»-Botschaften herkömmlicher Kampagnen durch provokantere Töne zu ersetzten. Dies ist nicht ganz gescheitert, wenn man sich vor Augen hält, dass gerade rechtsbürgerliche Kreise, die ihrerseits sehr gerne mit Hetzplakaten die Öffentlichkeit belästigen, kein gutes Haar an der Kampgne lassen. Es muss für sie eine Provokation sein, wenn diejenigen, die ihnen Rassismus vorwerfen, für eine antirassistische Kampagne ihren Stil persiflieren. Auch hartgesottene Rassisten, die sich für besonders subversiv halten, weil sie sich im Besitze einer geheimen und vom «Weltjudentum» unterdrückten Wahrheit wähnen, können vor allem getroffen werden, indem ihr angebliches Geheimwissen im Dienste einer antirassistischen Kampagne konterkariert wird. So überkandidelt, wie die Kampagne sich darstellt, hat sie etwas Verwirrendes, Verstörendes. Durch ihre Provokation überwindet sie Abwehrmechanismen, welche ansonsten dazu führen, dass solche Botschaften gar nicht erst aufgenommen werden.

Es kann daher kein Ziel sein, sich wie bei früheren Kampagnen hinter moralischen Appellen zu verschanzen. Doch darf Provokation nicht dazu führen, dass man die inhaltlichen Fragen, um die es eigentlich geht, vergisst. Die Schärfe der Provokation soll die Schärfe der Argumente betonen, nicht sie ersetzen.

[2Adorno, Theodor W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. In: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften. Band 20-1. Darmstadt 1998. S. 369.

[3Ebenda

[4Adorno, Theodor W.: Erziehung nach Auschwitz. In: Adorno, Theodor W: GS. Band 10-2. Darmstad 1998. S. 676.

[5Ebenda

[6Siehe dazu: Claussen, Detlev: Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1987

[7Alber Memmi definiert den Rassismus als: „(...) verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher und fiktiver Unterschiede zum Vorteil des Anklägers zum Nachteil seines Opfers, mit dem seine Privilegien oder seine Aggression gerechtfertigt werden soll.“ Memmi, Albert: Rassimus. Frankfurt a. Main 1987.

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