FORVM, No. 204/I/II
Dezember
1970

Banken zwischen Profit und Staat

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ — heißt es in Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. Eine auf den ersten Blick etwas anstößige, aber auch einleuchtende Bemerkung. Ein Bankraub ist schließlich eine einmalige, jedenfalls schwer wiederholbare‚ das Bankgeschäft dagegen eine kontinuierliche, daher auf Dauer viel einträglichere Angelegenheit. Und wenn es auch, wie man sagt, eine der vornehmsten Aufgaben einer Bank ist, Risiko zu übernehmen, so ist dieses Risiko gewiß geringer als das eines Bankraubs.

I.

Bei weiterer Überlegung allerdings fordert die Brechtsche Fragestellung zu einer Gegenfrage heraus: Warum gerade die Gründung oder der Betrieb einer Bank? Ebensogut könnte man meinen, ein Juwelenraub sei eine Lappalie gegen die Erschließung einer Diamantenmine, ein Zwölfer im Fußballtoto Kleingeld im Vergleich zum Betrieb eines Warenhauses für Sportartikel.

Hier wie dort gilt, daß das normale erfolgreiche kapitalistische Unternehmen letztlich viel einträglicher ist als irgendein geglückter Coup des kleinen Mannes.

Glück, Tüchtigkeit oder auch Bedenkenlosigkeit wiegen wenig, sofern sie nicht mit Kapital gepaart sind.

Kapital ist die wichtigste Startbedingung für den materiellen Erfolg. Je entwickelter eine Wirtschaft, um so mehr Kapital. Mit der fortschreitenden Konzentration von Produktion und Kapital, so lesen wir schon bei Marx, verteuert sich auch die Eintrittskarte.

Bis zum Jahre 1870 kam Berlin mit einer einzigen Aktienbank aus. Es war der Berliner Kassenverein, mit einem Aktienkapital von 1 Million Taler. Die am 10. März 1870 konzessionierte Deutsche Bank AG hatte bereits ein Aktienkapital von 20 Millionen Talern, 100 Jahre später beträgt ihr Grundkapital 480 Millionen DM und das der kleinsten der drei Großbanken, der Commerzbank (ebenfalls heuer 100 Jahre alt geworden), 350 Millionen DM. Gewiß sind diese Zahlen kein Richtsatz für Neugründungen, aber sie illustrieren den Trend. [1]

Daß Brecht gerade von einer Bank sprach, hat natürlich seinen tieferen marxistischen Sinn. Zwar wird Mehrwert, Marx zufolge, ausschließlich in der Sphäre der Produktion (und nicht etwa der Zirkulation) geschaffen; zwar leisten die Banken im Marxschen Schema überhaupt keinen Beitrag zum Prozeß der Wertschöpfung. Dennoch haben sie eine wichtige Rolle im kapitalistischen Reproduktionsprozeß. Zunächst dadurch, daß sie als Agenten der Zentralisation des Kapitals fungieren, [2] ansonsten brachliegendes Geldkapital aus tausenden kleineren und größeren Pools ansaugen, es dann in geballten Mengen in Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft usw. hinauspumpen und solcherart in produktives, „mehrwertheckendes“ Realkapital transformieren.

Durch diese mobilisierende und transformierende Rolle gewinnen Banken allmählich eine geradezu strategische Stellung bei der Verteilung und Verwendung der vorhandenen Ressourcen.

Die Zentralisation des Kapitals ist einer der Haupthebel zur Erlangung der Vorteile der Massenproduktion und damit zu jener Entfaltung, ja Revolutionierung der Produktivkräfte, die nach Marx geradezu die historische Mission der kapitalistischen Gesellschaftsformation darstellt. Zusammen mit der laufenden Akkumulation ist sie auch ein wichtiges Element der Konzentration des Kapitals. Als Träger der Zentralisation beschleunigen die Banken die Herausbildung jener „große Kapitalien, die die kleinen (im Zuge der Konkurrenz um größere Marktanteile) schlagen“ (Marx).

Indem die Banken Kredit zur Verfügung stellen, erweitern sie die Dispositionsmöglichkeiten der Kreditnehmer, erhöhen sie deren Kommandogewalt über reale Ressourcen, damit ihre Produktionspotenz und Konkurrenzfähigkeit. Marx stellt die Banken dabei in den Rahmen seiner generellen Reproduktions-, Akkumulations- und Konzentrationstheorie. Er betont auch die zyklenverschärfende Rolle des Kreditsystems, mit dessen Hilfe die Produktionspotenzen zunächst über alle Maßen angespannt werden, um dann — wenn sie die gegebenen „Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals“ überschritten haben — um so verheerender in sich zusammenzustürzen.

So dramatisch die diesbezügliche Darstellung bei Marx, so geht er damit doch nicht wesentlich über andere zeitgenössische Autoren hinaus. Die besondere gesellschaftspolitische Machtstellung der Banken wird erst von späteren marxistischen Autoren wie R. Hilferding und W. I. Lenin herausgearbeitet.

II.

Besonders Hilferding [3] lieferte eine profunde Analyse der neuen Erscheinungen im Kapitalismus, vor allem der seit den siebziger Jahren rapid sich entwickelnden Verflechtungsprozesse, die bei Marx erst andeutungsweise dargestellt waren.

Es geht dabei nicht nur um die Herausbildung oligopolistischer Strukturen, die das frühere Wettbewerbsmodell zusehends überholt erscheinen lassen, also um die beherrschende Stellung einer Handvoll großer Kapitalgesellschaften — Konzerne und Trusts — auf den verschiedenen Produktionssektoren und Märkten. Es geht auch, und in erster Linie, um die neuen horizontalen Verflechtungen zwischen verschiedenen Bereichen beziehungsweise über alle Bereiche hinaus — in Gestalt des sogenannten Finanzkapitals. Hier aber nehmen die Banken geradezu eine Schlüsselstellung ein.

Unter Finanzkapital versteht Hilferding die Verflechtung oder Integrierung von Bankkapital und Industriekapital. Diese hat zunächst historische Ursachen. Angesichts der Vormachtstellung der britischen Industrie entwickelte sich die Industrie auf dem europäischen Kontinent zunächst nur zögernd und fragmentarisch. Es fehlte den Unternehmern hier vielfach nicht nur an Kapital, sondern auch an Unternehmungslust. Sehr zum Unterschied von England legten sie ein beträchtliches Anlehnungsbedürfnis an den Tag.

Umgekehrt hatte der Staat hier seine paternalistischen Traditionen viel stärker bewahrt als in England. Er gewährte der Industrie die gewünschte protektionistische Abschirmung und förderte sie überdies durch öffentliche Aufträge. Aus Steuergeldern allein konnten diese natürlich nicht finanziert werden, der Staat mußte Anleihen aufnehmen. Während Eisenbahnbau, Straßenbau, die Errichtung von Hafenanlagen, Rüstungsbestellungen usw. der Industrie entscheidende Impulse gaben, wurde das staatliche Anleihegeschäft zu einer lukrativen Ertragsquelle für die Banken.

Insgesamt bildeten die öffentlichen Aufträge und Anleihen und ihre Finanzierung durch das Kreditsystem eine Kette von Transmissionsriemen zur Verwandlung von Geldkapital in Industriekapital und einen Antriebsmechanismus zur Wirtschaftsexpansion überhaupt.

Natürlich flossen die über den Weg der staatlichen Aufträge an die Industrie gelangenden Mittel schließlich zu den Banken zurück und stärkten deren Möglichkeiten zur direkten Förderung der Industrie. Bald betätigten sie sich nicht nur als normale Kreditgeber, sondern auch als Initiatoren der Verbreiterung der Kapitalbasis der Industrie durch Umwandlung von Personen- in Aktiengesellschaften oder sonstigen Kapitalgesellschaften.

Was Hilferding (und offenbar auch Brecht) besonders faszinierte, war das Emissionsgeschäft und der „Gründergewinn“, den die Banken dadurch erzielten, daß sie die antizipierten Gewinne der als AGs sich konstituierenden Industrieunternehmen im Begebungskurs der emittierten Aktien zu kapitalisieren beziehungsweise eskontieren vermochten. Bruno Fritsch [4] hat aber darauf verwiesen, daß der Ausdruck „Gründergewinn“ insofern nicht glücklich gewählt war, als es sich ja bei den betreffenden Firmen meist bereits um „going concerns“ handelte.

Solcherart entstand ein Intimverhältnis zwischen Banken und Industrie, das sich im Lauf der Zeit noch verstärkte. Als massive Kreditgeber der Industrie hatten die Banken ausgezeichneten Einblick in die Geschäftsentwicklung ihrer Kunden, als Kreditoren, zusehends auch als Aktionäre von Industrieunternehmungen lebhaftes Interesse am Gedeihen dieser Firmen. Eine ungesunde Konkurrenzierung der in ihrem Interessenbereich befindlichen Firmen war natürlich unerwünscht. Doppelgeleisigkeiten bei den Investitionen und übermäßige Preiskonkurrenz mußten tunlichst vermieden werden. Was lag näher, als eine gewisse Koordinierung bei Investitonen und Produktion, Absatzbemühungen und Preisen zu fördern, allenfalls auch in die Wege zu leiten? In der gezielten Selektivität ihrer Kreditoperationen und in ihrer laufenden Betreuung und Beratung der Industrie übten die Banken de facto steuernde Funktionen aus.

Ihr Dauerinteresse an der Industrie wurde schließlich durch Entsendung von Bankvertretern in die leitenden Gremien der Industriegesellschaften gesichert und institutionalisiert. Umgekehrt wurden die Industriefirmen, besonders wenn sie sich bereits erfolgreich etabliert hatten und selbst beachtliche Potenzen darstellten, eingeladen, ihre Vertreter in die leitenden Gremien der Kreditinstitute zu entsenden.

In dieser personellen Verflechtung von Bank- und Industrieunternehmen sieht Hilferding die logische Konsequenz und den Höhepunkt der Herausbildung einer neuen Kategorie von Kapital, eben des Finanzkapitals; in der tonangebenden Schicht von Kapitaleignern und Kapitalvertretern, von Großkapitalisten und Managern, die „neue Klasse“ von Finanzoligarchen.

Da diese Finanzoligarchie nicht nur imstande, sondern auch genötigt ist, langfristig zu denken und ihre außerordentlichen Machtstellungen nach allen Seiten hin abzusichern, sucht sie naturgemäß auch Einfluß auf Staat und öffentliche Meinung, auf Verwaltung und Bildungswesen, auf die Politik und die Massenmedien zu nehmen.

Ihr Ideal ist nicht das freie Spiel der Marktkräfte, auch nicht der politische Pluralismus und daher die Demokratie, sondern Kontrolle, Ordnung, Herrschaft. Der Tendenz zum Monopol in der Wirtschaft entspricht die Tendenz zu autoritären Herrschaftsformen in der Politik.

III.

Lenin [5] griff diese Gedankengänge Hilferdings auf und vereinigte sie mit anderen, aber verwandten Gedankengängen (vor allem J. A. Hobsons) zu einer neuen Synthese, zu einer Imperialismus-Theorie, in der der Drang des „Monopolkapitals“ zur Expansion schließlich zur Aufteilung der Rohstoffquellen, Anlage- und Absatzmöglichkeiten der Welt unter eine Handvoll riesiger Kapitalgesellschaften und zur Verwandlung der weniger entwickelten Gebiete der Welt in Kolonien oder Protektorate einer Handvoll kapitalistischer „Metropolen“ führt.

Das „Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung“ allerdings löst periodisch einen übermächtigen Druck zu Neuaufteilung der wirtschaftlichen und politischen Einflußsphären zugunsten der Spätkömmlinge oder sonstwie zu kurz Gekommenen aus und führt schließlich zu Konflikten, die mit allen Mitteln des ökonomischen und politischen Drucks bis zur kriegerischen Auseinandersetzung ausgetragen werden.

Im Gefolge solcher Konflikte kann es schließlich zu schwersten gesellschaftspolitischen Erschütterungen und zum Herauslösen einzelner oder mehrerer Staaten oder Staatengruppen aus dem imperialistischen System kommen. Der Imperialismus, so Lenin, ist die Ära der Krisen, Kriege und Revolutionen.

Es scheint ein bißchen viel, was da alles zumindest in letzter Analyse auf das Konto der ehrbaren, auf Ruhe und Ordnung bedachten Zunft der Banken und Bankiers zu gehen scheint.

Immerhin wird man konzedieren müssen, daß die schrecklichen Visionen von Rosa Luxemburg und Lenin sich historisch als realistischer erwiesen haben als der fromme Gradualismus der Fabier oder die Vision Eduard Bernsteins von einem sich zivilisierenden Kapitalismus, der dank fortschreitender Vermögensstreuung und sukzessiver Sozialreformen allmählich in einen sozialen Wohlfahrtsstaat hinüberwächst.

Aber lassen wir die Klassiker, und versuchen wir, die heutige Szene zu beschreiben. Nun — ich kann mir nicht helfen — was vor allem ins Auge springt, ist die fortschreitende kolossale Konzentration des Kapitals in allen Bereichen sowie die immer engere Verflechtung von Banken und Industrie, die ihrerseits zu einem Element dieses Konzentrationsprozesses wird.

Einer amerikanischen Studie jüngsten Datums ist zum Beispiel zu entnehmen, daß die letzte und dritte große Fusionswelle in der amerikanischen Industrie die bisher intensivste und zugleich am längsten andauernde war. In den Jahren 1955 bis 1967 gab es 11.000 Zusammenschlüsse, verglichen mit rund 2700 in der ersten großen derartigen Welle (1898 bis 1902) und rund 5000 in der zweiten (1925 bis 1931). Sie erfaßte Vermögenswerte von rund 67 Milliarden Dollar, bei einer Gesamtsumme industrieller Vermögen in der Höhe von rund 290 Milliarden.

Ähnliches ging auf dem Bankensektor vor sich: 1950 bis 1962 wurden rund 2000 amerikanische Banken mit einem Vermögen von rund 40 Milliarden Dollar von anderen, größeren Banken aufgesogen, und dies, obwohl gerade die Banken in Amerika einer besonders strengen öffentlichen Aufsicht unterliegen und jeglicher Zusammenschluß einer besonderen Genehmigung bedarf. [6]

Hilferding hatte hervorgehoben, daß das Engagement der Banken in der Industrie sie dazu veranlaßte, die Industrieunternehmen zur Rationalisierung ihrer Organisationsstruktur und auch zu Fusionsmaßnahmen zu animieren. In der zitierten amerikanischen Studie wird zunächst erwähnt, daß „viele der Manager von Industriefirmen gleichzeitig Direktoren von Kommerzbanken sind“, und dann vermerkt, „daß diese aus der Industrie stammenden Bankdirektoren den Weg der Fusionierung als Mittel der Stärkung des Bankenwachstums empfehlen und unterstützen ... Gegen Ende der zwanziger Jahre wurde ein Großteil der Industriefusionen von Bankiers gefördert, wogegen es gegenwärtig so ist, daß Bankfusionen von industriellen Managern in ihrer Eigenschaft als Direktoren von Kommerzbanken ermutigt werden.“ [7]

Die Beweggründe sind nicht einmal in erster Linie Rentabilitätsfragen, sondern vor allem der Vorteil schierer Größe, die soziales und wirtschaftliches Prestige verleiht: Größenbezogene Variable wie Aktiva, Einlagen, Beschäftigtenzahl, Umfang der vergebenen Kredite stellen Verfügungsgewalt über sachliche und menschliche Ressourcen dar. „Die Kontrolle über diese Ressourcen vermittelt einen plastischen Eindruck von wirtschaftlicher und, darüber hinaus, von gesellschaftlicher und politischer Macht.“ [8] Hilferding, schau oba!

Zahlenmaterial über den Umfang der Ressourcen, über welche die amerikanischen Banken verfügen, wird periodisch von der Zeitschrift „Fortune“ veröffentlicht, ebenso Material über die Ressourcen der Industrie, der Versicherungsgesellschaften, Versorgungsunternehmen usw. Der Ausgabe vom 15. Juni 1968 können wir entnehmen, daß beispielsweise die größte der amerikanischen Kommerzbanken, die Bank of America (San Francisco) 1967 über Aktiva in der Höhe von über 21 Milliarden Dollar verfügte, um ein Erkleckliches mehr als das Vermögen des größten Industriekonzerns, der Standard Oil (New Jersey), nämlich 15 Milliarden; allerdings weniger als das Vermögen der beiden größten Versicherungsgesellschaften, Prudential (Newark) und Metropolitan (New York) mit je rund 25 Milliarden; und erst recht weniger als das Vermögen des größten amerikanischen Versorgungsunternehmen, der American Tel. & Tel. (New York) mit über 37 Milliarden Dollar.

Bei den größten fünf jeder Sparte ergibt sich dann insofern eine Umreihung als hier die Banken gleich hinter den Versicherungen an zweiter Stelle und damit sowohl vor den Versorgungsunternehmen als auch den Industriekonzernen liegen; wenn man die Vermögen der zehn größten Konzerne jeder Sparte betrachtet, so gelangen die Banken an die Spitze, knapp vor den Versicherungen und weit vor den Industrie- und Versorgungsunternehmen.

Allerdings ist diese Betrachtungsweise insofern etwas gekünstelt, als die meisten der führenden Gesellschaften aller Sparten ihrerseits zu mächtigen Finanzgruppen wie Morgan, Rockefeller, Mellon, Kuhn-Loeb, du Pont usw. gehören; Gruppen, die die eigentlichen Machtzentren des amerikanischen Finanzkapitals und die Hauptkomponenten der amerikanischen Finanzoligaschie darstellen.

IV.

Ein geradezu klassisches Beispiel für die übermächtigen Konzentrations- und Verflechtungstendenzen in der Wirtschaft bietet Deutschland in der Nachkriegszeite Man kennt die historische Führungsrolle der deutschen Großbanken im Industrialisierungsprozeß: „Die Großbanken waren nicht bloß eine Kreditorganisation, sie waren eine politisch-ökonomische Agentur zur Verwandlung Deutschlands in einen Industriestaat.“ [9]

Man erinnert sich an die Bemühungen der Alliierten, nach 1945 eine Entflechtung der großen Kapitalkonzentrationen in der deutschen Industrie (IG-Farben, Krupp usw.) und auch im Bankensektor durchzusetzen. Man wollte nach amerikanischen Muster das Prinzip des „state banking“ etablieren und den Großbanken jede formale Beziehung zu Branchen außerhalb der jeweiligen Länder verwehren.

In Wirklichkeit versuchten die neuen Direktoren der formal unabhängigen Länderbanken niemals, wirklich autonom zu handeln, und schon in den fünfziger Jahren hatten die großen drei (Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank) ihre Hegemonie wiederhergestellt. [10] Heute repräsentieren sie mit einem Bilanzvolumen von rund 70 Milliarden DM knapp 45 Prozent des gesamten privaten Bankgewerbes. [11]

Zu Beginn der sechziger Jahre beschäftigte sich eine offizielle Untersuchungskommission mit der Konzentration in der deutschen Wirtschaft [12] und vermerkte dabei die starke Verflechtung der Banken mit der Industrie. Ihrem Bericht zufolge waren die Banken 1960 an 360 Aktiengesellschaften mit mindestens 5 Prozent beteiligt; bei 138 davon hatten sie eine Sperrminorität, bei 58 die Majorität. 75 Prozent des entsprechenen Aktienbesitzes entfielen auf nur fünf große Kreditbanken, 66 Prozent auf die großen drei.

„Ein größerer Teil der Beteiligungen an Nichtbanken“, heißt es da, „stammt noch aus der Vorkriegszeit ... Dieser Vorkriegsbesitz, von der Geldentwertung kaum betroffen, erwies sich für die Banken als eine wertvolle Hilfe beim Aufbau ihres Eigenkapitals nach (der Währungsreform von) 1948.“ Als Hauptmotive für einen Beteiligungserwerb werden genannt: „die Wahrnehmung eigener wirtschaftlicher Interessen, vor allem ein Streben nach interessanten Daueranlagen“ und „die Anknüpfung und Vertiefung von Geschäftsbeziehungen“. Oft werden Beteiligungen auch erworben, um „den Versuch einer Einflußnahme Außenstehender abzuwehren“.

Die Einflußmöglichkeit der Banken geht aber über ihre Eigenbeteiligung weit hinaus, da sie in der Lage sind, von dem ihnen übertragenen Depotstimmrecht ihrer Kunden Gebrauch zu machen. Von dem von der genannten Untersuchung erfaßten Grundkapital aller börsennotierten Aktiengesellschaften lagen 70 Prozent bei den Banken, der größte Teil davon in Kundendepots, deren Stimmrechte überwiegend nicht von den Aktionären selbst, sondern von den Banken ausgeübt wurden. Infolge des Systems der Stimmenleihe unter den Banken verfügten die drei Großbanken ihrerseits über 70 Prozent aller Depositenstimmrechte.

nächster Teil: „Aber in der Praxis ist eine Bank natürlich

Aus einem Beitrag „Banken zwischen Tradition und Fortschritt“ für eine Studientagung des Duttweiler-Institutes, Zürich Rüschlikon, über das moderne Bankwesen.

[1Der Report des Secret Committee of the House of Commons on Joint Stock Banks aus dem Jahre 1836 vermerkt, daß das Nominalkapital dieser Banken zwischen 100.000 und 5 Millionen Pfund betrug. 1966 hatten die kleinsten der Londoner Clearing Banks, Glynn, Mills & Co., ein Grundkapital von 2 Millionen, Barclays Bank Ltd. ein solches von 90 Millionen Pfund. Inzwischen hat Barclays die sechstgrößte der englischen Banken (Martins Bank Ltd.) absorbiert und ist damit die größte außeramerikanische und die viertgrößte Bank der Welt gewerden.

[2„... bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen .... sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größeren oder kleineren Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird, und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation des Kapitals verwandelt.“ (Karl Marx, Das Kapital, I.)

[3Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital, Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus. (Wien, 1910, Neuauflage Frankfurt, 1968.)

[4Bruno Fritsch, Die Geld- und Kredittheorie von Karl Marx. (Frankfurt, 1968, S. 158). Übrigens eine brillante „Darstellung und kritische Würdigung“, wie F. sie bezeichnet, dieser Seite der Marxschen Ökonomie.

[5W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917).

[6Samuel Richard Reid, Mergers, Managers and the Economy. (New York, 1968). Zwischen 1950 und 1962 stieg der Anteil der 200 größten Industriekonzerne am industriellen Gesamtvermögen von 46,7 auf 54,6 Prozent, der Anteil der 100 größten Industriekonzerne am industriellen Gesamtvermögen von 38,6 auf 45 Prozent. „Der Anteil der 100 größten Firmen war daher 1962 fast so groß, wie der Anteil der 200 größten es 1950 gewesen war.“ (S. 81.)

[7Ebenda, S. 89.

[8Ebenda, S. 209. Mehr noch: „Wenn ein Bankier einem Kunden einen Kredit einräumt, so bedeutet das nicht nur, daß dieser Bankier eine direkte Rolle bei der Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen spielt, er kommt damit auch in die Lage, dem Kunden ‚einen Gefallen zu tun‘ ... Auch ist dem Bankier wohl bewußt, daß seine gesamte Kreditfähigkeit nicht unabhängig von seiner Kreditpolitik gegenüber der Kundschaft ist. Erwirbt er den Ruf, allen vernünftigen Ansprüchen der Kunden Genüge zu leisten, so wird er auch zusätzliche Einlagen an sich ziehen und damit seine Kreditfähigkeit stärken können.“ (S. 209/10.)

[9C. H. Wilson, New Cambridge Modern History, vol. XI, S. 74.

[10Andrew Shonfield, Modern Capitalism (London, 1965, S. 241/2), und R. G. Opie, Western Germany, 2. Kap. in „Banking in Western Europe“ (ed. R. S. Sayers, London, 1962, S. 55-58).

[11Der Volkswirt, 27.2.1970.

[12Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft. Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/2320.

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