FORVM, No. 150-151
Juni
1966

Bekenntnis zu Djilas

„Warum ich schweigen muß“ hieß der erste FORVM-Aufsatz des jungen Dozenten der Universität Zadar, Dr. Mihajlo Mihajlov. Mit dem nachfolgenden Aufsatz bricht er dieses Schweigen. Wir neigen uns vor seinem Mut.

Das beste Zeugnis der wahren Liebe zur Freiheit in jedem Lande ist die Lage, in der sich jene Gruppen befinden, die in der Minderheit sind.

(T. Roosevelt, 1910)

Milovan Djilas! Was bedeutet heute in Jugoslawien dieser Name?

Djilas? Was denkt heute die Generation von ihm, die im Alter von 30 oder 40 Jahren steht? Jene Generation, die über das Schicksal des Landes entscheiden wird?

Was wissen die jungen Kommunisten von ihm, die Intellektuellen und die gewöhnlichen Menschen unseres Landes? Ist die Behauptung der Machthaber wahr, daß heute kein Mensch sich um Djilas kümmert, außer einigen Fanatikern? Ist es wahr, daß sein Schicksal für das Leben des Landes irrelevant ist?

Was weiß das junge Jugoslawien, was denkt es über den Menschen, der sich in diesem Augenblick in einer Gefängniszelle des Zuchthauses Sremska Mitrovica befindet?

Während im Westen Djilas’ Name sehr oft erwähnt wird, seine Bücher übersetzt und überall gelesen werden, wird in seinem Heimatland sowie in jenem Teil der Welt, in dem das sogenannte sozialistische System herrscht, seit mehr als 15 Jahren sein Name von keiner Zeitung oder Zeitschrift, in keinen Vorträgen oder Radiosendungen erwähnt. Ja, nicht einmal die Tatsache, daß er existiert. Ein Mensch, der zu den profiliertesten Köpfen der kommunistischen Bewegung in Südosteuropa gehört.

In Jugoslawien, einem Lande, das weitaus demokratischer als die sogenannten sozialistischen Länder ist; in einem Lande, wo es möglich ist, über Sozialismus, Marx, die UdSSR und den Stalinismus viel freier und offener zu schreiben als in irgendeinem anderen Land der „Volksdemokratie“, besteht ein neuralgischer Punkt, dessen Berührung gefährlich ist: Djilas und der „Djilasismus“.

Nirgends wird der Name Dijilas in der Öffentlichkeit ausgesprochen. Aus vielen Dokumentarfilmen über den Kampf gegen den Faschismus sind Bilder herausgeschnitten, in denen er gezeigt wird. In den Geschichtsbüchern über den Volksbefreiungskampf, in den Annalen der Nachkriegsperiode fällt ebenfalls kein Wort über den Mann, der jahrelang ein legendärer Parteiführer war. Und das seit mehr als 15 Jahren.

Trotz diesem offiziellen und totalen Schweigen gibt es in Jugoslawien keinen Menschen, dem der Name des Gefangenen aus dem Zuchthaus in Sremska Mitrovica nicht bekannt wäre.

Heute, das heißt zur Zeit, da sich Jugoslawien und die ganze „sozialistische Welt“ am Vorabend stürmischer und historischer Änderungen befinden, spricht man von ihm in Belgrad, Zagreb, Ljubljana, Skoplje, Sarajevo und Titograd; sei es im Kreise von Universitätsprofessoren oder sogar in Arbeiterrestaurants.

Die jungen Leute, die zur Zeit des „Falles Djilas“ noch auf der Schulbank saßen, wissen von Djilas nur dies: Djilas ist ein Montenegriner, 55 Jahre alt, Vorkriegsrevolutionär und überzeugter Kommunist, ein Intellektueller und ein modernistischer Dichter, während des Krieges einer der populärsten Führer der Partisanenbewegung und ein profilierter Parteitheoretiker, bis zu seiner Verurteilung Vizepräsident des Staates, stand mehrmals vor Gericht, das ihn zu Gefängnisstrafen verurteilte, weil er sich als erster offen im politischen und sozialen Leben des Landes dem Monopol des BdKJ [*] widersetzte.

Formell wurde er zuletzt wegen Veröffentlichung seines Buches „Gespräche mit Stalin“ verurteilt. Das junge Jugoslawien weiß, daß Djilas in einem Prozeß verurteilt wurde, der sich hinter verschlossenen Türen abwickelte. Da tauchten in der jugoslawischen Presse kurze Informationsberichte darüber auf, daß der ehemalige Vizepräsident der Regierung, Milovan Djilas, verurteilt wurde, und daß ein solches Ereignis kaum „unsere Gemeinschaft interessiert“. Das war alles!

Obwohl sich damals unser ganzes Land für den Prozeß interessierte, konnte niemand über das Ereignis sprechen oder schreiben. Denn alle Informationsmittel waren in den Händen einer einzigen Partei, das heißt in den Händen des ZK des BdKJ. Die zukünftigen Historiker werden nichts über Leben und Interessen der Menschen der sogenannten sozialistischen Gesellschaft erfahren, falls sie ihre Urteile nur auf Grund des gedruckten Wortes unserer Zeit bilden werden.

Neue Klasse in aller Mund

Im Volk ist der Name Djilas mit dem Begriff „Neue Klasse“ eng verbunden: Neue Klasse als herrschende Parteioligarchie. Dieser Begriff stammt aus seinem gleichnamigen wichtigsten Buch, welches sehr wenige Leute in Jugoslawien gelesen haben, von dem aber überall sehr viel erzählt wird und dessen Inhalt alle nach dem Titel erraten können.

Im jugoslawischen Volke ist jedenfalls die Meinung tief verwurzelt, daß Djilas nichts Antisozialistisches und Gesetzwidriges getan hatte, wie auch de jure dieser mein Artikel nicht im Widerspruch zu den jugoslawischen Gesetzen steht. Djilas hat nicht gegen Sozialismus, Verfassung und Gesetze verstoßen, sondern im Gegenteil verlangt, daß man die Verfassung respektiere.

Nirgends in der jugoslawischen Verfassung oder in den Gesetzen ist der Begriff „Sozialismus“ mit dem Einparteiensystem identifiziert. Jedermann ist heute in Jugoslawien bekannt, daß gerade der BdKJ die Verfassung und Gesetze mißachtet, indem er mit allen Mitteln versucht, sein unnatürliches Monopol im sozialpolitischen Leben des Landes aufrechtzuerhalten. Den Menschen in Jugoslawien ist es ganz klar, gegen wen Djilas auftrat. Diese Aufteilung „für“ oder „gegen“ entspricht der Linie, die den demokratischen vom totalitären, einparteilichen Sozialismus trennt.

Da sich Jugoslawien heute auf jenem Kreuzweg befindet, von wo aus nur zwei Wege führen: zur Demokratie oder zu einem neuen Stalinismus, ist Djilas, obschon er in einer Gefängniszelle sitzt, unmittelbar in unserem Land anwesend; er befand sich vor fünfzehn Jahren selber auf diesem Kreuzweg. Heute wird jedes Ereignis im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben Jugoslawiens gewöhnlich von dem Kommentar begleitet: „Dies hat Djilas bereits gesagt oder prophezeit ...“

Jeder Bericht über ihn, der von der ausländischen Presse publiziert wurde, wird monatelang wieder- und weitererzählt. Von Zeit zu Zeit tauchen Gerüchte auf: Djilas sei auf freiem Fuß, oder er sei dort und dort gesehen worden. Oder man erzählt auch, man habe versucht, ihn im Gefängnis zu vergiften.

Die Autorität Djilas’ ist heute in Jugoslawien außerordentlich groß. Den jungen Menschen, auch den jungen Parteimitgliedern, imponieren besonders seine saubere revolutionäre Vergangenheit, sein Mut und seine Kompromißlosigkeit sowie seine heutigen Opfer für eine Idee.

Eine Mehrheit der Nichtkommunisten in Jugoslawien hegt Djilas gegenüber große Sympathie; nicht zuletzt auch deshalb, weil sie meint, er habe allein für das gebüßt, was sich als Produkt des kommunistischen Fanatismus aus der Zeit der ersten Nachkriegsjahre manifestiert hatte, als er selber mitmachte und Verantwortung trug.

Djilas ist deshalb heute irgendwie bereits zur Legende geworden, insbesondere unter der jungen Generation. Diese darf nicht unterschätzt werden, da sie gerade jetzt auf die Szene des gesellschaftlichen Lebens tritt; jene Generation, die sich im Gegensatz zu den älteren Generationen vor nichts mehr fürchtet und ganz offen ausspricht, was sie denkt, ja sogar so handelt, wie sie es für richtig findet.

Das Problem Djilas ist nicht nur das Problem eines mehr oder weniger unschuldig verurteilten Menschen, sondern eine Frage der sozialen und seelischen Gesundheit des sozialistischen Jugoslawiens sowie der ganzen sozialistischen Welt.

Djilasismus ohne Djilas

In diesem Augenblick herrscht in Jugoslawien ein Waffenstillstand. Die Behörden meiden politische Affären, da sie im voraus wissen, daß diese dem Status quo schaden. Deshalb machen sie da und dort maximale Zugeständnisse, falls diese das Wesentliche und Wichtigste nicht berühren, nämlich die Frage der Liquidierung des Einparteiensystems (etwa die Gründung eines oppositionellen Presseorgans, wofür viele intellektuelle Kräfte in Jugoslawien heute bereit sind) und insofern diese Sache nicht Djilas berührt.

Ja, die jugoslawischen Machthaber sind sogar darum bemüht, der Welt zu beweisen, daß sie das Land einem „Dijilasismus“ ohne Djilas zuführen. Dies ist eine bewußte Täuschung.

Djilas bedeutet vor allem die Forderung nach Respektierung der Verfassung und der Gesetze, welche die freie Organisation und sozialpolitische Tätigkeit jener Bürger erlauben, die nicht auf den ideologischen Positionen des BdKJ stehen, aber sozialistisch orientiert sind.

Djilas — das bedeutet zunächst einen demokratischen Sozialismus, nicht aber einen Einparteisozialismus. Deshalb, und obwohl der BdKJ in diesem Augenblick einer Liberalisierung zusteuert, die sich auf wirtschaftlicher, kultureller und religiöser Ebene manifestiert, wird es keinen „Djilasismus“ geben, solange Djilas im Gefängnis ist, solange wir, die wir offene ideologische Gegner jeder Art von Einparteiensystem sind (unsere Zahl wird von Tag zu Tag immer größer), wir, die demokratischen Sozialisten, keine Möglichkeit für eine legale und organisierte sozialpolitische Tätigkeit haben.

Solange dies nicht vorhanden ist, wird auch die Arbeiterselbstverwaltung nur eine Maske sein, hinter welcher die totalitäre Macht einer einzigen Partei steht, nämlich des BdKJ.

Es genügt, sich daran zu erinnern, daß die gesamte jugoslawische Presse über den „Fall Djilas“ sowie das Phänomen des Jahres 1948 schweigt. Wie sie auch über den blutigen Streik in Nowotscherkask im Dongebiet in 1962, über die Studentendemonstrationen für Sinjawski vom 5. Dezember 1965 in Moskau, über die Verbrennung des 25jährigen Ukrainers Nikolaj Didik vor dem NKVD-Zentralgebäude in Moskau als Zeichen des Protestes gegen ein halbes Jahrhundert Terror geschwiegen hatte — obschon die gleiche jugoslawische Presse über Selbstverbrennungen in Washington tagelang geschrieben hatte.

Für Ende des Einparteiensystems

Die jugoslawische Gesellschaft ist heute für die Demokratie reif und wünscht nicht, daß irgend jemand oder ein ZK irgendeiner Partei darüber entscheidet, was das Volk tun darf und was nicht, was es über die Welt, das Leben und die politischen Ereignisse auf der Erde erfahren darf oder nicht.

Die Zeit ist gekommen, da man über den Fall Djilas sowie über die Wege zur Liquidierung des Einparteiensystems offen sprechen soll. In der letzten Nummer der jugoslawischen Zeitschrift für Sozialfragen, „Sozialismus“, beginnt man offen den Djilas zugeschriebenen Begriff „Neue Klasse“ zu gebrauchen. (Dieser Begriff wurde vom großen russischen Philosophen Berdjajew bereits im Jahre 1923 formuliert.)

Heute kann man in der sozialistischen Welt niemandem mehr etwas vom „Absterben des Staates“ oder von der Verschmelzung der Partei in eine „allvölkische“ und „selbstverwaltete“ Gesellschaft erzählen. Wir wünschen, daß die jugoslawische Verfassung, die Gesetze und die Deklaration der Menschenrechte respektiert werden, jene Dokumente, in welchen klar formuliert ist, daß der Mensch frei seine politische Meinung äußern, politische Versammlungen abhalten und politische Organisationen für eine legale Tätigkeit in der Gesellschaft ins Leben rufen darf.

Wir unzähligen Sozialisten, die Nichtkommunisten sind, haben genug davon, ausschließlich die kommunistische Presse zu lesen, aus welcher wir meistens über die Beschlüsse und Absichten nur eines einzigen Zentralkomitees erfahren. Wir haben genug davon, in einer auf Ungerechtigkeit aufgebauten Gesellschaft zu leben, die es nur den Bürgern mit kommunistischer Ideologie ermöglicht, sich in der Öffentlichkeit politisch zu betätigen.

Djilas war der erste in unserer Umgebung, der offen gegen die politische Diskriminierung jener auftrat, die nicht mit den Ansichten des BdKJ einverstanden waren, aber keinesfalls den sogenannten „bürgerlichen Klassen“ angehören. Deshalb ist die Frage nach Djilas eine Schicksalsfrage für die Freiheit in Jugoslawien.

Djilas heißt nicht Rückkehr zum Kapitalismus. In der Geschichte kann man nicht rückwärts-, sondern nur vorwärtsgehen. Djilas heißt demokratischer, antitotalitärer Sozialismus. Djilas ist heute das Symbol im Rahmen des sozialistischen Gesellschaftssystems. Eine Evolution des Einparteiensystems in Jugoslawien zu einem freien, demokratischen Mehrparteiensystem würde ein Wegweiser für alle Länder Osteuropas einschließlich Rußlands sein.

Das Schicksal der Freiheit in Jugoslawien ist vom Schicksal Djilas’ abhängig, wie auch das Schicksal aller sozialistischen Länder in Osteuropa von dem Weg, den Jugoslawien einschlägt, abhängen wird.

Für ein demokratisches Rußland

Die Entwicklung in den sozialistischen Ländern, einschließlich der Sowjetunion, wird auf dem von Jugoslawien vorgezeichneten Weg vor sich gehen. Und von dem Schicksal Rußlands hängt das Schicksal der ganzen Menschheit ab. Ohne ein freies, demokratisches Rußland wird die Menschheit nicht imstande sein, sich vor dem asiatischen kommunistischen Totalitarismus zu bewahren.

Vielleicht war in der Geschichte noch nie das Schicksal eines einzigen Mannes so sehr mit dem Schicksal der ganzen Menschheit verbunden, wie dies heute mit Bezug auf Milovan Djilas der Fall ist. Leider begreifen das, abgesehen von uns in Jugoslawien, noch viel zu wenig Menschen auf der Welt. Die Freiheit von Milovan Djilas ist viel wichtiger als der Ausgang des Krieges in Vietnam.

Ebenso war die Revolution in Ungarn im Jahre 1956 viel wichtiger als der Konflikt um den Suezkanal.

Der Kampf um die Freiheit der Welt wird heute nicht in Vietnam geführt, sondern in Jugoslawien. Wenn man nur einen Teil der Energie, die man in den Krieg in Vietnam sowie in die Demonstrationen gegen diesen Krieg vergeudet, für die Befreiung von Djilas verwendete, dann würde die Welt unvergleichlich mehr gewinnen als durch den — wie immer auch beschaffenen — Ausgang des Krieges in Südasien.

Das Schicksal des Milovan Djilas ist mit dem Schicksal des demokratischen Sozialismus verbunden. Mehr noch: auch das Schicksal der westlichen Welt hängt mit davon ab, also euer Schicksal und das Schicksal eurer Kinder; von dem Schicksal Milovan Djilas’ hängt es mit ab, ob eure Kinder Sklaven einer totalitären Gesellschaft und potentielle Opfer der politischen Schizophrenie oder freie und gesunde Menschen einer demokratischen Gemeinschaft sein werden.

Ihr alle, denen es vergönnt ist, frei und nach eigener Wahl für Labour oder Konservative, Republikaner oder Demokraten, Sozialisten oder Kommunisten zu stimmen sowie die Zeitungen jener geistigen Richtung zu lesen, die euch paßt — denkt daran, daß wir noch immer nur für eine einzige Partei stimmen können und die Tagespresse ausschließlich einer politischen Richtung lesen dürfen. Glaubt auch nicht, daß dies nur unser Problem ist. Von unserem Schicksal hängt auch euer Schicksal ab. Von den demokratischen Kräften in der ganzen Welt hängt es ab, ob die einzige und herrschende Partei in Jugoslawien gezwungen werden kann oder nicht, die Staatsverfassung und die Gesetze zu respektieren sowie die legale Tätigkeit einer unabhängigen, demokratischen und sozialistischen politischen Organisation zuzulassen, wie dies schon Milovan Djilas verlangt hatte.

Glaubt nicht an die jugoslawische „Selbstverwaltung“, solange es Menschen, die mit Milovan Djilas einer Meinung sind, nicht ermöglicht wird, die Selbstverwaltung wirklich auszuüben, d.h. ihre Ideen und Überzeugungen ganz offen und legal vorzubringen und diese organisiert in das Gesellschaftsleben zu übertragen.

Als überzeugter Anhänger des demokratischen Sozialismus möchte ich den westlichen Sozialisten folgendes sagen: Glaubt jenen Kommunisten nicht, die da behaupten, sie seien von der Diktatur einer Partei abgekommen — glaubt ihnen kein Wort, solange sich Djilas im Gefängnis befindet, glaubt ihnen kein Wort, solange sie in den sozialistischen Ländern einer freien, von der kommunistischen Partei unabhängigen sozialistischen Partei die legale Tätigkeit nicht erlauben.

Solange nur die kommunistische Partei an den Wahlen in der sozialistischen Welt teilnehmen darf, solange wird jedes Bündnis, das ihr in eurem Land mit den Kommunisten eingeht, nur einem taktischen Zug der betreffenden kommunistischen Partei entsprechen.

Die Frage nach Milovan Djilas wird in Jugoslawien von Tag zu Tag aktueller. Viele Hoffnungen, die man in den XXIII. Kongreß der KPdSU im Sinne der Liberalisierung der sozialistischen Welt gelegt hat, sind ins Wasser gefallen. Die Zeiten sind vorbei, in denen auf den Parteikongresses Lenin und Trotzki, Radek und Bucharin ideologische Schlachten über die wichtigsten Probleme des geschichtlichen Augenblicks einander geliefert haben. Dieser Kongreß hat keine Änderung bewirkt, auf diesem Kongreß hat man nichts Neues gesagt.

Um so wichtiger wird das Problem Milovan Djilas, um so wichtiger wird der „Djilasismus“.

Der XXIII. Kongreß der KPdSU hat bewiesen, daß es innerhalb des Einparteiensystems keine radikalen Änderungen zum Besseren geben kann. Der Mangel an Demokratie in der ganzen Gesellschaft, die Herrschaft einer einzigen Partei, führt automatisch auch zum Mangel an Demokratie innerhalb dieser Partei, und das wiederum führt zum üblichen Grau in Grau des Totalitarismus und zu einem mehr oder minder starken „Personenkult“.

Als Reaktion auf das unnatürliche Fehlen freier politischer Betätigung gibt es neuerlich im jugoslawischen Volk das Wiederaufleben extrem nationalistischer Tendenzen, des religiösen Fanatismus und engstirnigen Klerikalismus. Das kann man in Jugoslawien ebenso klar feststellen wie in der Sowjetunion. Und das läßt sich mit keinerlei polizeilichen Maßnahmen bekämpfen. Das einzige Heilmittel ist die Freiheit.

Es hat sich schon eingebürgert, daß bei verschiedenen Prozessen, die in sozialistischen Ländern den Schriftstellern und Publizisten gemacht werden, die Angeklagten zu ihrer Rechtfertigung anführen, bei den ihnen zur Last gelegten Taten handle es sich ausschließlich um literarische, künstlerische oder historische Arbeiten, die bar jeder politischen Färbung sind. Leider bringt die westliche Presse zur Verteidigung der Angeklagten die gleichen Argumente vor; anscheinend geht die ganze Welt von der Annahme aus, daß ein offenes Geständnis, es handle sich in Wahrheit um das Problem der politischen Freiheit, im voraus Verurteilung und Verfolgung rechtfertige.

So haben Sinjawski und Daniel in ihrem Moskauer Prozeß zu beweisen versucht, daß ihre Werke nicht politisch gefärbt seien. Als hätte der Mensch nicht das unveräußerliche Recht, politisch gefärbt zu sein, und zwar so, wie er es für richtig hält! Warum können J. P. Sartre und Bertrand Russell am politischen Leben ihres Landes aktiv teilnehmen — und dies zum großen Nutzen ihrer Landsleute? Wir hingegen, die wir in den sozialistischen Ländern leben, müssen ständig bestreiten, daß unsere Tätigkeit politische Resonanz habe.

Die Möglichkeit freier politischer Betätigung ist die Basis und einzige Garantie für freie Entfaltung auf allen anderen Gebieten der schöpferischen Tätigkeit, ob Literatur, Kunst, Religion, Wissenschaft, Wirtschaft.

Ohne politische Freiheit sind alle anderen Freiheiten illusorisch; sie können jederzeit abgeschafft werden, wenn die Gesellschaft keine Möglichkeit hat, sie zu verteidigen. Die politische Demokratie war, ist und wird stets die Basis für jede andere Art von Demokratie sein.

Das Problem Milovan Djilas sowie die Zulassung einer zweiten Partei — das sind politische Fragen. Es ist an der Zeit, ganz offen zu sagen, daß für uns in den sozialistischen Ländern die wichtigste Frage die der politischen Freiheiten ist und daß die Zeiten vorbei sind, in denen wir verneinen mußten, eine wie immer geartete Verbindung mit politischer Tätigkeit zu haben. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir es als normal angesehen haben, daß nur die Kommunisten das Recht auf freie und legale politische Tätigkeit haben.

Copyright by Schweizerisches Ost-Institut.

[*„Bund der Kommunisten Jugoslawiens“, die jugoslawische KP.

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