MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Heimat

Bist Du großer Söhne?

In Raabs an der Thaya tagte Ende August die Waldviertelakademie zum Thema Heimat. Vorwiegend philosophische Vaganten des deutschsprachigen Raums hatten Gelegenheit zur Selbstverortung.

Szenario I: Ge- und bedachte Heimat:

Des Philosophen Scholle reicht von Bloch über Adorno zu Levi-Strauss, somit verwurzelt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts im zweiten Jahrtausend. Beispielhaft einer unter vielen: Norbert Bolz, seines Sagens freischwebender Intellektueller, früher mal Philosoph, verspürt die Sehnsucht des Denkers, überall zu Hause zu sein, denn, Adorno: Die Erkenntnis der Gefangenschaft ist der Beginn der Erlösung. Das wilde Denken Levi-Strauss’ in seinen traurigen Tropen ermöglicht die Entlarvung des Mythos der Mythologie: den Ethnologen. Mit der Legitimation des Beobachters ohne Handlungsauflage kann er erobern, ohne zu agieren, kann er meinen zu verstehen, ohne wirklich zu verstehen. Fern der Heimat hat er in der Ferne seine Heimat und ist somit einem transkulturellem Zwiespalt entzogen, denn da, wo er ist, ist er kein Tourist, er schaut zu und lernt seine Heimat begrenzen, im Imaginären, dort, wo die Heimat zu Hause ist.

Magischer Realismus haftet dem Mythos Atlantis an, als Zentrum der romantischen Ästhetik und mit Lust am Untergang, die sich global und ganz undialektisch äußert. Atlantis sei der Eros der gegenwärtigen Vernunft. Wie zeitgemäß am Sprung ins nächste Jahrtausend. Heimkehr in die Fremde sei der wahren Heimat letzter Schluß.

Lutz, Volkskundler, nimmt sich als Einzelgänger der praktischen Seite der Heimat an: Aneignung des sozialen Umraumes. Individualisierung ist ein gefährlicher sozialer Erosionsprozeß, daher zurück zu den Wurzeln, die in der Scholle stecken: Friede, Zufriedenheit und etwas wie Glück. Unfriedlicher Einwurf: Habermas würde sagen: Klarer Fall von Linksfaschismus. Keiner spricht für sich, alle im Namen anderer für die Heimat.

Die Frage nach nationaler Identität macht betroffen, Nationalismus wird jedoch als neurotische Blüte des Heimatstrebens diagnostiziert. Alle weiteren — scheinbaren — Diskursivitäten liefen auf den allseits anerkannten Nenner hinaus: Man(n) muß eine Heimat haben, damit Man(n) sie nicht notwendig hat.

Szenario Il: Die Heimat ist weiblich. Nie offen ausgesprochen, findet die Frau zwar als Referentin nur einmal ihren Ausdruck, als Unsagbares ist das Weibliche Prinzip stark vertreten: Das Dunkle, Unheimliche, jene Pforte, von der wir unseren Ausgang nehmen, von der an Mann sich Heimat schaffen muß, lebt in Metaphern.

Die Heimat-Scholle

Die philosophischen Reisenden werden dergestalt und in realiter von Frauen umgeben. Von dekorativen Frauen, die oftmals ihre äußere Hülle wechseln, die von den nicht so feinsinnigen Kollegen nach dem Kriterium des ‚geilsten Arsches‘ — so ein Kärntner Teilnehmer — beurteilt werden. Nicht zu vergessen natürlich die Mütter der quicklebendigen, antiautoritär erzogenen Kinderschar, die von den Sprößlingen schon mal an der schweigenden Teilnahme am Symposion gehindert werden. Und so hat alles seinen Platz, ganz so, wie es die Heimat verspricht. Resümee: Heimat hat noch lange nicht ausgedient.

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