MOZ, Nummer 42
Juni
1989

Blauer Schal oder brauner Schall

Der (un)aufhaltsame Aufstieg des Jörg Haider

Wer ist dieser Jörg Haider? Oder besser: Was ist er? Schon einmal so richtig überlegt? Einfach zu beantworten? Der liberalen medialen Mehrheitsmeinung von links bis rechts in der Mitte schon angeschlossen? Schon kategorisiert? Haider als Ewiggestriger, Rechtsextremer oder gar Faschist schon entlarvt? Schon enttarnt und kategorisiert?

Na, dann liegen Sie so gut im Trend wie falsch in der Analyse. Bisher ist es jedenfalls (noch) nicht gelungen, das „Phänomen Haider“, den Aufstieg der FPÖ annähernd zu (er)klären. Was ein gefährlicher Zustand ist: Da bewegt sich deutlichst etwas in eine falsche Richtung, und wir wissen nicht warum, und wir wissen auch nicht recht wohin.

Zweifellos ist Jörg Haider ein Extremist, doch würden wir diesen Extremismus weniger auf der Rechten als vielmehr in der Mitte suchen. Dort ist auch Jörg Haider zu Hause. Zu den Parteiführern in SPÖ und ÖVP können wir — man verzeihe uns dieses Unvermögen — keine prinzipiellen Unterschiede ausmachen. Zwischen denen gibt es weder eine Wende noch gar mehrere Wände.

Wie jeder ordentliche, frische, abgeklärte (weil amerikanisierte) „Politiker der neuen Art“ (Originalton Haider-Wahlwerbung) arbeitet er nicht mehr mit einem einigermaßen geschlossenen Weltbild, sondern bedient sich traditioneller wie modischer Versatzstücke aus dem Irrgarten des Pragmatismus. Deren Charakteristikum ist primär in der öffentlichen, d.h. quasi medienöffentlichen Akzeptanz zu suchen. Womit nicht gemeint ist, daß Haiders Inhalte immer akzeptiert, sondern daß sie in ihrer spezifischen Akzentuierung medienrelevant werden.

Der FPÖ-Chef zelebriert und inszeniert sich wie kein anderer. Selbst Pseudodiskussionen — wie etwa jene um einen allfälligen Rücktritt als Bundesparteiobmann — plaziert Haider auf die Titelseiten, und nicht bloß bei Freund Dichand.

Jörg Haider ist heute und auf absehbare Zeit alles andere als ein Faschist.

Hier entsteht auch nicht das nationale Lager neu, weder in seiner traditionell deutschnationalen noch in seiner nationalsozialistischen Variante. Jörg Haider steht etwa einem Franz Vranitzky weitaus näher als einem Adolf Hitler, obwohl ihm wahrscheinlich der derbe Burger sympathischer ist als der arrogante Banker im Bundeskanzleramt. Was wiederum nicht heißt, daß Haider nicht doch des öfteren gezielt mit faschistischem Gedankengut spielt, Formulierungen aufwärmt und ausprobiert, wiedergibt wie abschwächt. Haider ist weder-noch, er ist kein Faschist (mehr), aber auch kein Antifaschist. Wie die meisten Österreicher eben so sind. Haider ist normaler, als Linke wünschen.

Die faschistische Rumpelkammer benützt er nicht wie ein Ewiggestriger, sondern gezielter. Er nimmt, was er brauchen kann, und läßt den übrigen Krempel liegen. (Dabei hat er allerdings manchmal Pech, daß sein Umfeld nicht so deutlich zu differenzieren versteht wie er selbst.)

Haider ist der Profiteur der aktuellen bürgerlichen Medienkampagnen. Die Reduzierung der Politik auf vorzeigbare Skandale, die damit assoziierte Charakterisierung der Politik als „lauter Pülcher“ im Volksmund, fördert hauptsächlich einen: Jörg Haider, der das Gleiche schon jahrelang in Bierzelten und auf Marktplätzen verkündet. Ob geliebt oder weniger geliebt in der jeweiligen WAZ-Sektion, Jörg Haider ist der Nutznießer. Wobei die FPÖ gegen Enthüllungen, sie selbst betreffend, weitgehend immun ist; auch Haiders ungeschicktes Verhalten in der „Lucona“-Affäre zeigte keine nachteilige Wirkung. Die FPÖ ist bundesweit in einer außerordentlich günstigen Situation, sie kann sich mittlerweile alles leisten.

Jörg Haider ist voll im Trend, er erscheint heute als der modernste Politiker Österreichs: die Renaissance von Marktwirtschaft und Rechtsstaat, von Liberalismus und Populismus, das alles versteht Haider so zuzuspitzen, daß wir ihn wohl wahrlich als den extremsten Extremisten der Mitte bezeichnen können.

Politik ist ihm eine Ware, sein Sortiment ist vielfältig, mit ein bißchen Einfühlungsvermögen kann sich jeder sein Stückchen herauspicken. Die Ewiggestrigen wie die neuen Aufsteiger, Mautner-Markhof wie der Facharbeiter, Discogeher wie deklassierte Arbeitslose. Auch wenn das nur Schein ist, er leuchtet vielen ein.

Nun ist er also Landeshauptmann geworden, der Jörg Haider. Daß er sich gerade in dieser Funktion mittelfristig abnützen könnte, ist ausgeschlossen. Die Futtertröge der Macht werden im Gegenteil den Aufstieg der FPÖ in Kärnten noch fördern. Denn endlich dürfen Haider und Kumpel das, was sie bisher an SPÖ und ÖVP kritisierten: Posten verteilen, Pfründe vergeben, Vettern beschäftigen und Bekannte protegieren. Und das im großen Stil.

Hier wird sich eine starke Lobby bilden, die sich der FPÖ nicht bloß politisch zugehörig fühlt, sondern auch wirtschaftlich und persönlich von ihr abhängig ist. Im Sinne ordinärer bürgerlicher Machtpolitik kann einer politischen Partei gar nichts Besseres passieren.

Wenn Jörg Haider in Kärnten zum Umbesetzen anfängt, dann ist zu erwarten, daß die Sympathie im Lande auf seiner Seite sein wird. SPÖ-Führung und Postenbesitzer werden eine Minderheit bilden.

Und manche Postenbesitzer werden halt Parteibuch wechseln, um nicht von Haiders Postenbesetzern bedroht zu werden.

Die nächsten Wahlen, ob Land oder Bund, ob vorverlegt oder nicht, die hat Haider schon gewonnen. Nur die Größe der Zuwächse ist fraglich, sonst nichts.

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