Heft 6-7/2004
Oktober
2004

Brief an Claudia Brunner

Liebe Claudia Brunner,

Vor etwas mehr als einem Jahr sind wir uns bei der psychoanalytischen Großgruppe [1] begegnet. Woche für Woche sind wir abends im grünen Haus gesessen, ein halbes Jahr lang, ich an der Seite mit möglichst viel Distanz zum Gruppengeschehen, Du fast immer mittendrin.

Irgendwann hast Du dort erzählt, wer Dein Großonkel ist. Dein Outing löste Tränen bei jenen Teilnehmenden aus, die Nachkommen von Opfern Deines Großonkels sind. Und Aggressionen und Entlastungsversuche bei den Nachkommen der TäterInnen – den „Ariern“, wie Prof. Shaked gern provozierend bemerkte.

Die Kinder und EnkelInnen der Opfer verteidigten Dich gegen die Angriffe der arischen TeilnehmerInnen. Sie nahmen Dich in Schutz. Auch ich hatte das Gefühl das tun zu müssen, hattest Du doch den Eindruck vermittelt, Dich Deinen Verstrickungen zu stellen. Du warst dankbar für jedes bestärkende Wort.

Dann haben wir uns verabredet und sind ein, zwei Mal etwas trinken gegangen. „Ich werde auch etwas zur Großgruppe schreiben“, hast Du mir damals erzählt.

Das ist es also, was Du damals vorhattest zu schreiben. Einen Buchbeitrag. Ein Zeugnis des Status quo Deiner Auseinandersetzung mit dem Verbrecher in Deiner Familie. In der Großgruppe haben wir uns wohl in Dir getäuscht.

Viele Worte – über die Wahl Deiner Kleidung, die Höhe Deiner Schuhe und die Farbe Deiner Haare. Geheime Faszination für Alois Brunner.

Halbesoterische Anspielungen über vorgeburtliche Erlebnisse in Mauthausen und die Zeitpunkte Deiner Erkrankungen. Da ist Koketterie mit der „Prominenz“ Deines Großonkels. Da ist kaum ein emphatisches Wort über die Opfer, nur kalte Distanz. Ja selbst bei Deiner eigenen Beschreibung der Geschehnisse in der Großgruppe rund um Dein Outing blendest Du die Opfer(nachkommen) aus.

Da ist nichts zu Antisemitismus. Nichts, was mich glauben lässt, Du hättest die Katastrophe (im Rahmen dessen, was möglich ist) begriffen. Da ist Oberflächlichkeit, sanfte pseudokritische Andeutungen, mit denen Du nirgends aneckst. Und Selbstüberschätzung: Botschafterin des „anderen“ Österreichs in Frankreich zur Zeit der Sanktionen, heimliche Angeklagte beim Prozess gegen Alois Brunner und scheinbare Rebellion gegen Deine Familie.

Ja, scheinbar.

Du bist Österreich. Und Du bist gar nicht „ein anderes“.

Ein Opferdasein. Voll „katholischem“ Versöhnungswillen, ein Entlastungswunsch. Voll Loyalität – gegenüber Deiner Familie, dem, was Du „Heimat“ nennst und gegenüber Deinem Großonkel. Voll rationalisierter Abwehrstrategien. Unfähig radikal zu brechen, Dich wirklich zu stellen. Du übernimmst keine Verantwortung. Und fragst Dich ständig, was Du denn noch alles tun musst, um endlich Ruhe zu finden, Absolution, frei zu werden von der Schuld. So ist Dein Buch auch ein eindrucksvolles Zeugnis deines (gekränkten) Narzissmus.

Du verstehst nicht.

Statt angesichts der Sicherheitskräfte in Mauthausen darüber nachzudenken, warum diese (immer noch) notwendig sind – vor jüdischen Einrichtungen, vor Gedenkstätten und als Personenschutz – fühlst Du dich an „nationalsozialistische Demonstrationen von Männlichkeit“ erinnert.

Statt Deinen Studienkollegen Michael nach seiner Familie zu fragen, Dich also mit ihm und seiner Familiengeschichte auseinander zu setzen, fühlst Du dich „irritiert“ angesichts seiner Kippa.

Dein Versuch, die Selbstmordattentate „zu verstehen“, hat Dir den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht. Tatsächlich: das Suicide Bombing, welches den Tod von so vielen Juden und Jüdinnen wie möglich zum Ziel hat, ist nicht (anders) zu verstehen. Ist es wirklich so unerklärlich, wie Du Dich („beinah“!) in einen bekannten Neonazi („dieser schöne Jüngling“) verlieben konntest? Ihr habt doch zumindest das gemeinsam: „Verständnis“ für die Judenmörder von heute.

Viele Menschen vor Dir haben genau das getan: sich auseinandergesetzt. Mit Fragen nach dem Umgang mit dem Wissen um die TäterInnenschaft in der eigenen Familie, mit dem Wissen um die Kontinuitäten nach 1945 und den Konsequenzen daraus für das Heute und Jetzt. Manche haben ihre Auseinandersetzung auch aufgeschrieben. Doch Du hast diese Bücher offenbar nicht gelesen. Da gibt es eine ganze Reihe AnalytikerInnen, die sich damit beschäftigt haben, wie die Vergangenheit weiter lebt, in den Kindern und EnkelInnen der TäterInnen (und Opfer). Doch die hast du offenbar auch nicht gelesen. Oder nicht begriffen.

Wie viel Selbstüberschätzung hast Du gebraucht, um dieses Buch mit auf den Markt zu bringen? Realistisch betrachtet: eigentlich gar keine. Dein grandioses Selbst erntet genug Anerkennung für diese Verhöhnung. Ja mehr noch, auf Dich wartet eine akademische Laufbahn, sie hat ja schon begonnen. Es ist die Selbstentlastung, die Du für Dich und zugleich für alle anderen betreibst. Du eckst nie an, Du legst Deinen Finger nicht auf offene Wunden. Du bedienst die gewünschte und akzeptierte Oberflächlichkeit im Umgang mit dem Erbe des NS. Die sanften politischen Andeutungen lassen genug Raum für Projektion, sodass sich niemand angegriffen fühlen kann. Und damit machst Du Dir Deinen Namen: jetzt bist Du jemand. Jetzt wandelst Du auf den Spuren Deines Großonkels. Es ist eine ganz normale österreichische Geschichte. Und Du setzt sie fort.

Die von Dir bloß vorgetäuschte Auseinandersetzung zeigt sich auch hier: für die Lebensumstände Deines Großonkels in Damaskus und die Gründe für die unterlassene Auslieferung hast Du Dich nicht interessiert. Du wüsstest sonst, dass es von Dir kaum beeinflussbare Gründe für die ausgebliebene Verhaftung Brunners gab. Die Briefe Deiner Familie an ihn und von ihm, die Du erwähnst, wurden abgefangen, Alois Brunners Aufenthaltsort war den Behörden bekannt.

Für Dich selbst hätte es allerdings einen Unterschied gemacht, wenn du aktiv einen Schritt gesetzt und auf Deine Art dazu beigetragen hättest, Alois Brunner auf die Spur zu kommen. Aus der scheinbaren Rebellion gegen Deine Familie wäre eine tatsächliche geworden, aus der vorgetäuschten Auseinandersetzung eine echte und dann ein Bruch möglich. Deshalb wird, wenn Du einmal – vielleicht, vielleicht, es ist nicht sehr wahrscheinlich – ein Stück weit begriffen haben wirst, dass Dich die Schatten Deiner Familie, die Schatten der Vergangenheit erst dann aufhören zu verfolgen, wenn Du gelernt hast, Dich ihnen ernsthaft zu stellen, eine wirklich schwere Zeit auf Dich zukommen.

Dein Buchbeitrag wird Dir dann mehr als peinlich sein.

Und bis dahin — schweigen die Täter, reden die Enkel — ist Dein Schweigen angebracht.

Hannah Fröhlich

[1Eine psychoanalytische Großgruppe besteht aus mindestens 25 TeilnehmerInnen und eignet sich zur Bearbeitung der Biografie vor dem Hintergrund der Geschichte, der Wirkung von Geschichte auf den/die Einzelne/n. Prof. Shaked war Leiter der psychoanalytischen Großgruppe, die von Jänner bis Juni 2003 kostenlos besucht werden konnte. Vgl. Hannah Fröhlich und Heribert Schiedel: Die Mühen der Erinnerung. Ein Gruppenexperiment. In Context XXI 8/2003-1/2004. Hannah Fröhlich, Heribert Schiedel: Wiederkehr des Verdrängten, verdrängte Wiederkehr. Die Großgruppe als Spielgel der post-nationalsozialistischen Gesellschaft. In: Zeitschrift Zwischenwelt, Jg. 21, Nr. 1 Juli 2004.

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