MOZ, Nummer 50
März
1990
Interview:

Demokratisches Schreiben

Libuše Moníková studierte Anglistik und Germanistik in Prag. Seit 1971 lebt sie in der Bundesrepublik Deutschland als Lehrbeauftragte für Literatur, seit 1981 als freie Schriftstellerin. 1987 erhielt sie für ihren letzten Roman „Die Fassade“ den Alfred Döblin-Preis. 1988 war sie erste Grazer Stadtschreiberin, brach aber ihren Aufenthalt wegen der Anfeindungen ab, denen sie als gebürtige Tschechin von seiten einiger Sudetendeutscher und Alt-Monarchisten ausgesetzt war. Im Jahre 1989 erhielt Libuše Moníková den Franz Kafka-Preis der Stadt Klosterneuburg und war wiederum mit Ressentiments deutschnationaler Herkunft konfrontiert.

Libuše Moníková schreibt ihre Bücher in deutscher Sprache, ihre Werke, insbesondere „Die Fassade“, wurden schon in mehrere Sprachen übersetzt. Die Übertragung in ihre Muttersprache Tschechisch soll noch hever erfolgen.

Ulrike Sladek sprach mit ihr in Berlin über ihre Arbeitsweise als fremdsprachige Schriftstellerin.

MONATSZEITUNG: Sie arbeiten sehr komplex, verknüpfen exakte Wissenschaftssprache aus den verschiedensten Bereichen wie z.B. Medizin, Kunstgeschichte, technische Fachtermini in solider Kleinarbeit zu einem dichten intellektuellen Teppich. Für Menschen, die diesseits des Ex-Eisernen Vorhangs leben, sind Ihre Bücher auch eine Art Geschichtsaufarbeitung.

Moníková: „Die Fassade“, mein letzter Roman, wurde primär für Nicht-Tschechen geschrieben, da die Realien sich auf Böhmen, das Land und die Kultur, die Tradition beziehen, auf die Geschichte der Literatur und der Musik, der Wissenschaft zum Teil und auf die Architektur. Die sollten zumindestens für die meisten Tschechen bekannt sein. Ich kenne tatsächlich zwei Maler und zwei Bildhauer, die so ein Schloß restaurieren, das ist das Schloß Litomyšl, wo Smetana geboren ist, etwa 150km östlich von Prag. Friedland als zweiten Namen habe ich deswegen genommen, weil er einfach handlicher ist. Zum zweiten ist die Konnotation zu Kafka da und auch zu Wallenstein.

Vieles ist angelegt, vieles hat reale Grundlage, die Episoden sind natürlich fiktiv. Und vieles hat sich erst ergeben, als ich begriffen hatte, daß diese Fassade niemals fertig renoviert werden kann, daß diese ewige Arbeit kein Ende nimmt. Die Künstler fangen an, allmählich hineinzuritzen, was sie gesehen, gelesen und geschmeckt haben, ihr Leben. In dem Moment war alles erlaubt, war alles möglich. In dem Moment, wo es zum Abbild ihrer Biographien wurde, flog mir praktisch alles zu, war jedes Thema ein Motiv oder hätte es sein können.

Es war ein sehr glückliches Thema, ein sehr produktives Thema. Die Technik war die des Addierens, des Parataktischen, also jedes Motiv ist praktisch gleichwertig dem nächststehenden. Es gibt keine Hierarchie, alle vier Gestalten sind gleich, man könnte es ein demokratisches Beispiel in der Literatur nennen.

Die vier Handlungsträger sind aber unterschiedlich präsent ...

Die Präsenz ist unterschiedlich, das stimmt. Orten ist in bestimmter Hinsicht der Protagonist, er ist der Intellektuelle der Gruppe, der das alles reflektieren kann. Podol hält das alles, er ist der Vitalste, Innovativste. Worum es mir geht, ist, daß keine Hierarchie existiert innerhalb dieser Gruppe. Jeder ist ein Spezialist für etwas. Jenseits dieses Arbeitens sind sie alle vier absolut gleichwertig.

Das erste Buch war noch ein bißchen anders, aber in beiden ersten sind die Frauen die Hauptgestalten, das war nötig, weil ich damit auch endlich klar kommen mußte und dabei frei wurde, Männer darzustellen. Das ist eine gewisse Privatentwicklung, was mir auch in „Die Fassade“ passiert. Meine Frauen sind immer sehr dominant, man könnte fast sagen: zu dominant. Es ist eine gewisse Schwäche, weil es ein Wunschdenken ist. Auch die Marie oder Vilma oder die Schamanin — das sind absolut dominante Figuren. Sie bestimmen nicht die Handlung, die Handlung läuft ohne sie, aber wenn sie da sind, sind sie so etwas wie Katalysatoren, da verdichtet sich etwas. Die Männer werden gefordert, die müssen sich anstrengen.

Wieso glauben Sie, daß es eine Schwäche ist?

Es würde mir schwer fallen, eine schwache Frau darzustellen. Weil ich nicht möchte, daß Frauen schwach sind. Aber es gibt auch schwache Frauen, und es muß möglich sein, sie auch so darzustellen, ohne ihnen an Bedeutung wegzuschreiben. Bei den Männern ist es mir egal, die können da taumeln, die können vom Gerüst runterfallen, die sind mir egal. Aber sie sind dadurch als literarische Gestalten vielleicht stärker, weil sie überzeugender, viel normaler sind. Meine Frauen sind einfach immer entweder zu schön, zu klug, zu toll, dominant. Ich sehe Frauen so. Aber es ist an der Zeit, eine Frau, ohne sie jetzt hämisch darzustellen, etwas dümmlich sein zu lassen. Ich möchte es einmal dürfen. Ohne daß ich dadurch Frauen schon denunziere. Es müßte einfach eine reale Gestalt sein, die in gewissem Sinne einfach ein bißchen pummelig ist oder irgend etwas.

Ihre Figuren sind Intellektuelle in gut europäischer Tradition, einer Tradition, die schön langsam am Verschwinden ist.

Es stimmt, vielleicht ist es etwas völlig anachronistisches, was ich versuche darzustellen. Allerdings spielen meine Romane oft in sehr extremen Situationen, die auch nie so typisch sind. Das heißt, dort ist dieses massenhafte, heldenhafte Verhalten noch nicht so eingefahren. Und Ausnahmen sind noch möglich. Ich meine Exzesse, z.B. körperliche Erschöpfung bis zum totalen, letalen Ausgang. Diese Grenzzustände interessieren mich. Grenzüberschreitungen haben auch mit diesen körperlichen Erfahrungen zu tun. Ich halte es für nötig, daß man noch müde wird oder noch Hunger hat. Hunger hat man so selten heutzutage. Deswegen habe ich ein bißchen auf den Sozialismus gesetzt, wo dieser Konsum nicht ganz so brutal ist. Die Jugendlichen sind etwas wacher, das ist in den letzten Monaten schrecklich deutlich geworden. Es hat auch damit zu tun, daß die Langeweile nicht so groß ist, daß sie nicht so uniformiert leben. Der Vereinnahmung durch eine Organisation entzieht sich jeder innerlich. In der Freiheit der Amerikaner, sich der Vereinnahmung zu entziehen, ist es viel schwieriger, es ist viel raffinierter.

Sie verwenden sehr viele sogenannte Fremdwörter im Deutschen, also Wörter, die griechischen oder lateinischen Ursprungs sind. Sind diese Worte mit der tschechischen Sprache verwoben, sodaß Sie, Ihrem normalen Sprachgebrauch nach, bei der Übertragung ins Deutsche dann elitär klingen? Oder ist es eher ein Versuch, sich besonders präzise auszudrücken?

Im Tschechischen gibt es an sich häufiger Fremdwörter, aber es ist mehr mein eigenes Tschechisch. Meine Schwester ist Ärztin, und ich war mit ihr sehr eng zusammen, als sie studierte, das ging ins Ohr. Abgesehen davon liebe ich Präzision. Aber sie ist kein Selbstzweck. Fremdwörter sind in meinem Tschechisch häufiger als im allgemeinen, und zum zweiten dienen Fremdwörter zur Charakterisierung einer bestimmten Gestalt. Beim Qvietone ist es ganz deutlich: er ist damit total überfrachtet. Der geht einem auch auf den Nerv damit, und das soll er auch.

Ich bin fasziniert von Fremdsprachen, und jede Fachsprache ist schon eine Fremdsprache für sich. Ich finde die Nomenklaturen sehr spannend. Thomas Pynchon ist für mich vielleicht der wichtigste lebende gegenwärtige Autor. Arno Schmidt ist leider schon tot, der konnte ganze Exkurse in völlig andere Gebiete veranstalten in seinen Büchern. Ich mag’s, weil ich gerne Bücher lese, wo ich viel erfahre. Und wenn es in Prosa möglich ist, dann freue ich mich besonders, da ist es so selten. Primär ist es nicht, es gehört nur dazu, unbedingt.

In Ihrer Präzision sind sie sehr vielseitig.

Ich habe natürlich jede Menge Fachliteratur gelesen, nicht als Pflichtlektüre, es hat mir auch wirklich viel Spaß gemacht. Ich konnte kaum aufhören. Ich freue mich, wenn jemand fachlich versiert ist — und es kann nicht präzis genug sein. Egal, worüber ich schreibe. Es muß lediglich so dosiert werden, daß es noch funktional bleibt, also eingebettet in den Kontext, und auch nicht so, daß es sich als eine Marotte verselbständigt.

Eine wichtige Komponente in Ihren Büchern ist der Schmerz, den Sie sehr genau beschreiben. Viele Ihrer Figuren spielen mit der Schmerzgrenze als wichtiger Erfahrung. Die „Pavane“ ist sozusagen „schmerzdurchsetzt“.

Ich bin froh, daß Sie die „Pavane“ noch einmal erwähnen, das ist mein Lieblingsbuch, natürlich auch mein persönlichstes Buch. Es war nötig, einmal eine Frau, eine Intellektuelle darzustellen, die schon ihr Leid, ihre Idiosynkrasien reflektieren kann. Die Jana in der ersten Geschichte („Eine Schädigung“, Anm.) kann es nicht, sie ist nur ein Opfer. Deswegen hatte das Buch eine viel größere Resonanz, auch bei Männern. Man konnte sie bemitleiden. Man konnte ihr irgendwie ein bißchen auf die Schulter klopfen. Und die zweite Frau, die wirklich imstande ist, sich so scharf und hart selbst zu analysieren, über sich nachzudenken, diese Frau beobachtet sehr genau. Sie ist eine sehr dominante Intellektuelle, trotz aller Verstörungen, weswegen sie sich dann in den Rollstuhl setzt — das Buch hatte es schwer. Sie ist eben eine Intellektuelle, aber eine, die auch sehr weiblich empfindet, einen weiblichen Körper hat, auch Komplikationen dadurch erfährt.

Ich glaube, daß man nur durch Distanz einen Schmerz und Verlust darstellen kann. Das erste Kapitel im ersten Buch der „Schädigung“ habe ich auf Tschechisch angefangen, also die Begegnung mit dem Polizisten, die Vergewaltigung und den Totschlag. Und das war mir peinlich, wortwörtlich, es war so schrecklich unheimlich, ich war keine routinierte Schriftstellerin, sodaß ich die Sprache wechseln mußte, ich mußte Distanz gewinnen, damit ich das Thema im Griff hatte und nicht das Thema mich. Ich brauchte ein anderes Medium. Das dauerte 10, 12 Versuche, immer wieder, und dann endlich war die Sprache soweit, daß sie mich trug. Ich merkte, das bekam dem Text, er wurde viel genauer und durch die Distanz übrigens auch nachvollziehbarer. Wenn man so nahe ist, ist es schrecklich. Ausrufezeichen. Je leiser etwas dargestellt ist, desto mehr kann es auch wirken. Und dazu war diese andere Sprache plötzlich da, war einfach funktional und ermöglichte mir die Distanz, die ich brauchte.

Und im zweiten Buch ist neben Schmerz und Verlust auch viel Trauer, sehr viel Trauer. Über einen bestimmten Verlust von Sprache, von Heimat, von einer Stadt muß unheimlich distanziert, kaltschnäuzig geschrieben werden, damit es überhaupt noch jemanden erreicht. Keine Nähe darf gesehen oder gespürt werden, obwohl sie natürlich da ist. Das ist der Ausgangspunkt. Das Buch hat es mir auch überhaupt erst ermöglicht, daß ich über Männer schreiben konnte. Ich konnte auch diese Welt dann hineinnehmen.

Sie bereiten gerade Ihr nächstes Buch vor. Welche Personen sind diesmal Handlungsträger?

Es wird mindestens so kompliziert sein wie das letzte, und es wird auch sehr lange dauern. Die Vielschichtigkeit bleibt natürlich. Lineare Bücher langweilen mich inzwischen selbst. Ich lese sie ungern und würde sie auch nie schreiben wollen. Ich probiere diesmal vielleicht eine Frau und einen Mann. Um sie drapiert sich dann die Geschichte. Die zwei haben eine Beziehung zueinander, die sehr schwierig, sehr widersprüchlich ist. Ich versuche jetzt so eine Konstellation als Mittelpunkt, keine Gruppe mehr. Es werden wieder sehr viele Figuren hinzutreten, aber die beiden sind jetzt im Mittelpunkt.

Sind sie auch wieder im künstlerischen Milieu angesiedelt?

Das kann bei mir überhaupt nicht fehlen, das brauch’ ich. Obwohl zumindest der Mann kein Künstler ist. Die Frau primär auch nicht, aber die Tendenzen sind immer da. Kino bleibt sicher, auch Literatur. Je mehr Interessen die Figuren außerhalb des Berufes haben, umso reicher sind sie, desto mehr sind sie auch als Gestalten für mich reizvoll. Ich persönlich kenne fast niemanden, der nicht ins Kino geht. In meinen Kreisen lesen die Leute und gehen ins Kino. Konkreteres kann ich in der jetzigen Phase nicht sagen. Ich weiß nur, daß es läuft.

Würden Sie wieder nach Prag zurückgehen wollen?

Unbedingt. Schon immer. Aber meine Produktionsmittel sind hier. Die Sprache, in der ich schreibe, meine Verleger, meine Leser. Diese Distanz brauche ich, die ist produktiv, das ist das Produktivste überhaupt. Das heißt, ich möchte dort eine Wohnung haben, meinen eigenen Schreibtisch. Ich möchte nicht im Hotel wohnen, das geht nicht. Das ist meine Stadt und mein Land, und da möchte ich nicht im Hotel als Tourist sein. Natürlich brauch ich auch das hier. Ich kann nicht nach 18 Jahren sagen, das war’s dann. Will auch nicht. Ich möchte einfach diese Freiheit haben, daß ich mich bewege, wie ich will und wohin ich will.

Wir danken für das Gespräch.

Bibliographie

  • „Eine Schädigung“, Rotbuch Verlag, Berlin 1981
  • „Pavane für eine verstorbene Infantin“, Rotbuch Verlag, Berlin 1983
  • „Die Fassade“, Hanser Verlag, München 1987

Im Frankfurter Verlag der Autoren werden heuer die Theaterstücke Libuše Moníkovás erscheinen, der Verlag Hanser ediert im März 1990 ihre gesammelten Essays unter dem Titel „Schloß, Aleph und Wunschtorte“.

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