FORVM, No. 426/427
Juni
1989

Der Friede in Palästina ...

Politiker fürchten sich
Klaus Kufner: Was sagen Sie zu der starren Haltung Israels zum Dialogangebot von seiten der PLO?

Uri Avnery: Die israelitische Politik hat sich im Grunde nicht verändert. Sie wird bestimmt durch Ministerpräsident Shamir und seine Partei der Likud, und das Ziel ist, die israelische Herrschaft im ganzen Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Fluß Jordan zu behalten. Alles andere sind taktische Schritte, um in der gegenwärtigen Lage dieses Ziel zu sichern.

Es gab doch die Aussage von Ezer Weizman in Kairo, wo er sich zu einem Treffen mit Arafat bereiterklärte; wie ernst gemeint schätzen Sie dieses Angebot ein?

Vorerst, diese Bemerkung Weizmanns wurde nie in Israel berichtet. Und ich halte es auch für ganz unmöglich. Ezer Weizmann persönlich würde sich gerne mit Arafat treffen, aber für ihn als führendes Mitglied der Arbeiterpartei wäre das ganz unmöglich, denn die offizielle Politik der Arbeiterpartei ist gegen die PLO gerichtet, genauso wie die offizielle Einstellung der Likud-Partei. In dieser Beziehung ist kaum ein Unterschied zwischen den beiden Parteien.

Es gibt jetzt einige Bestrebungen seitens der USA, daß Israel sich bemühen möge, zu einem Dialog mit der PLO sich durchzuringen. Wie stehen da die Chancen, daß das in absehbarer Zeit geschehen wird?

Ich selbst bin überzeugt, daß das eines Tages passieren wird. Nicht nur wegen dem Druck der Amerikaner, sondern auch wegen der Entwicklung der öffentlichen Meinung in Israel selbst. Ich halte das für den ausschlaggebenden Punkt. Die Intifada hat einen großen Einfluß auf die Meinungsbildung in Israel, und unterhalb der Oberfläche der öffentlichen Meinung in Israel ist ein großer Umschwung am Werke, der langsam vor sich geht, der nicht sehr offensichtlich ist, obwohl die Meinungsumfragen ihn schon zeigen. Aber das Wichtige ist, daß zehntausende von Israelis als Reservesoldaten den Aufstand in den besetzten Gebieten mit eigenen Augen sehen und ihre Folgerungen daraus ziehen. Ich kenne kaum eine führende Persönlichkeit in Israel, die nicht in Privatgesprächen zugibt, daß man früher oder später mit der PLO sprechen muß, daß man früher oder später zu einem palästinensischen Staat kommen wird.

Es gab auch den Plan, daß schon heuer Yassir Arafat sich mit führenden israelischen Politikern treffen wird. Wien als Ort dieses Treffens wurde genannt. Woran ist es letztlich gescheitert?

Es gab kaum Meldungen darüber in Israel selbst, denn in der heutigen Lage ist kein führender israelitischer Politiker irgendeiner Partei dazu bereit, sich mit Arafat zu treffen, denn es wäre politisch untragbar. Sogar in der linken Opposition haben die Parteiführer Angst, sich mit Arafat zu treffen — Arafat ist jahrelang in Israel so verteufelt worden, daß alle Politiker glauben, daß ein Treffen mit Arafat ein politischer Selbstmord ist.

Woraus besteht die Angst wirklich, ist es nur die Angst vor dem eigenen politischen Selbstmord oder steckt da auch eine andere Motivation hinter dieser Angst?

Ich glaube, die Angst vor den politischen Selbstmordfolgen ist die wesentliche, obwohl das meiner Meinung nach ganz falsch ist, denn es sieht heute ein großer Teil der israelischen Öffentlichkeit eine mutige Tat, wenn endlich die Leute aus der Arbeiterpartei sich mit Arafat treffen würden. Aber leider hat es sich gezeigt, daß die wenigen Leute, die sich bisher getraut haben, wie zum Beispiel ich selbst, einen sehr schweren politischen Preis dafür bezahlt haben.

Können Sie das ein wenig näher beschreiben?

Wie Sie wissen, habe ich mich mit Arafat während der Belagerung in Beirut getroffen, und dann habe ich ihn seitdem sechs-, siebenmal gesehen. Es hat meiner politischen Karriere mehr oder weniger ein Ende gesetzt. Und meine vier, fünf Freunde, die sich auch mit Arafat getroffen haben, haben das selbe erreicht, nämlich, sie haben faktisch ihre politische Karriere geopfert, um zu diesem Treffen zu gehen, ganz einfach, weil sie überzeugt waren, daß jemand damit anfangen muß, und wenn das einen Preis hat, so muß man diesen Preis bezahlen. Ich selbst betrachte meine eigenen Treffen mit Arafat äußerst positiv in diesem Sinne, das heißt, daß ich und meine Freunde durch diese Treffen die öffentliche Meinung in Israel soweit gebracht haben, daß die Öffentlichkeit heute schon vorbereitet ist für so ein Treffen, ja sogar darauf wartet. Die Frage ist, ob Parteipolitiker dazu heute bereit sind, meiner Meinung nach ist die Antwort leider negativ.

Die internationale Isolation Israels durch die Haltung zur PLO macht ein solches Treffen doch bald zur politischen Überlebensfrage.

Auf Grund der dynamischen Lage in Israel kann, was heute unmöglich ist, in ein, zwei Jahren Wirklichkeit werden. Wir haben die Entwicklung in Amerika, wir haben einen Dialog zwischen den USA und der PLO. Wenn dieser Vorgang weitergeht, dann wird das einen Einfluß auf Israel haben. Aber kein Mensch kann wissen, wie weit die Amerikaner wirklich ernst sind in diesen Bemühungen, inwieweit dieser Dialog wirklich einen Sinn hat, oder ob auch dieser Dialog nur eine Art Kniff ist, um Zeit zu gewinnen. Das ist heute sehr schwer zu sagen, ich glaube, da muß man doch abwarten. Die beiden großen israelischen Parteien wollen dieses Problem umgehen, indem sie sich bereit erklären, in den besetzten Gebieten Wahlen durchzuführen. Auch das kann ein Trick sein, um Zeit zu gewinnen, denn es handelt sich ja nicht darum, sollen Wahlen stattfinden, sondern welche Art Wahlen. Wenn diese Wahlen wirklich frei sein werden, wird mit Sicherheit eine PLO-Führung gewählt. Darum stellt jetzt Shamir alle möglichen Bedingungen, um das praktisch unmöglich zu machen. Und der Verteidigungsminister Rabin, der zu der Arbeiterpartei gehört, hat schon erklärt, daß jeder Kandidat, der sich als PLO-Funktionär aufstellen läßt, ins Gefängnis kommt. Diese Parole „Wahlen“ ist eine leere Parole, wenn sie nicht mit den richtigen Inhalten gefüllt wird.

Ich kehre noch einmal zurück zu dem „politischen Selbstmord“. Mir steigt da die Phantasie hoch, daß so ein Treffen zwischen hochkarätigen Israelis und der PLO doch fast nobelpreisverdächtig ist.

Der einzige israelische Politiker, der einen halben Friedensnobelpreis bekommen hat, war Begin, der ein Todfeind der Palästinenser ist und der gesagt hat, Arafat wäre „ein zweibeiniges Tier“. Politiker, die noch aktiv sind, werden keinen politischen Selbstmord begehen wegen dem Friedensnobelpreis. Schon gar keine israelischen Politiker. Sie sehen ja, sogar ein Mann wie Abba Eban, der schon außerhalb der Parteipolitik steht, der von der Arbeiterpartei endgültig abgesägt worden ist, auch der Mann hat Angst, sich mit Arafat zu treffen. Mehr noch, Arafat bekam eine Zusage von führenden jüdischen Persönlichkeiten aus Frankreich zu einem Treffen in Paris, und plötzlich mußten sie aus mysteriösen Gründen panikartig wieder absagen. Die Leute haben einfach Angst, sich mit Arafat zu treffen. Sie haben Angst, ihre politische Stellung gegenüber Israel zu verlieren. Oder auch innerhalb der jüdischen Gemeinde in den verschiedenen Ländern ihre Position zu zerstören. Aber denken Sie vielleicht an eine publizistische Lösung, vielleicht könnte das FORVM ein Treffen zwischen Arafat und Wiesenthal arrangieren. Wiesenthal ist doch ein großer österreichischer Versöhnungskünstler.

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