FORVM, No. 481-484
April
1994

Der Mann im Müll

Mit fatalem Patschen ins Ziel
Verein Literaturhaus Eizenbergerhof

Während das ideologische Koordinatensystem unserer ausgedienten Welt des Kalten Krieges zerbröselt und der Feind im Osten, in Stammesfehden zerfleischend, abhanden kommt, werden Ersatzkriegsschauplätze mit patzweichen Moralschleudern und knackigen Säuberungssystemen à la mode beliefert, werden die unverwertbaren Kulturauslagen der offenen antikommunistisch getrimmten Gesellschaft von ihren Freunden etatistisch geräumt und die gegen Sitte und Anstand verstoßenden Feindleichen auf dem freien Markt entsorgt. Man wie frau haben wieder Manieren und unerschöpfliches Déjà vu, das seinen Unterhaltungswert rund um die Uhr aus Einschaltziffern, Besucherzahlen und Einnahmen schöpft. Buch- und Zuhälter, Nudisten und Claqueure betümmeln das Kulturpflegeheim des Vorhersehbaren.

Früher hat auch Gott mitgespielt, übel nur, wenn die Avantgarde Zicken machte. Damals waltete noch das rotweißrote Schmutz und Schund Gesetz, damals bekrönte das nun verschimmelte Prädikat Besonders wertvoll die abgedroschene Kunst, das Wahre Gute und Schöne. Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 1951 sprach der Salzburger Landeshauptmann und echte Österreicher Dr. Josef Klaus biblisch anmutende Worte: Wo echte Kunst am Werke sei, dort könne das Wahre, Gute und Schöne nicht auseinanderfallen. Die Schönheit — von göttlichem Ursprung — sei wie so mancher andere höchste Wert verachtet und entwürdigt worden, »ja oft ein Raub der Dämonen«. Die Eröffnung verdeckt den Konflikt um die Oper Wozzeck, den der Komponist und Erneuerer Gottfried von Einem so darstellt:

Dabei war klar, daß solche Pläne stets gegen massivsten Widerstand durchzusetzen seien, etwa bei unserer Absicht, Bergs Wozzeck 1951 in Salzburg aufzuführen. Übrigens eine Idee (Boris) Blachers. [...] Paumgartner, Schuh und ich hatten Landeshauptmann Klaus das Projekt schmackhaft zu machen, wobei wir von ihm die Frage gestellt bekamen, ob es nötig sei, das Werk eines avantgardistischen kommunistischen Komponisten der 20er Jahre aufzuführen. Paumgartner gab ihm zur Antwort, daß es sich bei Herrn Berg weder um einen Juden noch um einen Kommunisten handle. Damit waren die Kampagnen gegen die Aufführung des Wozzeck keineswegs beendet. [...] Meine Devise zur Initiierung von Festspielen hieß: Erst das Programm, dann die Besetzung.

(Erinnerungsprozesse. Gottfried von Einem im Gespräch mit Wolfgang Willaschek. Der Prozeß. Salzburger Festspiele 1988)

Den Glauben, Alban Berg sei Jude und Kommunist — ein Dämon — gewesen, setzte der Großkommandeur der Reichskulturkammer in seine verwaltete Welt. Nach dessen Verdikt »Nur keine Experimente!« mußte das in der Nazizeit dämonisierte Werk dem gewählten Landesherrn schmackhaft gemacht werden. Er konnte über Kunstwerke geschmäcklerisch befinden, weil ihn dazu das Festspielgesetz der Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ demokratisch legitimierte. Die GesetzgeberInnen reinkarnierten die Struktur des »Salzburger Heimatwerkes«, das der Gauleiter über Gaubeauftragte zur Verwandlung der stillen Heimatliebe in lauten Fremdenhaß bis zum alliierten Endsieg steuerte und die Salzburger Landesregierung 1946 endlos abkupferte.

Kuratorium (von lat. cura, die Fürsorge), Oberaufsicht, die hierfür eingesetzte Behörde. Kurator (lat. Pfleger), rechtlicher Vertreter einer Person, Vormund; der zur Wahrnehmung der Interessen einer Anstalt (Universität), Kasse usw. Betraute. Kuratel (lat. Pflegschaft), Vormundschaft, Aufsichtsbehörde. Kuranden, die zur eigenen Vermögensverwaltung unfähig und gerichtlich unter Kuratel gestellt sind.

(Meyers Kleines Konversationslexikon, Leipzig und Wien 1892, 2. Band, S. 341)

Die Herr- und Gefolgschaftsstruktur der Organisation »zum Schutz, zur Förderung und Lenkung der Volkskultur« zielte auf Eintracht zwischen Subventionsgeber und -nehmer, zwischen dem Kuratorium, besetzt nach dem Parteienverhältnis im Landtag unter dem Vorsitz des Kulturreferenten, und dem Fachbeirat, der die Weisungen der Parteipolitiker zu befolgen hatte. So oder ähnlich hatte auch die gesetzlich fixierte Struktur der Festspielkammer zu wirken: das Kuratorium aus Politikern, Beamten und Wirtschaftlern, das Kunst und Künstler (Direktorium und Kunstrat) unter Kuratel stellte. Einstimmig beschloß 1951 das Kuratorium, Gottfried von Einem wegen seines »unqualifizierten Benehmens« gegen den Vorsitzenden, Landeshauptmann Klaus, von der Funktion zu entbinden. Gottfried von Einem entschuldigte sich beim Landeshauptmann. Er besiegelte seinen Ausschluß vom Direktorium mit einem Kniefall vor der Macht der Kuratoren — eine Struktur- und mentalitätsbedingte Geste. Karl Böhm dirigierte den Wozzeck 1952 im Rahmen des »Kongresses für kulturelle Freiheit« in Paris — »zur Dokumentation des geistigen Profils des modernen Österreich«. (Vgl. Gert Kerschbaumer und Karl Müller: Begnadet für das Schöne. Der rot-weiß-rote Kulturkampf gegen die Moderne, Wien 1992, 131-148)

Die Österreich-Auslage wird seit geraumer Zeit, seit dem Eilbrief nach Brüssel und dem Tod Karajans, modernisiert und europäisiert. Das Facelifting für die Europa-Moderne ist das Moderne im modernden Kulturbetrieb. Der Stachel der Moderne ist stumpf. Diese ist zur sinnlosen und puren Behübschung der Ökonomie verkommen, zu einer sterilen Hülle, unter der die Angst vor dem Fremden, das sinn- und gemeinschaftsstiftende Feindbild Kultur am Rande üppig wuchert.

Die einst besonders verwerfliche und nun langbärtige Moderne suhlt sich in postmodernen Revivals — eine Gnadenfrist im Musentempel, geweiht dem Konditor Mozart in der beschworenen Glanzzeit. Doch andernorts greift schon die vor- und postmoderne Geistesverfassung mit Überfallskürzung zu. Wer nicht kuscht, der läuft ins offene Messer populistischer Kulturbeutelschneider. Die offene Gesellschaft ist der elitären Kultur feind, dem Literarischen Colloquium in Berlin (LCB) ebenso wie dem Literaturhaus Eizenbergerhof in Salzburg.

Die Salzburger Kulturszene steckt in einem Schlamassel, denn aus der Position des Eigentümers und Subventionsgebers kann der Herr des öffentlichen Säckels ungeniert das Tranchiermesser, das Kulturkommissariat und das letzte Wort führen — »Wer zahlt, schafft an«. (Vgl. Karl Müller: Gießkannen und Rasenmäher, FORVM Juli 1993, geschrieben für die Salzburger Elisabethbühne, die den Beitrag im letzten Augenblick aus ihrem Magazin nahm, um zugesagte Subventionen nicht zu gefährden.)

Als die Wahlniederlage der Salzburger Sozialdemokratie perfekt und die Randgruppen-Politik des roten Vizebürgermeisters Dr. Herbert Fartacek massenmedial suspekt war, zerbrach die städtische Kulturfirma SPOT-Gesembha an einem politisch-juristischen Murks mit hohen Folgekosten und Kulturfolgen. Sowohl das Literaturhaus Eizenbergerhof, das Harald Friedl engagiert leitete und frau- wie herrlich florierte, als auch das nach der SPOT-Auflösung fertiggestellte Rockhouse müssen auf Weisung des Salzburger Bürgermeisters und Kulturreferenten, Dr. Josef Dechant (ÖVP), als Vereine weitergeführt werden — von wem? Die für eine SPOT-Neuordnung erstellte Studie des Management-Zentrums St. Gallen empfiehlt: »Personen aus dem politischen bzw. administrativen Bereich der Stadt Salzburg sollten diesem Verein nicht angehören dürfen.«

Artikel 12. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt.

(1. Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger)

Dem designierten Geschäftsführer des Literaturhauses, Thomas Friedmann, wurde gesagt, er solle ein Statut für einen Literaturverein ausarbeiten, der nur gemeinnützig und nicht auf Gewinn ausgerichtet sein kann. Das hat er auch getan, zuerst noch brav mit der Leiterin des Kulturamtes, offensichtlich ohne Gehör zu finden, dann ein weiteres Mal gemeinsam mit Autoren und Literaturvermittlern, aber ohne den Magistratsjuristen Mag. André Meyer am 19. Oktober 1993 — schlimm.

Das Statut des gemeinnützigen Vereines Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof sollte den autonomen Bestrebungen der Autoren ungemein nützen und der Allgemeinheit nicht schaden, sollte weiters nach dem Vorbild der Gewaltentrennung zwischen Legislative, Exekutive und Jurisprudenz und im Sinne des Rechnungshofkritik die subventionsgebende Instanz und den subventionsnehmenden Verein sorgsam auseinanderhalten, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Für die Benutzung der Infrastruktur sollte ein Mietverhältnis zwischen der Stadt und dem Verein begründet werden. Für die politische Verantwortung und Kontrolle der öffentlichen Subventionen sollte ein am Verhältnis öffentlicher Hand und Privatwirtschaft orientierter Modus angewandt werden. Diese unstrittigen Aufgaben dürfen jedoch nicht durch ein Fremdorgan wie im Verein Salzburger Rockhouse wahrgenommen werden: durch ein von Parteieinvertretern besetztes und über die Subventionskontrolle hinaus waltendes Kuratorium mit Vetorecht, das von der Mitgliederversammlung weder gewählt und mit Vertretern beschickt noch kontrolliert und abberufen wird — eine in der Rechtsliteratur als bedenklich eingestufte Konstruktion.

Während engagierte Schriftsteller und Literaturvermittler an ihrem Statut tüftelten (fertiggestellt am 19. Oktober 1993), war der politische Wille bereits fix. Der Kulturausschuß und der Stadtsenat vertraten am 14. Oktober bzw. am 25. November die Ansicht, daß das Statut für das Literaturhaus analog zum Statut für den Verein Rockhouse Salzburg festgelegt werden soll. Der von Beamten ausgeklügelte Entwurf eines Statuts vom 17. Dezember 1993 (A) folgte also einem bekannten Muster, das die Betroffenen aus den zuvor erwähnten Gründen abgelehnt und nach intensiver Diskussion am 19. Oktober durch ein eigenes Statut (B) ersetzt hatten.

Im Amtsbericht vom 14.12. heißt es: 1. Der Ansicht des Kulturausschusses und des Stadtsenates folgend werde der analog zum Statut für den Verein Rockhouse ausgearbeitete Statutenentwurf A) dem Stadtsenat vorgelegt. 2. Die beiden Statutenentwürfe A) und B), die sich in einigen Punkten unterscheiden, werden dem Stadtsenat für die Entscheidungsfindung vorgelegt. 3. Es ergehe nachstehender Amtsvorschlag: Der Stadtsenat wolle beschließen: 1. das Statut A) des Vereines Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof (der laut § 2 weder parteipolitisch noch konfessionell gebunden zu sein hat), 2. den Beitritt der Stadtgemeinde Salzburg (die laut § 4 ordentliches Mitglied ist, das einzige namentlich festgeschriebene Mitglied des subventionsempfangenden Vereines) und 3. die Entsendung von je einem Mitglied der im Kulturausschuß der Stadtgemeinde stimmberechtigten Gemeinderatsfraktionen in das Kuratorium, in das subventionsgebende und vetoberechtigte Vereinsorgan, das laut § 13 noch aus dem für Kulturangelegenheiten zuständigen Mitglied des Stadtratskollegiums als Vorsitzendem (Bürgermeister) und je einem Vertreter der Kultur- und Finanzabteilung des Magistrats mit beratender Stimme zu bestehen hat.

Laut § 16 obliegt der Mitgliederversammlung, die im Kuratorium durch Vorstandsmitglieder nicht vertreten ist, die Wahl und Enthebung der Mitglieder des Vorstandes und der Rechnungsprüfer, die Entlastung des Vorstandes sowie die Festsetzung des Mitgliedsbeitrages ohne vorangehende Genehmigung, weiters die Entgegennahme des Rechnungsabschlusses, des Tätigkeitsberichtes und des Voranschlages nach Genehmigung des Kuratoriums sowie die Beschlußfassung über Statutänderungen und die freiwillige Auflösung des Vereines unter der Voraussetzung der Zustimmung der Stadtgemeinde (Vereinsmitglied!). Laut § 10 schlägt der Vorstand dem Kuratorium die Bestellung und Abberufung des Leiters des Vereines sowie den Abschluß und die Auflösung von Dienst-, Werk- und Bestandsverträgen vor (Vorberatung durch den Vorstand und Genehmigung durch das Kuratorium laut § 13). Das Statut A) wurde am 20. Dezember 1993 vom Stadtsenat einstimmig beschlossen und bei der Vereinspolizei zum 1. Jänner 1994 angemeldet.

Am 24. Jänner 1994 sollte die konstituierende Versammlung des Vereines Literaturhaus Eizenbergerhof stattfinden, wozu Autoren, Buchhändler, Verleger und Wissenschaftler eingeladen wurden. Die bei der Abstimmung anwesenden 28 Personen lehnten das oktroyierte Statut ab. »Wir brauchen die Wurschteln nicht«, sagte Sabine Mader, die Sekretärin des Bürgermeisters der Stadt Salzburg, am folgenden Tag in einem Interview. (Salzburger Volkszeitung 26.1.1994) Die IG Autoren, die Grazer Autorenversammlung, die Literaturwerkstatt Berlin, die Arge Kulturgelände Nonntal, der Salzburger Kunstverein und das Forum Kultur sowie einige Personen protestierten gegen die Diffamierung, die Vorgangsweise und das Diktat. Ich schickte dem Bürgermeister und Politikern anderer Parteien am 27. Jänner ein FAX, in dem das Statut mit der »Mustersatzung« der NSDAP verglichen wird:

[...] Der Pfarrer von Weißbach wäre demnach auch so ein unbrauchbarer Wurschtl gewesen, als er 1938 erklärte, er wolle einen Verein nicht nach der »Mustersatzung« leiten — im Gegensatz zu vielen anderen, zum Verein »Die fröhlichen Ritter der Nacht« und zum Sträflingsfürsorgeverein beispielsweise, die sich der »Mustersatzung« und damit dem Führungs- und Anhörungsrecht der NSDAP fügten: 1. Arierprinzip, 2. Führerprinzip, 3. schriftliche Zustimmung des zuständigen Hoheitsträgers der NSDAP zur Bestellung des Vereinsführers und 4. Aufsicht des zuständigen Hoheitsträgers der NSDAP. (Vgl. Gesetz zur Neuordnung der Vereine, Organisationen und Verbände vom 17. Mai 1938 und entsprechende Akten im Salzburger Landesarchiv)

Laut dem vom Salzburger Stadtsenat einstimmig beschlossenen Statut des Vereines »Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof«, der durch die Anzeige bei der Vereinspolizei seit 1. Jänner 1994 existiert, ist die Stadtgemeinde Salzburg ordentliches Mitglied, also auch stimmberechtigt. Die Ablehnung des Statutes erfolgte wie gesagt einstimmig, also ohne die Gegenstimme des einzigen ordentlichen Mitgliedes, eines nicht anwesenden Vertreters der Stadtgemeinde.

Eine Änderung des Statuts und die Auflösung des Vereines bedürfen übrigens der Zustimmung der Stadtgemeinde (nach § 10 der »Mustersatzung« nur nach Zustimmung des zuständigen Hoheitsträgers der NSDAP). Da im Stadtgemeinde-Statut kein Paragraph vorhanden ist, der besagt, was geschieht, wenn das einzige im Statut genannte und angezeigte ordentliche Mitglied, die Stadtgemeinde Salzburg, aus dem Verein austritt oder ausgeschlossen wird, kann der Verein nur aufgelöst werden oder ungesetzlich weiterexistieren. Die »Mustersatzung« kann uns zur Lösung dieses Problemfalles nicht dienen, weil der nationalsozialistische Hoheitsträger sich nicht als Vereinsmitglied aufzwang. Laut Stadtgemeinde-Statut kann ein Mitglied durch den Vereinsvorstand ausgeschlossen werden, wenn es seinen Pflichten nicht nachkommt, »die Interessen des Vereines nach Kräften zu fördern und alles zu unterlassen, wodurch das Ansehen oder der Zweck des Vereins beeinträchtigt werden könnte« (sic). Der Vereinszweck ist im § 3 Abs. 1 unmißverständlich formuliert. Was ihn beeinträchtigen »könnte«, das formuliert die politische Willkür: etwa Unbotmäßigkeit gegenüber dem Bürgermeister oder sonstigen Willensformern. Die »Mustersatzung« nennt »volksschädigendes Verhalten« d.h. im Klartext: Widerstand gegen die NSDAP, das Dritte Reich und den Führer.

Ansehen und Könnte-Beeinträchtigung sind im Stadtgemeinde-Statut nicht definiert. Wer Buchhändler, Bibliothekare, Schriftsteller und Universitätsprofessoren als unbrauchbare Wurschtel beschimpft und diffamiert, der oder die »könnte« das Ansehen des Vereines Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof beeinträchtigt und somit sich selbst ausgeschlossen haben.

Das Stadtoberhaupt reagierte darauf in seiner »Klarstellung zur Situation Literaturhaus Eizenbergerhof« vom 1. Februar 1994: »Dem Stadtsenat NS-Methoden zu unterstellen, ist meiner Meinung nach doch zumindest bedenklich, in jedem Falle aber beleidigend.« Die »eventuell gefallenen Verbalinjurien« seiner Sekretärin seien »als Ausdruck der Enttäuschung zu verstehen, die keinesfalls in Richtung anerkannter Persönlichkeiten der Literatur, der Universität oder dergleichen abgegeben wurden«. Verkehrung und Rechtfertigung ersetzen eine sachliche Auseinandersetzung mit der Analyse einer Unperson.

Zerknirscht gestehe ich, daß mein Vergleich in einem Punkt bedenklich ist. Ich hätte sagen müssen, daß der »Arierparagraph« im Literaturhaus-Statut fehlt. Der ist nach dem vergessenen Rückruf der 130.000 vertriebenen Österreicher/innen obsolet.

Anderes bleibt unvergeßlich, unauslöschlich: der Großkommandeursgeist, der das verfassungsmäßig garantierte Recht der verschrienen Kleingeistigen auf Vereinsbildung nach eigenen Statuten mit einem Gewaltstreich auslöschte, der wieder die Oberhand gewinnt, ein juristisches Vereinsmenü aufstellt, Mustersatzungen vorkaut, Rechte abnuckelt und Bürger/innen, die nun einmal in jeder Beziehung abhängig sind, zu goutierbaren Gliedern à la suite einzubraten trachtet. Wie der Herr, so das Gscher?

Am 15. Februar, am Tag des zweiten Versuchs einer Gründung, erschien ein ungekürzter Leserbrief, in dem das Stadtoberhaupt Geistentblößendes behauptet: Der Leiter des Literaturhauses habe Dr. Dechant in ganz Österreich und sogar im Ausland öffentlich beschimpft und beleidigt. Die Hauptkritiker hätten schon wieder vor dem Büro des SPÖ-Vizebürgermeisters gewartet. Solange die Beteiligten nicht bereit seien, ihre Parteibrille abzunehmen, werde sich der Stil der Auseinandersetzung nicht ändern. Der Einfluß der Stadt auf das Literaturhaus beschränke sich in den vom Bürgermeister vorgelegten Statuten auf ein Mindestmaß. (Salzburger Nachrichten 15.2.1994)

Da wird der Leiter, der zwischen den Parteien zu stehen hat und auch diplomatisch stand, stigmatisiert: ein Beleidiger und Verräter, einst durch das Heimtückegesetz verfolgt. Da werden die beiden Hauptkritiker auf frischer Tat ertappt und denunziert. Sie haben sich in der Vorwahlzeit eine Feindberührung erlaubt, haben den Suchknopf auf den verbotenen Sender Radio SPÖ eingestellt, dabei möglicherweise säuisch gepopelt. Die beiden Proponenten eines Vereines, der parteipolitisch ungebunden zu sein hat und unter parteipolitisches Kuratel gestellt ist, haben gefälligst vor der Stammherrenparteitür habtacht zu stehen oder deren Klinke zu putzen — Erbitten weiterer Befehle. Die Statutenverweigerer werden als Analphabeten und Tölpel an den Pranger gehängt, denn der Einfluß von Parteipolitikern und Beamten, der weit über die legitime Finanzkontrolle hinausreicht, sich von der Entscheidung über die gesamten Geldmittel, Einnahmen, Mitgliedsbeiträge und Subventionen aller Art, bis hin zur Genehmigung der Bestellung und Abberufung des Leiters, des Abschlusses und der Auflösung von Verträgen, der Statutenänderungen sowie der Auflösung des Vereines erstreckt, hätte noch großköpfiger ausfallen können.

Man wie frau sollten danksagen, daß der schöpferische Geist nicht der unholden Kunstführung durch Parteikader und Kammerwalter unterworfen wird — keine Übertreibungskunst, denn der Bürgermeister drohte im zitierten Leserbrief, er werde dem Stadtsenat vorschlagen, das Haus als eigene Unterabteilung des Magistrats zu führen, wenn es bis Mitte Februar nicht zur Gründung des Vereines komme. Mit diesem Ultimatum, das die Einfalt der Geldquelle und des Eigentums auf feudale Weise ermöglichte, steckten die Statutenverweigerer in der Bredouille. Unausgesprochen blieb nämlich, daß die Subventionen für einige Literaturgruppen bereits gekürzt und die bewilligten vier Millionen für das Literaturhaus zurückgehalten wurden. Das Haus, das wegen der prekären Finanzlage einen Bankkredit aufnehmen mußte, der fällig war, schien nicht mehr lange lebensfähig zu sein. In dieser Situation wirkte die oberhäuptliche Drohung, die darauf hinauslief, der Freiheit der Kunst die Kandare anzulegen, der relativ autonomen Führung des Hauses den Garaus zu machen und den freien Schriftsteller auf das Niveau eines Kulturkammerdieners zu erniedrigen, wie eine Erpressung.

Dieses Ultimatum lief bis zum 15. Februar, dem nächsten Versammlungstag. Die Abstimmung ergab wiederum: Das Statut könne in der Form nicht angenommen werden. Ein Vermittlungsausschuß, dem Christine Haidegger, H. C. Artmann, Prof. Josef Donnenberg und der Verleger Jochen Jung angehörten, sollte in einem Gespräch mit dem Bürgermeister auf eine Statutenänderung hinwirken. Diese Bemühungen schmetterte der Bürgermeister in einem harschen Brief ab.

Tags darauf fragte mich der Leiter des Literaturhauses, ob ich dem Verein auf der Basis der zweimal abgelehnten Statuten beitreten wolle und könne. Da ich auf meine Antwort hin nicht eingeladen wurde, mußte ich aus den Medien erfahren, daß der Verein Literaturhaus Eizenbergerhof am 17. Februar 1994 gegründet worden sei und der Vorstand aus H. C. Artmann, Christine Haidegger, Josef Donnenberg, Barbara Plätzer und Brigitte Stadlbauer bestehe. Ich habe genug in Kulturgeschichten gestöbert, um die Wendung zu kapieren. Folgen diesem Spaltakt härtere Bandagen, wird an den Kommentar Werner Thuswaldners erinnert, der zu erklären versucht, warum die Gründung gelungen sei, die zwei Tage zuvor an den Statuten scheiterte: »Dies hat damit zu tun, daß die beiden Seiten nicht sehr weit voneinander entfernt waren.« (Salzburger Nachrichten 19.2.1994)

Nur kein Gseres. Nicht weit vom Literaturhaus entfernt, auf dem Balkan, zerfällt ein Vielvölkermosaik, gewinnt Hitler nachträglich eine Schlacht.

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