FORVM, No. 158
Februar
1967

Die Auflösung des Karls-„Platzes“

Anmerkungen zu einem Entwurf von Bernhard Leitner, Friedrich Schindegger und Herbert Purschke

Das Vorurteil is’ eine Mauer, von dei sich noch alle Köpf’, die gegen sie ang’rennt sind, als blutige Köpf’ zurückgezogen haben.

(Nestroy: „Der Talisman“)

„Der Karlsplatz ist wohl der bedeutsamste Kulturplatz von Wien.“ Diese bedeutsame Feststellung war kürzlich in einer Wiener Tageszeitung zu finden. Der stimmungsvolle Satz kennzeichnet in seiner unbewiesenen, unüberlegten, um so selbstsicherer formulierten Behauptung jene Einstellung, auf die Nestroys Satz über das Vorurteil paßt. Der Karls-„Platz“ und die Karlskirche müssen sowohl gesondert als auch in ihrer wechselseitigen Beeinflussung neu definiert werden:

Bei der Erbauung der Ringstraße blieb der Raum des Karls-„Platzes“ übrig. Wir wissen nicht, warum den Architekten damals keine Platzlösung gelang, wir wissen nur, daß wir jener Zeit das Schlagwort Karls-„Platz“ verdanken. Und war dieses Schlagwort für die nachfolgenden Architekten immer wieder der Ansatzpunkt zu einer Lösung, so müssen wir doch den Wandel der Zeit erkennen, und feststellen, daß selbst die Lösung von Otto Wagner in ihren Ausgangsüberlegungen heute nicht mehr annehmbar wäre. Beim Wettbewerb „Umgebung der Karlskirche 1966“ lehnten Architekten mit bekannten Namen eine Teilnahme mit der Begründung ab, der ganze Platz müsse gelöst werden, ein Teil davon sei uninteressant. Jene Stimmen, die bereits Gegend statt Platz sagen, fordern eine Gesamtlösung im gleichen Geist. Verlangt aber eine Gegend heute nicht andere bauliche Konsequenzen? Der Wunsch nach einer einmaligen, persönlichen, also „einheitlichen“ Komposition wird deutlich. Wir halten es für eine der Vergangenheit angehörende Einstellung, die Lösung dieser Aufgabe durch einen einzigen Künstler anzustreben. Wer würde in unserer dynamischen Zeit seine Lösung als statische Lösung vertreten können und dadurch unvorhersehbare Entwicklungen oder künftige Notwendigkeiten (Autobahn in Hochlage?) ausschließen oder hemmen? Absolute Plätze oder absolute städtebauliche Kompositionen, denen jede Änderung Entwertung ist, liegen nicht im Aufgabenbereich unserer Zeit, wenn wir uns grundsätzlich zum demokratischen Geist bekennen.

Um die Wechselwirkung zwischen Karlskirche und Karls-„Platz“ deutlicher zu erklären, muß die notwendige Umwertung der Karlskirche aufgezeigt werden. Die einst auf freiem Gelände vor den Stadtmauern stehende Kirche nimmt — bereits als Denkmal erbaut — eine Sonderstellung unter den Kirchen ein. Ihr imperialer Fassadenaufbau, im Maßstab einer Silhouette für die entfernte Stadt, hat durch die Verbauung des Glacis ihren ursprünglichen Sinn verloren. Ihre theatralische Geste ist von uns inhaltlich kaum mehr nachzuvollziehen und in der heutigen kirchlichen Praxis auch kaum entsprechend verwertbar. Die Karlskirche ist keine Hochzeitskulisse, sie ist vor allem ein vollplastisches Bauwerk. Die über elliptischem Grundriß errichtete Kuppel vermittelt allseitig ein außerordentliches Erlebnis. Die Karlskirche braucht also auch seitlich Raum. Man wird ihrer räumlich plastischen Wirkung nicht gerecht, wenn man der Karlskirche eine Platzwandfunktion für historisierende „Platz“-lösungen zuweist. Eine solche Funktion hatte sie nie. Diese Überlegungen liegen dem abgebildeten Projekt zugrunde. Es soll ein neues Bebauungsprinzip aufgezeigt werden. Wir wollen damit keine Gesamtlösung, sondern eine grundsätzliche Einstellung zeigen, mit der eine Lösung des Problems möglich ist. Es wird nicht eine bestimmte Lösung geben. Die sechs Parktürme sind gedacht als Beispiel oder Anfang einer sich dauernd ändernden, weil lebendigen städtischen Komposition heterogener Elemente in dynamischen Räumen. Eines dieser Elemente ist die Karlskirche.

Dr. Heinrich Drimmel: „Ich sage Ihnen, da hat es Entwürfe gegeben — der Gasometer in Favoriten ist dagegen das reinste Barockschlössel.“ (Neues Österreich, 17. Jänner 1967)

Es ist denkbar, daß in der Mitte des heutigen Karls-„Platzes“ ein baulicher Akzent gesetzt wird, daß der Großraum vor der Kirche anders zerteilt wird, daß hinter und neben ihr (im sanierungsbedürftigen IV. Bezirk) durch kompakte Neubauten ebenfalls viel Freiraum entsteht (wann, wie und wo, kann selbst durch umfassende Planung nicht ein für allemal festgelegt werden), daß die Räume wohl gegliedert, aber fließend sind und nicht durch Fassadenwände getrennt werden — womit der Karls-„Platz“ gelöst, das heißt aufgelöst wäre. Dafür aber sollte die Bebauungsdichte festgelegt werden, statt Baufluchtlinie und Bauhöhe in einem überholten Straßengassenraster.

Sechs Parktürme für 1134 Pkw werden vorgeschlagen, weil hier ein „kulturelles“ Gebäude gefordert wurde (siehe Nestroy über das Vorurteil), weil wir Parktürme für eine Notwendigkeit zur Neubelebung der Wiener Innenstadt halten und weil sie für die umliegenden Kulturstätten wichtig sind, weil sie als anonyme Bauten, überall verwendbar, in der Konzeption keine Anpassung an die Tektonik der Karlskirche aufweisen, kein verlogenes Unter- oder Zuordnen, weil durch Kontrast die Werte dieses extrem individuellen Bauwerkes unberührt bleiben, sogar gesteigert werden. Die sechs Parktürme sind auch „so nahe“ der Karlskirche vertretbar, weil die Grenzen einer möglichen Annäherung an ein so bedeutendes Kunstwerk nicht in Metern, sondern in der Komposition der Elemente zu bemessen sind. Das gezeigte Beispiel gibt der Kirche seitlich Raum, der das Erlebnis ihrer bauplastischen Wirkung ermöglicht.

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