FORVM, No. 249/250
September
1974

Die kastrierte Gewerkschaft

Ein Lehrstück für Arbeiter und Unternehmer

Der Hukla-Konzern ist ein kleiner Multi mit Möbelfabriken in Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Japan. Der Hauptbetrieb in Baden-Württemberg hat 4.000 Arbeiter, die österreichische Filiale rund hundert. Die Struktur: von den hundert Arbeitern sind alle Gewerkschaftsmitglieder, vier Betriebsräte, davon zwei Frauen; die 25 Angestellten sind nur teilweise gewerkschaftlich organisiert und haben keinen Betriebsrat. Zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen (teilweise in Halbtagsarbeit), die Hälfte der Beschäftigten sind Jugoslawen. Ein spezifisches Moment war die Akkordschinderei, wobei das Schema offensichtlich von dem höher mechanisierten deutschen Betrieb auf den österreichischen übertragen wurde und den Arbeitern nicht den üblichen Durchschnittslohn ermöglichte.

Der Streik im Juni 1974 war einer der wenigen auf der „Streikinsel“ Österreich in der letzten Zeit. Er zeigte verschiedene positive Momente (hervorragende Rolle der Frauen; Einbeziehung der Gastarbeiter nach anfänglichen Schwierigkeiten; Solidaritätsaktionen von außen durch Arbeiter und linke Gruppen) und ein negatives: das Versagen der Gewerkschaft, die dabei ist, ihre eigene Rechtsgrundlage in Frage zu stellen. Daran müssen ihre Führer gehindert werden.

Streik in der Hukla-Polstermöbelfabrik, Wien-Oberlaa

Seit 1971 produziert das Werk in Oberlaa Polstermöbel für ruhebedürftige Österreicher und Profit für den deutschen Chef Hugo Klausner (Abkürzung: HUKLA). Da des letzteren Profitbedürfnis sehr groß ist, wird fast ausschließlich in Akkord gearbeitet. Allerdings ohne Akkordvertrag. Direktor Neumeister, er ist SPÖ-Mitglied in Döbling, weigert sich beharrlich, einen solchen mit dem Betriebsrat abzuschließen. Die Stück-Arbeitszeiten und der Minutenfaktor werden von der Zentrale in der BRD vorgeschrieben. Neumeister beruft sich darauf, daß der Akkordlohn ohnehin auf Basıs des österreichischen Kollektivvertrages berechnet wird. Irgendwas kann nicht stimmen. Die Näherinnen merken es, wenn sie den Inhalt ihrer Lohnsackerln zählen. Die auf einer SPÖ-Liste gewählten Betriebsräte verweisen ohne Erfolg auf das österreichische Betriebsrätegesetz. Das beeindruckt den Direktor in keiner Weise.

In dem ab 1. Mai 1974 gültigen Kollektivvertrag (KV) ist festgelegt, daß der KV-Mindestlohn sowie alle auf der Basis des KV errechneten Akkordlöhne um 14,62 Prozent erhöht werden. Neumeister will nur 11,2 Prozent, später 13 Prozent zahlen. Damit widersetzt er sich einer Abmachung, welche die Unternehmerorganisation mit der Gewerkschaft getroffen hat (denn eben das ist der Kollektivvertrag).

Auf Anraten der Gewerkschaft beschloß eine Vollversammlung im Mai 1974 einstimmig passive Resistenz, um die Auszahlung der vollen Lohnerhöhung zu erreichen.

Jetzt sah Herr Neumeister die Chance, sich als „harter“ Mann in Deutschland für höhere Aufgaben zu empfehlen. Er sprach die fristlose Entlassung von sechs Arbeiterinnen und Arbeitern, darunter eines Jugoslawen, aus. Neumeister gegenüber der Presse: „... die sechs größten Schreier.“

Die empörten Kollegen fordern die Rücknahme der Entlassungen und beauftragen die Betriebsräte, in dieser Richtung zu verhandeln. Doch nun war Neumeister in voller Fahrt, offensichtlich hatte ihm ein aus der BRD eingetroffener Vertrauter des großen Bosses den Rücken gestärkt. Er blieb bei den Entlassungen, legte aber den Betriebsräten einen Akkordvertrag zur Unterschrift vor. Diese holen sich in der Gewerkschaft Rat und müssen hören, daß dieser Vertrag so ziemlich allen einschlägigen österreichischen Gesetzen widerspricht. Sie unterschreiben nicht.

Jetzt entläßt Herr Neumeister die Betriebsräte, alle vier. Die Vollversammlung beschließt, in Übereinstimmung mit dem Fachgruppensekretär der Gewerkschaft (diesem soll später von den „Spitzen“ alle Schuld zugeschoben werden), den unbefristeten Streik bis zur Rücknahme der Entlassungen. In der Begründung für die Entlassung der Betriebsräte gegenüber dem Einigungsamt (dessen Zustimmung notwendig ist) wird behauptet, daß diese verbrecherische Handlungen wie Nötigung, Erpressung, Einschränkung der persönlichen Freiheit und Hausfriedensbruch begangen hätten. Beweise oder auch nur nähere Angaben werden nicht beigebracht.

Der Streik wird durch vier Wochen in mustergültiger Disziplin geführt (27. Mai bis 21. Juni). Vor allem die Frauen, die in der Mehrheit sind, zeigen große Kampfentschlossenheit. Die jugoslawischen Kollegen werden anfangs durch falsche Informationen und Drohungen („wer nicht arbeitet wird aus Österreich ausgewiesen“) zur Arbeit gepreßt, erklären sich aber nach vielen Diskussionen mit den streikenden Kollegen solidarisch und fallen damit als Streikbrecher für den Unternehmer aus. Trotz zahlreicher Provokationen seitens des Direktors und höherer Angestellter kommt es zu keinem einzigen Zwischenfall. Die anwesenden Polizeibeamten bekommen keinen Anlaß zum Einschreiten, was später auch von der Staatspolizei bestätigt wird. Aus zahlreichen Betrieben kommen Berriebsräte und Kollegen, die Streikspenden bringen, sich informieren und die Streikposten unterstützen. Auch diverse linke Organisationen beteiligen sich.

Im Verlaufe des Streiks zeigte Neumeister noch einige Tricks, mit denen er die Kampfmoral seiner Belegschaft zu brechen hoffte. So entließ er alle streikenden Österreicher und sperrte sie aus dem Betrieb, zahlte den Kraftfahrern eine außerordentliche Lohnerhöhung, um sie zum Streikbruch zu gewinnen, was ihm gelang, aber nichts nützte, da die Streikposten keine Lastwagen aus- und einfahren ließen. Durch falsche Information („der Streik ist beendet“) wurde versucht, einen Eisenbahnzug ins Werk zu rollen. Die am hinteren Eingang stehenden Arbeiterinnen legten sich kurzerhand auf die Gleise.

Über das Verhalten der Gewerkschaftsführung schreiben die Betriebsräte in einer Flugschrift:

Obwohl die Gewerkschaft nach wie vor den Streik anerkannte, erhielten wir keine Hilfe von den Gewerkschaftssekretären bei der Aufklärung der Gastarbeiter, wurde seitens der Gewerkschaft die Solidarität anderer Betriebe nicht organisiert (wenn es diese doch gab, so war es nicht das Verdienst der Gewerkschaft); im Gegenteil, die Betriebe der Holzindustrie wurden sogar falsch informiert. Als der Direktor ablehnte, mit uns Betriebsräten zu verhandeln, war die Gewerkschaftsführung damit einverstanden, und so mußten wir zustimmen, daß ohne uns verhandelt wird. Die Informationen über den Stand der Verhandlungen erfolgten spärlich und in zu langen Abständen, meist erst nach Aufforderung.

Die Verhandlungen wurden vom Landessekretär Spörk und dem Zentralsekretär der Bau-Holz-Gewerkschaft Millendorfer geführt — und sie zogen sich.

In der Zwischenzeit nahm die Welle der Solidarität zu. Immer mehr Betriebsräte riefen die Gewerkschaft an, wollten informiert werden, bekundeten ihre Bereitschaft, den Hukla-Arbeitern zu helfen, forderten von den Gewerkschaftsleitungen Kampfmaßnahmen. Von seiten der zur KPÖ oder zur „Gewerkschaftlichen Einheit“ gehörenden Betriebsräte war man solche Aktivität ja gewohnt, aber diesmal waren es SPler, und ihrer wurden täglich mehr. Die Ruhe und der „soziale Frieden“, der den ÖGB-Spitzen über alles geht, war in Gefahr. In der Hohenstaufengasse war man sich klar, daß etwas geschehen müsse, daß der Konflikt um jeden Preis aus der Welt geschafft werden muß, bevor Unruhe entsteht. Aber Neumeister wollte nicht nachgeben, und um zu einer für die Arbeiter günstigen Lösung zu kommen, hätte man kämpfen müssen. Aber genau das wollten die Sekretäre nicht. Also mußte man nachgeben, mußte man die Interessen der Arbeiter, wie schon so oft, für die ersehnte Ruhe verkaufen. Es ging nur mehr um die äußere Form, die der Gewerkschaft einigermaßen ihr Gesicht vor den Arbeitern bewahren sollte.

ÖGB-Präsident Benya rief seinen Sozialpartner Sallinger an. Man verstand sich sofort und war im Prinzip einig. Die näheren Details wurden dann in einem Gespräch zwischen dem ÖGB-Sekretär Hofstetter und dem Bundeswirtschaftskammer-Generalsekretär Mussil festgelegt. ÖGB-Anwalt Teicht und Zentralsekretär Millendorfer übernahmen schließlich die Aufgabe, das Ergebnis den Betriebsräten mitzuteilen und diese zur Kapitulation zu bringen.

Streikposten

Die Betriebsräte wurden überraschend in die Bau-und-Holz-Zentrale bestellt. Dort wurde ihnen von Millendorfer erklärt, daß der Einigungsamtsrichter den Akt (wegen der Verbrechen, die den Betriebsräten zur Last gelegt wurden) an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat und daß daher die Gewerkschaft mit Direktor Neumeister eine Vereinbarung über die Beendigung des Streiks geschlossen hat.

Der Inhalt dieser Vereinbarung war: Die Entlassung der vier Betriebsräte und der 6 erstentlassenen Arbeiter wird in eine Kündigung umgewandelt; sie dürfen den Betrieb nicht mehr betreten. Dafür ist Neumeister bereit, die Anzeige zurückzuziehen und die anderen Entlassenen wieder einzustellen. Außerdem wird eine Lohnerhöhung von 13 Prozent bewilligt, die Streiktage mit dem Mindestlohn bezahlt und ein Akkordvertrag in Aussicht gestellt.

Die Betriebsräte glaubten zuerst an einen Witz, aber das Lachen verging ihnen sehr schnell. Als sie nämlich meinten, daß keine Beschuldigung der Wahrheit entspräche und diese eine reine Verleumdung darstelle und die Gewerkschaft sie schützen müsse, daß man doch nicht so einfach nachgeben könne, da sonst in Zukunft jeder Unternehmer das gleiche machen werde — da hörte Millendorfer gar nicht zu. Sein Verhalten wird von den Betriebsräten übereinstimmend so geschildert:

Kollege Millendorfer erklärte uns, wenn wir nicht zustimmen, dann werden wir verurteilt („... ihr werdet hinter Kerkermauern sitzen“), anschließend werde der Unternehmer eine Schadenersatzklage erheben, die in die Millionen gehe („eure Kindeskinder werden dafür noch zahlen“). Anwalt Teicht fügte hinzu, selbst wenn wir nicht eingesperrt werden, bleibe irgendwas hängen, und dann kommt die Schadenersatzklage.

Außerdem erklärte Kollege Millendorfer, daß der Streik sofort abgebrochen werden müsse, die Vereinbarung sei von der Gewerkschaft unterschrieben, jeder weitere Kampf werde von ihr nicht mehr unterstützt. Das Ersuchen um Bedenkzeit wurde brüsk abgelehnt. Kollege Millendorfer erklärte uns, daß wir ihn bisher nur von der freundlichen Seite kennengelernt haben, er könne aber auch anders.

Unter diesem massiven Druck stimmten die Betriebsräte zu. Zur Betriebsrätekonferenz, die eine Stunde später im Gewerkschaftshaus begann, wurde ihnen der Zutritt verweigert („Ihr seids ja keine Betriebsräte mehr“).

Sachlich gesehen hat Zentralsekretär Millendorfer in mindestens zwei Fällen die Hukla-Leute — um es nobel auszudrücken — falsch informiert:

  1. Weder Neumeister noch der Richter des Einigungsamtes noch sonst wer kann „die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zurückziehen“. Die genannten (nicht begangenen) Delikte sind Offizialdelikte, und die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, von sich aus zu ermitteln. Falls diese Ermittlungen einen strafbaren Tatbestand ergeben, muß Anklage erhoben werden.
  2. Schadenersatzklage könnte natürlich nicht gegen die Betriebsräte, sondern nur gegen die Gewerkschaft erhoben werden. Aus rechtlichen Gründen (die Gewerkschaft hat den Streik offiziell anerkannt) und aus zweckmäßigen Gründen (die Betriebsräte könnten nicht zahlen, die Gewerkschaft schon).

Über den ersten Punkt ist sich jeder Jusstudent im zweiten Semester und jeder ÖGB-Sekretär klar (ich habe es auf der Gewerkschaftsschule in Mödling gelernt), jedenfalls weiß es der ÖGB-Anwalt Dr. Teicht. Und der zweite Punkt kann überhaupt nur als grobe Einschüchterung begriffen werden. Benya selbst hat davon gesprochen, daß ein zweiter „Bananenprozeß“ auf jeden Fall verhindert werden muß (es gab einmal eine Schadenersatzklage gegen die Gewerkschaft wegen bei einem Streik verdorbener Bananen, die aber vom Justizminister niedergeschlagen wurde).

Daß die Gewerkschaftsführer jeden offenen Klassenkampf fürchten, hat sich ja bereits herumgesprochen, daß sie aber nicht einmal mehr bereit sind, die Interessen ihrer Mitglieder (ja nicht einmal ihr anvertrautes Geld) vor einem bürgerlichen Gericht zu vertreten, sondern schon vor der Androhung einer Klage kapitulieren, war für viele echte Gewerkschafter ein harter Schlag. So offen hat die Gewerkschaftsführung bisher noch nie ihre Betriebsräte in Stich gelassen und die Partei der Unternehmer ergriffen.

Doch dieses Verhalten ist nur die logische Konsequenz der Sozialpartnerschaftspolitik. Diese stellt eine Institutionalisierung der Lohnauseinandersetzungen dar (Paritätische Lohn-Preis-Kommission) und entkleidet die Gewerkschaft ihrer Funktion an der Basis, wo sie zum Reisebüro degeneriert. Jede Lohnbewegung von unten scheint sich damit nicht nur gegen die Unternehmer, sondern auch gegen die Gewerkschaft zu richten. Ja, der Fall Hukla zeigt noch mehr: die eingetretene Erschlaffung der Gewerkschaft macht die Bürokratie bereits unfähig, die Einhaltung der mit den Unternehmern geschlossenen Verträge zu erzwingen. Diese Lektion wird das Kapital aus dem Fall Hukla lernen — besonders die Multis in Österreich. Andererseits ist die Angst, mit der jeder keimende Streik abgewürgt wird, nur zu berechtigt: nämlich die Angst, daß ein solcher Streik angesichts der Inflation Kreise ziehen könnte. Die Kampfkraft der österreichischen Arbeiterklasse ist, wiewohl schlummernd, nach wie vor ungebrochen.

Solidarität

Gegen die Versuche, Streiks als kriminelle Akte hinzustellen, und gegen die Hilfestellung der Gewerkschaftsbürokraten dabei hat sich nach dem Hukla-Streik eine „Aktion gegen die Kriminalisierung gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen“ gebildet (Adresse: 1092 Wien, Postfach 3). Sie sammelt Unterstützungserklärungen für eine Protestresolution an den ÖGB-Bundesvorstand.

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