FORVM, No. 433-435
März
1990

Die „Lorenzener Erklärung“

Ein Produkt aus der ideologischen Kaderschmiede der FPÖ

Wissenschafter-Gutachten

In der „AULA“ (10/1989) hat der „Lorenzener Kreis“, eine erlesene Gruppe von FPÖ-Spitzenfunktionären rund um den Bezirksobmann von St. Lorenzen/OÖ, ein politisches Manifest, die „Lorenzener Erklärung“ veröffentlicht, und damit der Rechtsradikalismusdebatte im Zusammenhang mit der FPÖ Jörg Haiders neue Nahrung gegeben.

Die „AULA“ als Sprachrohr des „Gewissens der Partei“

Der ‚Lorenzener Kreis machte erstmals im Jahre 1986 von sich reden, als er (...) ‚generalstabsmäßig‘ den Führungswechsel in der FPÖ von Norbert Steger zu Jörg Haider vorbereitete. Initiiert vom Linzer FP-Bezirksobmann Raimund Wimmer, trafen sich damals Freiheitliche aus ganz Österreich im obersteirischen Ennstal, um die national-liberale Gesinnungsgemeinschaft vom opportunistischen Steger-Kurs wieder ‚auf den richtigen Weg‘ zu bringen. Seitdem fühlt sich dieser ‚Lorenzener-Kreis‘, dessen Initiator Raimund Wimmer ausdrücklich von Bundesparteiobmann Jörg Haider beim Villacher Parteitag für sein diesbezügliches Wirken gewürdigt wurde, als eine Art ‚Gewissen der Partei‘.

(„AULA“ 10/1989: 21)

Die Position des „Lorenzener Kreises“ bezüglich aktueller Probleme der Asyl- und Fremdenpolitik wurde im österreichischen Fernsehen durch den „Inlandsreport“ am 9.11.1989 (in FS2) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In dieser Sendung kamen u.a. auch R. Wimmer und FPÖ-Generalsekretär N. Gugerbauer zu Wort: R. Wimmer ließ seine rassistische und fremdenfeindliche Einstellung klar durchblicken und scheute sich auch nicht, die entsprechende Terminologie zu verwenden. So meinte er z.B., durch ausländerpolitische Maßnahmen müsse strenger „selektiert“ werden, da sonst bald lauter „Neger“, „Polacken“ und „alles andere“ in unser Land kämen. Gugerbauer, selbst Mitarbeiter im „Lorenzener Kreis“, wertete diesen als Ideologie-Kaderschmiede eher ab; er distanzierte sich aber nicht von den Thesen dieser Gruppe.

Der „Lorenzener Kreis“, der für sich selbst beansprucht, J. Haider zum Führer der FPÖ „gemacht“ zu haben, hat offensichtlich in der Kärntner FPÖ ein starkes Standbein. Die jetzige Zweite Landtagspräsidentin und Klubobfrau der Kärntner FPÖ Kriemhild Trattnig ist — wie durch den Inlandsreport bekannt wurde — ebenfalls Mitarbeiterin im „Lorenzerner Kreis“ K. Trattnig ist nicht erst seit ihrer Mitautorenschaft im braun getönten „Kärntner Grenzlandjahrbuch 1989“ (siehe dazu FORVM August/September 1989, p. 30) als Exponentin des rechtsextremen Flügels in der FPÖ bekannt, sie hat auch zu anderen einschlägigen Organisationen und Gruppen Kontakt: Sie ist in der Verbandsleitung des Kärntner Heimatdienstes, war (laut internem Protokoll, „Profil“ Nr. 11 vom 14.3.88) auch beim rechtsextremen Gipfeltreffen von Scrinzi-Burger-Haider mit dabei, sie war Referentin bei der „Politischen Akademie“ 1987 der NDP-nahen „Aktionsgemeinschaft für Politik“ und kann darüber hinaus noch auf eine Anzahl weiterer öffentlicher Auftritte und Aktionen bei rechten Gesinnungsfreunden verweisen.

Es ist sicher auch kein Zufall, daß ausgerechnet die „Aula“ sich als Publikationsorgan für den „Lorenzener Kreis“ anbietet. Die „Aula“ trat schon in der Vergangenheit mehrfach als Promotor für bräunliches und rechtsextremistisches Gedankengut auf. Personell sind Schriftleitung und Hauptautoren im Umkreis von NDP, FPÖ, schlagenden Burschenschaften sowie des Freiheitlichen Akademikerverbandes angesiedelt. Eine bedeutende „Achse“ führt von den „Kärntner Nachrichten“ und J. Haider über O. Scrinzi und N. Burger zur „Aula“ nach Graz bzw. zu deren Geschäftsführer Herwig Nachtmann, NDP-Aktivist und Burger-Kamerad. In letzter Zeit engagierte sich die „Aula“ etwa für die von O. Scrinzi angeregte Österreich-Tournee des Neonazi-Historikers D. Irving. Im Bedenkjahr 1988 machte der „Aula“-Verlag durch die Herausgabe einer Broschüre von sich reden („1938. Lüge und Wahrheit“), die durch ihr rechtsextremes Gedankengut an der Universität Innsbruck (wo die schlagende Burschenschaft „Brixia“ als Verteiler auftrat) für Empörung in akademischen Kreisen sorgte. Die „Aula“, die schon seit einigen Jahren den Aufstieg des FPÖ-Führers J. Haider publizistisch begleitet und massiv unterstützt, scheint demnach das geeignete Gesinnungsblatt zu sein, in dem das „Gewissen der Partei“, der „Lorenzener Kreis“ also, nun seine Offentlichkeit gefunden hat:

Mit der nun zur Diskussion stehenden ‚Lorenzener Erklärung‘ versucht der ‚Lorenzener Kreis‘ die programmatische Diskussion in der FPÖ voranzutreiben und jenseits des tagespolitischen Getriebes inhaltliche Markierungen zu setzen.

(w.o.)

Das Programm der „Erneuerer“

In zwölf Thesen formuliert diese Gruppe, was sie sich unter politischer Erneuerung vorstellt, und das ist es wert, unter die Lupe genommen zu werden. Zunächst fällt auf, daß den Thesen jeweils ein Zitat des Bundesparteiobmannes der FPÖ, J. Haider, vorangestellt ist. Diese wörtlichen Zitate (sie sind quellenmäßig nicht näher ausgewiesen) fungieren als „Leitmotive“ für die Auslegungen und Ableitungen, die die Autoren des „Lorenzener Kreises“ mit mehr oder weniger großem exegetischem Geschick den FP-Führerworten folgen lassen. Die Gruppe formuliert mit einem in diesen Kreisen üblich gewordenem Bekennermut ihr Selbstverständnis und ihren Standpunkt so:

Diese Grundsatzerklärung soll nicht das freiheitliche Parteiprogramm ersetzen, sondern dient als notwendige Auslegung und Ergänzung des Programmes von 1985 mit Gewichtungen, die den gegenwärtigen gesellschaftlichen und internationalen Problemen Rechnung tragen. (...) Ausgangspunkte sind das grundsätzliche Bekenntnis zu bleibenden Werten, die offenkundig vorgegeben und mit der menschlichen Natur untrennbar verbunden sind, eine ganzheitliche Schau des Menschen sowie seiner natürlich und kulturell bedingten Umwelt und der geistige Bereich, der Tun und Beweggründe des Menschen bestimmt. Dieses ganzheitliche Bild folgt den Denkern des Deutschen Idealismus, der Romantik und der Freiheitsbewegung. Daher bedeuten uns Volk, Heimat, Wahrheit, Freiheit, Ehre, Treue, Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Sitte und Brauch Werte, die unser Handeln bestimmen. Daraus ergibt sich das Bekenntnis zur abendländischen Überlieferung als unabdingbar und unverzichtbar.

Diese Haltung führt uns zur entschiedenen Ablehnung von Utopien, die die Wirklichkeit und die natürlichen Gegebenheiten mißachten und schließlich zum Selbstzweck werden: die Phrasen der Französischen Revolution, der Marxismus, der Totalitarismus faschistischer Ideologien, der Anarchismus, die liberalistische Auffassung, daß die Marktkräfte zu einer gerechten Ordnung führen, usw., Materialısmus, Rationalismus und ähnliche Haltungen haben sich als untaugliche Wege erwiesen, weil sie der Natur des Menschen widersprechen.

(„AULA“, w.o.)

Bereits die einleitende Deklaration läßt erkennen, daß die Lorenzener Erklärung jenen völkischen, biologistischen Mustern verpflichtet bleibt, die wir als stabile ideologische Kernstücke in fast allen rechtsradikalen und faschistischen Konzepten finden.

In bezug auf Demokratie und Parteienstaat ist die Erklärung einerseits voller innerer Widersprüche, andererseits lassen sich Grundtendenzen erkennen, die den antidemokratischen Richtungen der ersten Jahrhunderthälfte entsprechen. Das Übel unserer Zeit liege im Gleichheitsgedanken und im Freiheitsbegriff der Französischen Revolution begründet:

Unser Freiheitsideal unterscheidet sich grundlegend von den Schlagworten der Französischen Revolution: die vorgegebenen Unterschiede an Begabung, Fähigkeiten, Neigungen, ja auch an menschlicher Würde bilden die zur volklichen Existenz notwendige Vielfalt und erzeugen das Spannungsfeld, das die Voraussetzung für kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen darstellt.

(„AULA“, w.o.)

Wenn die biologischen Festschreibungen auf „vorgegebene Unterschiede“ über den ohnehin schon fragwürdigen Bereich der „Begabungen“ hinaus auf „Neigungen“ und sogar auf die „menschliche Würde“ ausgedehnt werden, dann greift so eine Programmatik weit hinter jede grundgesetzlich fixierte Position heutiger Staaten Mitteleuropas zurück. Die Berufung auf unterschiedlich Vorgegebenes hat ausschließlich legitimatorischen Charakter. So haben unter der Annahme, daß die Menschen nicht gleich an Würde geboren sind, alle faschistischen Regierungen der Vergangenheit und Gegenwart ihre menschenverachtenden Maßnahmen gegenüber Außenseitern, Kranken, Behinderten, Alten und gesellschaftlichen „Abweichlern“ begründet. Auch die Rassenpolitik der Nationalsozialisten wußte sich pseudowissenschaftlicher Aussagen von philosophischen und anthropologischen Befürwortern der der biologischen Ungleichheits- und Volksgemeinschaftsideologie zu bedienen.

Einem weltanschaulichen Pluralismus sind daher auch Grenzen gesetzt durch kulturelle und völkische Traditionen, Sitte, Brauch und vor allem durch objektive Wahrheiten.

(„AULA“ w.o.)

Ähnliche, mit völkischen Theorien unterlegte Appelle an die eingeschränkte Pluralität wurden in diesem Jahrhundert schon mehrmals als „objektive Wahrheiten“ gehandelt und von den Propagandisten zu ehernen „Traditionen“ hochstilisiert. Der Zweck der Verlautbarung von und Indoktrination mit solchen „absoluten Wahrheiten“ (in deren Besitz sich wahrscheinlich nicht einmal die Nazi-Wissenschaft wähnte) war allerdings stets ein ganz profaner: Es galt dem biologistischen Grundprinzip der „Arterhaltung“ Genüge zu tun, in dem einmal die „Überfremdungsgefahr“ als ständiges Menetekel an der Wand geschrieben wurde und zum anderen „moralisch minderwertige“ Individuen und Gruppen von der eigenen „reinen“ Volksgemeinschaft ausgegrenzt wurden. Die „Vielfalt“, von der in der Lorenzener Erklärung die Rede ist und die angeblich einen Gegenpol zur „volklichen Existenz“ darstellt, bekommt in diesem Zusammenhang ihre ideologische Bedeutung: Es ist eine abgestufte Vielfalt; der „Pluralismus“ findet seine Grenzen in der „Natur des Menschen“. Dieser ist unterschiedlich „würdig“ und „fähig“, am „gesunden Lebensraum“ und am „heilen Wertesystem“ teilzuhaben. Daß diese „naturgewollten“ Ungleichheiten und hierarchischen Abstufungen als „kulturelles Erbe“, also gleichsam sozio-genetisch weitergegeben werden, das bezeichnen die Autoren der Lorenzener Erklärung als „höchste Pflicht“ der national-freiheitlichen Politik im Rahmen Haiders FPÖ.

Hier wird hausbacken formuliert, was im Grunde technofaschistische Überlegungen zur Ausgrenzung von Menschen vom demokratischen Prozeß darstellen, ohne daß die Frage nach Interessen und dem Machtfaktor gerade in pluralistischen Informationsgesellschaften gestellt wird. Es entspricht diesem verstümmelten Demokratiekonzept, daß einige gesellschaftliche Bereiche als „ihrer Natur nach nicht demokratisierbar“ ausgeklammert werden, wie etwa Schule, Erziehung, Heer.

Die Notwendigkeit von Parteien wird akzeptiert, doch auch hier geht es um die Gewinnung der Besten. Parteien sind zwar als Gesinnungsgemeinschaften vorgesehen, aber in der „sozialen Volksgemeinschaft“, in der „gesunden Gesellschaft“, haben Parteien sichtlich keine Funktion, da solche Gesellschaften von „Bruchlinien“ frei sein sollen: Kein Klassenkampf, keine Auseinandersetzung zwischen Berufsgruppen, keine Generationskonflikte, dafür aber „völkische Traditionen und bewußtes Heimaterlebnis“. Diese harmonisierende Volksgemeinschaftsideologie mit abgestuften Mitbestimmungsmöglichkeiten je nach Positionierung und persönlichem „Wert“ entspricht den gesellschaftlichen Gestaltungsprinzipien aller faschistischen Bewegungen und macht tendenziell Parteien, die Interessensgegensätze in der Gesellschaft artikulieren sollen, überflüssig.

Das rassistische Konzept der Überfremdungstheoretiker

Freilich kann diese Erklärung nur einige der wichtigsten anstehenden Fragen behandeln, so etwa Umweltverschmutzung und Schutz des Lebensraumes, Überfremdung, Geburtendefizit und Überalterung, Kulturverlust und Bildungsaufgaben. (...)

Volk und Heimat bilden das entscheidende Bezugsfeld für den einzelnen. (...) Es ist unsere Pflicht, unser Volkstum zu bewahren, und es wäre unverantwortlich, unsere ethnisch-kulturellen Eigenarten einer allzu liberalen Einbürgerungspolitik zuliebe aufs Spiel zu setzen. Das Prinzip sog. multikultureller Entwicklungen und der multikulturellen Erziehung lehnen wir ab, da es erfahrungsgemäß zur Nivellierung und zur geistigen Verarmung und Entwurzelung des Menschen führt.

(w.o.)

Die thematische Verknüpfung von so hoch emotionalisierten und belasteten Begriffen wie „Schutz des Lebensraumes“ und „Überfremdung“ einerseits und „Volk und Heimat“ andererseits, umreißt das „entscheidende Bezugsfeld“, in dem die Lorenzener Erklärung den völkischen Menschen verortet sehen will. Damit ist allerdings auch das Koordinatennetz des biologistisch-nationalistischen Denkens sowie seiner territorialen Entsprechungen ausgelegt. Die Lorenzener Erklärung folgt hier dem in der Neuen Rechten üblichen Ideologieschema und stellt Haiders FPÖ einmal mehr in eine Gedankenlinie mit Le Pens Front National, mit Schönhubers Republikanern oder mit Freys Deutscher Volksunion/Liste-D. Dieses gemeinsame Gedankengut läßt sich rekonstruieren:

  • Die ideologische Prämisse der nationalen Wendepolitik, der „Erneuerung“ à la FPÖ, ist die Wiederverwurzelung des Menschen in seiner ethnisch definierten Einheit („Volk“) und in seiner natürlichen Umwelt („Heimat“). Das Band zwischen beiden Elementen Volk/Gemeinschaft und Heimat/Sitte und Brauch stellen Treue und Ehre dar. („Unsere Ehre heißt Treue“ war auch schon der Leitspruch der Waffen-SS, die nach der Interpretation führender FPÖ-Funktionäre nichts anderes taten, als „Heimat“ und „Vaterland“ zu verteidigen und „Europa“ vor Kommunismus und Bolschewismus zu schützen).
  • Eine weitere Prämisse der Neuen Rechten lautet: Der völkische Mensch neigt instinktiv zum Territorialbesitz und zur Sicherung seines „Raumanspruchs“ (so auch die These von K. Lorenz). Die territoriale Aggression in Form des Schutzes des Lebensraumes und die Abwehrmaßnahmen gegen „Überfremdung“ gehören gemäß dieser Ideologie zu jenen Verhaltensweisen, die „offenkundig vorgegeben und mit der menschlichen Natur untrennbar verbunden sind“ („AULA“, w.o.).
  • Ein drittes Postulat gesellt sich hinzu: Die Rangordnung der Völker, ihre unterschiedliche Wertigkeit erlaubt eine Abstufung in europäisch-abendländische Kulturkreise und „fremdvölkisch“ außereuropäische (orientalische, asiatische, afrikanische, usw.). Diese Rangordnung wird mit der Dominanz einer biologischen, rassischen und kulturellen „Oberschichte“ europäischen Ursprungs begründet. Eine Vermischung mit Ausländern, „die meist noch einer sozial-kulturellen Unterschicht angehören“ („AULA“, w.o.) ist deshalb unerwünscht und soll durch fremdengesetzliche und -polizeiliche Vorkehrungen minimiert werden.
  • Schließlich tritt die Neue Rechte in den Ring, um alle Entwicklungen zu bekämpfen, die der „volklichen“ Identität und kulturellen Hegemonie des abendländischen Menschen (= bei der FPÖ: des deutschnationalen Österreichers) zuwiderlaufen und die die biologische Raum- und Rangordnung destabilisieren; deshalb die Aggression gegen alle multikulturellen Gesellschaftsformen, gegen interethnisches Zusammenleben, gegen bikulturelle Identitätsbildung, gegen zweisprachige gemeinsame Erziehung, usw.

An mehreren Stellen wird vor „Überfremdung“ gewarnt, und die droht uns nach den „Lorenzenern“, bildlich gesprochen, nicht aus Hamburg sondern aus Istanbul. Fremdenfeindlichkeit und verkappter Kulturrassismus treten nicht nur an einer Stelle in diesem Text zutage. Sie sind durchgängige Leitgedanken; dazu zwei Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaftskonzeption:

Die Familienpolitik hat sich auch an der Erhaltung unseres Volkstumes und unserer abendländischen Kultur und Überlieferung auszurichten. Wir lehnen es daher ab, unser Geburtendefizit durch die Einbürgerung von Ausländern, die meist noch einer sozial-kulturellen Unterschicht angehören, auszugleichen. (...) Kunst und KuItur sollen sich frei entwickeln, solange sie Sitte und Brauch nicht gröblich verletzen. (...)

Die direkte Kunstförderung muß sich auf Werke beschränken, die unserem abendländischen Kulturkreis angehören und gemeinhin als künstlerisch anerkannt sind: Kunstwerke müssen bestimmten technischen und ästhetischen Anforderungen genügen, keineswegs darf eine einseitige Kunstkritik als maßgebliche Richtschnur dienen. Keineswegs dürfen Steuermittel für Erscheinungen wie ‚Aktionismus‘, blasphemische Darstellungen, für jegliche Werke, die die Gefühle unserer Bevölkerung grob verletzen, unsere Heimat und Überlieferung verächtlich machen oder der Geschäftemacherei dienen usw. verwendet werden. Auch die Förderung von Werken, die fremdartige Ausdrucksmittel benützen oder die unserer abendländischen Tradition zuwiderlaufen (z.B. Primitivkunst, fernöstliche Moderiten, ‚Subkultur‘) ist abzulehnen.

(„AULA“, w.o.)

Mit Emotionen und Ressentiments wird in der Lorenzener Erklärung reichlich und leichtfertig gespielt. Wenn es beispielsweise um die „kleinste Zelle einer gesunden Gesellschaft“ geht, um die Familie, dann wird Jörg Haiders Tiefblick in „glückliche Kinderaugen“ zitiert, um „staatliche Einflußnahmen“ (insbesondere den Medienkoffer zur Sexualerziehung) ebenso abzuwehren wie den Eindruck, „steigende Wachstumsziffern“ hätten irgendeine Priorität vor dem Kinder- und Familienglück. Die Frage nach dem Glück in den Kinderaugen wird aber sofort dann nicht mehr gestellt, wenn es um den eigentlichen qualifikatorischen Kern der Gesellschaft geht. Dieser Kern liegt im Bildungswesen und das soll hart auf Eliteförderung getrimmt werden. Hier wird dann sehr wohl das Glück der Wenigen aus den Augen der Wirtschafts- und Industrieeliten lachen, denn zugunsten „steigernder Wachstumsziffern“ will Jörg Haider das Bildungswesen noch selektiver machen und auf „Höchstbegabte“ zuspitzen:

Wir Freiheitlichen wollen ein Bildungswesen, in dem die Förderung von Höchstbegabten und die Schaffung von Bildungseliten nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich gewünscht ist.

(Zitat J. Haider in der Lorenzener Erklärung, w.o. 24)

Wenn zu dieser Aussage noch das Kalkül des „Lorenzener Kreises“ dazukommt, daß nämlich „Schule und Universität von parteipolitischer Einflußnahme zu befreien“ sind und daß diese Bereiche gleichzeitig als „grundsätzlich nicht demokratisierbar“ zu gelten haben, dann läßt sich unschwer folgern, von welchen archaischen und vordemokratischen Gesetzen das Bildungs- und Erziehungswesen durchflutet werden soll: an die Stelle von Diskussion, Mitbestimmung und diskursiver Wahrheitsfindung sollen Drill, Indoktrination und autoritäre Verkündigung „objektiver Wahrheiten“ treten, an die Stelle von breiter Persönlichkeitsbildung und gesamtschulartiger Organisation von Chancengleichheit im Bildungswesen Rückkehr zur Elitenbildung nach dem Ellbogenprinzip „Freie Bahn dem Tüchtigen“.

Ethnopluralistische Vielfalt — ein trügerisches politisches Konzept

Österreichs Bevölkerung spricht überwiegend die deutsche Sprache, die Heimat Österreich gehört zum deutschen Kulturraum. Dies steht nicht im Widerspruch zur Eigenstaatlichkeit und Neutralität Österreichs, wozu wir uns vorbehaltlos bekennen. (...) Wir bejahen eine europäische Einigung auf der Grundlage souveräner freier Staaten mit gemeinsamen Interessen.

(„AULA“, w.o. 23,25)

Die Position des „Lorenzener Kreises“ zur Annäherung Österreichs an die EG ist im Grundtenor eindeutig: Indem man sich dem „deutschen Kulturraum“ zugehörig definiert, erhofft man sich vom EG-Anschluß einerseits ein verstärktes wirtschaftliches und kulturelles Potential an deutschnationaler und wertkonservativer Machtpolitik. Auf der anderen Seite ist die EG-Annäherung Motor für xenophobische Ängste, Überfremdungsphantasien und gesellschaftssanitäre bzw. ethnopolitische Maßnahmen. Letzteres tritt dort deutlich in Erscheinung, wo die Lorenzener Erklärung die europäische Einigung nur unter „freien Staaten mit gemeinsamer Tradition und mit gemeinsamen Interessen“ befürworten will und wo sie sich mit eurozentrischer Bollwerkmentalität gegen offene Grenzen nach weiter außen hin, d.h. in den außereuropäischen Raum (der für diese Leute wohl schon östlich von Wien und südlich von Klagenfurt beginnt) ausspricht. Würden dort „offene Grenzen“ zugelassen, so unterstellt die Lorenzener Erklärung unmißverständlich, käme es zur verstärkten Bedrohung der „volklichen Existenz“ — durch „Überfremdung‘“, „Einfuhr von Kriminalität“, „Gefährdung der Volksgesundheit“ usw.

Für „außereuropäische“ Zuwanderer haben sich die „Lorenzener“ eine spezielle Menschenrechtspraxis ausgedacht:

Die Einreise außereuropäischer Asylanten darf nur in besonderen Ausnahmefällen schwerer politischer Verfolgung gewährt werden. Die Aufenthaltsbestimmungen für Personen, die außerhalb Europas beheimatet sind, sind neu festzulegen und insbesondere für Staatsbürger aus Krisengebieten streng zu fassen, um das weitere Eindringen des internationalen Verbrechens und Terrors zu unterbinden.

(„AULA“, w.o. 25)

Eine mögliche europäische Einigung sehen die Autoren der Lorenzener Erklärung in enger Verbindung mit ihrer Kampfansage an interkulturelle Erziehung und multikulturelle Entwicklungen — und dies angesichts der Tatsache, daß die europäische Geschichte geradezu ein gigantisches Schaubild multikultureller, multiethnischer und multilingualer Entwicklung ist, die keineswegs zu „geistiger Verarmung und Nivellierung“ geführt hat. Pädagogen, Kultur- und Sprachwissenschaftler u.a. sehen nicht in einer ethnischen, kulturellen und sprachlichen Vielfalt — die ja in unseren Metropolen bereits der Alltag ist — ein gesellschaftspolitisches Problem an sich, sondern in der Gettoisierung, Segregierung und Abschottung der einzelnen ethnischen, kulturellen und sprachlichen Gruppen, in ihrer ungleichen Behandlung, in ihrer Ausgrenzung und in der Behinderung interethnischer, interkultureller und interlingualer Kommunikation. Die Vorschläge der „Lorenzener“, die Ausgrenzungen begünstigen und Abtrennungen fordern, sind dazu angetan, gesellschaftspolitische Spannungen zu erzeugen, das unterschiedlich erreichte gegenseitige Verständnis zu zerstören und durch ein Klima eskalierender Hetze zu ersetzen. Der Kampf gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ liegt durchaus in der Logik des neurechten Konzeptes des sog. Ethnopluralismus. Der Ethnopluralismus, nach M. Koelschtzky das „rassistische Welterklärungsmodell“ der Neuen Rechten schlechthin, setzt stets den Bekenntniszwang, das „Volkstumsbekenntnis“ voraus (so auch in der Lorenzener Erklärung), um die Forderung nach getrennter und ihrer Rangposition entsprechender Entwicklung „volklicher Identität“ folgen zu lassen. Die damit legitimierbare Politik der getrennten Entwicklung begünstigt ihrerseits apartheidähnliche Gesetzesregelungen und ethnopolitische Trennungsmaßnahmen, wie sie jüngst auch im Schulwesen Südkärntens gesetzt wurden. Diese Maßnahmen kommen dann häufig ideologisch getarnt unter dem Deckmantel des „Schutzes ethnischer Minderheiten“ daher. Auch die Lorenzener Erklärung wartet mit diesem Taschenspielertrick auf:

Jeder Mensch hat das Recht, sich frei zu seinem Volkstum zu bekennen und dieses zu pflegen; dieses Recht schließt die Pflicht zum Schutz ethnischer Minderheiten und deren Traditionen ein. Andererseits darf es aber nicht zu einer Diskriminierung der Mehrheit durch Bevorrechtung von Minderheiten kommen.

(„AULA“, w.o. 22)

Diese Passage ist eng an die entsprechende Propaganda des „Kärntner Heimatdienstes“ und der Kärntner FPÖ angelehnt und offensichtlich jener Kampagne entnommen, mit der diese beiden Gruppen die gemeinsame zweisprachige Schule in Südkärnten ins Visier genommen und schließlich die Trennung von deutsch- und slowenischsprachigen Kindern durchgesetzt haben. Auch dort ging es nicht um die faktische Diskriminierung der slowenischen Minderheit sondern um den Schutz der Mehrheit vor dem „Vorrecht“ der zweisprachigen Schulbildung und den Ansprüchen der interkulturellen Erziehung. Wenn die „Lorenzener“ schreiben:

„es ist unsere Pflicht, unser Volkstum zu bewahren“,

dann ist dies ein Appell an jenen nationalistischen Bodensatz, der hochkommen soll, um „unsere ethnisch-kulturellen Eigenarten“ rein und erhaben zu erhalten.

Kärnten war durch die Existenz einer autochthonen Minderheit für die völkische Trennungspolitik offensichtlich das natürliche Exerzierfeld. Laut Pressemeldungen will jetzt die FPÖ nicht nur weitere Schwachstellen der Kärntner Minderheitenschulregelung „ausmerzen“ (so die „Kärntner Nachrichten“ am 21.12.1989); z.B. einmal getrennte Parallelklassen sollen nicht wieder zusammengelegt werden dürfen), es sollen auch in Schulklassen anderer Bundesländer mit hohem Ausländerkinderanteil sprachlich und ethnisch getrennt unterrichtet werden. Hier, wie im gesamten Bereich des politischen Abwehrkampfes gegen Fremde, Flüchtlinge und „außereuropäische Asylanten“, decken sich die Vorstellungen der FPÖ-Eliten im „Lorenzener Kreis“ mit jenen, die im neofaschistischen Dunstkreis der ehemaligen NDP entwickelt werden. So sind etwa analoge Auffassungen bei jener „unabhängigen Bürgerinitiative“ festzustellen, die unter dem Namen „Ein Herz für Inländer“ extrem fremdenfeindliche Emotionen schürt und deren Proponenten sich aus ehemaligen Neonazis um Burgers NDP rekrutieren. Auf lokaler Ebene konnten auch schon FPÖ-Funktionäre dafür gewonnen werden, „ein Herz für Inländer“ zu zeigen.

Resumée: Mit den FPÖ-„Erneuerern“ ins europäische Abseits

Die Philosphie der „Lorenzener Erklärung“ verbindet altkonservative Metaphysik mit neokonservativen bis reaktionären Vorstellungen von einer segregierten Gesellschaft und stellt von vornherein klar, daß sie mit Demokratie wenig im Sinne hat. Das wird insbesondere dort deutlich, wo die Gleichheit der Menschen geleugnet wird. Diese Geisteshaltung steht folglich in direkter Erbfolge etwa zum Korneuburger Eid der österreichischen Heimwehren. Dazu kommt noch — und damit unterscheidet sich der Lorenzener Konservativismus selbst von den reaktionärsten Ausformulierungen des Wertkonservativismus alter Schule — ein militanter Eurozentrismus als Ausgrenzungsideologie gegenüber allem Fremden.

Das Unbehagen an der unbekannten und Verzicht erzwingenden Gesellschaft wird als die persönliche Schuld von Individuen und/oder Gruppen dargestellt, die es zu bekämpfen gilt: Als Projektions- und Aggressionsobjekte bieten sich hier alle Fremden, Ausländer, Asylanten, Nicht-Deutsche, usw. an. Eine diffuse Angststimmung wird verbreitet, die eigentlich auf die Angst einer sozialen Schicht zurückgeht, welche Gefahr läuft, ihre erreichten Positionen teilen zu müssen, wenn der moderne Wohlfahrtsstaat Aufstiegsbarrieren abbaut. Der „gesunde Hausverstand“, mit dessen Sprache und Denkfiguren die Lorenzener Erklärung argumentiert, entlarvt sich hier als angstverzerrtes Zähnefletschen verunsicherter Mittelstandsbürger.

Die Lorenzener Erklärung ist ein durchgängiges Programm der Spaltung der Gesellschaft in Eliten und Abhängige und verfolgt als gesellschaftpolitisches Konzept Ausgrenzung, Disziplinierung, Markierung und Zuweisung in „natürliche“ (sprich: erbbedingte bzw. biologisch begründete und vorgegebene) hierarchische Positionen und Rollen.

„Demokratie“ setzt nach den „Lorenzenern“ auf ein konzessioniertes Bewußtsein der Ausgegrenzten, die nach Möglichkeit ihrer Deklassierung selbst die Zustimmung geben sollen. Am Beispiel von Schule und Bildung läßt sich dies konkretisieren: Nach demokratischen Vorstellungen soll die Schule ein Modell für diskursive Austragung von Interessen und des Ausgleichs von Lebenschancen sein, ein Modell für Hinterfragung der Autoritäten hinsichtlich ihrer Legitimation, eine Plattform für reflexive Lernprozesse, in denen auch Sinnfragen gestellt werden. Die „Lorenzener“ hingegen wollen die Schule diskursfrei halten und erklären sie in einem Zuge mit Erziehung und Militär zur demokratiefreien Zone.

Dieser Denkansatz der „Lorenzener“ ist nicht nur nicht „europareif“, sondern seine Realisierung würde Österreich im europäischen Vergleich in die isolierte Sonderposition eines kulturell verarmten Entwicklungslandes bringen, in dem eine Bildungsaristokratie auf Kosten marginalisierter Massen die Verwahrlosung menschlicher Möglichkeiten zuläßt.

Das zukünftige Europa ist aber nur dann als ein friedliches denkbar, wenn es auf einer hohen interkulturellen Kompetenz der Verständigung und des Zusammenlebens aufbaut und das übernationale Denken fördert und kultiviert. Die Lorenzener Erklärung hingegen arbeitet dem entgegen und riskiert eine friedlose und konfliktträchtige Zukunft. „Europäisch“ ist sie hingegen nur dort, wo sie den Anschluß an die „Das Boot ist voll“-Mentalität sucht, die insbesondere im militanten ausgrenzenden Eurozentrismus, Rassismus und Kulturchauvinismus autoritären Zuschnitts zu finden ist.

Die von den „Lorenzenern“, d.h. den von J. Haider öffentlich belobigten Ideologieproduzenten der FPÖ, angepeilte gesellschaftliche „Erneuerung“ folgt durchwegs alten konservativen und faschistischen Mustern. „Neu“ ist lediglich die Offenheit und die unverschämte Wiederaufnahme des alten Jargons, in dem heute derartige menschenverachtende Ideen abermals propagiert werden.

Dieser Beitrag erschien als FORVM Nr. 433 am 16. März 1990 außerhalb des Abonnements‚ in eigener Vervielfältigung.

untersagt‚ sich ... für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen.

Verfassungsgesetz, vom 8. Mai 1945 (Verbotsgesetz) , § 3 Abs 1

10 Jahre sind für das Verbrechen vielleicht zuviel, 12 Jahre 3. Reich waren sicher genug. - G.O.

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