LICRA
November
2014

Die nächtliche Realität Wiens

über Georg Chaimowicz

Georg Chaimowicz wurde 1929 in Wien als jüngster Sohn des Industriellen Heinrich Chaimowicz und seiner Frau Erna geboren. Die ersten Jahre wohnte die Familie in der Jaurèsgasse (ab 1934 Lustig-Prean-Gasse nach Heimwehroffizier Heinrich Lustig-Prean und ab 1938 Richthofen-Gasse nach Heinrich von Richthofen aka der Rote Baron) vis à vis von der Deutschen Botschaft, in der Franz von Papen den „Anschluss” Österreichs mit vorbereitete. Der junge Chaimowicz stand mit seinen Geschwistern am elterlichen Balkon und rief „Papen, Papen, halt die Pappen!“ hinüber. 1938 wurde Heinrich Chaimowicz das erste Mal verhaftet, 1939, nach der dritten Verhaftung, entschied sich die Familie endlich zur Flucht.
Es waren diese Jahre, in denen Chaimowicz’ künstlerische Arbeit begann. Er beobachtete, dokumentierte und kommentierte die Diskriminierungen, Beleidigungen und Erniedrigungen, die ihm widerfuhren. Die Zeichnungen aus dieser Zeit zeugen alle von politischer Aufmerksamkeit, verändern sich in ihrem Charakter mit der Flucht jedoch stark. Sind die frühesten Arbeiten noch von kindlicher Hoffnung geprägt – King Kong erdrückt den kleinen Hitler –, so ist diese bereits zwei Jahre später durch einen abgeklärten Zynismus ersetzt: Hitler als Unser neuer Boxer. Zeichnungen die in einem Brünner Hotel entstanden, Tage bevor die die Gestapo dort ihr Quartier aufschlug, am Bahnhof in Prag, in einem Stundenhotel in Amsterdam, in dem die Familie einige Wochen wohnte, oder auf der Colombia, die sie schließlich nach Bogotá brachte.
Die einzige Schule dort, die Georg Chaimowicz zunächst aufnimmt, ist eine von einem deutschen Offizier geführte Militärschule, ein schroffer Gegensatz zu der Montessori-Schule, die er in Wien besuchte. Es ist ein Segen für ihn, als er einige Monate später, 1941, an der Escuela de Bellas Artes de la Universidad Nacional akzeptiert wird. Als er dort jedoch erklärt, er fühle sich heute nicht inspiriert und den Unterricht bestreikt, muss er die Akademie wieder verlassen. Vor seiner Rückkehr nach Wien ist er 1948 abermals an der Escuela de Bellas Artes eingeschrieben, setzt seine Studien dann an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, zunächst kurz bei Martin Polasek, später bei Sergius Pauser und Herbert Boeckl fort. 1956 erhält er sein Diplom. Die dunkle, spätexpressionistische Diplomarbeit Steinernes Selbstbildnis - Psalm 129 zeigt ihn mit auf der Stirn eingeritztem Magen David. „...zur Genüge haben sie mich bedrängt von meiner Jugend auf, dennoch haben sie mich nicht übermocht. Auf meinem Rücken pflügten die Pflüger, lang zogen sie ihre Strecke...“, heißt es in Psalm 129 (2-3).
Die Wiener Jahre Chaimowicz’ – er lebte ab 1957 auch einige Zeit in Paris und unterhielt von 1961 bis zu seinem Tod ein Atelier in Vence – sind von der Nacht bestimmt. Man konnte die Uhr danach stellen, wann er beim Engländer, wann beim Franzosen, wann er bei Oswald & Kalb und – vielleicht am wichtigsten – wann er, Schritte von seiner Wohnung, im Bane’s war. Die Notwendigkeit der Nacht und die Sehnsucht nach der Nacht sind der gleiche Moment wie die Sehnsucht nach dem Weiß, die Chaimowicz’ Arbeit ab den sechziger Jahren begleitet. Die Sehnsucht nach einer Ruhe, allerdings nicht im unpolitischen Sinn des Worts – denn Chaimowicz war weder unpolitisch noch ruhig –, sondern im Sinne eines Ruhens der eigenen Angst und des eigenen Zorns. Eine unmögliche Ruhe, ein Sehnsuchtsgebilde, wie Weiß selbst auch Sehnsuchtsgebilde, unerfüllbares Ideal bleibt. Entsprechend sind auch Chaimowicz’ ikonoklastische „weiße Arbeiten“ nie weiß, sondern versehrte, geknickte, gerissene, getretene und verbrannte Blätter oder Resultat einer bis ins Äußerste getriebenen Reduzierung einer konkreten Form, deren Prozess durch viele Arbeiten belegt ist. Die Getriebenheit, die Energie der Nacht, ihr Schwarz, stehen den eigenen Widersprüchen und Ängsten gegenüber. Denn die nächtliche Realität Wiens war keineswegs erleichternd.
Eine Miniatur aus den Achtzigern, stellvertretend für viele Nächte: Chaimowicz saß in größerer Runde im Alt Wien, als Wolfgang Bauer in Begleitung zweier blonder Damen stark alkoholisiert in das Lokal stolperte. Nachdem er sich im Suff nicht länger aufrecht halten konnte, schlief er ein und sank auf den Boden. Die Zeit verging, man ließ ihn schlafen, Chaimowicz wandte sich den Damen zu. Als Bauer schließlich aufwachte, sich aufrichtete und die Szene erblickte, kommentierte er sie mit „Der Jud hat das Maul zu weit offen“. Chaimowicz packte den schweren Glasaschenbecher und
fuhr Bauer damit über den Schädel, dass dieser blutend niederging. Die Ober begriffen die Lage schnell und warfen Bauer und nicht Chaimowicz aus dem Lokal. Bauer ging im Übrigen weder seine Wunde versorgen, noch seinen Rausch ausschlafen, sondern soff im Hawelka weiter.
Diese Geschichten sind es auch, die Chaimowicz’ zeichnerisches Werk prägen. Hier verkehrt sich die Innen- zur Aussenschau. Es sind bittere, anklagende Zeichnungen von seinem harten, erbarmungslosen Strich geprägt. Manche mit einer Tendenz zum Karikativen – im besten Sinne – man denke an Grosz, Dix. Chaimowicz’ Kritik der österreichischen Gesellschaft ist stets politisch, dabei aber nie plakativ, parolenhaft oder gar propagandistisch.
Chaimowicz war anstrengend. Er sah überall Alt- und Immer-noch-Nazis. Er machte darauf aufmerksam. Er störte. Er störte die kleine Szene einer Stadt, die darauf bedacht war, anderen die Schuld zuzuschieben, zu vergessen, sich einen Neuanfang zu gönnen. Die Wiener Gruppe suchte eine neue Sprache, die „gottbegnadeten“ Böhm und Karajan dominierten das Musikleben der Stadt, während sein Professor Boeckl (Parteimitglied seit 1941) immer noch die gleichen Bilder wie vor der Shoah malte, etwas bunter vielleicht, plötzlich zurück aus der inneren Emigration. Lauter Widerstandskämpfer, die ein neues Österreich aufbauen wollten, aber auch genügend Leute, die sich gar nicht die Mühe machten, ihren gelernten Judenhass zu leugnen. Chaimowicz sah deshalb überall Nazis und Antisemiten, weil sie tatsächlich überall waren. Eine unbequeme Wahrheit, mit der sich kaum einer auseinandersetzen wollte. Mit ihr wurde er zum Unbequemen, Teil der Wiener Intelligenzia und doch oft geschmäht und am Rand der Szene. Deshalb wurden er und sein künstlerisches Erbe schnell vergessen. Deshalb ist an ihn zu erinnern.

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