ZOOM 7/1996
Dezember
1996

Durch Streit zur Integration

Zwei Jahre nach den Volksabstimmungen über den Beitritt zur Europäischen Union (EU) haben sich die SkandinavierInnen gründlich zerstritten. Dänemark ist nicht mehr die nordische Eingangstür zur EU, Finnland drängt an die Seite der Großmächte – und Schweden übt sich (einmal mehr) im Spagat.

Noch vor zwei Jahren nahmen die Regierenden von Helsinki bis Oslo sorgfältig aufeinander Rücksicht: Die Volksabstimmungen zum EU-Beitritt wurden so angesetzt, daß die ziemlich EU-positiven Finnen zuerst, die skeptischen Schweden danach und die störrischen Norweger zuletzt an die Urnen gerufen wurden. Die politischen Eliten der nordischen Länder haben – mit Ausnahme Dänemarks – die Rahmenbedingungen und Resultate direktdemokratischer Entscheide wiederholt manipuliert. Trotz der breiten Debatten, welche die EU-Referenden im Herbst 1994 auslösten, hat deshalb der Begriff „Volksabstimmung“ in Skandinavien für viele einen negativen Klang.

Hochburg der Diplomatie

Vom gemeinsamen nordischen Kraftakt in die Union hinein ist wenig geblieben: Zwar wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Vorzüglichkeit der innernordischen Beziehungen hervorgehoben, doch im EU-Rahmen treten nun vor allem die strategischen und sachpolitischen Unterschiede zwischen den drei nordischen Mitgliedstaaten zu Tage.

Dänemark gehört seit über 20 Jahren der EU an und nimmt eine Vorreiterrolle in Sachen Mitbestimmung der politischen Parteien sowie der Bürgerinnen und Bürger ein. Fragen der europäischen Politik haben in Dänemark die traditionelle Aufteilung in einen außen- und einen innenpolitischen Bereich verwischt. Deshalb hat die dänische Regierung an der laufenden Regierungskonferenz zur Reform der EU – einer Hochburg der Diplomatie – einen schweren Stand. Einer Gruppe von dänischen BürgerInnen ist es zudem gelungen, die Rechtmäßigkeit des Maastrichter Unionsvertrages von einem Gericht prüfen zu lassen. Die innere Auseinandersetzung hat den äußeren Mut geschwächt. Dänemarks Rolle als EU-Verbindungsglied zu Skandinavien bzw. nordische Tür zur EU hat stark an Bedeutung verloren.

„Wollen zu den Ersten gehören“

Musterschülerambitionen verfolgt hingegen die große Regierungskoalition in Finnland. Bei den ersten Wahlen ins EU-Parlament schafften nur verhältnismäßig wenige IntegrationskritikerInnen den Sprung nach Straßburg. „Wir wollen zu den Ersten gehören“, betont Ministerpräsident Paavo Lipponen und meint damit den Willen zur Anpassung an den „harten Kern“ der EU, Frankreich und Deutschland. Das offizielle Finnland strebt aber auch ein Mitdabeisein in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) an. Nach der jahrzehntelangen unfreiwilligen Nähe zu Moskau hat nun Finnland seine Außenpolitik (freiwillig) auf Brüssel ausgerichtet. Eine öffentliche Debatte zur Richtigkeit dieser Linie wird allerdings kaum geführt. Noch immer ist die Außenpolitik – und dieser wird in Finnland auch die EU zugerechnet – in erster Linie eine Angelegenheit des Staatspräsidenten.

Schweden tut sich besonders schwer. Die sozialdemokratische Regierung strebt eine regionale Machtposition im Ostseeraum an und möchte zudem auf der EU-Ebene gewichtig mitbestimmen. Gleichzeitig fühlen sich viele Schwedinnen und Schweden von den regierenden Sozialdemokraten betrogen, die vor dem EU-Volksentscheid von einer Ausweitung des schwedischen Wohlfahrtsstaates auf die europäische Ebene sprachen. Nun hat sich Schweden aber in erster Linie dem europäischen Trend zum „schlanken“ Staat angepaßt. Nicht einmal mehr ein Drittel der SchwedInnen erachten heute – so zeigen Meinungsumfragen – die EU-Mitgliedschaft als nützlich. Schweden übt sich einmal mehr im Spagat, nachdem es schon während des kalten Krieges die öffentliche Neutralität mit einer nicht-öffentlichen NATO-Kooperation zu verknüpfen versucht hatte.

Alkoholpolitik und Währungsunion

Die Debatte der Dänen, die Anpassung der Finnen und der Spagat der Schweden – all dies ist nicht neu – behinderen die nordischen Staaten nun aber in der EU an einer gemeinsamen Politik. Dies betrifft zum Beispiel die Alkoholpolitik, bei der SkandinavierInnen am Binnenmarkt bislang einen Sonderstatus – daß heißt geringere Importquoten – genossen haben.

Schweden möchte an seiner restriktiven Politik festhalten, Helsinki hat sich mit der EU-Kommission auf eine Übergangsregelung geeinigt. Nun muß der Europäische Gerichtshof über die Importquoten nach Schweden befinden.

Am deutlichsten wird die zunehmend unterschiedliche Ausrichtung jedoch in der WWU-Frage: Finnland hat sich durch die Wiederanbindung der Markka ans Europäische Wechselkurssystem (EWS) für die Währungsunion empfohlen; Schweden aber will abwarten; und die Dänen erhielten bereits im Herbst 1992 in Edinburgh das Recht, sich nicht an der WWU beteiligen zu müssen.

Keine gemeinsame Positionen vertreten die drei nordischen EU-Mitglieder schließlich auch im sicherheitspolitischen Bereich: Hier haben Finnland und Schweden bei der EU-Regierungskonferenz eine Stärkung der friedenserhaltenden Rolle der Westeuropäischen Union (WEU) angeregt. Das langjährige NATO-Mitglied Dänemark möchte hingegen nichts von einer europäisierten Sicherheitspolitik wissen.

Vor diesem EU-Hintergrund sind die Unterschiede der nordischen Staaten deutlich geworden: Dies gilt nicht zuletzt auch für die Art und Weise, wie über Europa innerstaatlich und grenzüberschreitend gestritten wird. In diesem Bereich, so wird in Skandinavien vermutet, liegt der Schlüssel zu einer tragfähigen Integration.

Menschenkette gegen offene Grenzen

Zwei Jahre nach den nordischen Volksentscheiden zum EU-Beitritt machen die UnionsgegnerInnen wieder mobil: Für den kommenden Sommer - voraussichtlich am 2.Juni - ist eine riesige Menschenkette entlang der deutsch-dänischen Grenze geplant. Daran wollen sich EU-KritikerInnen aus ganz Skandinavien beteiligen. „Dies ist kein nationalistisches Projekt, sondern ein Zeichen gegen die grenzenlose Union“, sagt der süddänische Initiant Jens Rosendal.

Die Paßfreiheit, wie sie im Rahmen des Schengener Abkommens vorgesehen ist, existiert in Skandinavien seit über vierzig Jahren. Als Voraussetzung für den Beitritt zum Abkommen haben die drei nordischen EU-Staaten die Beibehaltung der gesamtnordischen Regelung bezeichnet. Nun sollen Norwegen und Island, die dem EWR angehören, dem Schengener Abkommen als Beobachter beitreten können. Kritiker befürchten jedoch, daß die Aufhebung der EU-internen Grenzkontrollen von verstärkter Überwachung einzelner und verstärkten Außenkontrollen begleitet wird. Laut Umfragen sprechen sich rund 66 % der Dänen und Finnen und 55 % der Schweden gegen Schengen aus.

„Nej till EU“

Noch markanter ist der Widerstand gegen die Währungsunion: In Schweden fordern über zwei Drittel der Bevölkerung einen Volksentscheid zu dieser Frage. Die Organisationen der BeitrittsgegnerInnen „Nej till EU“ sind zwei Jahre nach den Volksentscheiden wieder an die Öffentlichkeit getreten.

Während im Nicht-EU-Mitgliedstaat Norwegen Schengen im Vordergrund steht, richten sich die Aktivitäten der dänischen, schwedischen und finnischen MaastrichtgegnerInnen auf die Währungsunion aus. Die Organisationen der EU-GegnerInnen gehören auch zum Netzwerk „Europa der Nationen“, das sich gegen eine Stärkung der Unionskompetenzen und für eine Renationalisierung einsetzt.

Daneben sind in Skandinavien auch Gruppen aktiv geworden, die sich im gesamteuropäischen Rahmen der Inter Citizen Conferences (ICC) engagieren. Die ICC arbeitet in erster Linie auf eine Demokratisierung der europäischen Politik hin und ist in diesem Frühjahr von der Helsinki BürgerInnen-Versammlung „eurotopia“ und anderen gegründet worden. Beim zweiten gesamteuropäischen ICC-Treffen Mitte November in Irland sprachen sich BürgerInnen aus 15 Staaten für direkte Mitspracherechte auf der EU-Ebene und die Aufnahme einer europäischen Verfassungsdebatte aus. ICC unterstützt den bei der Regierungskonferenz gemachten Vorschlag der Regierungen Österreichs und Italiens für die Einführung einer EU-Volksinitiative. Im nächsten Herbst (7.–9.11.97) will sich die ICC im burgenländischen Dorf St. Margarethen an der österreichisch-ungarischen Grenze treffen.

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