FORVM, No. 423/424
März
1989

Eine katholische Partei

Mit auffallender Regelmäßigkeit wird die österreichische christlich-soziale Bewegung und ihre modernste parteipolitische Ausformung, die ÖVP, mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert und muß sich dies auch — mit Recht und Fug — gefallen lassen.

Ob es nun die Judenstern-gelben Plakate aus dem letzten Bundespräsidenten-Wahlkampf sind — „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen!“ — oder die ÖVP-Forderung aus dem Kreisky-Klaus-Wahlkampf, doch um Himmelswillen einen „echten Österreicher“ zu wählen und nicht einen jüdisch-angepatzten Kreisky, das letztere wurde zumindest suggeriert ... Eines ist nicht abstreitbar, wegleugenbar: ÖVP und versteckt/offener Antisemitismus gehören zusammen.

Der Brief des Linzer ÖVP-Vizebürgermeisters ist noch allen im Gedächtnis — wurde er doch massenmedial breit gespielt. Schließlich brachte er nicht nur Kritik an der ÖVP, sondern in den richtigen nationalen Kreisen auch Sympathie.

Der Brief des ÖVP-Ersatzgemeinderates Heinz Kleinszig, 57, wurde möglichst vertuscht. Zu offensichtlich falsch in den historischen Tatsachen, zu plump widersprechend war sein Inhalt. Unterstützt wurde die Aktion des Ersatzgemeinderates immerhin von der Ortspartei im kärntnerischen St. Georgen am Längsee. Kleinszig, auch Landesgremialsekretär der Handelskammer, wollte die Geschichte des Holocaust umschreiben — in je einem Brief an den ÖVP-Chef Alois Mock und an seine Bundesparteileitung — und versuchte mit Hilfe eines offensichtlich gefälschten Dokuments zu beweisen, daß das KZ Mauthausen „ein ganz normales Arbeitslager war“, sozusagen ein löblicher Erfolg im Kampf gegen Arbeitslosigkeit im Dritten Reich. Und die dortige Gaskammer sei „erst nach 1945“ eingebaut worden.

In allen diesen und ähnlichen Fällen von volksparteilichem Antisemitismus versucht die jeweilige ÖVP-Führung den Fall entweder herunterzuspielen, auf unschuldig zu tun, den Antisemitismus als solchen nicht erkennen wollend oder aber ihn als den einer einzelnen Person hinzustellen und auf diese Weise die Gesamtpartei vom Vorwurf des Antisemitismus freizuhalten. Diese Politik war der Anlaß, die Frage zu stellen: Sind es wirklich immer nur die einzelnen Antisemiten in der ÖVP, die die ganze Partei solchermaßen unappetitlich bekleckern?

Oder gibt es in der Parteigeschichte doch Anzeichen dafür, daß der Antisemitismus prinzipiell in der christlichsozialen, volksparteilichen Ideologie verankert ist?

Der Begründer der christlichsozialen Bewegung in Österreich, also quasi der Großvater der ÖVP, heißt Karl Freiherr von Vogelsang. Geboren 1818 in Liegnitz in Schlesien, kam er erst 1864 nach Österreich, wurde 1875 Redakteur der katholisch konservativen Zeitung »Das Vaterland« und gründete 1879 die »Monatsschrift für christliche Sozial-Reform, Gesellschafts-Wissenschaft, volkswirtschaftliche und verwandte Fragen«. Dank der im „Vaterland“ von 1875 bis 1890 von ihm verbreiteten Ideen und dank regelmäßiger Diskussionsabende im Hotel „Zur Goldenen Ente“, den berühmten „Enten-Abenden“ (1889 bis 1898), sammelte Vogelsang eine Reihe christlicher Politiker um sich, außer dem Prälaten Schindler und Vogelsang selbst auch vor allem Lueger und seinen Freund Gassmann, Prinz Alois Liechtenstein, Weiskirchner, Kunschak, Funder und Truxa; lauter zukünftige Führer der Christlichsozialen Partei.

Der zum Katholizismus übergetretene Mecklenburger Freiherr Karl von Vogelsang wird zum Lehrmeister der katholischen politischen Bewegung Österreichs. Er hat in vielen Aufsätzen das geistige Bild des österreichischen Katholizismus geformt und beeinflußt. Man sagt ihm nach, in allen seinen Betrachtungen sei Vogelsang „von der Ethik des Evangeliums“ ausgegangen.

Die ÖVP ist stolz auf den Leitartikler des „Vaterland“, auf ihren geistigen Opapa. Und daher nicht zufällig heißt das ÖVP-Schulungsheim im 12. Wiener Gemeindebezirk in der Tivoligasse 73 „Vogelsang-Heim“. Funktionäre der Partei, die schon was geworden sind oder es noch werden wollen, müssen durch diese Kader-Schmiede durch.

Nächstes Jahr wird die ÖVP mit großem Pomp und großer Ehrfurcht den 100. Geburtstag dieses wackeren Christlichsozialen feiern.

Freiherr Karl von Vogelsang war Antisemit.

Das beweisen schon auf den ersten Blick Formulierungen aus seinen Leitartikeln: religionslose jüdische Freibeuter, kapitalistische Judenherrschaft, der Trıumph des Judenthums über christliche Vertrauensseligkeit etc. etc.

Und er nahm auch schon den späteren kombinierten Haß der Nazi gegen Juden und Freimaurer vorweg; „Das Vaterland“ unter Vogelsang lamentierte:

Wohin man in Ungarn blickt, sind alle einträglichen Stellen von Freimaurern, oder was fast gleichbedeutend ist, von Juden und Judenknechten besetzt. [1]

Daß das keine Ausrutscher waren, sondern Ergüsse einer voll überlegten und durchdachten antisemitischen Grundeinstellung, beweist der Artikel „Nichtgehaltene Rede eines Landmannes zu Landleuten“ aus Vogelsangs „Monatsschrift“. Da findet sich die für Antisemiten typische Gedankenfolge:

GELDJUDE → HANDELSJUDE → SPEKULANT → NACHAHMER (Fälscher und Dieb von geistigem Eigentum) → FÄLSCHER DER ÖFFENTLICHEN MEINUNG → JUDENPRESSE → VERHETZER DER ARBEITERKLASSE

Um die einzelnen Gedankenschritte besser demonstrieren zu können, ist im folgenden die genannte „Nichtgehaltene Rede“ gekürzt und gegliedert:

Geldjude

Wie es bei einem so alten und durch Jahrtausende eingehaltener Inzucht fortgepflanzten Volke kaum anders sein kann, sind — gleich den körperlichen — die seelischen Eigenschaften bei den Juden scharf ausgeprägt. Die Sucht nach Gelderwerb ist der hervorstechendste Charakterzug der Juden — selbstverständlich vereinzelte Ausnahmen immer vorbehalten ...

Da ... körperliche Arbeiten, die Handarbeiten des Ackerbauers, die selbsteigene Ausübung der meisten Handwerke jenes Ziel [2] zu wenig fördern, auch eine Muskelthätigkeit verlangen, für welche der Körper des semitischen Nomaden nicht tauglich ist, so sehen wir den Juden in diesen Ständen, wie in allen anderen, welche den Geldgewinn ausschließen oder erschweren, selten und nur in Folge eines ihm auferlegten socialen Zwanges vertreten.

Diese einseitige, nur auf Geldgewinn gestellte Geistesrichtung der Juden ist eine so übermächtige, sein ganzes Wesen so beherrschende und durchdringende, daß er in keinem Berufe, keinem Gesellschaftskreise, in keiner Lebenslage sich der treibenden und bestimmenden Macht derselben entziehen kann.

Handelsjude

Es

... ist ... unschwer zu begreifen, daß bei einem Volke, welches seit Jahrtausenden ausschließlich dem Handel, dem Geldmachen und dem Wucher ergeben war und welches aus dieser Richtung niemals herausgetreten ist, diese Geistesrichtung einen wesentlichen Bestandtheil in der Veranlagung des Einzelwesens bildet.

Spekulant

Wie der Jude körperlicher Anstrengung abhold ist, ist er es ebenso in der Regel — und nur von dieser reden wir hier — der ideal schaffenden geistigen Arbeit, welche zeitraubend und von zweifelhaftem materiellen Erfolge, daher nicht auf das eigentliche Geldmachen berechnet ist. Wie der Jude mit Holz und Getreide, mit Vieh und Hopfen speculirt, so speculirt er auch auf dem geistigen Gebiete der arischen Völker, deren wissenschaftliche und Kunstleistungen er durchstöbert, überarbeitet und jüdisch verdaut, von pfiffiger Reclame getragen als eigene Erzeugnisse der leichtgläubigen Menge auftischt und so wie alle Erfindungen auf technischem Gebiete, deren er selbst gar keine aufzuweisen hat, wieder nur zum Zwecke nackten Geldgewinnes ausbeutet.

Nachahmer & Fälscher

Eine weitere Eigenthümlichkeit dieser Race ist der ungewöhnlich starke Nachahmungstrieb. Diesem Triebe, in Verbindung mit einer gewissenlosen Sucht nach Geldgewinn, entspringt die schon von den Propheten des alten Testamentes so oft gerügte Leidenschaft des Fälschens der verschiedensten Handelsartikel.

Fälscher der öffentlichen Meinung

... einige Worte über die Fälschung der öffentlichen Meinung durch die Juden beifügen. Um der Menge den inneren festen Halt zu nehmen, um sie zu spalten und zu schwächen, um sie für die Angriffe der räuberischen Nomaden widerstandslos und gefügig zu machen, soll den Juden die ‚Presse‘, die Publicistik dienen, auf deren Gebiete sie heute leider tonangebend sind.

Ein Artikel von Vogelsang im „Vaterland“ schließt nahtlos an diese antisemitische Gedankenfolge an. Es galt neben der Judenpresse immer schon die Judenschule als das zweitwichtigste Mittel jüdischer Volksverhetzung: Die Juden

sind meist klug genug, streng an dem confessionellen Charakter ihrer Schulen festzuhalten, was sie aber nicht abhält, mittelst einer durch und durch vermauschelten Presse einen langen Schweif charakter- und einsichtsloser Auch-Katholiken am Narrenseile hinter sich herzuziehen, die recht ‚aufgeklärt‘ und ‚freisinnig‘ zu sein glauben, wenn sie den Preßjuden nachsprechen und sich für die Entchristlichung der Jugend begeistern ... [3]

Bisher hat man über die Verjudung unserer Universität geklagt, von jetzt an wird man sich damit vertraut machen müssen, daß diese katholische Stiftung dem Antichrist dienstbar geworden ist. [4]

Nach all dem ist es nicht verwunderlich, daß auch schon die Verhetzung braver Arbeiter durch hinterlistige jüdische Führer bei Vogelsang vorkommt:

Dr. Victor Adler, der hier in Wien eine Rolle des socialdemokratischen Führers übernommen hat und sie, wenn auch nicht mit Glück, so doch mit vielem Geschick führt, so lange bis die Arbeiter zu der Einsicht kommen werden, daß ihre Interessen mit denen eines reichen und gebildeten Juden doch nicht ganz identisch sein können. [5]

Auch den Begriff des „Ewigen Juden“ verwendete Vogelsang:

Die untrüglich regelmäßig durchschlagenden Racenmerkmale des Juden in seiner Körperbildung wie Sinnesrichtung haben den Begriff des sogenannten ‚ewigen Juden‘ entstehen lassen; des ewigen Juden, der vor Tausenden von Jahren so wie heute, unter den römischen Kaisern so wie jetzt in unserer Mitte, in Indien wie in Frankreich, in Amerika wie in Rußland stets den selben körperlichen und geistigen Typus zeigt, der als Baron oder Hausirer immer nur dem Gelde nachjagt und selbst wenn er Milliarden angehäuft hat, noch immer weiterhastet; der in keinem Lande heimisch, aber überall bereit ist, mit allen Parteien zu halten, jede zu verrathen, und der auch jede Partei, jedes Land zu Grunde richtet, nachdem er sie zu seinen Zwecken ausgenützt hat. [6]

Im Grunde wünscht Vogelsang, ganz seiner allerchristlichsten Gesinnung gemäß, nur Frieden:

Wir wünschen den allseitigen Frieden unter den Völkern, auch den Frieden mit den Juden. [7]

Gefährdet wird dieser Friede allerdings durch eine permanente jüdische Aggression:

Haben die Juden unseren Glauben, unsre Sittengesetze, haben sie alles, was uns heilig und theuer ist, nicht gewerbsmäßig mit Koth beworfen? [8]

Und das kann selbst dem friedfertigsten Christen zuweilen über die Hutschnur gehen. Daher der gutgemeinte Rat:

Die Juden sollen sich nicht an verderbte Talmudgesetze halten, sondern an das Sittengesetz, welches ihr großer Gesetzgeber ihnen vor dreitausend Jahren überbracht hat. [9]

Nachdem aber weder das liberale Pressejudentum, noch das Finanzjudentum, noch die jüdische Arbeiterbewegung einen guten Rat zu schätzen weiß, kann man sich auch schon einmal konkretere Gedanken über mögliche Strategien zur Abschaffung des Übels machen. So wird etwa in der bereits erwähnten „Nichtgehaltenen Rede eines Landmannes ...“ die Maßregel zitiert, die „ein der Verjudung anheimfallender Staat“ [10] nach Auffassung des Wiener Universitätsprofessors Wahrmund — nomen est omen?! — ergreifen sollte, z. B.:

Ausschließung der Juden vom Grundbesitze und auf denselben erwirkbaren Pfandrechten.

(...)

Ausschließung der Juden aus dem Beamten- und Richterstande, aus den communalen und parlamentarischen Vertretungs- und Verwaltungskörpern.

Ausschließung der Juden vom öffentlichen Unterrichte der Nichtjuden. [11]

Letztendlich ist aber auch dieser Pragmatismus nicht zielführend. Zu sehr ist der äußere bereits zum inneren Feind geworden, scheint die Christenheit im Mark befallen:

Wenn durch irgendein Wunder an irgendeinem gesegneten Tag alle unsere 1.400.000 Juden uns entzogen würden, es wäre wenig geholfen; denn uns selbst hat der Judengeist angesteckt, in unseren Institutionen ist er inkarniert, unsere ganze Lebensanschauung, unser Handel und Wandel ist davon durchzogen. Wir legen kein Gewicht darauf, ob von Getauften oder Beschnittenen jüdisch gehandelt wird (...). Weil wir unter der Wirksamkeit des Liberalismus den Juden gleich sind, gefällt es den Juden so wohl bei uns. [12]

So taugen selbst göttliche Wunder nur noch zur Sublimierung christlicher Vernichtungsphantasien.

[1vgl. Brigitte Hamann, Rudolf Piper, München 1978, S. 272

[2gemeint ist als Ziel der Gelderwerb

[3„Die Schule“, Vaterland 17.2.1880, S. 1

[4Vaterland 28.6.1886, vgl. Hamann S. 413

[5Aus: „Der österreichische Katholikentag in sozialdemokratischer Beleuchtung“

[6„Nichtgehaltene Rede“

[7Zit. nach: Die socialen Ideen des Freiherrn Karl von Vogelsang. Grundzüge einer christlichen Gesellschafts- u. Volkswirtschaftslehre aus dem literarischen Nachlasse desselben zusammengestellt von Dr. Wiard Klopp. St. Pölten 1894, S. 191

[8ibd., S. 190

[9ibd., S. 191

[10ibd., S. 214

[11ibd., S. 214 f.

[12Karl Vogelsang, Gesammelte Aufsätze. Augsburg 1885, S. 113 f., zit. nach Leopold Spira, Feindbild „Jud“. Wien 1981 (!)

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