FORVM, No. 150-151
Juni
1966

Für ein neues Pressegesetz

Lassen Sie mich zum 20. Jahrestag der Gründung der Sektion Journalisten im Österreichischen Gewerkschaftsbund die herzlichsten Glückwünsche der Justizverwaltung, der Richter und Staatsanwälte, zum Ausdruck bringen. Wenn die Journalisten auch manchmal mit Anträgen der Staatsanwaltschaften und einzelnen Entscheidungen der Gerichte nicht zufrieden sein mögen, so wollen sie doch bitte nicht übersehen, wie schwer die Aufgabe der Funktionäre der Rechtsanwendung ist, auf Grund eines den modernen Anschauungen und Anforderungen nicht mehr genügenden Pressegesetzes judizieren zu müssen.

Solche vielleicht sogar gegen die innere Überzeugung des an das Gesetz gebundenen Richters gefällten Entscheidungen ändern nichts daran, daß die Justiz die hohe Bedeutung der Presse in der Demokratie gerade auch für die Rechtspflege sehr wohl kennt und anerkennt.

Aber auch im eigenen Namen möchte ich meine Glückwünsche entbieten, als Glückwünsche eines Mannes, der seit Jahren darauf aufmerksam macht, daß viele Leiden des modernen Staates einer Wurzel entspringen: daß nämlich die kollektiven Mächte seit dem Zeitalter der konstitutionellen Monarchie sich erheblich gewandelt haben, daß aber der juristische Begriffsapparat dieses Staatstyps der gleiche geblieben ist.

In diesem Spannungsfeld steht das Geburtstagskind in doppelter Weise: als Gewerkschaft und als ein der Pressearbeit verschriebener Menschenverband. In der einen wie in der anderen Hinsicht gilt es, den neuen rechtlichen Ort erst zu finden.

Ich bin deshalb glücklich, daß ich zu Ihrer Geburtstagsfeier nicht mit ganz leeren Händen erscheinen muß. Ich darf Ihnen mitteilen, daß ich auf die Tagesordnung des Ministerrates den Entwurf einer Pressegesetznovelle 1966 setzen ließ, durch die im Sinne der jüngsten Resolution des Presserates die durch die seinerzeitige sogenannte Bürckel-Verordnung beseitigte Entschädigung für ungerechtfertigte Beschlagnahme von Druckwerken in einer verbesserten Form wieder eingeführt werden soll. [*]

Der moderne demokratische Rechtsstaat hat ein Grundanliegen: die Freiheit des Einzelmenschen. Diese Freiheit versucht, ein System rechtlicher Grundnormen zu garantieren. Eines dieser Grundrechte ist die Freiheit der Meinungsäußerung, die nach moderner Auffassung auch die Freiheit der Information umfassen soll. So ist das Recht auf freie Meinungsäußerung das Fundament der Pressefreiheit. Ihre Garantie in unserer Verfassung ist unvollkommen. Weiter geht der Art. 10 der auch von Österreich ratifizierten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der im Rahmen des Grundrechtes der freien Meinungsäußerung ausdrücklich die für die Presse lebensnotwendige Informationsfreiheit anerkennt. Der Art. 10 bestimmt, daß jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung hat und normiert sodann, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen einschließt.

Das Pressegesetz des Jahres 1922 ist unter Mitwirkung von Fachleuten, vor allem des Chefredakteurs einer großen Zeitung, [**] zustande gekommen. Diese starke Beteiligung von fachkundigen Männern hat bewirkt, daß das Pressegesetz von 1922 für seine Zeit gut war. Daß es den Anforderungen unserer Tage nicht mehr entspricht und daß manche seiner Bestimmungen auch Anlaß zu berechtigter Klage geben, liegt an der seitherigen Entwicklung. Schon sehr bald nach dem Wiedererstehen unserer Republik hat man die Notwendigkeit der Schaffung eines neuen Pressegesetzes, das zwischen den beiden Spannungspolen: Pressefreiheit und Schutz des Individuums, die rechte Mitte halten soll, erkannt.

Die Geschichte der Bemühungen um ein neues, modernes Pressegesetz beginnt mit der Presse-Enquête des Jahres 1948, setzt sich fort über eine Anzahl von mehr oder weniger gelungenen Entwürfen bis zur Regierungsvorlage eines Pressegesetzes 1961, die im Parlament eingehend behandelt, bis auf wenige Punkte erledigt und dann doch nicht verabschiedet wurde.

Der Presserat hat in seiner Resolution vom 20. April 1966 die neugebildete Bundesregierung und das Parlament an die Notwendigkeit erinnert, endlich ein neues Pressegesetz zu schaffen. Es gereicht den Verfassern dieser Resolution zur Ehre, daß sie als Grundlagen einer solchen Reform nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch den unerläßlichen Schutz der Individualrechte nennen, der ja gleichfalls durch die geltende Bundesverfassung und die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert wird. Ein gutes Pressegesetz muß daher die optimale Lösung zwischen diesen in der Praxis einander oft widerstreitenden Interessen finden.

Meine Bitte an die Presse geht dahin, daß sie dem Bundesministerium für Justiz bei den vordringlichen Arbeiten für ein neues Pressegesetz helfen, ihre Ideen und ihre Erfahrungen zu einem solchen Gesetz beisteuern möge. Ich richte diesen Appell nicht nur an die Österreichische Journalistengewerkschaft, sondern an jeden einzelnen österreichischen Journalisten.

Ich weiß, wie sehr die Journalisten durch ihre unter ständigem Zeitdruck stehende Arbeit belastet sind und welches Opfer ich von ihnen verlange, wenn ich ihre Mitarbeit erbitte. Aber wenn es mit ihrer Hilfe gelingt, ein Pressegesetz zu schaffen, das nicht nur nach seinem Datum, sondern auch nach seinem Geist modern ist, in dem Sinne, daß es besser ist als das gegenwärtige und als die Pressegesetze der freien Welt, dann wird sich die Mühe, die jeder einzelne an dieses Gesetz gewendet hat, auch für jeden einzelnen gelohnt haben, weil die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse dann nicht nur institutionalisiert, sondern auch in der Wirklichkeit garantiert ist. Dann wird diese Aufgabe, wahre Nachrichten und gute Ideen zu verbreiten, nicht nur erleichtert, sondern zugleich von noch größerem Erfolg begleitet sein, als das heute der Fall ist.

Durch die nunmehrige Pressegesetznovelle 1966 soll die Entschädigungspflicht für die ungerechtfertigte Beschlagnahme wieder eingeführt werden. Eine solche Ersatzpflicht des Staates für den durch ungerechtfertigte Beschlagnahme einer Druckschrift verursachten Schaden ist altes österreichisches Rechtsgut. Denn schon nach § 50 der „provisorischen Vorschrift“ vom 31. März 1848 gebührte in allen Fällen, in denen die Beschlagnahme durch Fristablauf erlischt, „dem Geschädigten der Ersatz des Schadens und der Kosten aus der Staatskassa“. Diese Bestimmung wurde später mehrmals modifiziert, dann in die Strafprozeßordnung und von dieser in das Pressegesetz 1862 übernommen, im Jahre 1873 aber wieder in die Strafprozeßordnung eingeführt, wo sie, neuerlich geändert, bis zum Inkrafttreten des geltenden Pressegesetzes 1922 verblieb.

Diese Entschädigungspflicht ist zwar gewiß nicht mit einer umfassenden Garantie der Pressefreiheit gleichzusetzen, aber sie stellt doch ein Stück einer solchen Garantie dar. Es ist daher typisch, daß diese Bestimmung in der Ersten Republik Österreich selbst in Zeiten ungünstigster wirtschaftlicher Verhältnisse und einer entsprechend schlechten Budgetlage in Kraft blieb, bei wirtschaftlich viel besseren Verhältnissen jedoch unter der nationalsozialistischen Herrschaft durch eine Verordnung des sogenannten Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Bürckel, aufgehoben wurde. Alle seit dem Jahre 1945 ausgearbeiteten Pressegesetzentwürfe haben die Wiedereinführung dieser Entschädigungspflicht vorgesehen.

Da die Schaffung eines neuen Pressegesetzes bei aller Intensivierung der Arbeiten eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird — auch das wird in der Resolution des Presserates vom 20. April 1966 festgestellt —, muß wenigstens diese Teilreform sogleich durchgeführt werden. Ich darf der sicheren Erwartung Ausdruck geben, daß nicht nur im Ministerrat die Regierungsvorlage einer Pressegesetznovelle 1966 beschlossen, sondern daß diese auch bald vom Nationalrat verabschiedet wird.

Diese Hoffnung gründet sich darauf, daß die Bestimmungen über die Entschädigung für ungerechtfertigte Beschlagnahme bereits im Entwurf eines Pressegesetzes 1961 enthalten waren und von dem Unterausschuß, den der Justizausschuß zur parlamentarischen Vorbehandlung der Regierungsvorlage des Jahres 1961 eingesetzt hatte, unverändert gebilligt worden war.

Dieser Entwurf einer Pressegesetznovelle 1966 möge nicht nur als eine bescheidene Gabe zur Geburtstagsfeier der Journalistengewerkschaft genommen werden, sondern als die Bekundung meines Willens, dieser Novelle sobald als möglich eine umfassende Neuregelung des österreichischen Pressegesetzes nachfolgen zu lassen.

[*Die Novelle wurde unterdessen bereits beschlossen. — Die Red.

[**Des Chefredakteurs der „Arbeiter-Zeitung“, Friedrich Austerlitz. — Die Red.

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