radiX, Flugblätter
November
2005

Gedenkkundgebungen am 9. November in Wien

Am 9. November 2005 finden im Gedenken an den Novemberpogrom 1938 und die folgende Vernichtung der Jüdinnen und Juden zwei Kundgebungen statt, die beide aufgrund fast identischer Inhalte von der ÖKOLI unterstützt werden. Sie wurden zeitlich so gelegt, dass der Besuch beider Gedenkveranstaltungen hintereinander möglich ist:

  • 17:30 Uhr: Antifaschistischer Gedenkstein vor dem ehemaligem Aspangbahnhof:
    Aspangstraße 2/Platz der Deportierten, 1030 Wien
  • 18:30 Uhr: beim ehemaligen „Türkischen Tempel“: Ecke
    Zirkusgasse/Schmelzgasse, 1020 Wien

Anbei die beiden Aufrufe:

Niemals vergessen!

In den Jahren 1939-1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Jüdinnen und Juden deportiert und kehrten nicht mehr zurück

Mahnwache und Kundgebung

  • Mittwoch, 9. November 2005 — 17:30 Uhr
    Antifaschistischer Gedenkstein vor dem ehemaligem Aspangbahnhof
    (1030 Wien, Aspangstraße 2/Platz der Deportierten)

Unterstützt von: Aktion gegen den Antisemitismus, Bund sozialdemokratischer Juden — Avoda, Betriebsrat Lebenshilfe Wien, Context XXI, Forum gegen Antisemitismus, Gewerkschaftlicher Linksblock, Grünalternative Jugend Wien, Jüdische Österreichische HochschülerInnen, LIAB/SOWI, LOGO — Linke Ottakringer Grundorganisation, monochrom, ÖH Uni Wien, Ökologische Linke (ÖKOLI), Studienvertretung Politikwisssenschaft

Niemals vergessen! Gegen Antisemitismus und den antizionistischen Konsens!

Das ist dieses Jahr, von dem man reden wird.
Das ist dieses Jahr, von dem man schweigen wird.
Bertold Brecht

Heuer jähren sich die als „Reichskristallnacht“ verharmlosten Pogrome zum 67. Mal. Die Pogrome rund um den 9. November 1938 bildeten den Höhepunkt eines von antisemitischen Ausschreitungen geprägten Jahres. Bereits rund um den umjubelten „Anschluss“ am 12. März 1938 fanden erste Übergriffe statt, die nachher durch „wilde“ Arisierungen ergänzt wurden. Im Raubzug gegen ihre jüdischen NachbarInnen spielten Hitlers willigste VollstreckerInnen aus der „Ostmark“ eine Vorreiterrolle. Dieser überschießende Hass und Fanatismus veranlasste sogar die zentralen Nazi-Stellen zu Maßnahmen, um die Drangsalierungen und Enteignungen der Jüdinnen und Juden in „ordentliche“ Bahnen zu lenken. Nicht zufällig wurde danach Wien zum Exerzierfeld für immer weiter gehende Maßnahmen zur „Endlösung der Judenfrage“. In diesem antisemitischen Klima konnten Eichmann und seine Männer ihr perfides System zur Ausraubung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung perfektionieren. In der „Ostmark“ konnten sie auch auf ein riesiges Reservoir an fanatisierten und gleichzeitig ganz gewöhnlichen Männern und Frauen zurückgreifen: In einem überdurchschnittlichen Ausmaß stellten sie das Vernichtungspersonal in den Todesfabriken.

Die Nazi-Propaganda versuchte, den Pogrom als „spontane“ Antwort der Bevölkerung auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten darzustellen. Wenn der „Startschuss“ zum November-Pogrom auch vom Propagandaminister gegeben wurde und es v. a. Nazi-Parteigänger in Zivil waren, die sich als Brandstifter, Plünderer, Folterer und Mörder betätigten: Ohne Beteiligung oder zumindest Duldung durch die aggressiv antisemitische Volksgemeinschaft in der „Ostmark“ hätte der Pogrom keine derartige Dynamik entfalten können. Alle, die in den Wochen und Monaten davor von den NS-Behörden wegen den „wilden“ Arisierungen und Übergriffen zur Ordnung gerufen wurden, durften nun endlich wieder ihrem Hass freien Lauf lassen. Dies geschah in der „Ostmark“ in einem Ausmaß, dass die Nazi-Behörden Schwierigkeiten hatten, den rasenden Mob wieder zur Räson zu bringen.

Während die SA in Zivil gemeinsam mit Angehörigen der Hitlerjugend und anderen Parteiorganisationen jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderte und zerstörte, ging die SS, ebenfalls in Zivilkleidung, gezielt gegen Funktionäre jüdischer Organisationen vor. Verhaftete Jüdinnen und Juden brachte man in Sammellager, wo sie sadistischen Qualen ausgesetzt waren, bevor sie deportiert wurden. Ein Gestapo-Agent aus Wien berichtete später, dass er und seine Kameraden Schwierigkeiten gehabt hätten, die Menschenmenge davon abzuhalten, noch mehr Jüdinnen und Juden tätlich anzugreifen. Auch seien die Nazi-Schergen immer wieder zu noch mehr an Sadismus und Brutalität angefeuert worden.

In Wien wurden insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27 Morde an Juden wurden von den Nazis bestätigt, 88 wurden schwer verletzt. 6.547 Jüdinnen und Juden wurden alleine in Wien verhaftet, rund 3700 von ihnen wurden ins KZ Dachau verschleppt. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083 jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Allein im „Kreis Wien I“ wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt. Zahlreiche Jüdinnen und Juden wurden in den Selbstmord getrieben. Eine Rückgabe der enteigneten Wohnungen und Geschäfte fand nach 1945 praktisch nicht statt.

Diese Nacht vom 9. zum 10. November 1938 war kein Randphänomen der Geschichte des Dritten Reiches, sondern ein Geschehen, dem zentrale Bedeutung zukommt. Die Ermordung eines Nazi-Diplomaten und der darauf folgende Pogrom boten den Machthabern einen willkommenen Anlass zur Durchführung und Legitimierung der völligen Ausschaltung der Jüdinnen und Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben. Am 12. November 1938 wurde in einer Sitzung im Reichsluftfahrtministerium unter dem Vorsitz Hermann Görings die Verordnung zur „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ beschlossen, die es Jüdinnen und Juden verbot, ein selbstständiges Unternehmen bzw. Handwerk zu betreiben. In der gleichen Sitzung wurde die jüdische Bevölkerung verpflichtet, eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark zu zahlen und für alle während des Pogroms entstandenen Schäden aufzukommen.

Was danach kam, ist allgemein bekannt, wird jedoch auf Grund der Monstrosität des Verbrechens, der Beteiligung so vieler ganz normaler (Groß)Väter/­Mütter und des massenhaften Profitierens daran all zu oft verdrängt: Die entrechteten und ihrer materiellen Grundlagen beraubten Jüdinnen und Juden wurden der Vernichtung preisgegeben. Bis die Alliierten endlich das bis zuletzt auf Hochtouren laufende Morden in den Todesfabriken und außerhalb dieser stoppten, waren rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden Opfer der antisemitischen Raserei geworden.

Gegen die österreichische Normalität!

Entgegen der überdurchschnittlichen Beteiligung von ÖsterreicherInnen an den Nazi-Verbrechen und der Tatsache, dass hierzulande die NSDAP einen Aufnahmestopp verhängen musste, weil nicht alle „Volksgenossen“ auch „Parteigenossen“ sein sollten, haben sich die Mehrheit der zumindest mitgelaufenen ÖsterreicherInnen und ihre politischen Eliten nach 1945 erfolgreich als die „allerersten Opfer“ (Bundeskanzler Schüssel) gesehen und dargestellt. Das hatte auch materielle Gründe: Mit dem Verweis auf den eigenen Opferstatus konnten die Ansprüche der tatsächlichen Opfer und die Erinnerung an ihr Leiden abgewehrt werden. Und noch die verspäteten Zahlungen an Überlebende und ihre Nachkommen werden von den Verantwortlichen als freiwilliger Akt des guten Willens gesehen und nicht als zumindest teilweise Erfüllung berechtigter Ansprüche. Dazu passt es auch, dass neben den Zumutungen der Bürokratie die wenigen noch lebenden jüdischen Opfer und ihre Nachkommen in Geiselhaft genommen werden: Erst, wenn in den USA keine Verfahren um geraubte Werte mehr laufen, soll mit den Zahlungen begonnen werden. Aber schon zuvor übertrafen sich die Verantwortlichen in ihrem öffentlich geäußerten Wunsch, damit endlich einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit ziehen zu können. Darin treffen sie sich mit fast 30% der ÖsterreicherInnen, die laut der jüngsten AJC-Studie dafür plädieren, den „Holocaust zu vergessen“.

Jedes demokratische Land hat die Regierung und PolitikerInnen, die es verdient. Und so ist auch der freiheitliche Bundesrat Gudenus, der öffentlich an der Existenz von Gaskammern im „Dritten Reich“ zweifelte, kein Betriebsunfall. Der Antisemitismus, wie er seit 1945 in mehr oder weniger verklausulierter Form aus den heimischen PolitikerInnen hervorbricht­ heißen sie nun Gudenus, Haider, Waldheim oder Kreisky ­ trifft sich mit dem der Bevölkerung: 68% der Befragten geben laut einer Gallup-Umfrage von 2001 an, sie hätten „negative Gefühle“ gegenüber Jüdinnen und Juden. Das ist die österreichische Normalität im „Gedankenjahr“, welches die Koalition aus ÖVP und FPÖ/BZÖ ausgerufen hat, um sie zu leugnen.

Gegen den antizionistischen Konsens!

Der Antisemitismus tobt sich heute auch und gerade im Hass auf Israel, den Staat der Shoah-Überlebenden, aus. Denn unabhängig von seiner konkreten Politik erinnert er an das deutschösterreichische Vernichtungswerk, steht er dem Wunsch nach einem „Schlussstrich“ im Wege. Seit seiner Gründung ist Israel Schutzmacht und Zuflucht für Jüdinnen und Juden weltweit. Gegen die Gewalt der „globalen Intifada“ von islamistischen TerroristInnen und ihren antiimperialistischen Verbündeten helfen keine Appelle ans aufgeklärte europäische Bewusstsein, das sich neuerlich in Verharmlosungen und somit Komplizenschaft ergeht. Antisemitische Übergriffe werden zu „Konflikten“ umgelogen. Mehr noch: Wieder sollen die Opfer antisemitischer Gewalt selbst daran schuld sein. Längst haben sich weite Teile der europäischen Öffentlichkeit damit abgefunden, dass jede Synagoge, jede jüdische Schule und Organisation bewacht werden muss. In einem falsch verstandenen Antirassismus wird zudem der militante Antisemitismus ethnisierter und marginalisierter Bevölkerungsteile als entfremdeter Protest verharmlost. Kritik am islamistischen Antisemitismus ist notwendig und muss zulässig sein. Diese als „rassistisch“ zu denunzieren, zeugt von Akzeptanz dieses militanten Antisemitismus.

Auch in österreichischen Kinos soll bald das Machwerk Paradise Now anlaufen: Zu sehen sind die Nöte arabischer Selbstmordattentäter, während die Opfer und Folgen ihrer Verbrechen systematisch ausgeblendet werden. Die Empathie, welche der Film für antisemitische Mörder erheischt, ist gerade hierzulande nicht zu haben ohne Hass auf Jüdinnen/Juden und ihren Staat. Wie normal der Antisemitismus geworden ist, wenn er sich nur „israelkritisch“ gebiert, zeigt sich auch daran, dass niemand aus der österreichischen Linken aufschrie, als unlängst im Wiener Promedia Verlag eine üble antisemitische Hetzschrift erschienen war. In diesem Machwerk von Israel Shamir alias Jöran Jermas mit dem Titel Blumen aus Galiläa sind Sätze zu lesen wie: „Die jüdischmammonitische Übernahme hat die Lebenskräfte Amerikas eliminiert und sie auf Konsum umgestellt.“ Wohlgemerkt, weder Verlag noch Herausgeber gehören der Neonaziszene an. Vielmehr sind es gestandene Linke, die in ihrem Hass auf Israel auch vor den widerlichsten antisemitischen Verbalinjurien nicht zurückschrecken. Ja, gegen die „Zionisten“ geschimpften (!) Jüdinnen und Juden, ihren Staat und auch die USA rücken alle zusammen. Damals wie heute wirkt der Antisemitismus gemeinschaftsbildend, auch wenn viele Mitglieder dieser Gemeinschaft dies entrüstet von sich weisen. In ihrem Hass auf Israel und die USA sind viele Linke ihren (Ur)Großeltern näher, als sie das wahrhaben wollen.

Niemals Vergessen! Gegen Antisemitismus und Faschismus! Gegen den antizionistischen Konsens!

Solidarität mit Israel!

  • Kundgebung am 9.11. um 18.30; Ecke Zirkusgasse/Schmelzgasse, 2. Bezirk

Bisher unterstützende Gruppen: Anthropoid Innsbruck, Basisgruppe Lehramt, Café Critique, Context XXI, Fakultätsvertretung Sozialwissenschaften, GO-Dogma, Grünalternative Jugend (GAJ) Wien, Hashomer Hazair, monochrom, Infoladen Wels, Jüdische Österreichische HochschülerInnen, Linke alternative Basisgruppen Sozialwissenschaften, Licra Österreich, ÖH Uni Wien, Ökologische Linke (ÖKOLI), Redaktion NU, Studienvertretung Doktorat phil., Studienvertretung Judaistik, Studienvertretung Politikwissenschaft, www.juedische.at , Young Communists, Zionistische Föderation in Österreich, Zwi Peres Chajes Loge der B´nai B´rith

Die Pogrome rund um den 9. November 1938 waren nur die Höhepunkte eines von antisemitischen Ausschreitungen geprägten Jahres. Im Raubzug gegen ihre jüdischen NachbarInnen spielten die OstmärkerInnen eine Vorreiterrolle. Bereits vor der umjubelten Vereinigung Österreichs mit Nazideutschland am 12. März 1938 fanden Pogrome statt, denen nach dem Anschluss „wilde“ Arisierungen folgten. Der Fanatismus veranlasste sogar die zentralen Stellen zu Maßnahmen, um die Enteignung der Jüdinnen und Juden im gesamten NS-Reich in „ordentliche“ Bahnen zu lenken. Nachdem es im Oktober in Wien erneut zu Gewalttaten, Plünderungen und Brandstiftungen gekommen war, schien die Zeit in den Augen der Nazis reif für ein Vorgehen im gesamten Deutschen Reich. Der Pogrom im November 1938 übertraf die bisherige Barbarei, und die Blutorgie ließ für die Zukunft noch Schlimmeres erwarten. Er war die endgültige Enthemmung des antisemitischen Mobs und der Auftakt zum Massenmord. Die damalige „Ostmark“ und insbesondere Wien bildeten die Vorhut der Vernichtung.

„Spontane“ Antwort der Bevölkerung

Die NSDAP-Propaganda versuchte, den Pogrom als „spontane“ Antwort der Bevölkerung auf den Tod eines deutschen Diplomaten darzustellen. Der „Startschuss“ zum Pogrom wurde dann vom Propagandaminister gegeben. Alle, die in den letzten Wochen und Monaten von den Parteistellen und Gauleitungen wegen unkontrollierbaren und „wilden“ Arisierungen zur Ordnung gerufen wurden, durften nun endlich wieder zuschlagen. Der von den Nazis geprägte Name „Reichskristallnacht“ kokettiert dabei mit dem „schaurig-schönen“ Widerschein des Feuers in den auf der Straße liegenden Glasscherben und verharmlost die blutige Gewalt.

„Arbeitsteilung“

Während die SA in Zivil gemeinsam mit Angehörigen der Hitlerjugend und anderen Parteiorganisationen jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderte und zerstörte, ging die SS, ebenfalls in Zivilkleidung, gezielt gegen FunktionärInnen jüdischer Organisationen vor. Verhaftete Jüdinnen und Juden brachte man in Schulen, Gefängnisse und in die spanische Hofreitschule neben der Hofburg, zwang sie zu „gymnastischen Übungen“, ohne ihnen Nahrung zu geben und ließ sie aufrecht stehend schlafen. Einige Jüdinnen wurden gezwungen, sich zu entkleiden und zur Unterhaltung der Sturmtruppen sexuelle Handlungen mit Prostituierten auszuführen; andere mussten nackt tanzen. Ein Gestapo-Agent aus Wien berichtete später seinen Vorgesetzten, dass er und seine Kameraden Schwierigkeiten gehabt hätten, die Menschenmenge davon abzuhalten, noch mehr Jüdinnen und Juden tätlich anzugreifen.

In Wien wurden insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brandstiftung zerstört. 27 Juden wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Jüdinnen und Juden wurden in Wien verhaftet, fast 4000 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083 jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Allein im „Kreis Wien I“ wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt. Hunderte Jüdinnen und Juden begingen darauf hin Selbstmord. Eine Rückgabe der enteigneten Wohnungen und Geschäfte nach 1945 fand praktisch nicht statt. Bis zum heutigen Tag profitieren die Nachkommen der TäterInnen in Wien und ganz Österreich von den Verbrechen, die damals ihren Anfang nahmen.

Aber nicht nur in Wien, auch in der ostmärkischen Provinz tobte der Mob: Im heutigen Niederösterreich kam es zur Sprengung von Synagogen und zu Massenfestnahmen. Die Tempel in Berndorf, Vöslau und Baden fielen dem Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Jüdinnen und Juden verhaftet, in St. Pölten kam es zu Massenfestnahmen. In Salzburg-Stadt wurden Geschäfte verwüstet, Akten aus der Kultusgemeinde weggeschafft und die Synagoge demoliert. Im Land Salzburg wurden etwa hundert Juden und Jüdinnen festgenommen. In Oberösterreich wurden 65 Jüdinnen und Juden bereits am 8. November festgenommen. In Linz und Graz wurden in der Nacht zum 10. November die Synagogen niedergebrannt. In Klagenfurt wurde der Tempel völlig zerstört. Der Mob wandte sich vor allem gegen Wohnungen der Jüdinnen und Juden, da die Geschäfte bereits vorher „arisiert“ worden waren. 40 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet und nach Dachau deportiert. In Tirol konzentrierte sich der Terror auf Innsbruck, wo vier Juden ermordet wurden. Im Burgenland wurde die Synagoge in Eisenstadt zerstört.

Gegen den antizionistischen Konsens!

Der für die österreichische postnationalsozialistische Gesellschaft charakteristische Antisemitismus tobt sich heute zunehmend im Hass auf den Staat der Shoah-Überlebenden aus. Der von Deutschen sowie ÖsterreicherInnen mit Begeisterung vom Zaun gebrochene Vernichtungsfeldzug gegen Polen und die Sowjetunion, der Beginn der totalen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden im Herbst 1941 und die Flucht von vielen Jüdinnen und Juden waren die entscheidenden Ursachen für die Gründung Israels. Während der Zionismus in den 50 Jahren davor noch von vielen Jüdinnen und Juden abgelehnt wurde, da sie die Hoffnung auf Assimilierung nicht aufgaben oder ein Ende des Antisemitismus durch die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft erkämpfen wollten, bestätigte der deutsch-österreichische Vernichtungswahn in grausamer Weise die Notwendigkeit eines jüdischen Staates. Trotz widriger Umstände und gegen den erbitterten Widerstand Großbritanniens gelang Tausenden Opfern des NS-Terrors die Flucht nach Palästina. Nach der Nichtanerkennung des UN-Teilungsplanes durch die umliegenden arabischen Staaten und der Staatsgründung Israels begannen diese ihren ersten Krieg gegen den neuen Staat. In den 15-monatigen Kampfhandlungen ließen über 6000 Israelis, viele eben erst den nationalsozialistischen Todesmühlen entkommen, ihr Leben. Israel ist seitdem Schutzmacht und Zuflucht für Jüdinnen und Juden weltweit. Selbst wenn, wie im 2. Weltkrieg, fast alle Länder dieser Erde ihre Grenzen nochmals für jüdische Flüchtlinge schließen sollten, gibt es mit Israel einen Ort, wo sie, solange die Möglichkeiten zur militärischen Selbstverteidigung gewährleistet sind, relativen Schutz vor antisemitischer Gewalt finden.

Genau dieses Recht auf Selbstverteidigung wird Israel jedoch in Europa zunehmend abgesprochen. Von den Medienberichten im ORF und den verschiedenen Tageszeigungen über die Rechte bis zu weiten Teilen der radikalen Linken wird die Schuld an der Eskalation des Nahostkonfliktes seit Beginn der „al-Aqsa-Intifada“ ausschließlich bei Israel gesehen. Die einseitige Parteinahme hat System: Während die Europäische Union erst unlängst wieder einmal die Förderungen für die palästinensische Autonomiebehörde massiv erhöhte, ohne diese Gelder auch nur im Ansatz an den Versuch eines wirksamen Vorgehens gegen Terrororganisationen wie die Hamas oder den palästinensischen Islamischen Djihad sowie Sicherheitszusagen für Israel zu koppeln, folgen auf jeden Schritt Israels nur weitere Forderungen — wie etwa im Spätsommer dieses Jahres nach dem Gaza-Abzug. Die Lippenbekenntnisse zum Existenzrecht Israels gehen mit einem vollkommenen Desinteresse an der Verteidigungsfähigkeit Israels (etwa im Falle des iranischen Atomwaffenprogramms) und der moralischen Delegitimierung des Staates der Jüdinnen und Juden einher. Selbst die Bilder von niedergebrannten Synagogen im Gaza-Streifen wurden nicht zum Anlass genommen, Kritik am palästinensischen Antisemitismus zu formulieren.

Dabei wird der Hass auf Israel zunehmend auch zur Gefahr für die jüdischen Gemeinden in Europa. Mit dem Vorwand gegen Israel vorzugehen, werden in ganz Europa mittlerweile jüdische Gemeinden und Einrichtungen angegriffen. Dabei gilt es längst als normal, dass jede Synagoge, jede jüdische Schule und Organisation bewacht werden muss.

Zur erdrückenden Normalität in Österreich gehört auch, dass selbst die offenkundigsten antisemitischen Äußerungen und Vorfälle für weite Teile der Öffentlichkeit keinen Skandal darstellen und vielfach überhaupt nicht zu Kenntnis genommen werden. Im Vorfeld der steirischen Landtagswahl hetzte etwa FPÖ-Landesparteiobmann Leopold Schöggl gegen „Wiener Juden“, die für die Zerstörung der „traditionellen Kultur“ verantwortlich seien. Die antisemitischen Aussagen eines Politikers, der zu diesem Zeitpunkt immerhin das Amt des zweiten stellvertretenden Landeshauptmannes ausübte, waren der österreichischen Presse, die den Wahlkampf ansonsten mit großer Aufmerksamkeit verfolgte, höchstens kleine Meldungen wert.

Genauso wenig wurde zur Kenntnis genommen, dass im Verlag Promedia ein offen antisemitisches Buch veröffentlicht wurde, dessen Autor als renommierter israelischer Journalist vorgestellt wird, bei dem es sich in Wahrheit aber um einen in Schweden lebenden Antisemiten mit besten Kontakten zu Rechtsextremen und Holocaust-Leugnern handelt. Während die Veröffentlichung der französischen Version von „Blumen aus Galiläa“ in der französischen Öffentlichkeit auf massive Kritik stieß, konnte hierzulande von einem Skandal keine Rede sein. Allein die Tatsache, dass ein linker Kleinverlag ein Buch publiziert, in dem wüste antisemitische Verschwörungstheorien unter dem Deckmantel der „Kritik an Israel“ publiziert werden, hätte — wenn Österreich nicht Österreich wäre — einen öffentlichen Aufschrei hervorrufen müssen. Dass dieses Machwerk darüber hinaus von Fritz Edlinger, dem Generalsekretär der „Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen“ und ehemaligen Vertreter der SPÖ beim Nahostkomitee der Sozialistischen Internationale, herausgegeben wurde, komplettiert den Skandal, der keiner wurde.

Das nächste Ereignis dieser Art steht kurz bevor. Die palästinensisch-deutsche Koproduktion Paradise Now wird auch in österreichischen Kinos anlaufen. Zu erwarten ist, dass der Film von der Presse ähnlich gelobt werden wird, wie es in der Mehrzahl deutscher Zeitungen bereits der Fall ist. Wieder wird es nur eine kleine Minderheit sein, die angesichts eines Filmes Widerspruch erheben wird, in dem es um nichts anderes geht, als um Verständnis und Sympathie für palästinensische Selbstmordattentäter zu werben.

Wir wollen uns mit dieser Normalität nicht abfinden und uns mit dieser Kundgebung auch mit den jüdischen Gemeinden Europas und mit Israel als dem Staat solidarisieren, der im Ernstfall die Selbstverteidigung von Jüdinnen und Juden ermöglichen kann.

In der Zirkusgasse 22 stand bis zu ihrer Zerstörung und Plünderung durch den Nazi-Mob am 10. November 1938 die Synagoge der seit 1736 bestehenden türkisch-jüdischen Gemeinde, auch „Türkischer Tempel“ genannt. Sie wurde im maurischen Stil zwischen 1885 und 1887 nach den Plänen des Architekten Hugo von Weidenfeld erbaut. Als Vorbild diente die Alhambra, worin sich das Andenken an die ehemalige spanische Heimat der Sepharden äußerte. Die Synagoge verfügte über 424 Sitz- und 250 Stehplätze und war in der Ersten Republik vor allem als Wirkstätte des Oberkantors Isidor Lewit von Bedeutung. Erst 1988, ein halbes Jahrhundert nach der Zerstörung der Synagoge, wurde eine von der Stadt Wien gestiftete Gedenktafel an ihrem ehemaligen Ort angebracht.

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