FORVM, No. 208/I/II
März
1971

Homos sind normal

Dr. jur. Karl Glassl gehört zu den leitenden Beamten des Bundesministeriums für Justiz. Seine nachfolgende Abhandlung ist, soviel wir sehen, die erste und einzige gründlichere wissenschaftliche Arbeit über Homosexualität in Österreich seit Einsetzen der Bemühungen, diese zu entkriminalisieren.

I. Ziffern

Die Homosexuellen sind unter uns. Ihre Gesamtzahl auf der Erde wird mit etwa 200 Millionen geschätzt. [1] Allein in Westdeutschland sollen es 2 bis 3 Millionen sein. Der Prozentsatz der Männer, die zwischen Pubertät und Greisenalter wenigstens gelegentlich homosexuelle Erlebnisse haben, soll um etwa 40 liegen. Der Prozentsatz jener, die nach dem Beginn der Pubertät ihr Leben lang ausschließlich homosexuell bleiben, ist bedeutend niedriger; er liegt bei 4 bis 5 Prozent der Bevölkerung eines Landes. Auf Österreich projiziert hieße dies, daß rund 300.000 Menschen als echte Homosexuelle zu bezeichnen wären. Allerdings sollen nur etwa zwei Promille der männlichen Einwohner „aktiv“ in Erscheinung treten.

II. Sexualität zielt nicht auf Fortpflanzung, sondern Lust

Vielfach wird behauptet, die Sexualanlage des Menschen sei auf die Weckung neuen Lebens und in ihrem psychophysischen Zusammenklang auf eheliche Liebe angelegt. Damit sei sie wesentlich auf das Du bezogen, d.h. auf Gemeinschaft mit einer Person des anderen Geschlechts. Bei der Homosexualität jedoch sei die Libido, die Energie des sexuellen Triebes, auf eine Person des eigenen Geschlechts gerichtet, erfülle daher die gesellschaftliche Aufgabe der Arterhaltung nicht, sei demnach ein „sozialer Kontaktbruch“, schwerer seinswidriger Eingriff in die Grundstruktur der menschlichen Geschlechtsanlage.

Die gesellschaftliche Aufgabe der Arterhaltung wird aber auch von den Heterosexuellen häufig nicht erfüllt; sehr oft aus Willkür (Geburtenregelung), aber auch infolge fehlender Fortpflanzungsfähigkeit. Es ist Tatsache, daß vom Menschen die Fortpflanzung nur in relativ wenigen Fällen beabsichtigt wird, während die Vermehrung des Lustgefühls an erster Stelle steht und — wenn man die Zahl der an den Folgen von Abtreibungen gestorbenen Frauen in Betracht zieht — selbst mit dem Tode bezahlt wird.

Man ist somit berechtigt, der Sexualität einen von der Fortpflanzung unabhängigen Eigenwert zuzuerkennen. Der Geschlechtstrieb ist zunächst auf Lustgewinn gerichtet und nicht auf die Erzeugung von Nachkommenschaft.

III. Homosexualität ist keine Verkehrs-, sondern eine Persönlichkeitsform

Unter Homosexualität versteht man die Liebe von Männern oder Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts bei Gleichgültigkeit oder Abneigung gegen den sexuellen Verkehr mit dem anderen Geschlecht. Ob der Homosexuelle Akte ausführt oder nicht, ist belanglos, es kommt nicht auf die homosexuelle Handlung, sondern auf die Erregung des sexuellen Fühlens durch Personen des gleichen Geschlechts an.

Für die Mehrzahl der Homosexuellen sind Anblick und Berührung der Geschlechtsteile des anderen Geschlechts abstoßend. Für viele ist schon der Geruch des anderen Geschlechts unangenehm, während sie sich durch den des eigenen angezogen fühlen.

Die sexuelle Abneigung der Homosexuellen gegen das andere Geschlecht ist nicht geringer als diejenige der Heterosexuellen gegen das eigene. Die Abneigung gegen das andere Geschlecht bezieht sich jedoch nur auf das sexuelle Gebiet. Der Homosexuelle hat keine Veranlassung, Frauen zu verachten oder zu hassen, weil er sich für sie sexuell nicht interessiert.

Homosexualität ist keine besondere sexuelle Verkehrsform, keine Störung eines mehr oder weniger isoliert gedachten „Sexualapparates“, sondern eine erotisch-psychische Einstellung auf einen Partner des gleichen Geschlechts. Homosexualität ist als eine Eigenart der leibseelischen Gesamtpersönlichkeit zu werten und in die menschliche Lebenssituation des Betreffenden einzubeziehen.

Diese psychische Einstellung ist nicht beliebig und gewollt, sondern in der Person fest verankert. Ein Heterosexueller kann sich nicht gewollt auf Homosexualität umstellen und umgekehrt. Die psychische Einstellung des Homosexuellen auf das eigene Geschlecht ist mit der des Heterosexuellen auf das andere Geschlecht zu vergleichen.

Freud schrieb 1935: „Homosexualität ist ganz sicherlich kein Vorteil, aber sie ist nichts, dessen man sich schämen müßte, kein Laster, keine Degradierung, und sie kann auch nicht als Krankheit klassifiziert werden; wir betrachten sie als eine Variante der sexuellen Funktion, welche durch eine gewisse Arretierung der sexuellen Entwicklung verursacht worden ist.“

IV. Die Homosexualität ist keine Perversion

Sexuelle Perversionen sind Exhibitionismus (Sucht, sich Öffentlich zu entblößen), Voyeurismus (Schaulust), Fetischismus (sexuelle Erregung durch Kleidungsstücke oder Körperteile), Transvestitismus (Sucht, Kleider oder Wäsche des anderen Geschlechts anzulegen), Sadismus (sexuelle Erregung durch körperliche oder geistige Mißhandlung anderer Personen), Masochismus (sexuelle Erregung durch Erleiden von Mißhandlungen körperlicher oder geistiger Art), Sodomie (sexueller Verkehr mit Tieren).

Allen diesen ist gemeinsam, daß die Perversen nicht imstande sind, echte Wirheit zu empfinden. Hingegen können die Homosexuellen echte Partnerbezüge hervorbringen, die große Ähnlichkeit mit den heterosexuellen haben. Der Unterschied zwischen Homosexualität und Perversion ist also, daß bei den Homosexuellen der Akzent auf der Partnerbeziehung, bei den Perversen aber auf dem Individuum liegt. Die Homosexuellen lieben in derselben Art wie die Heterosexuellen. Im Gegensatz zu den Perversen ist der ganze Mensch der Gegenstand ihres Strebens.

Damit ist nicht gesagt, daß die homosexuelle Triebrichtung keine Perversionen aufweisen kann. Sie kann es ebenso wie die heterosexuelle. Sie kann auch mit allen Arten von Sexualstörungen, z.B. Impotenz, verbunden sein.

Die erste phänomenologische Stufe der erotischen und sexueller Anziehung ist ästethisch-visuell; die nächste ist durch den Drang gekennzeichnet, dem geliebten Wesen nahe zu sein, es zu berühren. Hierzu gehört die Fähigkeit, die erst den Einklang zweier Individuen ermöglicht. Als weitere Stufe folgt das Verlangen zur völligen Aufhebung der begrenzten eigenen Leiblichkeit; im intimsten, genitalen Fühlen ist die eigene Person nicht mehr von der anderen getrennt. Diese Stufen werden in Heterosexualität wie Homosexualität völlig gleich durchlaufen, wogegen die perverse Entwicklung wie ein Krankheitsvorgang, nach eigenen Gesetzen verläuft. Sie erlangt Selbständigkeit gegenüber der Person.

Viele Perverse erleben ihren Antrieb durchaus als persönlichkeitsfremd, krankhaft, unbefriedigend, lästig, als etwas Unheimliches, das über sie kommt. Die Homosexuellen erleben jedoch ihre Sexualität als befriedigend und lebensbeglückend. Sie haben wie die Heterosexuellen das Streben nach Vereinigung mit dem Partner und können diese Wir-Bildung voll erleben. Bei ihnen besteht nach dem sexuellen Vollzug aus Liebe kein Ausbleiben der Befriedigung (Impotentia satisfactonis), was bei allen Perversen als seelisches Krankheitsbild zu finden ist.

Nimmt man die Fortpflanzung als Maßstab, dann wäre auch Selbstbefriedigung, Verkehr mit Verhütungsmitteln und unterbrochener Beischlaf Perversion. Der unfruchtbare Verkehr des Homosexuellen unterscheidet sich aber von dem des Heterosexuellen lediglich dadurch, daß seiner ungewollt, der des Heterosexuellen gewollt unfruchtbar ist.

Für perverse Praktiken ist die Wiederholungstendenz typisch, ein letztliches Unbefriedigtbleiben trotz dauernder Wiederholung. So entsteht die Süchtigkeit des Perversen. Seine Partner unterliegen ständigem Wechsel, zur Wir-Bildung kommt es nicht, das Verhältnis bleibt anonym, unpersönlich, ohne Verbindlichkeit, ohne Verantwortung. Der Perverse verfolgt unabhängig vom Partner sein eigenes Ziel, die Befriedigung seines eigenen Lusthungers. Die Durchdringung zwischenmenschlicher Verhaltensweisen durch Sexualität im Sinne des Erotischen wird völlig abgebaut, es bleibt nur noch der Vollzug der Sexualität als solcher.

Aus der Normwidrigkeit, dem Zerstören, Schänden, Entweihen, dem Deformieren seiner Selbst und des Partners, entspringt erst die Wollust der Perversion. Beim Homosexuellen hingegen besteht keine Intention auf Zerstörung des Liebeswertes, sondern lediglich Verschiebung auf ein anderes Ziel.

Im allgemeinen steht der Homosexuelle den Perversionen ebenso verständnislos und mit Abneigung gegenüber wie der Heterosexuelle.

V. Homosexualität ist keine „Krankheit“

Die Annahme, daß der homosexuelle Trieb zu den Zwangsvorstellungen oder gar in das Gebiet des impulsiven Irreseins gehört, geht fehl. Der homosexuelle Trieb unterscheidet sich hinsichtlich der Zwangsmäßigkeit keineswegs vom heterosexuellen Trieb.

Auch sonst fehlt es an schlüssigen Beweisen dafür, daß Homosexualität eine Krankheit sei, abgesehen davon, daß der Begriff der Krankheit so lange ungenau sein muß, als man ihn nicht abzugrenzen vermag und nicht weiß, welche Konsequenzen man aus ihm ziehen soll.

Die Homosexuellen selbst fühlen sich im allgemeinen nicht als Kranke. Sie suchen wegen ihrer Veranlagung selten einen Arzt auf. Tun sie es doch, so als Neurotiker, d.h. meist aus Gründen sozialer Art.

Die Homosexualität ist keine Psychopathie. Die psychopathische Persönlichkeit entspringt angeborener individueller Variation, nicht körperlich faßbarer Veränderung. Sie leidet an ihrer Eigenart, oder ihre Mitwelt hat unter ihrer Eigenart zu leiden; sie führt zu sozialen Schwierigkeiten. Dies trifft für die Homosexuellen nicht grundsätzlich zu. Weder versagen sie gesellschaftlich, noch kommt es durch sie zu Zusammenstößen.

Die Homosexualität ist weder ein medizinisches noch ein psychiatrisches Problem. Sie ist vielmehr ein biologisches. Zu einem soziologischen kann sie durch die falsche Einstellung der Umwelt werden.

VI. Homosexualität ist keine „Entartung“

Bereits Freud wandte sich gegen die Entartungslehre. Er machte geltend, man finde Homosexualität auch bei Personen, die keine sonstigen schweren Abweichungen von der Norm zeigen und deren Leistungsfähigkeit nicht gestört ist, ja die sich bisweilen durch besonders hohe intellektuelle Entwicklung und ethische Kultur auszeichnen. Er wies darauf hin, daß einige der hervorragendsten Männer Homosexuelle waren. Nach seiner Meinung kann die Homosexualität nicht als Degeneration aufgefaßt werden, weil sie eine häufige Erscheinung bei alten Völkern auf der Höhe der Kultur und auch bei primitiven Völkern ungemein verbreitet war.

Entartung ist ein Begriff, der zerrinnt, wenn man ihn wissenschaftlich fassen will. Er hat keine biologische Grundlagen und wurde deshalb schon lange vor den Nationalsozialisten fallen gelassen. Erst diesen war es vorbehalten, die veraltete Degenerationslehre wieder aufzugreifen, um sie für ihre rassenpolitischen Zwecke zu mißbrauchen.

VII. Homosexualität ist nicht „abnormal“

Die Annahme der Abnormalität ist eine moralische Wertung, die den Versuch, den Ursprung solchen Benehmens oder seine tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung zu ergründen, erst gar nicht unternimmt. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, Formen der Sexualbetätigung als an und für sich in ihren biologischen Ursprüngen normal oder abnormal zu betrachten. Es ist vorzuziehen, die Homosexuellen eher als „selten“ denn als „abnormal“ zu bezeichnen.

Wegen der weiteren Verbreitung homosexuellen Verkehrs bei den Säugetieren hat man Grund anzunehmen, daß für homosexuelle Handlungen bei Menschen ein weit zurückreichender phylogenetischer Hintergrund vorhanden sein muß. Homosexuelle Handlungen sind nachweislich Teil unseres phylogenetischen Erbgutes. Sie können daher nicht als biologisch „unnatürlich“ bezeichnet werden.

Die Naturwissenschaften beweisen, daß in der Natur die mannigfaltigsten Variationen auftreten. Erst der Mensch neigt dazu, größere Häufigkeit als Norm anzusehen. Diese Annahme ist jedoch willkürlich und benachteiligt Menschen, die einer Minderheit angehören.

VIII. Homosexualität ist kein „Laster“

Homosexuelle Handlungen können nicht allgemein als lasterhafte Hingabe an das Unsittliche dargestellt werden, weil homosexuelles Empfinden in den Betreffenden edle Regungen hervorrufen kann. Von Lasterhaftigkeit könnte man nur in Fällen sprechen, in denen Heterosexuelle homosexuelle Akte ausführen.

Es ist auch biologisch unrichtig, bei Homosexuellen von „widernatürlicher“ Unzucht zu sprechen. Es gibt keine unnatürlichen Triebe. Man kann nur von regelmäßigen und regelwidrigen, von gesunden und erkrankten Trieben sprechen. Auch das „Widernatürliche“ ist Leistung der Natur.

IX. Auch Heterosexuelle sind gelegentlich „homosexuell“

Homosexuelles Empfinden und Handeln kommt auch bei Heterosexuellen vor. Nach Kinsey sprechen 50 Prozent aller Männer bzw. 28 Prozent der Frauen nach Abschluß der Pubertät auf homosexuelle Reize an. Bei zumindest 37 Prozent der männlichen und 13 Prozent der weiblichen großstädtischen Bevölkerung Nordamerikas kommen auch nach Abschluß der Pubertät homosexuelle Beziehungen mit Orgasmus vor. Die Annahme ist begründet, daß jedem tierischen oder menschlichen Lebewesen die physiologische Eigenschaft innewohnt, irgendeinem genügenden Anreiz in sexueller Hinsicht vorübergehend zu folgen, gleich ob dieser nun hetero- oder homosexueller Art ist.

Im allgemeinen entfaltet sich das heterosexuelle Erleben derart, daß es die bei den meisten Menschen gleichfalls vorhandene homosexuelle Bereitschaft ganz verdeckt; homosexuelles Reagieren tritt nur gelegentlich zutage, z.B. bei fehlender heterosexueller Entspannung als Ausweichverfahren für angestaute Sexualität.

Der Einwand, daß die Nothomosexualität nur äußeres Verhalten ist, von dem sich der Betreffende distanzieren kann, ist aber in dieser Form zu allgemein, weil sich hinter solchem Verhalten echt homosexuelles Fühlen verbergen kann.

Die Frage nach dem Unterschied zwischen homosexuell empfindenden und handelnden Heterosexuellen und echten Homosexuellen ist dahingehend zu beantworten, daß beim echten Homosexuellen das homosexuelle Empfinden und Handeln bei teilweisem bis völligem Fehlen heterosexueller Züge extrem überwiegt. Für den Homosexuellen ist die homosexuelle Handlung Ausdruck seiner lebensgeschichtlichen Entwickiung, kein bloß körperliches Geschehen, sondern psychosexuelles Phänomen.

X. Homosexualität ist Teil menschlicher Geschichte

Nach Kinsey ist Homosexualität seit Urbeginn der Geschichte ein bedeutsamer Teil menschlicher Sexualbetätigung.

Es gab und gibt bei allen Natur- wie Kulturvölkern Männer und Frauen, die ihr eigenes Geschlecht lieben.

Die bei den Naturvölkern beobachteten homosexuellen Erscheinungen machen durchaus den Eindruck elementarer Natürlichkeit. Wie in den Berichten des öfteren ausdrücklich hervorgehoben wird, soll es sich bei den homosexuellen Personen der Naturvölker um sonst durchaus gesunde Menschen handeln.

Bei den meisten Naturvölkern war Homosexualität durchaus geduldet. Bei einigen wurde sie sogar als etwas Besonderes, als „Wille Gottes“ anerkannt oder als religiöse Sitte mit entsprechenden Festen gefeiert.

Nur vereinzelt z.B. bei Juden, Azteken, Inkas, wurde Homosexualität bestraft, offenbar auf Grund religiöser Tabus.

Die semitischen und hamitischen Hirtenvölker waren in Beziehung auf das Geschlechtsleben, auch hinsichtlich unehelicher Mutterschaft, besonders „streng“. Fraglos spielten falsch verstandene züchterische Erwägungen eine Rolle. Es bestand Tendenz, die Familie entsprechend dem eigenen Viehbestand zu vermehren. Dem zufolge waren alle Formen des Geschlechtslebens streng verboten, bei denen Fortpflanzung ausgeschlossen ist: Onanie, unterbrochener Beischlaf, gleichgeschlechtlicher Verkehr, Unzucht mit Tieren.

Beim Judentum kam hinzu, daß es sich mit den Kulten der Nachbarvölker auseinandersetzte, bei denen es androgyne Gottheiten, kultisches Transvestitentum, männliche Tempelprostitution gab. Das Strafmaß war so hoch, weil es sich auch gegen Zusammenhänge mit Kulturen richtete, die man ausmerzen wollte.

Die älteste Kunde über Homosexualität enthält ein viereinhalb Jahrtausend alter Papyrus, noch vor dem Bau der Pyramiden; er berichtet, daß die Götter Set und Horus in gleichgeschlechtlicher Beziehung standen.

XI. Homosexueller Verkehr gleicht im wesentlichen dem heterosexuellen

Der Homosexuelle ist gezwungen, Ersatz für „normalen“ Verkehr zu suchen, weil durch das gleiche Geschlecht des Partners gewisse Hindernisse gegeben sind. Das Sexualziel, Vereinigung mit dem Sexualpartner, wird jedoch beibehalten.

Zwar verfehlt der homosexuelle Verkehr die Fortpflanzung, aber die Möglichkeit einer triebhaft-affektiven Wir-Bildung samt persönlichen Konsequenzen ist gegeben. Der homosexuelle Verkehr steht diesbezüglich auf gleicher Stufe wie der heterosexuelle mit Verhütungsmitteln.

Der biologische Ablauf ist für Hetero- und Homosexuelle der gleiche: Trieb, Erektion, Ejakulation mit Orgasmus. Hetero- und homosexueller Verkehr laufen auch gefühls- und situationsmäßig ähnlich ab.

Widerwillen gegen Homosexuelle gründet sich meist auf den Analverkehr. Jedoch kommt dieser annähernd gleich häufig auch bei Heterosexuellen vor; einerseits um Empfängnis zu verhüten, anderseits, weil der After eine fast ebenso sensitive erogene Zone darstellt wie der Mund. Er ist sogar noch leichter zu stimulieren.

Vielfach wollen Statistiken erweisen, daß die eigentliche Domäne der Homosexuellen die wechselseitige Onanie ist. An zweiter und dritter Stelle stünden Mund- und Schenkelverkehr, erst danach Analverkehr. Die statistischen Angaben sind jedoch nach meiner Meinung mit Vorsicht aufzunehmen, da die Befragten bei derartigen Informationen Zurückhaltung pflegen.

Homosexueller Verkehr ist nicht „schädlicher“ als heterosexueller. Körperliche Verletzungen kommen auch beim heterosexuellen Verkehr vor. Jede Übertreibung des Geschlechtsverkehrs kann zur vorübergehenden, heilbaren nervösen Erschöpfung führen. Psychische Schäden, Charakterschäden sind nicht bekannt.

XII. Homosexualität gehört zur normalen sexuellen Variationsbreite

Die Homosexuellen können in zwei Typengruppen unterschieden werden. In dem einen Teil zeigen sich auch in der körperlichen Erscheinung Anklänge an das andere Geschlecht. Bei der zweiten Gruppe ist aber gerade der Gegensatz zwischen den Körperformen und der sexuellen Triebrichtung recht auffallend.

Nach dem bloßen Aussehen kann also nicht mit Sicherheit behauptet werden, daß eine Person homosexuell ist. Selbst wenn ein Mann durch viele Merkmale des weiblichen Geschlechts auffallen sollte, könnte es sich um einen femininen Heterosexuellen handeln. Auch der Virilismus der Frau ist kein Hinweis auf Homosexualität.

Selbst die Homosexuellen erkennen einander nicht auf den ersten Blick. Es ist daher, entgegen allgemeiner Annahme, für sie nicht leicht, sich kennenzulernen.

Auch sonst gibt es für die Feststellung, ob ein Mensch homosexuell ist oder nicht, keinen exakten naturwissenschaftlichen Test.

Die gleichmäßige Verbreitung der Homosexualität zu allen Zeiten und in allen Ländern verweist darauf, daß sie biologische Erscheinung ist. Das häufige Vorkommen homosexueller Handlungen und Gefühle weit über den Personenkreis der Homo- und Bisexuellen hinaus spricht dafür, daß die homosexuelle Verhaltensweise eine allgemein menschliche Einstellung zur Sexualität ist, die sich unter bestimmten Bedingungen als ausschließliche entwickeln kann.

Auch die fließenden Übergänge von reiner Hetero- über Bi- zu reiner Homosexualität sprechen dafür, daß Homosexualität eine biologische Variante der Sexualität ist. Jeder Mensch hat innerhalb der allgemeinen Zweigeschlechtlichkeit seinen Platz an einem bestimmten Punkt der „Mann-Frau-Linie“.

Die Homosexuellen sind daher nicht als Gruppe anzusehen, die völlig von der übrigen Menschheit zu unterscheiden wäre. Kinsey rechnet die Homosexualität zu der naturhaften Variationsbreite der Sexualität. Seine Behauptung, die hohe Variabilität der sexuellen Verhaltensabläufe sei keineswegs krankhaft, sondern liege in der biologischen Spannweite der menschlichen Natur, wird heute allgemein angenommen.

nächster Teil: Homos sind normal (II.)

[1Die meisten der hier präsentierten Ziffern und Fakten entstammen dem Werke von Klimmer, Die Homosexualität, III. Aufl., Hamburg 1965. Seit Magnus Hirschfeld („Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“, 1914) ist die umfassendste derartige Arbeit. In ihr sind rund 900 ein▒▒▒[Der Rest der Fußnote ist in der gedruckten Ausgabe dem Umbruch zum Opfer gefallen]▒▒▒

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