FORVM, No. 103/104
Juli
1962

Ins Leere gesprochen

Im kommenden Herbst wird das Österreichische Fernsehen eine Sendung über die baulichen Leistungen des großen Architekten Adolf Loos ausstrahlen. Oskar Kokoschka hat für diese Sendung einen Vorspruch geschrieben, den wir hier mit freundlicher Genehmigung des Künstlers zum Abdruck bringen.

Die Mehrzahl der heutigen Architekten benimmt sich, als ob unser Planet nur noch eine Umsteigstelle für Mondfahrer wäre. Gewiß, wir leben im Zeitalter des technischen Fortschritts; Ehen werden in Amerika bereits mittels elektronischer Maschinen geschlossen, und in England erwarten die Künstler ihre Inspiration von den Mal- und Zeichenversuchen der Schimpansen, die, hätten sie die Wahl, sicher vorzögen, im Dschungel in Ruhe gelassen zu werden. Politische Führer endlich dürfen ungestraft die Atmosphäre mit ihren Megatonnenbomben verpesten, ohne vor einen Gerichtshof à la Nürnberg gestellt zu werden, weil der Menschheit heute auch das Gran an Gehirnmasse fehlt, das die primitive Gesellschaft einst vor der Panik rettete, als sie das Feuermachen erfand.

Angesichts eines solchen vernunftlosen Verhaltens der Existenz gegenüber wundere man sich nicht, wenn auch der Architekt keine Rücksicht darauf nimmt, wie der Mensch sein Nest zu bauen habe, damit dieses wohnlich und dauerhaft wird und in die Natur paßt! Der moderne Architekt errichtet Ubikationen in den Großstädten, die man für Polizeikasernen, für Strafanstalten mit Wachtürmen, im besten Falle für Sanatorien halten könnte, und seine einzige Sorge scheint eine Balance zwischen Bauspekulation, Gestehungskosten und Rentabilität zu sein. Man schaue doch nur vom Belvedere herab auf die Stadt und fühle den Schmerz, wie da einer die Silhouette Wiens mit einem massiven Klotz für immer verschandelt hat!

Wir Freunde und Verehrer von Adolf Loos beklagen, daß er zu früh seine Ideen gepredigt hat, wie man bauen, wohnen, leben soll. Oder war es am Ende damals schon zu spät, als er seine Warnungen aussprach? Sie stießen schon damals, vor dem ersten Weltkrieg, auf taube Ohren. Doch auch nachher ließ man ihn nicht bauen, sondern sperrte ihn, den unbequemen Propheten, einfach ein. Da brach sein Herz, und der österreichische Provinzgeist hatte abermals einen Großen zur Strecke gebracht. „Ins Leere gesprochen“ heißt eine Sammlung von Vorträgen, zu welchen die Wiener strömten, nicht um ihn zu hören, sondern lediglich um zu gaffen, wie sie es auch bei Karl Kraus, Arnold Schönberg und Peter Altenberg zu tun pflegten.

Adolf Loos sagte von sich, er sei nur ein Maurer. Wir müssen dieses Wort in seiner edelsten, der hellenischen Bedeutung verstehen; in diesem Sinne baute er — wenn man ihn ließ. Das Werk des letzten Baumeisters in diesem Geiste, die Ordnung des Palladio, war für ihn Bibel und Gesetz. Loos verstand die antike Ordnung nicht als ein Muster, wie Klassizisten und Akademiker es kopieren, sondern als die Verbildlichung menschlicher Proportionen in ihrem Verhältnis zur Umwelt, somit als Versinnbildlichung der Beziehung des Menschen zur Außenwelt, zum Leben.

Geht es wirklich an, nach den Sternen zu greifen, während millionenfaches Proletariat in Elendsbaracken haust? Weiß die Gesellschaft mit dem technischen Fortschritt wirklich nichts Besseres anzufangen als Weltkriege in Serie zu produzieren: Solche Hybris hätte in der Antike den Zorn der Götter erregt. Heute glauben selbst Kinder nicht an Gott, sie haben aber auch Lachen und Weinen verlernt. Für uns Gesetzlose werden die Furien, die uns wie eine unsichtbare Polizei an den Fersen bleiben, nie wieder zu Eumeniden, die für die Ordnung der Gesellschaft wohltätig wirken. Adolf Loos gelang es, im antiken Sinne die Selbstkontrolle zu bewahren und die Grenzen zu erkennen, für die der Mensch das Maß aller Dinge bleibt. Adolf Loos hat ins Leere gesprochen — in Wien, wo er lebte und nicht wirken durfte.

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