FORVM, No. 305/306
Mai
1979
FORVM-Dokumentation

Jetzt jetzt hhh

Wahlprosa der Wiener Linksradikalen

Wir bringen drei Stellungnahmen aus der Diskussion der trotzkistischen Gruppe Revolutionäre Marxisten (GRM), einen Text des Kommunistischen Bundes (KB) und die Meinung der Bewegung für Sozialismus (BfS/FÖJ). Grüne, AKW-Gegner und Spontis wollten sich nicht äußern. Stellenweise beziehen sich die Texte auf die geplante Kandidatur des KB. Der KB brachte die nötigen Unterschriften (500 Unterstützungserklärungen für den Wahlkreis Wien) nicht zusammen. 1971 hatte das immerhin die FÖJ, 1977 hatte es die GRM geschafft. Das Resultat lag jeweils bei 2.000 Stimmen.

GRM für KB:

Schwenk mit Genugtuung

... die GRM ist daher prinzipiell bereit, die Kandidatur anderer Organisationen der Arbeiterbewegung durch die Abgabe von Unterstützungserklärungen zu ermöglichen — sofern sie nicht selbst zu kandidieren beabsichtigt. Dies wird bei den kommenden Nationalratswahlen nicht der Fall sein.

Der Kommunistische Bund machte bisher die Frage der formalen Ermöglichung der Kandidatur von einer prinzipiellen Unterstützung seines Gesamtprogramms abhängig. Bei diesen Wahlen hat der KB nun seine diesbezügliche Haltung geändert.

Wir nehmen diesen Schwenk des KB mit Genugtuung zur Kenntnis, weil er auch in deutlichem Gegensatz zu seinem Verhalten gegenüber der Kandidatur der GRM bei den Nationalratswahlen 1975 steht: Damals hatte der (nicht kandidierende) KB jegliche Abgabe von Unterstützungserklärungen für uns unter Berufung auf sein „Gesamtprogramm“ verweigert.

Die GRM empfiehlt daher, im Gegensatz zu allen vorhergehenden Kandidaturen des KB bei Regionalwahlen, durch die Abgabe von Unterstützungserklärungen die Kandidatur des Kommunistischen Bundes zu ermöglichen.

Rotfront April 1979
GRM für SP:

Was sich im Bewußtsein der Arbeiter niedergeschlagen hat

Acht Jahre Regierung Kreisky, die sich im Bewußtsein der österreichischen Arbeiterklasse doppelt darstellen: einerseits durch ein halbwegs geglücktes Krisenmanagement — zwar im Sinne des Großkapitals, aber auch ohne nennenswerte materielle Einbußen für die Arbeiterschaft. Andererseits — und das spielte sich vorwiegend im politischen Bereich ab — durch die Risse im früher fest scheinenden Gebäude sozialdemokratischer Hausverwaltung. Dieser Situation entspricht die Vorverlegung der Nationalratswahlen: es handelt sich um Demobilisierungswahlen als unmittelbare Reaktion auf die AKW-Schlappe und die innerparteilichen Spannungen. Es handelt sich aber auch um Mobilisierungswahlen trotz des Zurücksteckens des Bürgerblockgespenstes: und zwar für eine Politik der Arbeitsplatzsicherung durch die SP. So kläglich diese scheitern wird, wenn ihr die ökonomische Basis entzogen ist: erfahrbar war das bisher für die Arbeiterklasse nicht.

Es wäre also verkehrt, zwischen der Denunziation der bürgerlichen Politik der SP-Regierung und dem, was sich im Bewußtsein der Arbeiter niedergeschlagen hat, eine ungebrochene Gerade zu ziehen. Wir wissen, daß selbst unter ökonomisch ungünstigeren Bedingungen nicht mit einem stärkeren Absetzprozeß von der SP zu rechnen ist — wir werden einen solchen Prozeß heute nicht dadurch fördern können, wenn wir ihn ohne realen Bezug zu den Erfahrungen der organisierten Arbeiterbewegung mit ihrer Führung und ohne eine konkrete Alternative anbieten zu können einfach propagieren. Die taktische Orientierung, die sich aus dieser Einschätzung ergibt, gehört zur trotzkistischen Orthodoxie: das Aufnehmen von Elementen der Einheitsfront in unsere Politik.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Strukturprobleme der österreichischen Wirtschaft und deren Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation (Eumig, VEW) verstrickt sich die SP gerade mit ihrem Haupt-Wahlslogan der Arbeitsplatzsicherung in ihre eigenen Maschen: hier nämlich wird im Falle einer Alleinregierung die Verantwortlichkeit der Führer zum praktischen Prüfstein für die ihnen vertrauenden Massen. Dann auch sind die Bedingungen für die Praktizierung der Einheitsfrontpolitik vorhanden. Schon jetzt aber gilt es, den Boden pädagogisch und propagandistisch vorzubereiten. Dazu gehört, für eine SP-Alleinregierung einzutreten.

Rotfront April 1979
GRM für KP:

Für das keineswegs Attraktive

Die Wiener Gemeinderatswahlen brachten zum ersten Mal massiven Protest der SP-Basis mit der Führung zum Ausdruck. Zwei Einschränkungen sind jedoch notwendig. Einerseits war es relativ gefahrlos, die SP nicht zu wählen, da die Mehrheit nicht gefährdet war, und andererseits drückte die Wahlenthaltung Demoralisierung und Perspektivlosigkeit aus. Die einfache Übernahme dieses Massenverhaltens für die Nationalratswahlen ist aber falsch, da eine Wahlenthaltung heute sehr wohl die Mehrheit der SP in Frage stellt und vor diesem Hintergrund Wahlenthaltung Ausdruck einer gefährlichen Entpolitisierung sein kann. Genau auf diese Bedingungen setzen ja Kreisky & Co. Wir müssen also einen Wahlaufruf formulieren, der Entpolitisierung bzw. ein Wechseln ins bürgerliche Lager verhindert.

Da wir nicht meinen, daß es notwendig ist, zu warten, bis es eine „grundlegende“ Alternative zur Sozialdemokratie gibt, in deren Regierungszeit sich die sozialpartnerschaftliche Politik sogar noch verdichtet hat, sondern daß es heute möglich ist, die Kandidatur einer Organisation zu unterstützen, deren Politik Elemente einer klassenunabhängigen Politik von der Bourgeoisie enthält. In Österreich ist dies immer noch die Unterstützung der KPÖ, obwohl diese Partei durch ihre stalinistische und unflexible Politik keineswegs an Attraktivität gewonnen, ja sogar seit 1945 ständig an Einfluß verloren hat. Damit drücken wir keineswegs aus, daß für die Arbeiterklasse ein Umweg über die KPÖ notwendig ist, sondern eine Stimmabgabe kann nur dokumentieren, daß eine Politikänderung in Richtung antisozial-partnerschaftlicher unabhängiger Klassenpolitik nötig ist.

Rotfront April 1979
Offizielle Erklärung der GRM:

Ganz in Weiß

Weder die Volksabstimmung noch das katastrophale Ergebnis bei den Wiener Gemeinderatswahlen, wo sie ein Drittel ihrer Stimmen verlor, hat auch nur irgendeinen Denk- geschweige denn Umorientierungsprozeß ausgelöst. Im Gegenteil, die KPÖ zieht in den Wahlkampf, als ob nichts geschehen wäre.

Der maoistische KBÖ beabsichtigt ebenfalls zu den Nationalratswahlen zu kandidieren. Seine Kandidatur wird eine Kandidatur für das mao-stalinistische Programm sein. Die „Sozialimperialismustheorie“ über die Sowjetunion wird neben einer blindgläubigen Verteidigung der reaktionären Außenpolitik der Volksrepublik China zu den wesentlichen Schwerpunkten seiner Wahlkampagne gehören. Die Kandidatur des KBÖ wird insgesamt gesehen nur die Funktion einer Selbstdarstellung für die eigenen Mitglieder und Sympathisanten haben.

Betrachtet man sich diese beiden „Alternativen“ zur Sozialdemokratie, so ist das Ausschlaggebende, daß sie beide keine sind. Beide bekennen sich zwar in irgendeiner Form zum Klassenkampf, aber ihre konkrete Politik und ihr stalinistisches Programm erweisen sich eher als Hindernis, Ablösungsprozesse von der Sozialdemokratie zu fördern.

Angesichts der Tatsache, daß keine positive Wahlempfehlung für irgendeine kandidierende Strömung links von der Sozialdemokratie eine brauchbare Alternative darstellt, propagieren die linken Sozialdemokraten und Teile der extremen Linken eine kritische Unterstützung der SPÖ bei den Nationalratswahlen.

Diese kritische Unterstützung kann allerdings keine Perspektive zeigen. Zehn Jahre sozialdemokratischer Alleinregierung haben den prokapitalistischen Charakter der SPÖ-Politik gezeigt. Und an dieser Politik wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Der geringe wirtschaftliche Spielraum wird den Rechtskurs der SP-Führung weiter verstärken.

Eine Kandidatur der GRM, die selbst auch nur die Grundlagen revolutionärer Politik propagieren könnte, oder das Anstreben einer sozialistischen Liste ist aufgrund der Vorverlegung der Nationalratswahlen nicht möglich. Die Analyse der politischen Situation läßt keinerlei positiven Wahlaufruf zu. Wir empfehlen daher allen kritischen Arbeitern und Angestellten, allen unseren Sympathisanten am 6. Mai Wahlenthaltung zu üben oder weiß zu wählen. Obwohl natürlich weder die Wahlenthaltung oder „weiß wählen“ eine globale Perspektive weisen können.

Rotfront März 1979
GRM-offiziell II:

Will ja

Letzte Meldung aus der Lustkandlgasse: Die Anhänger des trotzkistischen Gedankens werden aufgerufen, doch nicht weiß zu wählen, sondern gegen die Bürgerparteien, d.h. sie sollen einer Arbeiterpartei die Stimme geben. Als solche gelten: SPÖ, KPÖ.

Kommunistischer Bund Österreichs (KBÖ) für sich:

Was gut ist fürs Volk

Wir sind in einem kleinen Wiener Betrieb und lauter Angestellte. In diesem Betrieb hat ein Kollege ein Abonnement des Klassenkampf, zwei Kolleginnen lesen den Klassenkampf ständig, drei haben auch ein Abonnement China im Aufbau.

Eine Woche nachdem im Klassenkampf zum ersten Mal über die geplante Kandidatur unserer Organisation am 6. Mai zu lesen war, haben wir beschlossen, zu viert in der Mittagspause aufs Magistrat zu gehen und dort unsere Unterstützungserklärung für die Kandidatur des KB zu leisten. Für meine Arbeitskolleginnen und den Arbeitskollegen war es eigentlich selbstverständlich, unsere Kandidatur zu unterstützen.

Da manch einer Zweifel hat, ob es denn richtig ist, zu den NR-Wahlen 1979 zu kandidieren, habe ich nun meine Kollegen befragt, warum es eigentlich für sie so selbstverständlich war, den KB sofort mit ihrer Unterschrift zu unterstützen.

Folgende zwei Fragen habe ich den Kollegen gestellt:

  • Warum hast du mit deiner Unterschrift auf dem Magistrat die Kandidatur des KB bei den NR-Wahlen 1979 unterstützt?
  • Glaubst du, daß das Forderungsprogramm des KB durch die Kandidatur in der Öffentlichkeit bekannter wird und mehr Menschen diese Forderung vertreten?

Kollegin E.: Auf die erste Frage: Als Leser des Klassenkampf, in dem es keine nackten Frauen gibt, in dem die Frauenfrage richtig behandelt wird und in dem über die Probleme der einfachen Menschen informiert wird, halte ich es für richtig, daß ihr einmal so weit kommt, daß ihr Vertreter des Volkes — wirkliche Vertreter des Volkes — in das Parlament schicken könnt. Das ist gut für das Volk.

Kollegin A.: Auf die erste Frage: Weil ihr für die Rechte der ausländischen Arbeiter und der slowenischen Minderheit eintretet, weil ihr gegen die Diskriminierung der Frau seid und weil ihr euch nie auf die Seite der Geldleute stellt, sondern immer auf der Seite der armen Teufel steht.

Kollege F.: Auf die erste Frage: Meine Unterstützung erfolgt in erster Linie deshalb, weil ich die Politik des KB für richtig finde und weil der KB in der kurzen Zeit seines Bestehens — trotz seiner relativ bescheidenen Mittel — zu einem nicht zu verachtenden Faktor im Kampf gegen den bürgerlichen Staat geworden ist.

Kollegin E.: Auf die zweite Frage: Ja.

Kollegin A.: Auf die zweite Frage: Das Forderungsprogramm unterstütze ich voll. Sicher wird durch die Kandidatur dieses Forderungsprogramm und der KB bekannter, was ich ja genau für notwendig halte.

Kollege F.: Auf die zweite Frage: Wenn ich sage, daß ich die Politik des KB für richtig finde, dann schließt das mit ein, daß ich auch das Forderungsprogramm voll unterstütze.

Soweit die Antworten meiner Arbeitskollegen. Man sieht, daß es allen dreien notwendig erschien, unsere Kandidatur zu unterstützen, obwohl sie nicht alle drei genau dieselben Gründe dafür haben. Alle drei wollen unsere Kandidatur, und der Kollege F. hat auch seinen Bruder für die Unterstützung auf dem Magistrat gewonnen. Kollegin E. hat das Pickerl „Gegen die Steigerung der Ausbeutung! 35-Stunden-Woche, 5-Tage-Woche, 5 Wochen Mindesturlaub“ auf ihren Koffer geklebt und tritt auf diese Art und Weise öffentlich für diese Forderung ein.

Klassenkampf 26. März 1979
Bewegung für Sozialismus (BfS/FÖJ):

Ohne Illusion für S...

Alle Überlegungen auf seiten der autonomen Linken sollten unseres Erachtens davon ausgehen, daß für die Interessen der Arbeiter und Angestellten, aber auch für weitere Initiativen und Entfaltungsmöglichkeiten der gesamten Linken ein Wahlerfolg der ÖVP und FPÖ von Nachteil wäre und daher verhindert werden muß.

Wir geben uns keinen Täuschungen hin über die Entwicklung in der SPÖ, die sich immer weniger von den bürgerlichen Parteien, ihrem Auftreten und ihren Wertvorstellungen unterscheiden läßt. Es ist unsere Überzeugung, daß dieser Entwicklung in der SPÖ nur dann Einhalt geboten werden kann, wenn außerhalb ihrer Reihen eine repräsentative und glaubwürdige linke Alternative geschaffen wird.

Die Schwäche der linken Gruppen zeigt sich auch darin, daß sie weder imstande sind, ähnliche Alternativlisten wie in Hamburg und West-Berlin auf die Beine zu stellen, noch den Willen oder die Fähigkeit besitzt, sich in vorhandenen Initiativen in Österreich zu verankern, wodurch solche Alternativansätze oft konservativen Trägern überlassen bleiben. Hier liegen einige unserer zukünftigen Aufgaben und Perspektiven nach dem 6. Mai.

offensiv links April 1979
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