FORVM, No. 198/II/199
Juli
1970

Laien korrigieren Staatsanwalt

Notizen zum Genner-Prozeß

Der Prozeß gegen Michael Genner gehört der Vergangenheit an. Egal, wie viele Instanzen das Urteil des Geschworenengerichtes noch durchwandern muß, man kann es jetzt schon feststellen: Eine Justizgroteske, wie sie hierzulande wohl einmalig war, hat ihr fast rühmliches Ende gefunden. Fast deshalb, weil ein Freispruch Genners durchaus im Bereich der Möglichkeiten gelegen wäre. So aber wurde Genner zu einem Monat strengem Arrest verurteilt, und zwar nicht wegen der Hauptanklage, also wegen „versuchter Verleitung zum Aufstand“, sondern lediglich wegen Vergehens der „Aufwiegelung gegen Polizeibeamte durch verfälschte und unwahre Behauptungen in einem Flugblatt“. Die Maximalstrafe, die Genner bei einer Verurteilung wegen „Anstiftung zum Aufstand“ geblüht hätte: Fünf Jahre schwerer Kerker.

Genner hat für ein Flugblatt verantwortlich gezeichnet, das am 5. November des vergangenen Jahres auf dem von der österreichischen Jungarbeiterbewegung veranstalteten und von der Tageszeitung „Kurier“ präsentierten Twen-shop verteilt wurde. Es hieß darin:

TWENSHOP-REVOLTE, Dienstag, 4. November, 20 Uhr, PRÜGELNDE ORDNER, POLIZEITERROR. Bilanz: Mehrere Verletzte, 3 Verhaftete. DAS WAHRE GESICHT DES TWENSHOPS. HABT IHR NOCH IMMER NICHT VERSTANDEN? ENTWEDER IHR KOMMT GAR NICHT MEHR ZUM TWENSHOP, ODER IHR KOMMT BEWAFFNET! ORGANISIERT EUCH! SCHLIESST EUCH ZUSAMMEN! VERTEIDIGT EUCH! Unser Kontaktmann: JEDERZEIT IM KRITISCHEN KLUB. Wien 7, Museumstraße 5 (5 MINUTEN VOM TWENSHOP HINTERM VOLKSTHEATER)

Dieses Flugblatt fiel sofort der Polizei in die Hände. Bei Genner und im Kritischen Klub wurde eine Hausdurchsuchung gemacht, Genner wurde verhaftet, Das Wort „bewaffnet“ hatte es Polizei und Anklagebehörde angetan. Es wurde darin die „Anstiftung zum Aufstand“ erblickt. Der 22jährige Soziologiestudent wurde in U-Haft gesteckt und blieb dort nicht weniger als sechs Wochen. Die Untersuchungshaft war rechtlich durch nichts gerechtfertigt. Eine Wiederholungsgefahr bestand nicht, weil die „Jugendmesse“ im Messepalast praktisch zu Ende war, ebenso bestand weder Flucht- noch Verabredungsgefahr. Also war es am Ende vielleicht gar eine Art „Vorbeugehaft“? Diese hinwiederum ist nach österreichischem Gesetz verfassungswidrig.

Aber es gab nicht nur Demonstrationen und andere Protestaktionen von seiten der Kollegen Genners als politisches Druckmittel (Genner ist linker Student und Mitglied der KPÖ), sondern sogar dringliche Anfragen der damals noch oppositionellen Sozialisten an Justizminister Klecatsky im Parlament. Auch der jetzige Justizminister Dr. Broda setzte sich damals im Fall Genner ein. Prompt wurde Genner auch freigelassen.

Doch die Staatsanwaltschaft sah sich genötigt, aus einem Flugblatt, das zu Verteidigung gegen prügelnde Ordner und Polizeiterror aufgerufen hatte, eine Staatsaffäre zu machen. Nach dem Motto: „Wehret den Anfängen“. Und Staatsanwalt Dr. Kohout scheute sich nicht, in seinem Plädoyer am Ende des Prozesses gegen Genner die Situation 1969/70 mit der politischen Situation im Jahre 1933 zu vergleichen. Wenn man diesen Vergleich konsequent weiterführen würde, müßte man notgedrungen zu folgenden Schlußfolgerungen kommen: Studenten = Heimwehrfaschisten und Nazi, Genner = Hitler. Aber so weit hat der Staatsanwalt wohl nicht gedacht.

Die Staatsanwaltschaft sah sich ferner genötigt, wegen eines Flugblattes vor einem Schwurgericht einen politischen Prozeß abrollen zu lassen. Staatsanwalt Dr. Kohout hat das in seinem Schlußwort natürlich energisch dementiert. Im Gegenteil, so vermeinte er, die Verteidigung und „gewisse Presseerzeugnisse“ hätten den Fall politisch hochgespielt.

Wie erklärt sich der Staatsanwalt dann aber folgende Sätze in der Anklageschrift?

Schon auf Grund dieses Vorlebens des Beschuldigten ist es klar, daß er kein friedsamer Demonstrant, sondern eine Person ist, dem die Teilnahme an Demonstrationen nur der Anlaß zur Setzung von Gewaltakten und Exzessen ist. Daß es Michael Genner mit seiner Aufforderung im inkriminierten Flugblatt ernst gemeint hat und es in der Absicht des Beschuldigten gelegen war, daß tatsächlich Widerstandsakte gewaltsamer Art gegen ein Einschreiten der Polizei gesetzt werden, liegt somit klar auf der Hand. Hierfür spricht auch noch der Inhalt zweier weiterer im Zuge der genannten Veranstaltung vom Beschuldigten verfaßten und verbreiteten Flugblätter, von denen eines auch bei Friedrich Kaiser sichergestellt wurde. Insbesondere aus dem Satz des Flugblattes mit der Überschrift ‚Messeleitung provoziert Messebesucher‘, ‚Wehrt euch gegen solche Methoden, die unsere faschistische Gesellschaftsstruktur widerspiegeln‘, und aus dem Satze des Flugblattes ‚Freunde, wir müssen und werden uns gegen solche Methoden wehren‘ geht eindeutig hervor, daß die Absicht des Beschuldigten Genner dahingegangen ist, die Flugblattbezieher aufzuhetzen und aufzuwiegein und Gewaltakte zu provozieren.“

Vorher waren in der Anklage zahlreiche Aktionen und Demonstrationen erwähnt worden, an denen Genner beteiligt war. Nie aber, das sagt auch der Polizeibericht, war es zu Konflikten zwischen ihm und der Polizei gekommen. Lediglich einmal, bei der „Aktion Tigerkäfig“, die er und seine Kollegen gemeinsam mit den Insassen des Resozialisierungsheimes in der Geblergasse in Schönbrunn durchgeführt hatten, war über ihn eine Geldstrafe von 300 Schilling verhängt worden. Also hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift entweder manipuliert, oder sie sieht harmlose Protestaktionen als „Exzesse und Gewalttaten“ an.

Noch ein schöner Satz sei aus der Anklage zitiert:

Schließlich ergibt sich die Tendenz des Beschuldigten auch aus dem Inhalt seines Schreibens aus der Untersuchungshaft an seinen Verteidiger vom 20.11.1969. Denn dort bringt er seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, daß man eine Gelegenheit, wie die Vietnamdemonstration, in der vergangenen Woche, an der 2000 Menschen beteiligt gewesen sein sollen, vorübergehen ließ, ohne die Demonstranten durch entsprechende Maßnahmen zu ‚politisieren und radikalisieren‘.

Also, wer politisieren und radikalisieren will, gehört vor ein Schwurgericht!

Aber, wie dem auch immer sei, Genner verstand es, die Vorwürfe der Anklageschrift eindeutig zu widerlegen und den Geschworenen klarzumachen, worum es ihm in jenem Flugblatt gegangen war.

Das einstimmige „Nein“ der Geschworenen zur Hauptanklage zeigt, daß diese Argumente überzeugt hatten. Genner wurde verurteilt, weil er durch „unwahre Behauptungen zum Haß und zur Verachtung gegen Polizeibeamte aufgewiegelt hatte“. Die von der Verteidigung beantragten Zeugen, die ausagen sollten, daß es im Twen-shop tatsächlich „Polizeiterror“ gegeben hat, wurden nicht zugelassen.

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