MOZ, Nummer 41
Mai
1989

Lassen Sie sich einsperren!

Ein monarchistischer Paragraph wird wiederbelebt, um dem Problem der Totalverweigerer, die sowohl den militärischen Wehr- als auch den zivilen Ersatzdienst boykottieren, Herr zu werden.

Zivildiener: billige Sozialarbeiter
Bild: Arge Zivildienst

„Gruppe für TV“ tut ein Anschlag in der Arge Zivildienst kund, „hat nichts zu tun mit Television“. TV steht für Totale Verweigerung, konkret für die Boykottierung sowohl von militärischem Wehr- als auch von zivilem Ersatzdienst. Die Zahl jener jungen Männer, die sich dazu entschließen, hat zwar noch keine zwei Dutzend erreicht, dennoch ist man im Innen- wie im Verteidigungsministerium unruhig.

Denn erstens ist — insbesondere seit der Zivildienstnovelle vom vergangenen Herbst — vermehrt mit totalem Boykott zu rechnen, und zweitens gehen die Totalverweigerer nun aufs Ganze. Sie verstehen ihre Kampagne als „Teilaspekt einer umfassenden Staatsdienstverweigerung“.

Die angesprochene Novellierung des Zivildienstgesetzes bringt vor allem eines: Zivildienststellen sind nur mehr Einrichtungen, die in einem mittelbaren Zusammenhang zur österreichischen Verteidigungsdoktrin, der Umfassenden Landesverteidigung, stehen. Neben der damit immer deutlicher werdenden — im Grunde aber schon seit der Schaffung des Zivildienstes so konzipierten — Unterordnung unter ein militärisches System bedeutet die Novelle für zahlreiche Einrichtungen, die bis dato Zivildiener beschäftigen konnten, eine Verschlechterung: Amnesty International, der Österreichische Informationsdienst für Entwicklungspolitik oder das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes könnten durch den Verlust der billigen Arbeitskraft „Zivildiener“ in ihrer organisatorischen Struktur schwer getroffen werden. Vermutlich als Übergangsregelung zur Beschwichtigung der Proteste können Landeshauptleute solchen — nicht direkt mit der Umfassenden Landesverteidigung verknüpften — Institutionen weiterhin eine Bewilligung erteilen.

Diese gesetzliche Einengung des Spielraums bringt einen Strategiewandel im antimilitaristischen Bereich mit sich: Nicht mehr den Zivildienst zu einem möglichen Friedensdienst umformen (wie dies in Oberösterreich auf Grund einer Regelung zwischem dem Landeshauptmann und der Katholischen Jugend als Ausnahmefall möglich ist), sondern ihn als das entlarven, was er ist — ein militärischer Ersatzdienst.

Die Fälle

Ein Blick auf die einzelnen „Fälle“ zeigt zweierlei. Einerseits sind die Verweigerer einer ständigen Prozedur von Einberufung-Verweigerung-Verurteilung-Einberufung usw. ausgesetzt, da in Österreich (im Gegensatz zu Holland oder der BRD) nach wie vor die Doppelbestrafung praktiziert wird. Helmut Hejtmanek etwa ist dieser Mühle schon seit acht, Christof Kurzmann seit fünf Jahren ausgesetzt. Die Folgen: nicht nur ständige Bedrohung, sondern, wie im Fall Kurzmann, auch kein Job und kein Geld. Denn obwohl er der Einberufung vom 1.7.1988 nicht Folge leistete, ist er seither, juristisch gesehen, Soldat. Damit hat er weder Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, noch kann er vom Arbeitsamt vermittelt werden.

Andererseits werden auf staatliches Betreiben durch Prozesse manche — bisher inhaltsleere — Paragraphen als Instrumente gegen Antimilitaristen nutzbar gemacht.

So etwa die Prozesse gegen Lukas Berger und Gregor Thaler, die nach Paragraph 54 des Wehrgesetzes angezeigt worden sind. Dort heißt es: „Wer sich listiger Umtriebe bedient, um sich oder einen anderen der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder teilweise zu entziehen“, ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen. Ein Paragraph, der den Wandel von der Donaumonarchie (Gesetz vom 11.4.1889: „Wer sich listiger Umtriebe bedient, um sich oder einen anderen der gesetzlichen Wehrpflicht zu entziehen, macht sich eines Vergehens schuldig“) über das „1000jährige Reich“ (Deutsches Reichsstrafgesetzbuch, 1938: „Wer mit dem Vorsatz, sich oder einen anderen der Erfüllung der Wehrpflicht ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen, auf Täuschung berechnete Mittel anwendet oder anwenden läßt, wird mit Gefängnis bestraft“) bis heute praktisch unverändert überstanden hat.

Listige Umtriebe

Welches waren nun die listigen Umtriebe, derer man sich bediente? Gregor Thaler war Bewohner der Hausgemeinschaft Ägidi/Spalowskigasse, die bekanntlich im August 1988 von der Polizei geräumt wurde. Seither war er — ordnungsgemäß — obdachlos gemeldet. Was die Ergänzungsabteilung des Militätkommandos Wien aber nicht abhielt, ihm, der über drei Jahre lang keine militärische Post bekommen hatte, just drei Monate nach Verlust des ordentlichen Wohnsitzes eine Aufforderung zur Musterung zuzusenden. Diese konnte natürlich nicht zugestellt werden — Gregor konnte der Aufforderung ebenso natürlich nicht nachkommen. Im März wurde er an der Grenze zur BRD festgenommen, in U-Haft gesteckt und dann bedingt verurteilt. Lukas Berger hatte mehr Glück. Nachdem er mehreren Ladungen zur Musterung nicht nachkam, versuchte die Polizei, ihn zwangsweise vorzuführen. Doch beim ersten Mal klopften die grünen Männer an einer falschen Tür — Lukas war an dieser Adresse nicht mehr gemeldet. Beim zweiten Versuch einer Zwangsvorführung befand er sich auf Urlaub — ein Umstand, der Richter Holzer für eine Verurteilung nicht listig genug war. Lukas wurde freigesprochen.

Dennoch meint Lukas, daß Freude nicht angebracht sei: „Sie sammeln Erfahrung.“ Die Urteilsbegründung, daß ein einmalig fehlgeschlagener Vorführversuch zu einer Verurteilung nicht ausreiche, ist nach Lukas Berger nur als eine Aufforderung an die Polizei zu verstehen, sich zukünftig häufiger an der „Suche“ zu beteiligen. Weiters ist besagter Paragraph geeignet, das Umfeld Einzelner, vor allem aber antimilitaristische Gruppen zu kriminalisieren. Insbesondere die Formulierung: „... sich oder einen anderen ...“ der Erfüllung der Wehrpflicht zu entziehen, könnte gegen eine Gruppe, die zur Verweigerung der Musterung aufruft, ebenso angewandt werden wie gegen Wohngemeinschaften etwa, die Leute, die an anderer Adresse gemeldet sind, bei sich nächtigen lassen.

Ähnliches passierte im Verfahren gegen Christian Flicker. Er hatte seinen Zivildienst nicht angetreten und wurde daraufhin angeklagt; allerdings, wie die schlaue Verteidigerin entdeckte, auf Grund eines falschen Paragraphen — also Freispruch. Die folgende Verurteilung zu 30 Tagen Arrest — wegen des Fernbleibens vom Dienst — durch ein magistratisches Bezirksamt der Gemeinde Wien wurde zwar mittels eines zutreffenden Paragraphen herbeigeführt; einer Beschwerde des Verurteilten beim Verfassungsgerichtshof mußte aber nachgegeben werden: Haftstrafen, die nicht von unabhängigen Gerichten, zu denen Bezirksämter nun nicht zählen, verhängt werden, sind wider die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die Reaktion: die beiden betreffenden Paragraphen wurden umgehend novelliert — ihrer Anwendbarkeit gegen Totalverweigerer steht nichts mehr im Wege.

Die etwas magere politische Unterstützung, die die Totalverweigerer erfahren (Jugendorganisationen setzen sich zwar immer wieder für einzelne Verweigerer ein, ohne aber die politische Argumentation zu unterstützen; die Grünen haben politische Solidarität zwar zugesagt, bis dato aber, beklagt man sich, hätten sie „kaum was getan“), ist in letzter Zeit aufgefettet worden. Amnesty International Österreich ist der Meinung, daß der Zivildienst seinen zivilen Charakter verloren hätte, womit die Voraussetzungen gegeben sind, Totalverweigerer als politische Häftlinge zu betrachten. Ob es allerdings zu Kampagnen zugunsten inhaftierter Verweigerer kommen wird, das entscheidet die Londoner Amnesty-Zentrale.

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