FORVM, No. 452-454
Juli
1991

Logische Nachfolger

IBM — Minoritenplatz — ÖVP

Anfrage aus dem Weltraum: „Wer ist Smiley?“ Der Wiener Korrespondent der planetarischen Nachrichtenverwertungsanstalt faxt zurück: „Volkspartei sucht Bundesparteiobmann.“ Frage der Planetarier: „Wird sie Smiley finden?“ Irdische Antwort: „Wählen muß sie einen, wegen der Blamage.“ Nochmals die Frage: „Wer ist Smiley?“ Antwort: „Eventuell eine Frau, falls Steirerhut und Frackhose zu den Dauerwellen passen.“ Ein letztes Mal: „Himmel, Arsch und Zwirn, wer ist Smiley?“ Fax aus Wien: „Headhunter in einem Land, in dem es mehr Kopfjäger als Köpfe gibt.“

Der planetarische Korrespondent faßt die volksparteiliche Lage vor dem Bundesparteitag zusammen: sie ist einfach, aber auch kompliziert. Es kandidiert der eine Kandidat, weil der andere von vorneherein gegen ihn kandidiert hat. Angenommen, der Minister Busek wird gewählt, so hat er Kandidatur und Wahl dem Personalberater Görg zu verdanken. Denn: Nur weil Görg sich mit Hilfe bekannter Persönlichkeiten in die Kandidatur hat „einsteigen“ lassen, um von vornherein einer Busekschen Kandidatur in die Quere zu kommen, ist Buseks Gegenkandidatur gegen den Quereinsteiger logisch zwingend geworden. In St. Pölten durchschaute man schnell die verzwickten Zusammenhänge. Landeshauptmann Ludwig korrigierte den öffentlichen Eindruck, die Niederösterreicher hätten etwas mit Görgs Auftritt zu tun. Eine Idee der Jungen ÖVP sei das gewesen, halt so ein Jungenstreich des Berufsjugendlichen namens Himmer („Bonzen quälen ...“).

Daß es wehtun wird, war schon aus dem gequälten Grinsen des Solonarschen Smiley zu erraten. Aus berufenem Munde fiel das Schreckenswort vom „russischen Roulette“, Selbstmord war nicht mehr auszuschließen. Der planetarische Korrespondent ist verwirrt. Er bringt den „Spitzenkandidaten“ in Verbindung mit den Spitzen, welche das Kandidatenherz durchbohren.

Nicht nur am Mars zerbricht man sich den Kopf über den „Riegler-Nachfolger“. Auch am Kamin der Industriellenvereinigung und in den innenpolitischen Redaktionen rauchen Köpfe. Das ganze Volk darf beim Ratespiel der Volkspartei dabei sein, ein energischer Schritt in Richtung auf ökosoziale Marktwirtschaft. Größeres wird hier eingefädelt als die schlichte Absicht, den „Vorrang der Gesamtpartei vor den Teilorganisationen“ zu etablieren.

Übrigens, die Platte von der Gesamtpartei läuft seit zwanzig Jahren, sie hat schon einige Kratzer, und außerdem ist anzunehmen, daß CV und der niederösterreichische ÖAAB die gesamte Gesamtpartei überleben werden. Es gibt freilich auch jüngere Ideen für die parteiliche Verjüngung. Experten bereiten wissenschaftlich ausgefeilte Psycho-Foltern vor. In einer Tageszeitung, die der einen oder anderen Teilorganisation nahe steht, stand der kühne Vorschlag, Kandidaten im „gruppendynamisch-psychodramatischen-Rollenspiel-Prüfungsverfahren“ auszusieben. (Jens Tschebull im »Kurier« vom 1. Juni). Wahnsinn! Den Korrespondenten vom Mars erinnert dieses „harte Auswahlverfahren“ an die Turbine im sowjetischen Sternenstädtchen, in der die österreichischen Kosmonauten probeweise geschleudert werden. Um potentielle Bewerber für den ÖVP-Sessel abzuschrecken, tat der »Kurier«-Kolumnist sein Äußerstes, wie man sieht. Andererseits empfahl er der Volkpartei einen „Konsul mit diktatorischen Vollmachten“, also den ganz starken Mann, der sich aber das Tschebullsche Prüfungsverfahren bestimmt nicht gefallen ließe!

Die Ratschlagenden haben es schwer mit ihren Schlagräten. Schwatzhafte Köche versalzen die Suppe, zitiert der Mann vom Mars eine marsianische Weisheit. Und dann fällt ihm, dem gebildeten Planetarier, noch „panem et circenses“ zum „videant consules“ im »Kurier« ein. Nicht zu Unrecht, denn mit antiker Gelassenheit stellt der Zeitungskolumnist fest: „Ob es einem paßt oder nicht: Wir leben in einer Telekratie“.

Der Korrespondent denkt sich sein Teil. Die Burschen hierzulande leben eigentlich in einer „Verbokratie“, faxt er zum Mars, sie lassen sich total von einem Schlagwort steuern, das für sie ein Kommandowort bedeutet, alle paar Jahre wieder von einem anderen. Derzeit hochaktuell ist gerade DRQURSTR, wie das Ding in der Faxersprache heißt, nämlich DER QUEREINSTEIGER. Auf dem Mars liest sich der Sachverhalt so: DRQURSTR ist das einzig Wahre für die ÖVP. Bernhard Görg ist DRQURSTR. Folglich ist DRQURSTR Görg für die ÖVP der einzig Wahre. Es sei denn, DQURSTN (= DIE QUEREINSTEIGERIN) taucht unvermutet auf.

Fesch müßte er sein, der harte Mann und Spitzenkandidat, unbelehrbar wie Lichal und sexy wie Smiley. Die Imponierwörter lauten: „Wirtschaft“ „Manager“, „Karriere“ ... Zugegeben, der „Quereinsteiger“ befindet sich auch sonstwo hoch im Kurs. In den USA beratschlagen die Medien über einen neuen Vize für den kränkelnden George Bush. Im Gespräch sind die Generäle Schwarzkopf und Powell, Feldherrn im Wüstenkrieg und parteipolitisch unbeleckt. Der Analogieschluß drängt sich auf. Ob Vize hüben, ob Vize drüben, nur DRQURSTR kommt in Frage.

Um eine „Werbekratie“ handelt es sich bei dieser seltsamen „Verbokratie“, notiert der planetarische Korrespondent in seinem privaten Dictionnaire de la langue autrichienne. Wer schon wäre in der Lage, für die sich entvölkernde Volkspartei Reklame zu machen? Benötigt wird eine markante Visage, die sich präpotent ins Fernsehen hängt. Nach Erfolg hat der Held unserer Tage auszusehen, wie eine tadellose Figur, mit der man sich bewundernd eins fühlen kann. Nicht so wie der Diplomat Mock, der doch nie im Leben Weltmann ist. Erst recht nicht wie der fromme Landmann Riegler, der den Nährvater Josef im Passionsspiel abgibt. Die Initialen IBM stehen dem modernen Alphatier auf die Stirn geschrieben. International Business Machines heißt das, und die katholische Erbtante ÖVP kokettiert damit, wie eine vollelektronische Business Machine anzutanzen.

Hohle Schäume, leere Träume! Dem Marsmenschen fällt der Name Josef Taus ein, der Banker, der Bundesparteiobmann wurde, eine Reform betrieb und heute die Parteikasse verwaltet ... Das Markenzeichen DRQURSTR war in der Ära Kreisky nicht im Umlauf. Kürzlich erst, kurz vor dem In-Erscheinung-Treten des IBM-Managers, heuerte bei der Wiener Volkspartei ein weiterer Quereinsteiger an. Der Anwalt Heinrich Wille („Der Wille zur Stadt“), geistiger Urheber jener EXPO-Volksabstimmung, welche ihm Geschäftskreise nie vergessen und nie verzeihen werden. Vom Berufspolitiker, den er ersetzen soll, unterscheidet sich der Quereinsteiger vor allem durch seine abgekürzte Lebensdauer. Wien ist nunmehr, nach Kärnten, das zweite Bundesland, wo die Kraft der Volkspartei bestenfalls so weit reicht, um „dritte Kraft“ zu spielen.

Noch so ein paar Unverbrauchte, und wir können uns begraben lassen: ein Memento Mori, das die volksparteiliche Wahlkommission Furcht und Zittern lehrte. Bewährtes, freilich auch Ungeliebtes, war urplötzlich wieder gefragt. Es trägt den vertrauten Namen Busek, obschon der liebe alte Erhard kein Smiley ist. Immerhin hat er die Anlage zum Vizekanzler.

In der Illusion, die ÖVP stehe als eine tragisch verkannte Kanzlerpartei in Reserve, liegt der fatale Irrtum, sinniert unser planetarischer Korrespondent. Er lächelt herablassend über die Fanatiker, die dem Glauben anhängen, 1986 sei die Gelegenheit verpaßt worden: eine Regierungsbildung Waldheim/Mock/Haider! Tatsache ist, daß künstlich erzeugte Spekulationen über eine kleine Koalition vier Jahre später die Sinkgeschwindigkeit der abgetakelten Fregatte enorm beschleunigten (hat nicht einst ein vormaliger Generalsekretär vom „Trockendock“ gesprochen?).

Ob und wie die „große bürgerliche Partei“ doch noch ein bisserl Mehrheit ergattern werde, das Gerede darüber wird auch dann noch weitergehen, wenn Julius Raabs Enkel bei der 25 Prozentmarke angelangt sind. Die Macht der Gewohnheit ist zäh, auch wenn sie aus der Nachkriegszeit stammt. Unterdessen vollzieht sich eisern — mit oder ohne Smiley — die Halbierung des „bürgerlichen Lagers“ ins einerseits Bläuliche und andererseits Schwärzliche. So hat es Bruno Kreisky gewollt und geplant; gegen ihn ist auch posthum die ÖVP machtlos. Vranitzkys „faires Angebot“, nach dem Wahlfiasko 1990 am Regierungsanteil der Volkspartei nichts zu ändern, kettet sie mehr denn je an den SPÖ-Kanzler, der de facto ihr eigentlicher Chef ist. Die Kontroversen um den „Spitzenkandidaten“ sind im Grunde eine Formalität. Ein blutiger Laie, also DRQURSTR, ist dafür gut genug, meint wenigstens Ex-Kriegsminister Lichal.

Ja, mein Gott, sind denn die anderen österreichischen Parteien besser? fragen sich Beobachter auf dem Mars, wo man es schade findet, daß Haiders wilder Haufen sich wie eine Boa Constrictor um den Hals einer im Staatstragen seit jeher bewährten politischen Kraft legt. Die skandalöse Glückssträhne des Oberblauen muß doch bald ein Ende haben, glauben die Marsianer. Dann allerdings fragen sie sich, was von einer „staatstragenden“ Partei zu halten ist, die sich bequem vom Staate tragen läßt. Nicht lange ist es her, daß an einen VP-Minister das Ansinnen gestellt wurde, offene Posten in seinem Ministerium an eine Teilorganisation zu melden, damit sie in Eigenregie die Stellen besetze.

Über Lichals Drakenkriege in der Steiermark sowie die „Überall ist Krieg“-Plakate im Sommer 1990 ist man auf fernen Planeten perplex. Lieber Himmel, das Imidsch ... An der Autobahn nach Budapest, die ursprünglich für die EXPO bestimmt war, baut der bürgerliche Handelsminister weiter. Außerdem — und leider — ist es populärer, Soldaten an die Grenze zu schicken als wirtschaftsbündisch nach Gastarbeitern aus dem Osten zu rufen.

Man gedenke des „Briefs nach Brüssel“. Wie hat sich Alois Mock, jetzt Ehrenvorsitzender, damit gebrüstet, daß er persönlich der Briefträger war. „Der Beitritt“, ein Wahlschlager? Nein, denn schon bei den Feilschereien um den EWR schlagen die westlichen Bundesländer nervös Alarm. Der SP-Kanzler pflegt die Kontakte mit Brüssel; Held des Nachtfahrverbots ist der SP-Verkehrminister. Hintennach zockelt eine Partei, die in den alpinen Landhäusern regiert. Auf dem Buckel der Volkspartei lastet ein schweres Bündel, ein Sack voller Widersprüche der österreichischen Gesellschaft, die ÖVP trägt ihn wie der biblische Esel und entlastet damit die Konkurrenz.

„Intensive Bemühungen sind im Gange ...“ Kommt der Wunderwuzzi der Volkpartei? Braucht sie ihn überhaupt? Gesünder ist es jedenfalls für ihn, wenn er zuhause bleibt. Smileys schmerzverzerrtes Grinsen läßt den Korrespondenten vom Mars ans Zahnziehen denken. Die Show-Werte schauen schlecht aus, überlegt der Planetarier, wie eine Trachtenmusikkapelle wirkt der Verein. Ländlich sittlich, ohne Pfiff! In der Schweiz würde das reichen, dem ausgeprägten österreichischen Sinn für Theatralik ist es zuwenig. Politisch rückt die Unterhaltung in den Vordergrund, gerade weil politische Konflikte eingeschläfert worden sind.

Der planetarische Korrespondent stellt einige praktische Hinweise für den Bundesparteitag der ÖVP zusammen. Elegantes Auftreten muß nicht sein, wie das Bonner Vorbild Helmut Kohl zeigt. Hochdeutsch freilich sollte der Leithammel reden können, flüssig wie die Fernsehsprecher — oder wie die Spitzenkandidaten von Rot, Blau, Grün. Das Übel liegt darin, daß die Volkspartei das Volk nur noch langweilt. Und langweilig wird eine Partei, wenn sie dem Volke gar zu ähnlich sieht.

P.S. des Planetarischen Korrespondenten

Alles ist klar seit dem 13. Juni. Der „Zwischenruf“ des Kärntner Landeshauptmanns im Landtag beseitigte die letzte Unsicherheit. Jörg Haider glaubt nicht mehr an die „bürgerliche Mehrheit“, den Görg’schen Slogan. Er erspart damit dem „Riegler-Nachfolger“ die peinliche Gewissensfrage nach einem schwarzblauen Kabinett. Jene „ordentliche Beschäftigungspolitik“, welche Haider dem Dritten Reich nachsagt, ist in der Zweiten Republik realisiert worden: In der Ära Kreisky! In der Dekade, als Jörgele unter einem sozialistischen Landeshauptmann seine atemberaubende Laufbahn begonnen hat. Nun träumt er sich in diese seine Jugendtage zurück, was er öffentlich natürlich nie zugeben wird. Über die Zukunft aber läßt er keinen Zweifel offen. Weil er selber in Kärnten keine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ zusammenbringt, sieht er für Österreich nur eine einzige Chance: eine sozialdemokratische Absolute!

Würdiges Schauspiel
aus: »Die Presse«, 15./16. Juni 1991, p. 6
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