FORVM, No. 456
Dezember
1991

Mitteleuropa in Großdeutschland

Günther Nenning in sonderbarer Gesellschaft
(„Haider ist kein Nazi, die FPÖ keine NSDAP“)

Günther Nenning muß man in dieser Zeitschrift nicht vorstellen. Das Pfund, mit dem er wuchert: er ist der Sprache mächtig, was im österreichischen Journalismus keineswegs — und heute weniger als zu Karl Kraus’ Zeiten — eine Selbstverständlichkeit ist. Kaum eine Zeitung oder Zeitschrift hierzulande, die auf Nennings ebenso subjektiv schnoddrige wie kuriose Kommentare verzichten möchte. Daß er vor längerem, wie erinnerlich, von seinem Intimfeind Bacher, mit dem man sich nicht gern gemein machen möchte, aus dem Österreichischen Rundfunk katapultiert wurde, erschwert jeglichen Angriff auf ihn. Nenning gilt aus unerfindlichen Gründen als Linker.

Wer ein Gedächtnis besitzt, weiß: es gibt kaum eine Ideologie — vom kämpferischen Katholizismus über den Sozialdemokratismus über den radikalen Sozialismus über den fundamentalen und den konservativen Ökologismus (wahrscheinlich sind hier ein paar Zwischenstationen vergessen, zumal die Entwicklung nicht immer geradlinig verlief und sich Perioden auch überschnitten) bis zum Feminismus —, die Nenning in den vergangenen dreißig Jahren ausgelassen, kaum eine Meinung, die er nicht schon vertreten hätte. Wer will, mag das als geistige Beweglichkeit werten. Die einzige Position, die in Nennings Kollektion bislang fehlte, war der Neofaschismus. Nunmehr ist die Lücke geschlossen, die Serie komplett. Ob Nenning damit an seinem Ziel angelangt ist, ob er wieder von vorne beginnt, wird die Zukunft zeigen. Erstmal hat er exemplarisch einen Weg vorgezeichnet, den allerdings auch andere schon gegangen oder zu gehen im Begriff sind: von mehr oder weniger links nach entschieden rechts.

Nachdem er sich mit zwei Büchern als Experte für den Nationalismus ausgewiesen hatte, stand Günther Nenning dem rechtsradikalen Arun-Verlag für ein Buch mit dem unmißverständlichen Titel „Gedanken zu Großdeutschland“ mit einem Gespräch zur Verfügung, Seite an Seite mit dem Ideologen der französischen Rechten Alain de Benoist. Zwar versichert Nenning, ein „alter Roter“ zu sein, um aber zu der kryptischen Aussage zu gelangen:

„Wenn mir jemand sagt, Nation ist gut und Sozialismus ist gut, wie gut muß erst Nationalsozialismus sein, so haue ich ihm erstens einmal sicherheitshalber gewaltlos eine in die Gosch’n, um klarzustellen, daß ich Antifaschist bin. Und als nächstes sage ich: wer Zwei mal zwei ist vier sagt, sagt was Richtiges.“ Und dann rät er, „sich einmal zu überlegen: Ist alles, was es auf der Rechten gibt, immer und auf jeden Fall schlecht? Oder sind auf der rechten Seite Begriffe aufbewahrt worden, die die Linke weggeworfen hat, und die auch die demokratische Mitte weggeworfen hat: Dinge wıe Nation, Heimat, Tradition, Geschichte, Wurzeln, Boden und alles das.“

Verwunderung bei der Nenning-Gemeinde? Wußte er, was er da redet? O-Ton Nenning: „Mir ist das wurscht, ob da jemand sagt, naja, du sagst da komische Dinge — genau deswegen sage ich sie ja, ein guter Diskurs muß ein gefährlicher Diskurs sein.“ — Gefährlich für wen? Ist Kreiskys vielzitierte Charakterisierung Nennings als „Wurstel“ nicht mittlerweile zur Schmeichelei geworden? Wo ist die Grenze zwischen einem unabhängigen, einem unkonventionellen Denker und einem gefährlichen Schwätzer? Über das eine oder andere, was Nenning da äußert, mag man ja noch diskutieren. Wo er es tut, entzieht sich nicht seiner Verantwortung. Aber auch für den Vorwurf, in falsche Gesellschaft zu kommen, hat Nenning bereits die Antwort parat:

„Ich betrachte mich in diesem Sinn als jenseits von Gut und Böse.“

Der Klartext, im günstigen Falle: Für das Vergnügen, gedruckt zu werden, nimmt meine grenzen- und skrupellose Eitelkeit jede Gesellschaft in Kauf. Im schlimmsten Falle: Ich fühle mich wohl in dieser Gesellschaft. Und so sieht sie aus, Nennings Gesellschaft. Gleich hinter seinem Beitrag verkündet Karl Richter, persönlicher Referent eines Ministers des Europaparlaments der „Republikaner“ und Chefredakteur der Parteizeitung:

„Die Vergangenheitstherapie ist am Ende. Die Zukunft hält andere Aufgaben bereit als das Herunterbeten der Alleinkriegsschuld. Angesichts des Tanzes auf der Mauer wird Auschwitz belanglos für die Gesamtseele der gesundenden Nation.“ Richter will „deutlich sein: Die Grenzen von 1990 werden dem psychischen Dammbruch, der sich abseits der Medienberichterstattung und der ‚Zwei plus vier‘-Diplomatie ereignet, nicht auf Dauer standhalten.“ Noch deutlicher: „Die Herausforderung einer künftigen deutschen Ostpolitik wird darin bestehen, den verlorenen Ostflügel des Reiches wiederherzustellen.“ Und all den eifrigen Apologeten eines künftigen Mitteleuropa ins Stammbuch — das deutschnationale Credo Richters: „Die Formel für die Neuordnung des Kontinents heißt ‚Mitteleuropa‘. Sie weist West- und Ostraum gleichermaßen den Rang zu, der ihnen von der Geographie und der ethnischen Gewichtung her zukommt: den der Peripherie.“

So haben sie es natürlich nicht gemeint, die Konrád, Kundera, Magris und ihre zahlreichen österreichischen Nachbeter, unter ihnen auch Nenning. Woher nehmen sie die Sicherheit, daß es nicht so interpretiert wird? Ein Blick auf die Weltkarte und in die Wirtschaftsstatistiken könnte da Aufklärung verschaffen.

Zu weit hergeholt? György Konráds Vorstellung einer „mitteleuropäischen Konföderation“ wird, zusammen mit Plänen des Hamburger Friedensforschungsinstituts, auch von Richter zitiert, der dann, um die letzten Zweifel an seiner aufrechten Gesinnung zu zerstreuen, benennt, wo diese nach seiner Meinung ihr — wohlgemerkt: positiv bewertetes — Vorbild haben: in einem „Papier aus dem Europa-Amt des SS-Hauptamtes“.

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