FORVM, No. 90
Juni
1961

Noch ist Polen nicht gewonnen (II)

Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen
voriger Teil: Noch ist Polen nicht gewonnen

Auf beiden Seiten gab es Bemühungen zur Milderung der Gegensätze. Aktivster Vertreter einer solchen Politik war der aus der Sozialdemokratie hervorgegangene Warschauer deutsche Gesandte Ulrich Rauscher, welcher Ende der Zwanzigerjahre zwei große Vertragswerke mit der damaligen polnischen Regierung zustandebrachte. Das eine war ein Abkommen zur Liquidierung aller aus dem ersten Weltkrieg übriggebliebenen Wirtschaftsfragen; es wurde von beiden Seiten ratifiziert und trat vor dem frühen Tode Rauschers (1930) in Kraft. Das andere war ein umfassender deutsch-polnischer Handelsvertrag, der einen langwierigen Zollkrieg zwischen den beiden Ländern beenden sollte. Dafür fand sich im Deutschen Reichstag keine Mehrheit. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß erst Adolf Hitler die Ratifizierung dieses Vertrages verfügte.

Pilsudski, beim Machtantritt Hitlers der maßgebende Mann in Warschau, sah die Gefahren voraus, die aus dessen Politik für Polen entstehen mußten. Er sondierte 1933 die Möglichkeit eines Präventivkrieges gegen das nationalsozialistische Deutschland in Paris und London, fand jedoch keine Gegenliebe. Daraufhin suchte er sich mit den neuen Berliner Machthabern durch einen Nichtangriffspakt zu arrangieren. Über einen solchen Pakt, wie er ihn kurz zuvor auch mit der Sowjetunion geschlossen hatte, wollte Pilsudski nicht hinausgehen. Daran hielten sich, als er 1935 gestorben war, auch seine Nachfolger. Ein Versuch Hitlers, Polen als Gefolgsstaat für einen Eroberungsfeldzug gegen die Sowjetunion zu gewinnen, scheiterte. Die Folge war der deutsch-polnische Krieg von 1939 und die anschließende Besetzung Polens durch das Dritte Reich.

Vernichtung und Vergeltung

Von den furchtbaren Begleiterscheinungen dieser Besetzung weiß die Welt heute so viel, daß es genügen mag, eine einzige schaurige Ziffer zu erwähnen. Nach einer amtlichen polnischen Berechnung sind in den Jahren von 1939 bis 1945 rund 6 Millionen von den etwa 32 Millionen Einwohnern Polens umgekommen. Nur etwa 10 Prozent davon sind laut dieser Aufstellung im offenen Kampf gefallen. Die übrigen starben in Gefängnissen, Konzentrationslagern und auf Hinrichtungsstätten aller Art. Diese furchtbare Bilanz steht heute im Hintergrund aller Versuche zur Neuordnung der Beziehungen zwischen den beiden Nationen.

Das Jahr 1945 brachte die Vergeltung für diese Schreckenstaten des Hitler-Reiches in Polen. Auf der Konferenz von Jalta hatten Churchill, Roosevelt und Stalin gemeinsam beschlossen, der polnische Staat müsse „wesentliche Erweiterungen seines Gebietes im Norden und Westen erhalten“. Allerdings sollte „die endgültige Ziehung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz ruhen“, — die bis heute nicht stattgefunden hat. Auf der Potsdamer Konferenz vom Juli und August 1945 wurde dann nochmals beschlossen: „Die drei Regierungshäupter bestätigen ihre Meinung, daß die endgültige Festlegung der westlichen Grenze Polens bis zur Friedensregelung warten sollte.“ Gleichzeitig wurde aber auch darin Übereinstimmung erzielt, daß die früheren deutschen Gebiete östlich einer Linie von der Ostsee bei Swinemünde und dann entlang der Oder und der westlichen Neiße bis zur tschechoslowakischen Grenze, mit Einschluß des nicht der Sowjetunion überlassenen Teiles von Ostpreußen und der früheren Freien Stadt Danzig, einstweilen unter Verwaltung des polnischen Staates gestellt werden sollten.

Diese Verlegung der vorläufigen polnischen Westgrenze tief in ein Gebiet hinein, das seit dem hohen Mittelalter deutsch gewesen war, wurde mit ganz verschiedenartigen Argumenten begründet. Die Polen, die den provisorischen Charakter der Regelung geflissentlich außer acht ließen und schon nach ziemlich kurzer Zeit die staatsrechtliche Einverleibung der von ihnen verwalteten Gebiete in ihr Land vollzogen, machten andere Gesichtspunkte geltend als die westlichen Sieger. Die Presse-Organe des Polnischen Befreiungskomitees, das sich während des Krieges in Moskau gebildet hatte, führten anfangs hauptsächlich militärische Rücksichten an. Die frühere Westgrenze Polens sei zu lang und schlecht zu verteidigen gewesen. Die Linie von Swinemünde nach Görlitz sei dagegen die denkbar kürzeste. Dieses Argument wurde nicht mehr wiederholt, seitdem die sowjetische Besatzungszone Deutschlands als der eigentliche Schutzwall gegen den Westen gelten mußte. Manche polnische Publizisten kamen mit historischen Begründungen und nahmen die Oder-Gebiete als altes Land der polnischen Piasten-Fürsten des Mittelalters in Anspruch. Daß Bezirke wie Ostpreußen, Ostpommern und das östliche Brandenburg auch in jenen entlegenen Zeiten nicht polnisch gewesen waren, sondern anderen — weder deutschen noch polnischen — Stämmen gehört hatten, wurde dabei nicht erwähnt.

Bevölkerungspolitische Erwägungen, die im Westen stärkere Beachtung fanden, lauteten dahingehend, daß in den neuen Provinzen Raum für die polnische Bevölkerung der im Osten an die Sowjetunion verlorenen Gebiete gefunden werden mußte. Damit konnte aber lediglich ein Teil der vorläufigen Neuerwerbungen begründet werden. Aus den früher polnischen Staatsgebieten östlich der Flüsse San und Bug, die nun der Sowjet-Ukraine, Sowjet-Weißrußland und Sowjet-Litauen zufielen, waren nämlich höchstens vier Millionen Polen als Umsiedler zu erwarten. Die Mehrheit der dortigen Einwohner bestand aus Angehörigen anderer, vornehmlich ostslawischer Nationalitäten, die dort auch verblieben. Tatsächlich erwies sich die Zahl der Neusiedler aus Ostpolen in den Oder-Gebieten später als noch geringer. Aus den ehemaligen preußischen Provinzen östlich von Oder und Neiße aber strömten rund acht Millionen Deutsche westwärts.

Einheitlicher und weniger gefühlsbetont als die polnischen Argumente für die neue Grenzziehung war die Argumentation der Sowjetpropaganda. Moskau ließ deutlich erkennen, daß es ihm nicht um Gerechtigkeit ging, sondern um das politische Ziel der Zurückdrängung zukünftiger deutscher Machtpolitik. Das östliche Preußen war die Heimat der einst in Berlin maßgebenden Junker; die geographische und soziale Basis dieser Herrenschichte sollte beseitigt werden.

Ein weiteres Motiv für Stalins Verschiebung der polnischen Grenzen weit nach dem Westen wurde freilich nicht ausgesprochen. Es lag offensichtlich in dem Wunsch, auf lange Zeit hinaus Polen und Deutschland in Gegensatz zu bringen und den neuen Polen-Staat dadurch zu zwingen, sich an den mächtigen östlichen Nachbarn anzulehnen. Dies ergibt sich schon aus der historischen Tatsache, daß zuvor auch die extremsten polnischen Nationalisten in ihren territorialen Ansprüchen nicht so weit gegangen waren wie Stalin bei seinen Verhandlungen mit den westlichen Alliierten zugunsten Polens.

Obwohl also nicht die polnische Politik sondern die Sowjetregierung die Grenzführung an Oder und Neiße betrieben hatte, war der Gewinn für Polen doch so groß, daß niemand in Warschau es verantworten konnte, diese Landzuteilung abzulehnen. Nicht nur die polnischen Kommunisten sprachen sich begeistert für die neue Westgrenze aus, sondern auch die Antikommunisten, einschließlich der katholischen Bischöfe, welche in der neuen Regelung nicht bloß eine Polonisierung sahen, sondern — infolge der Vertreibung der großteils evangelischen Deutschen — auch eine Rekatholisierung. Im Dom von Breslau, wo bis 1945 ein deutscher Kardinalerzbischof predigte, dankt heute eine monumentale Tafel mit Gebetsformeln Gott für die Zurückführung der Oder-Provinzen an Polen.

Selbst die polnische Emigration im Westen, die das kommunistisch geführte Regime in Warschau im übrigen ablehnt und bekämpft, stellt sich in der Grenzfrage an seine Seite. Offenbar glauben die polnischen Flüchtlinge, ohne eine solche Stellungnahme vor ihren Landsleuten in der Heimat nicht bestehen zu können. Wenn sie diese Haltung vor den westlichen Alliierten vertreten, bedienen sich die polnischen Exilpolitiker allerdings bisweilen anderer Argumente als die Kommunisten. Der begabte junge Historiker Brzezinski, Universitätsprofessor in New York, hat kürzlich den Amerikanern die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie empfohlen, weil damit eine größere Beweglichkeit der polnischen Politik innerhalb des Ostblocks zu erreichen wäre, während sich Warschau derzeit stets eng an Moskau anlehnen müsse.

Friedensgrenzen ohne Frieden

Fast so einheitlich wie die Polen die Oder-Neiße-Grenze akzeptieren, lehnen die Deutschen sie ab. Das gilt freilich nicht für die kommunistische Regierung in Ostberlin, die diese Linie als „Friedensgrenze“ feierlich angenommen hat — wie alles, was Moskau dekretiert. Die Legitimation Pankows zur Bestätigung der deutschen Ostgrenze wird jedoch außerhalb des kommunistischen Machtbereiches überall bezweifelt. Nicht einmal die Warschauer Regierung scheint diese Legitimation ganz ernst zu nehmen. Sonst würde sie wohl nicht so großen Wert darauf legen, daß auch die frei gewählten Autoritäten der Bundesrepublik Deutschland auf eine Revision der Oder-Neiße-Grenze verzichten.

In der Bundesrepublik, deren Einwohnerzahl reichlich dreimal so groß ist wie die der sowjetischen Besatzungszone, lehnt nicht bloß die Regierung die Oder-Neiße-Grenze ab. Auch die Oppositionsparteien nehmen dieselbe Haltung ein. Man hat das mit dem Einfluß der Vertriebenen-Verbände erklärt. Dieser Einfluß ist jedoch durch die zunehmende Assimilierung der jüngeren Generation der aus Schlesien und Ostpreußen wie aus Böhmen und Mähren stammenden Familien deutlich im Sinken. Er würde sich bei den meisten Parteien in der Grenzfrage kaum durchsetzen, wenn nicht andere Gründe für die Offenhaltung dieses politischen Problems vorlägen.

Diese Gründe hängen damit zusammen, daß die Siegermächte 1945 ausdrücklich die Lösung des Grenzproblems einer allgemeinen Friedensregelung vorbehalten haben. Nicht alle Motive, die damals die Westmächte zur Durchsetzung dieses Vorbehalts veranlaßten, sind heute noch von Gewicht, aber ihre entscheidenden Argumente haben an Bedeutung nicht verloren. Der amerikanische Außenminister Marshall hat diese Gründe auf der Moskauer Konferenz der alliierten Außenminister am 14. März 1947 zusammengefaßt. Er prophezeite, daß der Verlust der landwirtschaftlichen Anbaugebiete im Osten Deutschland zwingen würde, zur Bezahlung vermehrter Lebensmitteleinfuhr seine Industrialisierung auszudehnen und zu beschleunigen. Auch die Zuwanderung der Flüchtlinge würde in der gleichen Richtung wirken. Das fanden Marshall und sicherlich auch andere alliierte Politiker nicht erwünscht. Eben diese Wirkung ist aber in den seither abgelaufenen 14 Jahren bereits eingetreten und nicht mehr rückgängig zu machen. Marshall machte jedoch auch politisch-psychologische Erwägungen geltend, die seinen Wirklichkeitssinn bezeugen. Er sagte wörtlich:

Die Übergabe von Gebieten an Polen, die lange deutsch waren, wird notwendigerweise irredentistische Gefühle erzeugen. Unsere Aufgabe ist es, Polen eine Entschädigung zu verschaffen, die es verdient. Wir müssen aber gleichzeitig eine Gebietsregelung vermeiden, welche die demokratischen Kräfte Deutschlands in Mißkredit bringen könnte und kämpferischen nationalistischen Gruppen die Möglichkeit geben würde, eine weitere Generation der deutschen Jugend für sich zu gewinnen ... Wir sollten nicht die Hoffnung zerstören, daß in künftigen Jahren die polnisch-deutschen Beziehungen wirklich friedlich und vom Geist der Zusammenarbeit erfüllt sein würden.

Kann man erwarten, daß verantwortliche deutsche Politiker in ihrer Sorge um die Rückwirkung großer Gebietsverluste auf das deutsche Volk und auf die deutsche Jugend hinter diesen Einsichten geschichtskundiger Staatsmänner des Westens zurückbleiben? Keiner deutschen Generation wird es gleichgültig bleiben, daß die Heimat großer Denker (Kant, Schleiermacher, Schopenhauer), Dichter und Künstler sowie die Stätten, auf denen sich viele der schönsten Werke typisch deutscher Baukunst erheben, für immer russisch oder polnisch geworden sein sollen. Jeder vernünftige Deutsche hat anderseits begriffen, daß sein Volk den Polen eine Wiedergutmachung schuldet, die anders als in der Form von Landabtretungen nicht möglich ist.

Die Bereitschaft hiezu besteht im deutschen Volk. Sie entspringt einem ehrlichen und tiefen Willen zur Aussöhnung mit dem polnischen Nachbarn. Diesen Willen habe ich in hundert Diskussionen lebendig gefunden, die ich in den letzten Jahren mit jungen und alten Deutschen, mit Angehörigen aller Parteien, mit Vertriebenen und alteingesessenen Einwohnern geführt habe, von der österreichischen bis an die dänische Grenze. Aber es ist etwas anderes, sich eine solche Wiedergutmachung vom militärischen Sieger im Osten unter dem Gesichtspunkt der Moskauer Machtpolitik diktieren zu lassen oder sie aus eigenem freien Willen zu leisten.

Die Beschlüsse von Jalta und Potsdam machen es klar, daß eine rechtliche Änderung der deutschen Reichsgrenze von 1938 bisher nicht vorliegt. Gerade die Anhänger einer deutsch-polnischen Versöhnung meinen, sie sollte in Verhandlungen erfolgen, an denen auch deutsche Vertreter beteiligt sind. Als solche können nur Delegierte einer aus freien Wahlen hervorgegangenen deutschen Regierung gelten. Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, daß es auch den Polen etwas wert sein würde, wenn sie durch solche Verhandlungen eine dem deutschen Volk aufgezwungene Grenze in eine freiwillig vereinbarte und erst damit endgültige verwandeln könnten.

Um zu Verhandlungen zu gelangen und gar zu Verhandlungen über so schwierige Fragen, müßte zunächst der Vorhang des Mißtrauens gehoben werden, der nach den furchtbaren Ereignissen der Kriegsjahre und des Kriegsendes zwischen den beiden Völkern hängt. Man müßte zunächst einmal amtliche Beziehungen miteinander herstellen. Gänzlich fehlen solche Verbindungen nicht. Es gibt eine ständige polnische Handelsmission in Frankfurt a.M. und eine polnische Militär-Mission in Westberlin, allerdings keine deutschen Vertretungen in Polen. Es gibt einen ziemlich lebhaften deutsch-polnischen Handel, einen gewissen Reiseverkehr hinüber und herüber, Austausch von Zeitungsvertretern und auch von Repräsentanten des wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens. Diplomatische Beziehungen anzuknüpfen, scheint aber sehr schwierig zu sein.

Alliierter als die Alliierten

Für Polen suchte man nach einem Ausweg etwa dergestalt, daß dort nicht gleich ein deutscher Botschafter akkreditiert werden sollte, sondern zunächst nur eine Handelsvertretung mit einem diplomatischen Chef. Gomulka hat jedoch in mehreren Reden dieses Jahres klargestellt, daß ihm an einer derart graduellen Annäherung nicht gelegen ist. Er verlangte entweder den Austausch von Botschaftern oder den Verzicht auf jeden „halben“ Lösungsversuch. Gleichzeitig stellte er die Bedingung, daß bei der Anknüpfung diplomatischer Beziehungen sofort von westdeutscher Seite eine endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze in ihrer derzeitigen Form gegeben werden müßte. Die Annahme dieser Bedingung hätte bedeutet, daß Deutschland die von seinen heutigen westlichen Verbündeten bei Kriegsende zu seinen Gunsten gemachten Vorbehalte von sich aus als nichtig behandeln würde. Dafür hat sich keine einzige ernsthafte Stimme in der Bundesrepublik erhoben.

Die grundsätzlichen Motive dieser Haltung habe ich bereits dargelegt. Hinzu kam angesichts der Haltung Gomulkas der Eindruck, daß auf polnischer Seite gegenwärtig der gute Wille zu einem Ausgleich fehlt. Zeigte der Warschauer Parteiführer doch sein abgrundtiefes Mißtrauen gegen Deutschland, als er auch den Gedanken eines Nichtangriffspaktes zwischen Bonn und Warschau als einen Ausfluß deutscher Heimtücke behandelte. Man kann wohl der Meinung sein, daß dieser Gedanke psychologisch nicht gerade glücklich war, da man in Polen noch nicht vergessen konnte, daß der erste derartige Nichtangriffspakt einst von Hitler abgeschlossen und dann einseitig von einem Tag auf den andern gekündigt worden war. Aber Gomulka suchte dahinter diesmal ganz besonders abgefeimte Absichten, nämlich den absurden Plan, Polen zu neutralisieren, während die Bundesrepublik einen militärischen Angriff auf das Herrschaftsgebiet der deutschen Kommunisten unternehmen würde. Er fügte eine Solidaritätserklärung nicht nur für die „Deutsche Demokratische Republik“ bei, sondern auch für Chruschtschews Plan eines Friedensvertrages mit diesem deutschen Satellitenstaat samt einer Verschlechterung des Status der Stadt Berlin.

Polen bleibt im Ostblock

Die Identität der polnischen mit der sowjetischen Außenpolitik hat in dieser wie in anderen Fragen eigentlich nur solche Politiker des Westens enttäuschen können, die vorher in Illusionen lebten. Daß der innenpolitische Umschwung vom Oktober 1956 an den Beziehungen Warschaus zur nichtkommunistischen Welt nichts ändern konnte, wurde schon wenige Wochen später klar. Für die polnische Innenpolitik soll die Bedeutung der Oktober-Ereignisse nicht unterschätzt werden, obwohl auch auf diesem Feld viele Blütenträume schon verwelkt sind. Was jedoch die Außenpolitik betrifft, so hat Gomulka niemals daran gedacht, nach dem Beispiel seines ungarischen Parteifreundes Imre Nagy den Ostblock zu verlassen. Er war dazu schon deswegen nicht in der Lage, weil ohne den Rückhalt seiner kommunistischen Verbündeten sein Regime schwerlich fortdauern könnte. Der Westen kann dieser kommunistischen Regierung nichts bieten, was sie zur Auflösung ihrer Verbindung mit dem Osten verführen könnte, denn dieser Verbindung verdankt sie ihre Existenz.

Auch der Versuch zu einer Milderung des deutsch-polnischen Gegensatzes kann in absehbarer Zeit nicht als Mittel dienen, um Polens Treue zum Ostblock zu erschüttern. Die Zeiten, da die deutsche Politik die Möglichkeit hatte, Polen eine Alternative zu seiner Unterordnung unter Rußland zu bieten, sind ein für allemal vorbei. Deutsch-polnische Entspannung könnte freilich etwas ganz anderes bewirken, was den Machtpolitikern sehr bescheiden erscheinen mag, was aber die Bedeutung aller machtpolitischen Gesichtspunkte für Europa wesentlich reduzieren würde. Die deutsch-polnische Verständigung könnte den Völkern und den Regierungen — auch den kommunistischen Regierungen — ein Gefühl dafür verschaffen, daß nationale und territoriale Streitfragen sich im Zeitalter der Langstreckenraketen und der Weltraumfahrten recht altertümlich ausnehmen. Die deutsch-polnische Entspannung wäre auf diese Art ein Beitrag zur allgemeinen Entspannung zwischen West und Ost. Aber bis zu diesem Ziel ist der Weg wohl noch weit.

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