FORVM, No. 89
Mai
1961

Noch ist Polen nicht gewonnen

Zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen

In der gegenwärtigen Weltpolitik geht es der einen Seite um die Würde des Einzelmenschen im demokratischen Rechtsstaat, der anderen Seite um die Verwirklichung sozialer Heilslehren durch staatlichen Zwang. Doch nicht überall sind die Völker unter diesen Parolen in das eine oder andere Lager geführt worden. Die Einordnung Westdeutschlands in die demokratische Völkergemeinschaft bekam zumindest einen starken zusätzlichen Antrieb, als der amerikanische Außenminister Byrnes 1946 in einer Stuttgarter Rede klarstellte, daß die Vertreter seines Landes und Großbritanniens bei den interalliierten Verhandlungen zu Kriegsende die Regelung der künftigen deutschen Ostgrenze einem später abzuschließenden Friedensvertrag vorbehalten hätten. Nur die Sowjetunion — so ging daraus hervor — hatte zu erreichen versucht, daß die polnisch-deutsche Demarkationslinie an der Oder und Lausitzer Neiße als endgültige Grenze anerkannt werden sollte. Auf der anderen Seite war dies das kräftigste Argument für den Anschluß Polens an den Ostblock. Nachdem rund 184.000 Quadratkilometer früheren polnischen Staatsgebiets schon 1939 im Abkommen zwischen Ribbentrop und Molotow, sodann noch einmal 1944 der Sowjetunion zugeschlagen worden waren, konnte ein Ersatz hiefür nur in den rund 104.000 Quadratkilometern früheren preußischen (und Danziger) Staatsgebietes gefunden werden, welche die vormarschierende Rote Armee den Polen überlassen hatte. So befestigten nationale Gegensätze die Trennungslinie, die zwischen westlicher und östlicher Ordnung mitten durch Europa gezogen wurde.

Aus Brüdern ...

Seither stehen wir vor der Frage, ob zumindest diese nationalen Gegensätze gemildert werden können, um solcherart die verhärtete Kampflinie mitten durch den alten Erdteil beweglicher zu machen oder an dieser Stelle vielleicht gänzlich zum Verschwinden zu bringen. Der deutsch-polnische Gegensatz ist aber in den letzten Jahren nicht milder, sondern eher schärfer geworden. Es gibt diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Moskau, nicht jedoch zwischen Bonn und Warschau. Kein leitender Politiker im Kreise des Ostblocks ergeht sich in wilderen Anklagen gegen die angebliche deutsche Angriffslust als der polnische Parteichef Gomulka. Gegen keinen Kommunistenführer — nicht einmal gegen Chruschtschew oder Ulbricht — muß man sich von deutscher Seite häufiger zur Wehr setzen. Jenes alte polnische Sprichwort scheint sich nun zu bewahrheiten, das da behauptet, solange die Welt bestehe, würden Polen und Deutsche nicht zu Brüdern werden.

Jahrzehnte hindurch hat sich dieser Spruch nicht bestätigt. Das Gesetz, nach dem die beiden Nationen ihren Weg durch die Zeiten einst begonnen hatten, war hüben und drüben dasselbe. Im 9. Jahrhundert sind die Deutschen aus germanischen Stämmen zu einem Staatsvolk zusammengewachsen; im 10. Jahrhundert wurden die Polen — aus westslawischen Stammesgemeinschaften — zu einem für die Außenwelt wahrnehmbaren Staat. Zwischen deutschem und polnischem Gebiet siedelten damals kleinere slawische Völkerschaften, gegen die es gelegentlich gemeinsame deutsch-polnische Aktionen gab. Ebenso hielt man gegen die nördlichen Nachbarn an der Ostsee zusammen. Der gemeinsamen Abwehr gegen die später ausgerotteten Pruzzen verdankte der Deutsche Ritterorden seine Berufung ins polnische Grenzland; erst im Lauf der Jahrhunderte, als seine eigentliche Aufgabe — die Heidenbekämpfung — weggefallen war, wurde er zum wichtigsten deutschen Gegenspieler des polnischen Staates. Noch heute deutet die Warschauer Propaganda, aber auch die polnische Volksmeinung, jede Art von antipolnischer Politik in Deutschland als ein Wiedererwachen des Kreuzrittergeistes. Dabei wurde Polen nach seinem Zusammenschluß mit Litauen schon 1410 in der Schlacht von Tannenberg (endgültig ein halbes Jahrhundert später im zweiten Thorner Frieden) mit dem überlebten Ordensstaat fertig, welcher sich während der Reformationszeit in ein vom polnischen König abhängiges Lehens-Herzogtum verwandelte.

In diesen mittelalterlichen Jahrhunderten war für die Gesamtheit beider Völker der Nachbar kein Schreckbild. Hunderttausende von deutschen Siedlern, denen es daheim zu eng wurde, ließen sich von polnischen Fürsten und Grundherren nach Polen rufen, wie auch die im 14. Jahrhundert in Deutschland verfolgten Juden zu Tausenden ins östliche Nachbarland strömten, ohne dort ihre mittelhochdeutsche Sprache aufzugeben. Polnische Fürsten nahmen anderseits am deutschen Kulturleben teil. Der Breslauer Piastenherzog Heinrich II., dessen Grabdenkmal heute als das wertvollste künstlerische Zeugnis des polnischen Mittelalters in Schlesien gilt, war ein nicht unbedeutender deutscher Minnesänger, und die populärste polnische Heilige jener Zeit, Hedwig (Jadwiga), war ursprünglich eine bayrische Prinzessin.

... werden Feinde

Das wurde anders, als im östlichen Deutschland die Reformation siegte, während sie in Polen nach anfänglichen Erfolgen in eine katholische Gegenreformation umschlug. Viele Polen setzen seither polnisch mit katholisch gleich und deutsch mit lutherisch. Dabei gibt es immer noch Ausnahmen von dieser Regel, etwa im Teschener Schlesien, wo die meisten Polen evangelisch, die meisten Deutschen katholisch sind. Die polnische Geistlichkeit der römischen Kirche band ihre Sache stets an die der Nation, zumal in der Zeit der Teilungen des Landes; damals beteiligte sie sich an der Abwehr der ostkirchlichen Russen wie der evangelisch geführten Preußen. Zum konfessionellen Gegensatz kam in den letzten Jahrhunderten des alten polnischen Staates ein solcher der politischen Verfassung. Während Preußen (wie die anderen beiden Nachbar-Monarchien Österreich und Rußland) zu einem absolutistischen, nach rationalen Gesichtspunkten verwalteten Beamtenstaat wurde, blieb Polen nach dem Aussterben seines Erbkönigtums ein Land, in dem Magnaten und Kleinadelsverbände dominierten. In der Aufklärungszeit war es geradezu das Gegenbeispiel einer modernen Verwaltungsordnung, und es waren fortschrittlich gesinnte Deutsche, die damals das abschätzige Wort von der „polnischen Wirtschaft“ prägten.

Die politische Tradition aus der Verfallszeit des Deutschen Ritterordens ging auf die preußische Monarchie über, als das Kurfürstentum Brandenburg durch Erbgang mit dem Herzogtum Preußen vereinigt wurde. Bald darauf konnte der Große Kurfürst die polnische Lehensherrschaft über seine preußischen Landesteile abschütteln. Brandenburg-Preußen war seitdem der in mancher Hinsicht gefährlichste Nachbar Polens. Die Hohenzollern gaben zwar den Plan einer dynastischen Verbindung mit der polnischen Krone — woran sie im Wettbewerb mit den Ambitionen des Dresdner Hofes gedacht hatten — bald wieder auf. Dafür unterstützte Preußen, aus Furcht vor dem Vordringen der russischen Zarenmacht durch das Gebiet der verfallenden Adelsrepublik bis nach Mitteleuropa, die Pläne für eine Teilung Polens.

Die polnische öffentliche Meinung wandte sich begreiflicherweise gegen die Teilungen, welche schließlich zur völligen Auflösung des Staates führten. Man kann jedoch nicht sagen, daß man in Polen die Politik Friedrichs des Großen und seines Nachfolgers dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit zur Last legte. Jener Teil Polens, der bei den Teilungen unter österreichische Herrschaft kam, fand sich damit verhältnismäßig leicht ab, denn die Habsburger-Monarchie unternahm, abgesehen von einigen kurzen und wenig wirksamen Anläufen, keinen Versuch, ihre slawischen Untertanen zu entnationalisieren. Der österreichische Staat trug ja selbst einen übernationalen Charakter. Auch unter der preußischen Herrschaft befanden sich die Polen immer noch besser als unter der russischen. Gerade durch ihre Erweiterung nach Osten gewann auch die Hohenzollern-Monarchie gewisse übernationale Züge. Am Hofe Friedrichs des Großen hatte der bedeutendste polnische Rokoko-Dichter, der ermländische Fürstbischof Krasicki, eine Position wie kein Schriftsteller deutscher Sprache. Die polnische Fürstenfamilie Radziwill, mit den Bourbonen wie den Hohenzollern verschwägert, spielte am Berliner Hof des 19. Jahrhunderts eine Rolle, die selbst einem Bismarck Respekt gebot. Der deutsche Dichter Josef von Eichendorff freute sich, wenn er im Hause des Berliner konservativen Schriftstellers Adam Müller polnisch sprechen konnte. Das preußische Unterrichtsministerium interessierte sich anfangs wohlwollend für das polnische Schul- und Bildungswesen.

Erst als Preußen einen Teil seiner polnischen Beute in der napoleonischen Zeit verlor und als die deutschen Patrioten darangingen, Berlin mit der Führung Gesamtdeutschlands zu betrauen, erwuchsen die entscheidenden Hindernisse auf dem Wege der Hohenzollern-Monarchie zu einem deutsch-slawischen übernationalen Gebilde. Mit dem Durchbruch der nationalen Bewegung im Jahr 1848 bekam die preußische Politik allmählich antipolnische Züge.

In ihren Anfängen war die Bewegung für einen deutschen Nationalstaat allerdings noch frei von jeder antipolnischen Färbung. Die polnischen Erhebungen gegen die Politik der Teilung fanden bei den deutschen Patrioten tiefe Sympathie. Sie verwandelten die frühere Verachtung gegen den rückständigen polnischen Feudalismus in Bewunderung für die Helden der nationalen Revolution und ihre demokratischen Reformprogramme. Kosciuszko, der Feldherr des ersten polnischen Aufstandes gegen Russen und Preußen, wurde in Deutschland eine geradezu volkstümliche Gestalt. Der bedeutendste deutsche Schriftsteller unter den Augenzeugen jener polnischen Ereignisse, Seume, stellte diesen Polen über Cromwell, weil er der bessere Demokrat sei. Herder warnte öffentlich vor der Politik der Teilungen, denn dasselbe Schicksal, das die deutsche Politik einem Nachbarvolk zu bereiten helfe, könne einst auch dem deutschen Volk selbst drohen. Zur Zeit des großen polnischen Aufstandes von 1830/31 gab es in der deutschen Dichtung laute Teilnahme am Schicksal der unglücklichen Nachbarnation, und das dauerte bis 1848. Nicht nur süddeutsche und österreichische Lyriker wie Uhland, Platen und Lenau sangen damals ihre Polen-Lieder, sondern auch führende Schriftsteller aus Gebieten, die Polen benachbart waren, schlugen dieselben Töne an. Mein Großvater, der das Jahr 1848 in seiner schlesischen Heimat erlebte, sang mir — in meiner Knabenzeit — mit Begeisterung die Kosciuszko-Lieder seines Landsmannes Karl von Holtei vor. Der große deutsche Historiker Gregorovius, aus dem ostpreußisch-polnischen Grenzgebiet stammend, schrieb damals ein begeistertes Bekenntnis zur „Idee des Polentums“.

Preußens schlechtes Gewissen

Diese Stimmung drückte sich nicht nur literarisch aus. Der erste außenpolitische Plan der Berliner Revolutions-Regierung von 1848 galt einem westeuropäischen Bündnis zur Befreiung Polens vom russischen Joch. Auch den Polen unter preußischer Herrschaft wollte man damals entgegenkommen. Der Sendbote der Berliner Regierung nach dem unruhig gewordenen Posen, General von Willisen, verkündete, es käme nicht auf ein paar Quadratmeilen mehr oder weniger unter preußischer Herrschaft an, wenn man das ganze polnische Volk als Verbündeten für den Westen gewinnen könne. Die außenpolitischen Pläne jener Berliner Regierung scheiterten an ihrer Ablehnung durch Frankreich. Gegen die Verbrüderung mit den Polen innerhalb der preußischen Grenzen wandte sich sowohl die preußische Militär-Partei, die für Bestand und Sicherheit des Staatsgebiets fürchtete, wie auch der nationale Flügel der liberalen Bewegung, welcher die deutsche Sendung Preußens gefährdet sah. Mit dem Ende der Revolution von 1848 siegte das „alte System“ der europäischen Politik, das auf die Zusammenarbeit Preußens und Österreichs mit dem russischen Zaren eingestellt war.

Die polenfreundliche Tendenz in Deutschland wurde seither zu einer oppositionellen Unterströmung. Konfessionelle Sympathien blieben in katholischen Kreisen übrig, antirussische Affekte vor allem auf der äußersten Linken. Die polenfreundliche Haltung hielt sich jedoch auch bei den Gegnern Bismarcks auf der Rechten; diese Kreise kritisierten die prorussische Politik, weil sie vom Osten her seit der Zeit Peters des Großen eine nur durch den Krim-Krieg unterbrochene Bedrohung des ganzen Kontinents emporwachsen sahen. Als nach dem Sturze Bismarcks die Entfremdung zwischen Petersburg und Berlin begann, machten sich solche Befürchtungen auch am Hofe Wilhelms II. bemerkbar. Sie fanden ihren klarsten publizistischen Ausdruck in den außenpolitischen Betrachtungen des gemäßigt konservativen Historikers Hans Delbrück.

An solche Ideen knüpfte Reichskanzler von Bethmann-Hollweg an, als er während des ersten Weltkrieges den Versuch machte, die Polen als Verbündete Deutschlands gegen Rußland zu gewinnen. Das Ergebnis war eine gemeinsame Proklamation der Mittelmächte, in der die Wiedererrichtung eines polnischen Staates versprochen wurde. Als Keimzelle des neuen polnischen Staatswesens wurde ein Regentschaftsrat mit begrenzter Zuständigkeit berufen. Aktenforschungen der letzten Jahre (von Conze und Geiss) haben ans Licht gebracht, wie unentschieden und inkonsequent die reichsdeutschen Befürworter eines neuen Bündnisses mit den Polen blieben. Sie dachten nicht daran, die bei der Teilung an Preußen gefallenen Gebiete des alten Polenstaates freizugeben und wollten noch einen Streifen von Russisch-Polen zum deutschen Reichsgebiet schlagen. Die Heeresleitung Ludendorffs empfahl sogar, diesen Grenzstreifen durch Entfernung der dortigen polnischen und jüdischen Bevölkerung zu einer vorgeschobenen deutschen Siedlungs-Kolonie zu machen und nahm damit Maßnahmen der Hitlerzeit vorweg. Zu einer Verwirklichung dieser Vorschläge ist es damals allerdings nicht gekommen.

Die polnischen Kräfte, die im 19. Jahrhundert und bis in die Zeit des ersten Weltkriegs Anlehnung an Deutschland suchten, mußten durch solche Halbheiten auf deutscher Seite enttäuscht werden. Es hat dennoch an solchen Kräften nicht gefehlt, sowohl im Geistesleben wie in der Politik. Entschiedener als in Berlin wurden diese Polen in Wien ermutigt. Seit dem Ausgleich von 1867 mit Ungarn förderte Österreich das polnische Kulturleben in den Gebieten, die bei der Teilung an Wien gefallen waren. Der österreichische Statthalter in Galizien war seither fast immer ein Pole. Die Universitäten und Hochschulen von Krakau und Lemberg hatten Polnisch als Unterrichtssprache. Die antirussische unterirdische Freiheitsbewegung, an deren Spitze vor dem Weltkrieg der ehemalige Sozialist Pilsudski getreten war, wurde vom österreichischen Generalstab unterstützt. Das österreichische Programm für die Schaffung eines neuen polnischen Staates sah auch die Angliederung von Galizien an dieses Gemeinwesen vor, allerdings unter der Bedingung, daß an die Spitze des neuen Polen ein König aus dem Haus Habsburg treten sollte. Das alles fand in Berlin entschiedene Mißbilligung.

Revanche für die Teilung

Die einen wie die andern Pläne verloren mit dem Sieg der Alliierten ihre Bedeutung. Das neue Polen lehnte sich nicht an Deutschland, sondern an Frankreich an. Da alle drei Teilungsmächte im ersten Weltkrieg besiegt worden waren, konnte Polen seine Grenzen nach Osten bis weit in die überwiegend ukrainisch und weißrussisch besiedelten Gebiete ausdehnen und im Westen außer dem Gebiet, das im 18. Jahrhundert an Preußen und Österreich gefallen war, noch weitere Gebiete hinzugewinnen, so einen Teil Oberschlesiens, der seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr zum polnischen Staat gehört hatte.

Der Versailler Friedensvertrag und die anschließende Grenzziehung in Oberschlesien wurden in Deutschland als eine erfolgreiche Revanche Polens für die Zeit der Teilungen empfunden. Der Verlust des bisherigen preußischen Staatsgebietes in Posen, an der Weichselmündung und in Oberschlesien wurde nicht einmal als die schmerzlichste Seite der neuen territorialen Regelung empfunden. Noch problematischer schien die Trennung der Provinz Ostpreußen vom übrigen Deutschland durch diese Grenzführung und das unstabile Gebilde der Freien Stadt Danzig, welche zwar eine deutsche Selbstverwaltung behielt, aber in das polnische Zoll- und Eisenbahngebiet eingeordnet wurde. Am meisten jedoch wurde die deutsche Öffentlichkeit durch das Schicksal der deutschen Minderheit beunruhigt, die nach der neuen Grenzziehung im polnischen Staatsgebiet verblieb.

Man hatte in der Minderheitsfrage auf deutscher Seite kein gutes Gewissen, da den Polen im preußischen Staat zur Zeit Bismarcks und seines dritten Nachfolgers Bülow verschiedene Beschränkungen auferlegt worden waren. In der Praxis hatten die polnischen Selbsthilfe-Organisationen es damals allerdings verstanden, die gesetzliche und verwaltungsmäßige Diskriminierung zum Anlaß zu nehmen, um ihren Volksteil mit legalen Mitteln zu geschlossener Abwehr zu organisieren. Manche der ihnen zugedachten Nachteile verwandelten sich solcherart geradezu in Vorteile. Die Minderheitspolitik des neuen Polen gegenüber den Deutschen nahm sich ein Beispiel an den Praktiken des früheren preußischen Obrigkeitsstaates, fiel aber in manchen Einzelheiten noch schärfer aus. Hingegen war die Abwehr der deutschen Minderheit nicht ebenso wirksam wie die frühere Selbsthilfe der Polen, obwohl die Berliner Reichsregierung den Deutschen jenseits der polnischen Grenze zu Hilfe kam, nicht zuletzt durch immer neue Beschwerden vor dem Völkerbund. Viele Deutsche zogen es vor, aus Polen ins Deutsche Reich abzuwandern.

Alle diese Umstände hielten die Grenzfrage offen. Keine deutsche Partei war bereit, sich endgültig mit den Regelungen von 1919 und 1921 abzufinden. Auch als in den Locarno-Verträgen von 1925 eine gewaltsame Änderung der Grenze ausgeschlossen und für Streitfragen ein Schiedsverfahren festgelegt wurde, behielt man sich die friedliche Revision der territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages ausdrücklich vor. Als die polnische Regierung die mit einem solchen Vorbehalt versehenen LocarnoVerträge unterzeichnete, wurde sie sofort gestürzt. Die Haltung des Westens zu dem damaligen deutsch-polnischen Grenzstreit kann am besten durch eine Mahnung des französischen Sozialistenführerss Leon Blum an seine deutschen und polnischen Genossen charakterisiert werden. Er mahnte die Polen, sie sollten dafür sorgen, daß eine Grenzrevision weniger dringlich würde; die Deutschen aber sollten das ihre dazu tun, damit eine derartige Revision weniger gefährlich würde.

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