Heft 7-8/2001 — 1/2002
Februar
2002

Othmar Spann

Vom klerikalfaschistischen Ständestaat und seinen Kontinuitäten

Einer wollte den Führer führen. Nein: Einige wollten den Führer führen und wirkten so im Zeichen des Führers. Ob Heidegger, Rosenberg oder Spann, die Qualität ihrer Beiträ­ge bleibt in diesem Kontext sekundär, wenn auch im Sinne der üblichen Vorwegnahme bei Spann die Betonung auf der philosophischen Stupidität liegen kann. Ihm gelang jedoch die For­mierung eines Kreises, der mehr als sechzig Jahre nach seiner eigenen Entfernung von der Universität, der heutigen WU-Wien, das Gewäsch von Ganzheit wiederholt und daneben peinlich bemüht wirkt, keinen runden Geburtstag des Meisters oder seines ersten Schülers, manchmal auch des zweiten oder folgender, zu vergessen und zumeist mit einem Presseartikel, besser mit einem Jubiläumsband zu bedenken.

Othmar Spann inthronisierte sich in einem hierarchischen Ständemodell — an der Spitze — und war als Lehrer geistiges Zentrum der von ihm Erwählten. In seinem 1921 erstmals ver­öffentlichten Werk Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft ord­net er „Stände nach ihren geistigen Grundlagen“ [1] und ficht gegen Demokratie, Liberalismus und vor allem marxistischen Sozialismus. Ordnendes Prinzip sei: „daß jeder niedere Stand gei­stig vom jeweils höheren geführt wird (im Original gesperrt), nach dem geistigen Lebensge­setz aller Gemeinschaft und Gemeinschaftsverbindung ‚Unterordnung des Niedern unter das Höhere‘“ (Der wahre Staat, S.176). Seine zusammenfassende „Übersicht der Stände nach ihren geistigen Grundlagen“:
„1. die Handarbeiter (verankert im sinnlich-vitalen Leben); 2. die höheren Arbeiter, zer­fallend in Kunstwerker und darstellende Geistesarbeiter (verankert nicht mehr allein in dem sinnlich-vitalen, sondern auch in einem höheren geistigen Leben, in diesem aber nur, im we­sentlichen, teilnehmend); 3. die Wirtschaftsführer, die in wirtschaftlich-organisatorischer Hin­sicht selbständig, schöpferisch wirken, im übrigen aber mehr im Sinnlich-Vitalen oder höch­stens noch teilnehmend im Geistesleben verankert sind; 4. die Staatsführer, schöpferisch in sitt­lich-organisatorischer Hinsicht, im wesentlichen nur teilnehmend im höheren Geistesleben; ei­ne Sondergruppe der Staatsführer bilden die höheren selbständig wirkenden Krieger und Priester; 5. endlich die Weisen oder der schöpferisch höhere Lehrstand (im Original gesperrt), der nur uneigentlich ein Stand ist und dessen Schöpfungen zuerst ein vermittelnder geistiger Stand (5 a) weitergibt.“ (Ebd., S. 175)

Die Figur des Kreises

Auch er hatte zumindest einen Koch dabei — um „Vollstand“ also „handelnd“ (Ebd., S. 176) zu werden — diese sind durchaus zahlreich, er führt seine Schüler in Privatseminaren (Sonntag Vormittag bei sich zuhause) in die Grundlagen seiner Gesellschaftslehre ein. [2] Primus wird — mit überaus langem Atem in seinem Wirken — Walter Heinrich. Er promoviert 1925 bei Spann, wird 1927 sein Assistent, habilitiert sich 1928 und erhält 1933 an der Wiener Hochschule für Welt­handel einen Lehrstuhl für Nationalökonomie. Viele Jahre später zeichnet er in der Zeitschrift für Ganzheitsforschung ein Bild wunderbarer Harmonie dieser Lehrer-Schüler-Beziehung, ein Arbeitszusammenhang, der sehr auf politischen Einfluss zielte, hingegen in der Erinnerung je­weils von der konkreten historischen Situation abstrahiert und metaphysische Distanz bean­sprucht. Der Meister einer elitären Verbindung provoziert den Terminus „Genie“, Kritik wird folglich zu einer inadäquaten Form der Auseinandersetzung, lediglich Analogien zu genialen Personen auf anderen Gebieten (Mozart z.B.) erleichtern die Übersetzung jener „Größe“, die nunmehr in der Erzählung wirkt: [3] „Eine ... tiefer schürfende Erklärung für seine [Spanns] Wirksamkeit liegt sicherlich in der geschlossenen Einheit von Leben und Lehre, von Persön­lichkeit und geistigem Werk. Hier war das Eroshafte und das Logoshafte, freundschaftliche Nähe und Geisteskraft in seltener Einheit zusammengewachsen und haben vermöge dieser schöpferischen Verbindung einen Gründungsakt eingeleitet, der weiterwirkt. Vom ersten Gei­stesblitz der Gründung bis zur Entfaltung des Werkes ... der Wurzelgrund der Lehre wurde niemals verlassen. Dieser Wurzelgrund ... ist der Befund, daß Geist nur am anderen Geist werden kann, also gliedhaft; und die Erkenntnis: wo Glied, da Ganzheit. Damit ist eine neue Eroslehre begründet, eine neue Gemeinschaftslehre, eine neue Gesellschaftslehre.“

J. Hanns Pichler, ein später Apologet und heute Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftstheorie und -politik an der WU-Wien, übernimmt u.a. die Aufgabe, in gegebenen Ab­ständen auch an den Schüler zu erinnern, an Geburtstagen, später posthum [4] oder die Erin­nerung an Spann und Heinrich zu verbinden. [5] Daneben oder danach protegiert Spann Jakob Baxa, der Rechtswissenschaften studiert hatte; von Spann zum Dank für seine intensi­ve und wertvolle Auseinandersetzung mit der Romantik im Fach Gesellschaftslehre habili­tiert (Siegfried, S. 72). Wilhelm Andrae wechselt ebenso unter dem Einfluss Spanns von der klas­sischen Philologie, mit der er an der Berliner Universität nicht reüssieren konnte, zur Natio­nalökonomie; er erhält 1927 in Graz einen Lehrstuhl für Politische Ökonomie (Ebd.). Seine Übersetzung von Platons Staat, woran Spann gerne seine Überlegungen knüpft, wird hier als Habilitationsschrift anerkannt. Hans Riehl promoviert 1923 bei Spann, die Habilitation 1928 kann bereits bei seinem Freund Wilhelm Andrae in Graz erfolgen (Ebd., S. 73).

Ernst von Salomon, [6] selbst in jenem Kräftefeld aktiv, das in der Weimarer Republik von Kon­servativen Revolutionären gebildet wird (u.a. an der Ermordung von Außenminister Walter Rathenau am 24. Juni 1922 beteiligt und verurteilt), hielt sich auf Einladung Spanns in Wien auf und beschreibt in seinem Bestseller, Der Fragebogen [7] das alltägliche politische Verhalten der Spann-Schüler (Zit. nach Siegfried, S. 71): „Die ‚Spannianer‘ bildeten auf der Universität eine besondere Gruppe, die größte Gruppe von allen, und, wie ich wohl behaupten darf, auch die geistig lebendigste. In jeder Verschwörerenklave auf den Gängen, in den Hallen und vor den Toren waren Spannianer, mit dem Ziel einer kleinen Extraverschwörung, wie ich vermute, — die beiden Spannsöhne vermochten schon gar nicht anders durch die Universität zu schlendern, wo sie gar nichts zu suchen hatten, ohne ununterbrochen nach allen Seiten vertrauensvoll zu blinzeln. Jeder einzelne von den Spannschülern mußte das Bewußtsein haben, an etwas selber mitzuarbeiten, was mit seiner Wahrheit mächtig genug war, die Welt zu erfüllen, jedes Vaku­um auszugleichen, an einem System, so rund, so glatt, so kristallinisch in seinem inneren Auf­bau, daß jedermann hoffen durfte, in gar nicht allzulanger Zeit den fertigen Stein der Wei­sen in der Hand zu haben.“ [8]

Weiter oben im Text zeigt von Salomon Interesse an der Tätigkeit Adalbert und Rafael Spanns und legt ihnen die Worte in den Mund: „Schau, das verstehst du net — wir packeln halt“ (Zit. nach Siegfried, S. 238). Der Autor versucht in der nachgeordneten Darstellung die ideo­logischen Wendungen der Akteure zu analysieren, schwankt dabei von Gefasel über „jahrhundertelang[en] ... Verkehr mit fremden Völkerschaften und widerstrebenden Mächten“ — die k. u. k. Monarchie wieder einmal — und methodischen Aspekten des Verfahrens männerbündischer Dominanz: „Nichts schien so bedeutend, nichts aber auch so unbedeutend, daß es außer acht gelassen werden könnte.“ (Ebd.)

Die Protagonisten dieser Art Universalismus richten ihre Aktivitäten nach verschiedenen Polen, um in der zeitweiligen Konkurrenz von Nationalsozialismus, Faschismus und Stände­staat ebenso ein Netz zu bilden, wie in den Kontinuitäten der 2. Republik. Ein Blick auf die um­fangreiche Publikationsliste J. Hanns Pichlers, des nunmehrigen Vorstands der Gesellschaft für Ganzheitsforschung, dokumentiert eine der Traditionslinien. Sein Bemühen gilt den Klein- und Mittelbetrieben, dem Kleinbürgertum, eine mögliche ideologische Parallele zu Othmar Spann, und — entsprechend seiner Funktion — den Anwendungsgebieten des ganzheitlichen Denkens. [9] Dass er im gegebenen politischen Kräftefeld die Publikationsmöglichkeit im Organ der Freiheitlichen Akademie, Freiheit und Verantwortung wahrnimmt, verwundert kaum. [10] Gerne bespricht er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für Ganzheitsforschung Übersetzungen oder Neuauflagen der Schriften Julius Evolas, [11] jenes faschistischen Philosophen und Mystikers, der Mussolini von seiner Philosophie überzeugen wollte, die SS liebte und heute In­spiration vieler rechter Aktivistinnen ist. Evolas „Cavalcare la tigre“ (Den Tiger reiten) sieht Pich­ler „ungemein aufrüttelnd und zeitgemäß zugleich“, der beliebte Plot „Untergang des Abend­landes“ wird diesmal durch die „Auflösung im Bereich des Gemeinschaftslebens“ gegeben und Pichler konkretisiert, „von Staat und Parteien, einer weithin endemisch gewordenen Kri­se des Patriotismus, von Ehe und Familie bis hin zu den Beziehungen der Geschlechter untereinander“ (Zeitschrift für Ganzheitsforschung 4 (1999), S. 209). Denn, so die Diagnose Pichlers in einer Rezension des von Caspar von Schrenck-Notzing herausgegebenen Lexikon des Konservativismus (Zeitschrift für Ganzheitsforschung 2 (1998), S. 93), „in einer pluralistisch zerrissenen und ‚unkonservativen‘ Zeit“ dürfen dahingehend mutige Leistungen (das vorliegende Lexikon) nicht geschmälert werden — obgleich er die „notorische und offenbar nicht auszumerzendet[!] Fehlinterpretation“ der inneren Ordnung der Werke Spanns bedauert —, den Wirren der Zeit werden der ganzheitlichen „Geistestradition verpflichtete Autoren“ vor- und gegenübergestellt, allen voran immer wieder Spann.
Fragen der politischen Funktion, der Adressaten und Verbündeten der universalistischen Staatslehre werden insoweit unterschiedlich beantwortet, als AutorInnen wie Meyer, [12] Schnel­ler [13] oder Resele [14] einen Zusammenhang des ideologischen Konzepts Spanns und der sozialen Interessen der kleinbürgerlichen Mittelschicht betonen, während Siegfried darauf beharrt, dass sich dahingehend keine eindeutige Beziehung feststellen ließe, die konkreten Bünd­nispartner (Heimwehr, Stahlhelm) vielmehr Oberklassen repräsentierten (vgl. Siegfried, S. 14). Spann wirkt im Zeichen eines „dritten Weges“, ein Motiv, das im Kontext der Konser­vativen Revolution [15] an unterschiedlichen Positionen deutlich wird und später gerne von Ver­treterInnen einer vermeintlich „Neuen Rechten“ (Nouvelle Droite) [16] affirmiert wird. Das Ständestaatskonzept bietet in seinem Kampf gegen den Historischen Materialismus und die po­litische Organisation der Arbeiterinnenbewegung eine vorgeblich konsensuale Alternative, die als Wirtschaftsordnung „... jeden, Arbeiter wie Unternehmer, aus seiner Vereinzelung herausreißt und ihm jene Eingliederung in eine Ganzheit gewährt, welche Aufgehobenheit und Beruhigung bedeutet statt vernichtenden Wettbewerb, statt der hastigen Unruhe und Erregung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ (Der wahre Staat, S. 234). In Anlehnung an die Gesellschafts- und Staatslehre der politischen Romantik (Adam Müller) war Spann bemüht, soziale Antagonismen, Phänomene des Klassenkampfes in einem geistigen Gesamt­zusammenhang aufzulösen (Vgl. Siegfried, S. 32-34) und das Glück der Unterordnung, der freu­digen Hingabe an die subalterne Funktion im hierarchischen Gefüge in unglaublichen Va­riationen und Auflagen zu verbreiten.

In den Anfängen seiner akademischen Karriere, Spann habilitiert sich 1907 an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn, positioniert er sich in den nationalistischen Auseinander­setzungen der Germanisierungspolitik in der österreichischen Monarchie (zit. nach Siegfried, S. 43): „Der Begriff des passiven Mitgliedes ist theoretisch wichtig zur Beurteilung der Be­deutung der Rasse und praktisch für die Frage der Eindeutschung der slawischen Massen. Nehmen wir an, eine bestimmte nationale Gemeinschaft unterwerfe sich eine fremdrassige, minderbefähigte Nachbarnation, entnationalisiere sie und füge sie damit in ihre eigene Gemeinschaft ein. Wie wirkt dies auf den Körper der Nation? Wenn die neuen Mitglieder rassemäßig zur ak­tiven Teilnahme an der nationalen Kultur wenig befähigt sind, so können sie als passive Mit­glieder doch sehr wertvoll werden.“ (Othmar Spann: Kurzgefaßtes System der Gesellschafts­lehre, S. 203)

Derartige Tiraden bedingen nach dem Zusammenbruch der Monarchie die Notwendig­keit seiner Rückkehr nach Wien, wo er von 1919-1938 als Ordinarius für Gesellschafts- und Na­tionalökonomie an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien wirkt. Die kaum dreiwöchige Felderfahrung Spanns im 1. Weltkrieg, er wurde am 21. Au­gust 1914 in der Schlacht bei Kraspe verwundet, verhindert vorläufig die wichtige Dekoration durch eine militärische Auszeichnung (Siegfried, S. 48). Er beantragt daher selbst die Verlei­hung eines militärischen Ordens, u.a. da seine Vorgesetzten „teils verwundet, teils verschollen“ waren und so sein „Verhalten vor dem Feinde durch die Ungunst der Verhältnisse nicht an­erkannt wurde“ (Zit. nach Siegfried, S. 232, Fußnote 154). Sein Ansehen als Hochschullehrer und engagierter Nationalist sollte dadurch nicht geschmälert werden.

Heimwehrkontakte

Als nach dem Eingreifen der Polizei 86 Tote die Empörung der ArbeiterInnen — kumuliert im Brand des Justizpalastes — kennzeichnen, erzwingt die Heimwehr den Abbruch der sozi­aldemokratischen Kampfmaßnahmen und erfreut sich daraufhin der Zuwendung heterogener reaktionärer Kräfte, die Heimwehr wird (besonders bäuerliche) Massenbewegung (Siegfried, S. 81). In dieser zweiten Legislaturperiode der Regierung Seipel dominiert Spanns universa­listische Lehre die Wiener Universität, sein Kreis hatte sich kontinuierlich vergrößert, nun kommt es zu intensiven Kontakten zwischen dem Führer der Christlichsozialen Partei, der Heimwehr-Führung und Mitgliedern des Spann-Kreises. Im Sommer 1929 wird Walter Hein­rich Generalsekretär der Bundesführung des österreichischen Heimatschutzes, im Oktober übernimmt Hans Riehl die Leitung der Propagandaabteilung der Selbstschutzverbände (Sieg­fried, S. 84). Die Spannungen innerhalb der Heimwehren, unterschiedlicher Flügel, wie sie z.T. für die ÖVP charakteristisch sind, sollten durch ein Gelöbnis (Korneuburger Eid, 18. Mai 1930) beseitigt werden, dessen Text wesentlich von Walter Heinrich formuliert wurde. Der Ver­such der Beschwörung der Einheit misslingt, Aristokraten siegen über kleinbürgerliche Re­präsentanten der Heimwehren und beenden die Tätigkeit des Spann-Kreises in der Organisation (Siegfried, S. 100).

Versuche in Italien

Seit 1929 wenden sich Vertreter der universalistischen Lehre dem Faschismus zu, die italienische Regierung bedachte im übrigen die Heimwehren mit bedeutenden Geld- und Waffenliefe­rungen, den Mangel eines konkreten politischen Programms will Spann kompensieren (Zit. nach Siegfried, S. 102): „... Das Fehlen des Gedankens vor der Tat ist ein Widerspruch ... Zwi­schen der Szylla und Charybdis des Kommunismus und des Kapitalismus durch die kühne Tat eines einzigen Steuermannes hindurchzuschiffen, das konnte eben noch gelingen. Aber danach kann der Faschismus entweder auf das offene Meer der Abenteuer hinausfahren, wie Odysseus, oder er muß sich über Weg und Ziel aufs klarste bewußt werden, er muß eine theo­retische Grundlage (im Original gesperrt) erlangen ... Der politischen Tat, so dünkt uns, muß nunmehr die geistige Arbeit folgen. War das vergangene Dezennium der Gründung und dem ersten politischen Aufbau gewidmet, so muß das kommende Dezennium der Herausarbei­tung der geistigen Grundlagen und der theoretischen Vertiefung gehören. Nicht hoch genug kann u.E. diese Aufgabe angeschlagen werden. Denn die jahrhundertelange Arbeit der indi­vidualistischen und sozialistischen Theoretiker läßt sich nicht durch die politische Tat allein überwinden, es muß ihr ein tiefdurchdachtes und wohlausgebildetes Gedankengebäude auf al­len Gebieten des Lebens, insbesondere des Staates, des Rechtes, der Wirtschaft, der ganzen Ge­sellschaft entgegengestellt werden.“ (Othmar Spann: Instinkt und Bewußtsein, S. 11)

Bedeutende Differenzen, besonders in Fragen des organisatorischen Aufbaus der Interes­senvertretungen, trennen Spanns Konzeption von der faschistischen Syndikatsordnung, in der sich Unternehmer und Arbeiter getrennt gegenüberstehen. Das Ständemodell betont die Vorzüge gemeinsamer Zwangsverbände und die Vermittlerfunktion einer staatlichen Instanz, die selbst in der korporativen Phase des Faschismus durch die beherrschende Funktion mäch­tiger Monopolgruppen der italienischen Wirtschaft im Staat konträr beschrieben werden kann (Siegfried, S. 177ff). Zwar gibt es persönliche Kontakte zu führenden Funktionären des faschistischen Systems, doch die Wirkung der universalistischen Lehre bleibt gering.

Austrofaschismus

In Österreich war die Transformation der parlamentarischen Demokratie zu einem klerikal­faschistischen Ständestaat durch die Ausschaltung von Parlament und Verfassungsgerichts­hof gelungen. Spann verweist auf seine „organisch universalistische Gesellschafts- und Wirt­schaftslehre“ und betont deren Unvereinbarkeit mit demokratischen Formen der Repräsentation (Zit. nach Siegfried, S. 139): „Die Forderung einer ständischen Ordnung hat nur Sinn, wenn ein grundsätzlicher Bruch mit allem Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus erfolgt und auch in der praktischen Politik der Bruch mit Demokratie und Parteienstaat eingeleitet wird. Denn im organisch-ständischen Gedanken liegt, daß alle großen Lebenskreise der Gesellschaft zu arteigenen Gebilden mit arteigener (im Original gesperrt) Herrschergewalt (‚Sou­veränität‘) werden. Nicht nur die Wirtschaft würde zu einem Gesamtstande, welcher in ei­nem organisch aufgebauten System von Berufsständen (im Original gesperrt) sich selbst ver­waltet und diese Selbstverwaltungsangelegenheiten dem heutigen zentralistischen Parlamen­te und dem heutigen, omnipotenten Staat entzieht. Auch der Staat (beziehungsweise seine politische Führung), dessen Stärke eine Lebensfrage ist, wird dadurch ein Stand.“ (Othmar Spann: Die politisch-wirtschaftliche Schicksalsstunde der deutschen Katholiken. In: Schöne­re Zukunft 7 (1931/32), S. 567)

Spanns Ausführungen gelten der Ablehnung liberaldemokratischer Verfassungen, seine Ar­gumentation richtet sich gegen das zentrale Element der Forderung nach Gleichheit. Diese sei „die Herrschaft der Mittleren, Schlechteren, der den Schwächsten zu sich herauf, den Stärkeren her­abzieht. Sofern dabei durchgängig die große Menge die Höheren herabzieht und beherrscht, in der großen Menge jedoch abermals der Abschaum zur Herrschaft drängt, drängt Gleichheit zuletzt gar auf Herrschaft des Lumpenproletariats hin“ (Der wahre Staat, S. 44). In der weiteren Illustration der Modi des allgemeinen Wahlrechts muss das „politisch gänzlich unbelehrte länd­liche Dienstmädchen“ die männliche Qualität der „politisch wenigstens teilweise unterrichteten Staatsbürger“, Handwerker oder „gehobene Arbeiter“ zwangsläufig mindern, „die Stimme des akademisch Gebildeten, des politischen Führers, ...“ wird entwertet (ebd.).

Nationalsozialismus

1929 beginnt Spann Kontakte zu nationalsozialistischen Organisationen zu pflegen, er unter­stützt die von Alfred Rosenberg 1927 gegründete Nationalsozialistische Gesellschaft für deut­sche Kultur, deren Aufgabe die Begeisterung akademisch Gebildeter für die Bewegung sein soll (Siegfried, S. 153). Spann gilt in der Analyse der Arbeiterzeitung bereits 1925 als der intel­lektuelle Führer des Hakenkreuzlertums an der Wiener Universität, er tritt der NSDAP bei und erhält eine geheime, nicht nummerierte Mitgliedskarte (ebd.). Die Schulungsabende des Na­tionalsozialistischen Deutschen Studentenbundes finden in den Räumen seines Seminars statt, der Unterricht wird vom Spann-Schüler Franz Seuchter gestaltet (Siegfried, S. 153f.). In einem 1933 veröffentlichten Aufsatz bietet Spann nun dem Nationalsozialismus seine universalistische Gesellschaftslehre als ideologische Grundlage des notwendigen ständischen Aufbaus dar (Zit. nach Siegfried, S. 156f.): „Soll die politische Wendung, die sich im Reiche vollzog, eine grundsätzliche und nicht zum Zwischenspiel, ja zum grausen Wegbereiter des Bolschewis­mus werden, dann muß sie sich ihrer geistigen Grundlage deutlich bewußt sein. Sie heißt: Idealismus und Universalismus. Unter dem Drucke geschichtlicher Notwendigkeit kann der er­ste Ansturm, die erste Tat rein instinktiv erfolgen. Je mehr es zu bestimmten Aufgaben kommt, um so mehr muß der klare Gedanke die Tat bestimmen. Was nun folgen muß, ist eine Um­bildung des Staates und der Wirtschaft, eine Umbildung, wie sie der idealistische und uni­versalistische Gedanke verlangt — im ständischen Sinn.“ (Othmar Spann: Die politische Wen­dung ist da — was nun? In: Ständisches Leben 3 (1933), S. 67)

Sein Bemühen wird von Repräsentanten der Schwerindustrie, besonders Thyssen, honoriert, der die Idee die Vertretungen der ArbeiterInnen in die Industrieverbände einzugliedern reiz­voll findet und für die dahingehende Überzeugungsarbeit die Gründung eines Instituts für Ständewesen (in Düsseldorf) unterstützt. Die wissenschaftliche Leitung des am 23. Juni 1933 feierlich eröffneten Instituts übernimmt Walter Heinrich, weitere Vertreter des Spann-Kreises (Andrae, Riehl, Paul Karrenbrock) werden aktiv (Siegfried, S. 175f). Der wiederholte Ruf nach „ständischer Selbstverwaltung“ läuft den Interessen und Machtpositionen der Stahlindustriellen zuwider, Unterstützungen für die Zeitschrift Ständisches Leben werden 1935 ein­gestellt, eine Kontroverse mit der Führung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) führt 1936 zum Ende der Propagandatätigkeit des Spann-Kreises am Institut für Ständewesen (Siegfried, S. 186f. und 195). Spanns Ablehnung der NS-Rassentheorie trug neben seinen politischen Fehleinschätzungen zu den Disharmonien bei. Der Begriff der Nation wird in der universali­stischen Gesellschaftslehre kulturell definiert, eine „geistige Gemeinschaft“, die antisemiti­sche Diskriminierung ermöglicht, nicht erfordert (Siegfried, S. 201f). Ab 1935 werden die Antagonismen der beiden faschistischen Konzeptionen in zahlreichen Zeitungsbeiträgen offensiv ausgetragen, nach der Annexion Österreichs werden Othmar Spann, Rafael Spann und Wal­ter Heinrich verhaftet. Das daraus gebildete Konstrukt einer vorzeitigen Abkehr konservativer Kräfte vom Nationalsozialismus ohne jegliche Reflexion ihrer Funktion in der Phase der Kon­stituierung eröffnet rechten Parteien und Einzelpersonen die Verherrlichung bewunderter und geliebter Meister und in diesem Sinne die Relativierung des Nazisystems. Die Lehre von der Ganzheit diente der Zerschlagung demokratisch verfasster Gesellschaften, dass sie zum Dienst und nicht zur Herrschaft gelangte, liegt an den realen Kräfteverhältnissen und auch am dürftigen Angebot, das Zufriedenheit in Unterdrückungsverhältnissen fordert im Tausch gegen „Beruhigung“. Die perpetuierte Distribution des Modells liegt gleichsam am Puls der Zeit, ebenso wie ein Dollfußportrait im Parlamentsbüro Khols, Wirtschafts- und Arbeitsminister Bar­tenstein, die ÖVP Frauenpolitik und Schwester Herbert.

[1Spann, Othmar [19313]: Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft. Jena: Fischer, S. 175.

[2vgl., Siegfried, Klaus-Jörg [1974]: Universalismus und Faschismus. Das Gesellschaftsbild Othmar Spanns. Wien: Europa Verlag, S. 72.

[3zit. nach Pichler, J. H. (Hrsg.)[1988]: Othmar Spann oder die Welt als Ganzes. Wien/Köln/Graz: Böhlau, S. 26ff. Dieses Werk ist Wal­ter Heinrich posthum zugeeignet.

[4vgl., Pichler, J. H. [1992]: Betrachtungen zum Vaterunser. Im Gedenken des 90. Geburtstages von Walter Heinrich. Zeitschrift für Ganz­heitsforschung, 36. Jg., IV/1992.

[5zit. nach Pichler, J. H. (Hrsg.)[1988]: Othmar Spann oder die Welt als Ganzes. Wien/Köln/Graz: Böhlau, S. 26ff. Dieses Werk ist Wal­ter Heinrich posthum zugeeignet.

[7Roman in autobiographischer Form, in welchem er die 131 Fragen der Entnazifizierungsbehörden dokumentieren und ad absur­dum führen möchte. 1951 publiziert wurde das 800 Seiten Werk zum ersten Bestseller der BRD.

[8von Salomon, Ernst [1969]: Der Fragebogen. Reinbek bei Hamburg, S. 172.

[9vgl. Pichler, J. Hanns [1990]: Woran könnte der Osten sich halten? Ganzheitliche Staatsidee und Wirtschaftsordnung als ein Programm der Mitte. Wiss. Arbeitskreis, Institut für Gewerbeforschung, Wien (Vortrag), ders., [1993]: Ganzheitliches Verfahren in seinem uni­versalistisch überhöhenden Anspruch. In: Klein, H. D./Reikersdorfer, J. (Hrsg.): Philosophia perennis. Erich Heintel zum 80. Geburtstag, Teil 1, Frankfurt/Main, Berlin, Bern, New-York, Wien.

[10ders., [1999]: Europa und das Europäische. Auf der Suchen nach seiner ‚Begrifflichkeit‘ von der Antike bis zur Neuzeit. In: Berchthold, J./Simhandl, F. (Hrsg.) [1999]: Freiheit und Verantwortung. Europa an der Jahrtausendwende. Jahrbuch für politische Erneue­rung. Wien: Freiheitliche Akademie.

[12vgl. Meyer, Thomas [1997]: Stand und Klasse. Kontinuitätsgeschichte korporativer Staatskonzeptionen im deutschen Konservativismus. Opladen: Westdeutscher Verlag.

[13vgl. Schneller, Martin [1970]: Zwischen Romantik und Faschismus. Der Beitrag Othmar Spanns zum Konservativismus in der Wei­marer Republik. Stuttgart: Klett.

[14Resele, Gertraud [2001]: Othmar Spanns Ständestaatskonzeption und politisches Wirken. Wien (Diplomarbeit).

[15vgl. Fischer, Kurt R./Wimmer, Franz M. (Hrsg.) [1993]: Der geistige Anschluß. Philosophie und Politik an der Universität Wien 1930- 1950. Wien: WUV. Heiß, Gernot/Mattl, Siegfried/Meissl, Sebastian/Sauer, Edith, Stuhlpfarrer, Karl (Hrsg.Innen) [1989]: Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938-1945. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.

[16Einer der deutschsprachigen Epigonen ist der eifrige Rezensent der Zeitschrift für Ganzheitsforschung Gerd-Klaus Kaltenbrunner, der ebenso im rechtsextremen Criticon (hrsg. von Caspar von Schrenck-Notzing), Sieg oder Aula, Publikation der „Arbeitsgemeinschaft Frei­heitlicher Akademikerverbände Österreichs“ publiziert. Ein weiterer regelmäßiger Autor der Zeitschrift für Ganzheitsforschung ist der katholische Antisemit Friedrich Romig, früher Europa-Beauftragter Kurt Krenns (Vgl. http://www.doew.at/ Neues von ganz rechts — April 2000), der seine antidemokratische Überzeugung gerne hinter ökologischen Bedenken verbirgt (Vgl. Zeitschrift für Ganz­heitsforschung 2 (1997), S. 71-86).

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