FORVM, No. 473-477
Juli
1993

Politik, Krieg und Moral

In einem allerdings läßt Bosnien einen eher gespenstischen Rückschluß aufs Dritte Reich zu: Vermutlich hätte niemand Hitler Widerstand geleistet, wenn er sich darauf beschränkt hätte, Juden und Zigeuner auszurotten.

PM. Lingens »Standard« vom 16./17.1.1993

Moral = Kriegshetze

Die europäische Öffentlichkeit fordert ziemlich unisono, und ohne offiziell gleichgeschaltet worden zu sein, die Eskalation des Krieges im früheren Jugoslawien. Es sei ein Gebot der Humanität, die Schlächterei endlich durch einen Militäreinsatz zu beenden. Kein Kommentator hat offenbar ein Problem damit, in der Conclusio genau das zu fordern, was er in der Prämisse als verabscheuungswürdig verurteilt: das organisierte Töten. Die üblıche Darstellung wird mit dieser Identität von verurteilten bzw. geforderten militärischen Großtaten mühelos fertig. Die eine Seite, erfährt man, sei darin verbrecherisch, daß sie den Krieg führe, während die zur Intervention gebetene Seite humanitär wäre, indem sie auch den Krieg führe, aber um ihn zu beenden, und dadurch den Frieden herstelle. Da widerfährt dem vereinigten Serbien/Montenegro bzw. der bosnischen Serbenrepublik bitteres Unrecht. Ums Kriegführen pur, als Selbstzweck, geht es denen mitnichten. Die wollen den Krieg auf genau die Art und Weise beenden, die Europas Kommentatoren favorisieren: durch den Sieg, den eigenen natürlich. In diesem Sinn ist, um auch einmal die abgeschmackte Vokabel zu strapazieren, jede Truppe per se eine Friedenstruppe und jede Kriegshandlung eine friedensstiftende Maßnahme. Weil es im Krieg nun einmal darum geht, die Konditionen des Friedens zu diktieren, was nur dem Sieger gelingt.

Das lächerliche Moralisieren löst sich sehr schlicht, primitiv und ergreifend dahingehend auf, daß immer die „eigene“ Seite den guten Krieg führt, und die zum Feind erklärte den bösen. Der Rest ist Heuchelei, und eine allseits durchschaute noch dazu. Die Gesichtspunkte, die ein humanitäres Kriegführen nahelegen, sind verlogen, was man wieder einmal schon daran erkennt, daß dieselben Großmächte, die sich das Recht zum Krieg und die Pflicht zum Staatengründen auf dem Balkan zusprechen, es wieder einmal ablehnen, die vielbetränten Opfer der Barbarei als Flüchtlinge aufzunehmen. Wär’ doch human, oder? Wenn die Intervention kommen sollte, wird sie zwar im Namen der Opfer, aber weder ihretwegen noch für sie erfolgen. Die Prinzipien, die das Feindbild ergeben, zeichnen sich durch eine, wie so man sagt, erlesene Unglaubwürdigkeit aus:

Bosnien-Herzegowina ist ein Jugoslawien „im Kleinen“, erfährt man, aber dort sollte eigentlich nicht sein, was bei Jugoslawien „im Großen“ unbedingt sein mußte: die Spaltung durch das völkische Selbstbestimmungsrecht. Dort lebten die Völker nämlich, genau wie in Jugoslawien, vor der Spaltung, friedlich zusammen, also mögen sie doch zusammenbleiben.

Diese Diskrepanz versteht der brave Serbe einfach nicht. Serbische Sezessionisten in Bosnien imitieren den slowenisch-kroatischen Abspaltungsprozeß von Jugoslawien: sie wählen ein Parlament, erklären ihre Unabhängigkeit und versuchen, ein Gewaltmonopol zu errichten. Das ordentlich gewählte Parlament erhält vom Ausland das Prädikat „selbsternannt“ — weil eben nicht von den Großmächten akkreditiert. Das versteht der brave Serbe auch nicht.

Jugoslawien mußte zerschlagen werden und war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, heißt es, aber ausgerechnet die innerjugoslawischen Grenzziehungen sind unantastbar? Das versteht der brave Serbe erst recht nicht.

Kroatische Freischärler leisten in Bosnien exakt das, was „den Serben“ vorgeworfen wird: sie rufen die Teilrepublik aus, wählen Vertretungsorgane und vertreiben als unzuverlässig eingestufte Bewohner, Massaker inklusive; und zwar schon bevor die Vance-Owen-Landkarte die ethnischen Säuberungen angeheizt hat — ohne daß Kroatien mit einem Embargo und Kriegsdrohungen eingedeckt wird. Das versteht der brave Serbe schon wieder nicht. Und so weiter. Die serbische Bosnienpolitik orientiert sich nämlich geradezu penibel an Gesichtspunkten, die von den Großmächten im Zuge der Auflösung Jugoslawiens sukzessive gebilligt wurden — gilt aber als einziges Unrecht.

Bloß daß in Serbien politische Verschwörungstheorien groß in Mode sind, das versteht im restlichen Europa niemand.

Selbstbestimmung und Säuberung

Was die „ethnischen Säuberungen“ betrifft — das ist praktiziertes völkisches Selbstbestimmungsrecht. Wer meint, Jugoslawien mußte zerschlagen werden, weil „Vielvölkerstaaten“ heutzutage hoffnungslos „out“ sind, möge die Schnauze halten, wenn die Rede auf Mord und Vergewaltigung zwecks Vertreibung volksfremder Minderheiten kommt, die erst durch die Gründung der neuen Nationalstaaten zu solchen werden. Wer für das „Selbstbestimmungsrecht“ der jugoslawischen Völker eintritt, also für deren Recht auf völkisch homogene Staaten, möge zur Kenntnis nehmen, daß dergleichen ohne „ethnische Säuberungen“ mit den dafür passenden Methoden einfach nicht machbar ist: sonst gäbe es nämlich statt eines Vielvölkerstaates auf jugoslawischem Boden plötzlich drei bis vier von dieser Sorte und das, wo die doch hoffnungslos „out“ sind! Die anfallenden Scheußlichkeiten, die von einer mitdenkenden Presse zum Standpunkt aufbereitet werden, das Schlimme am Krieg sei nicht der Krieg an sich, sondern die Kriegsverbrechen — als sei ein Krieg ohne solche abzuwickeln, aber die Botschaft ist klar: Es lebe der saubere Interventionskrieg! —, ergeben sich alle aus dem spezifischen Kriegszweck. In Bosnien führen nicht so sehr fertige Staaten einen Krieg, vielmehr nehmen die Völker ihr Recht auf einen Staat in die Hand und kämpfen dessen Essential durch: Gewalt. Die Gewaltfreie muß geklärt werden, indem ein Territorium erobert bzw. behauptet wird und alle Gewalt bei einer Führung monopolisiert wird, also die praktische Unterwerfung aller durchgesetzt wird. Bei diesem schönen Anliegen treffen die bosnischen Kriegsparteien ständig auf Ansässige, für die sie absolut keine positive Verwendung haben, die als unbrauchbar für den neuen Untertanenstatus betrachtet und dann auch behandelt werden. Volksfremde gelten, und zwar höchst gleichgültig gegen ihren politischen Willen, als Angehörige = Agenten eines anderen Staatsvolkes, als lebendiger Anspruch einer anderen Nation auf ein Stück Boden, als Einspruch gegen die Staatsgründung. So werden sie behandelt: umgebracht bzw. vertrieben bzw. in Lager gesteckt.

Die versammelten Humanisten Europas, die den kämpfenden Parteien ausgeklügelte „Minderheitenrechte“ für unserbische und unkroatische Abweichler an’s Herz legen, haben bloß übersehen, daß dies ein etabliertes Gewaltmonopol voraussetzt. Bevor eine „Minderheit“ als solche traktiert wird, muß nämlich geklärt sein, wer wo das Staatsvolk ist, und wer geduldet, obwohl er zum verkehrten Volk zählt. Wo das geklärt ist, geht es wirklich vergleichsweise zivilisiert zu. Die slowenische Ausbürgerungspolitik und die adäquaten Veranstaltungen in Kroatien werden hierzulande ziemlich kommentarlos zur Kenntnis genommen.

Moral und Interesse

Im Moment erledigen die hiesigen Freiwilligen von der Meinungsfront an einer anderen Ecke Sondereinsätze. Gewisse Probleme und Zerwürfnisse, sogar richtiggehend häßliche Töne und Beschimpfungen ergeben sich aus dem Eifer, mit dem sich die Öffentlichkeit das Feindbild zu eigen macht, und aus dem Fehlen eines Propagandaministeriums, das klare Richtlinien vorgibt. Da wird man monatelang mit einer eintönigen Botschaft indoktriniert: die Werte, die wir in der Demokratie verehren, schreien nach Serbenblut. (Vielen Dank für die Klarstellung!) Und dann führen ihn diese Wappler nicht, den Krieg. Das gibt viel Stoff zum Grübeln. Wenn die Humanität den Krieg verlangt, wenn die westlichen Großmächte die Humanität gepachtet haben und den Krieg nicht führen, was ist da los?

Eine politisch korrekte Meinungsbildung vermeidet auf alle Fälle den Verdacht, das politisch erzeugte Feindbild zur Erbauung des Publikums durch Moralmärchen sowie die tatsächlich praktizierte Feindschaft seien womöglich zwei Paar Stiefel. Das Auseinanderfallen der Botschaft vom Menschenretten ausgerechnet durch Bombenteppiche einerseits — die dabei erzeugten Toten zählen nicht in dem Sinn, weil es die Richtigen für den guten Zweck erwischen soll — und der stattfindenden imperialistischen Außenpolitik andererseits liegt am Stellenwert der Moral in der Politik: das eine sind die (außen)politischen Interessen, das andere die Sprachregelungen, die wohlklingenden Titel, die darauf ausgelegt sind, Widerspruch und Kritik im Keim zu ersticken — wer will schon gegen das Gute einen Einwand vorbringen? Interesse und Moral sind nicht gleichberechtigte politische Anliegen, die einander vielleicht einmal widersprechen oder auch zusammenfallen, sondern das eine ist die Sache, um die es geht, das andere die Verpackung, mithilfe derer die Sache unwiderstehlich werden soll.

Bei Gelegenheit überkommen die Kommentatoren übrigens unvermutete Anwandlungen von Scharfsinn, zum Beispiel dann, wenn islamische Staaten dem Rest der Völkerfamilie das Angebot einer humanen Intervention zugunsten der bosnischen Moslems machen. Da braust kein Sturm der Begeisterung über Europa — endlich wird etwas getan! —, sondern alle wissen auf einmal, daß es um außenpolitischen Einfluß und zu stiftende Abhängigkeiten geht. Die Türkei und der Iran als Anwalt des Guten — nein danke. Die USA und die europäischen Großmächte — aber immer. Zumindest aus der Sicht amerikanischer und europäischer Medien. Und zwar dann erst recht, wenn sie „nichts tun“ — übrigens eine Verharmlosung.

Im Moment hat sich die These durchgesetzt, wonach die Moral, damit sie politisch-praktisch wird, ein handfestes Interesse als Treibsatz braucht, und in — angeblicher! — Ermangelung eines solchen verzögere sich eben der Sieg des Guten auf dem Balkan. („Kein Öl in Sarajevo!“) [*] Mit einer Kritik der üblichen Heuchelei, mit einer Zurückweisung der verlogenen Titel westlicher Balkanpolitik ist das nicht zu verwechseln — auch wenn ziemlich unverblümt ausgesprochen wird, daß die humanitären „Anliegen“ nie und nimmer die Außenpolitik bestimmen. Hier arbeitet sich der meinungsbildend tätige Verstand zum Selbstbewußtsein seines Gewerbes vor: Nur der eigenen Seite steht es zu, den schönen Schein als Schmuck in Anspruch zu nehmen, um den sich die Politik nicht dreht! Demokratische Öffentlichkeit, das ist Propaganda ohne Ministerium.

Das Ende Jugoslawiens

Die Spaltung Jugoslawiens haben Teilrepublikspolitiker noch aus eigenen Motiven in Angriff genommen. Der institutionalisierte Widerspruch der Staatskonstruktion, wonach mehrere Völker einen Staat bilden, obwohl sie doch als separate Völker mit verschiedenen nationalen „Identitäten“ „eigentlich“ Anspruch auf Nationalstaatlichkeit hätten, diesen Anspruch aber im Interesse eines relativ stärkeren Jugoslawien zurückstellen, das sich zwischen Ostund Westblock behaupten kann, wo völkische Kleinstaaten zum Spielball auswärtiger Interessen geworden wären — dieser Widerspruch hat sehr gut funktioniert, solange Jugoslawien ein ökonomisch erfolgreiches „Modell“ war und der Ost-West-Gegensatz keine Alternative zum Gesamtstaat zugelassen hat. Der Nationalismus der Teilvölker sollte durch die Übertragung substantieller Staatsfunktionen auf die Teilrepubliken und durch einen ausgetüftelten Nationalitätenproporz in den Bundesorganen (ersatz-) befriedigt werden. Auch der Staatsgründer Tito hatte also größten Respekt vor der „nationalen Identität“ des Individuums als seiner wesentlichsten „Eigenschaft“ und konnte sich eine Gesellschaft, die ein Slowenen- oder Kroatentum theoretisch als Nationalismus kritisiert und praktisch als höchst gleichgültige und völlig unmaßgebliche Angelegenheit ignoriert, nicht einmal im Traum vorstellen.

Es ist daran zu erinnern, daß der Sozialismus nicht nur jugoslawischer Provenienz schließlich nicht nur den Arbeiter, sondern mindestens ebenso die Nation „befreien“ wollte. Schon daran erkennt man, daß dieser Sozialismus eine sehr eigenartige Sache war, denn wenn es darum gegangen wäre, die gesellschaftliche Arbeit vernünftig im Interesse der Produzenten zu organisieren, ist nicht absehbar, inwiefern dabei sogenannte nationale „Eigenheiten“ eine Rolle hätten spielen sollen. Bewohner Kroatiens brauchen schließlich keine anderen Kühlschränke als solche aus der Herzegowina, und einer Fabrik sind die Mundarten sowohl der Arbeitenden als auch der Nutznießer der Produkte herzlich egal. Insofern reduzieren sich diese Momente in einem Sozialismus, der den Namen verdient, spätestens nach 40 Jahren auf sozioökonomisch irrelevante Hobbys bzw. Folklore.

Das jugoslawische „Modell“ war anders beschaffen. Durch die Einrichtung nationaler Teilrepubliken wurden erstens die Erträge der jugoslawischen Ökonomie von vornherein als Einkünfte des jeweiligen Teilstaates bilanziert, also nationale Sonderinteressen installiert. Zweitens wurde damit der jugoslawische Bundeshaushalt zu einem Gegenstand der Konkurrenz der Teilrepubliken, sowohl was die Ablieferung als auch den Rückfluß der Mittel betraf. Drittens wurde die Existenz der Jugoslawen in elementaren Fragen des Arbeitsplatzes und der Wohnung von den politischen Beschlüssen der Republiken abhängig. So wurde dem nationalistischen Irrtum, die Teilrepublik sei ein Mittel normaler Menschen, und beanspruche daher deren — später auch soldatische — Dienste zu recht, der Weg geebnet.

So war der Nationalismus der Vielvölker als Staatsgrundlage anerkannt, indem er gefördert wurde, um ihn für den Gesamtstaat zu funktionalisieren, und nur bezogen auf dieses Verhältnis von Republik zu Gesamtjugoslawien war „Nationalismus“ ein Vorwurf — gegen die Ansprüche der Provinzpolitiker. Die Bürger bekamen quasi eine Doppelstaatsbürgerschaft verpaßt, indem neben ihrer Existenz als Jugoslawen ihre zweite völkische Identität in Gestalt der Republiken institutionalisiert war. Stabil war dieses eigentümliche politische Gebilde, solange die Ökonomie, gemessen an den selbstdefinierten Vorgaben, erfolgreich war — und insofern sich Jugoslawien nach dem Krieg teilweise als Entwicklungsland verstanden hatte, war die Befriedigung über den jugoslawischen Weg zumindest zu Titos Lebzeiten nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Etwa mit dem Tod seines Gründers ist Jugoslawien — sehr symbolträchtig — in eine Dauerkrise geraten. Der Versuch, die Entwicklung unter Ausnutzung des östlichen und westlichen Interesses an einem neutralen Jugoslawien voranzutreiben, honoriert durch Abkommen mit dem damaligen RGW als auch mit der EG samt ausgiebiger Kreditierung, hatte in einer sehr einseitigen ökonomischen Abhängigkeit geendet. Die 80er Jahre waren der Abwicklung einer Dauerkrise gewidmet, um durch die Umstellung der Ökonomie auf Devisenerwirtschaftung zur Schuldenbedienung, durch Abwertungen, Sparprogramme unter IWF-Auflagen und durch marktwirtschaftliche Reformen wieder kreditwürdig zu werden. Das ursprüngliche Projekt, wonach die entwickelteren nördlichen Republiken einen Aufbau der südlichen Landesteile fördern, sodaß diese ihren Beitrag zur Stärkung Jugoslawiens leisten können, wurde verabschiedet. Zweifel an der Orientierung nach Norden, an der Abhängigkeit von der EG, an der Tauglichkeit der Schulden und der Reformen in Richtung Marktwirtschaft für ein „sozialistisches“ Jugoslawien kamen nicht auf. Dafür wirkte der verfassunsgsmäßig institutionalisierte Dauerstreit um die innerjugoslawische Verteilung des Schadens ziemlich zersetzend. Speziell die nördlichen, beim Verdienen der begehrten Devisen erfolgreicheren Teilrepubliken stellten den gesamtjugoslawischen Finanzausgleich in Frage und arbeiteten sich zu der „Einsicht“ vor, wonach nicht der Weg zu Marktwirtschaft, Weltmarkt und Verschuldung der Grund ihrer Misere sei, sondern die Konkurrenz der Republiken untereinander um die Lasten, die jede den anderen aufzuhalsen suchte, sowie die Bundesregierung mit ihren zunehmend machtlosen Vermittlungsdiensten. Vormalige Kommunisten mutierten derart rasant zu wahrhaft nationalen Führern, daß der Eindruck entstand, sie hätten Nationalismus und Kommunismus immer schon verwechselt.

Über den Erfolgen der Perestroika und dem Ende des Kalten Krieges war die außenpolitische Lage entscheidend verändert worden, zwischen den Blöcken wollte und konnte sich ein jugoslawischer Bund nicht mehr behaupten: Die nationale Souveränität wurde in Slowenien und Kroatien als das Mittel begriffen, sich der lästigen Brudervölker zu entledigen, die Bevormundung der Zentralregierung abzuschütteln und selbstbestimmt den Aufbruch zum begehrten Status von Satellitenstaaten der EG in deren Balkan-Hinterhof anzutreten.

Die Politik der Großmächte

Den europäischen Mächten und den USA war der slowenisch/kroatische Separatismus kurze Zeit höchst gleichgültig. Im leisen Unterschied zu Österreich, das von Anfang auf Spaltung gesetzt hatte, die Provinzpolitiker ermunterte und in die europäischen Metropolen weitervermittelte — mit der Perspektive zweier Kleinstaaten hinter der Südgrenze, die von Österreich etwa so innig abhängig sind wie Österreich von Deutschland —, war man mit Jugoslawien woanders sturzzufrieden. Das Land war ökonomisch fest im Griff der EG bzw. „internationaler Organisationen“ wie des IWF, die strategische Bedeutung war nach dem Ende des Warschauer Paktes erheblich reduziert, und sein politisches Gewicht nach dem Versinken der Bewegung der Blockfreien in der Bedeutungslosigkeit ebenfalls. Spätestens als sich die Spaltung abzeichnete, als slowenische und kroatische Politiker die Unabhängigkeitserklärung ankündigten und die Belgrader Bundesregierung bzw. Serbien Einsprüche geltend machten, war zumindest in Deutschland mit seiner durch den Anschluß der DDR gewachsenen „Verantwortung“ klar, daß es sich beim „Selbstbestimmungsrecht“ der jugoslawischen Völker um eine Sache handelt, die der Betreuung, Aufsicht und Kontrolle bedarf — kurz: ein Fall für einen „neuen Weltordner“. Es erging der Imperativ an die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen und an die Belgrader Zentrale, ihre Händel „friedlich“ auszutragen, d.h. unter Wahrung politisch stabiler Verhältnisse; sie sollten trotz einer allfälligen Neuordnung so berechenbar und nützlich bleiben wie das bisherige Jugoslawien. (Die tschecho-slowakische Politik versucht, das zu beherzigen.) Als die USA noch den Versuch machten, ihr eher konservatives, beharrendes Interesse an einem stabilen Jugoslawien — immerhin ein gewichtiger Teil der von den Siegern des letzten Weltkriegs etablierten Weltordnung! — geltend zu machen, indem sie durch in Aussicht gestellte Kredite das Gewicht der Belgrader Bundesregierung ein wenig aufbesserten, hat sich woanders über dem relativen Erfolg der Sezessionisten in Nordjugoslawien die Überzeugung gefestigt, daß auf dem Balkan die Zertrümmerung der politischen Ordnung und die Neuaufteilung der Gegend unter eigener maßgeblicher Beteiligung ansteht.

Die USA haben sich relativ schnell damit abgefunden, daß ihre Staatskreation am Ende war, und das Feld zwischenzeitlich den weltpolitisch aufstrebenden „Europäern“ unter deutscher Führung überlassen, aus deren Sicht allein schon die Tatsache, daß Jugoslawien das Geschöpf der alten Supermächte war und nicht ihr eigenes, das Land ganz schön alt hat aussehen lassen. Deutschland hat in einem ziemlichen Alleingang die diplomatische Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durchgezogen und die europäischen Partner genötigt, sich dem anzuschließen. In Form eines Kriterienkatalogs der EG, dem die staatlichen Neugründungen entsprechen müßten, um sich die Anerkennung — also den Beschluß, diese neuen Staaten nützlich zu finden und deswegen zu unterstützen — zu verdienen. So haben die Euro-Großmächte sich dafür zuständig erklärt, über die Existenzberechtigung kompletter Staaten und die korrekten Grenzen zwischen ihnen zu entscheiden.

Der erste Teil der neuen Regionalordnung — die Zerstörung der alten, des Staates Jugoslawien — ist dabei von den Parteien vor Ort zufriedenstellend erledigt worden, und vor allem die deutsche Politik steht nach wie vor auf dem sehr anspruchsvollen Standpunkt, auch die Dreckarbeit der Neuordnung — das Durchkämpfen funktionierender Gewaltmonopole auf den von der EG zugeteilten Territorien — hätten die Interessenten dort unten zu erledigen, und zwar vollständig im Sinne der Aufsichtsbehörden.

Das allerdings läuft nicht nach den Vorstellungen der europäischen Großmächte, denn durch ihre Stellung zum EG-Plan für die Aufteilung Jugoslawiens haben sich die Nachfolgestaaten deutlich unterschieden. Slowenien und Kroatien hatten von Beginn an auf ein auswärtiges, europäisches Interesse an der Spaltung Jugoslawiens und einer Kleinstaaterei wie in alten Zeiten gesetzt und dieses Interesse als das entscheidende Mittel ihrer Souveränität zu nutzen versucht. So war die Anerkennung dieser Staaten denn auch nicht die europäische nachträgliche Zustimmung zur gelaufenen Staatsgründung, sondern der maßgebliche Hebel der Staatsgründung selber — mit ihr wurden diese Staaten erst so recht „lebensfähig“. Deswegen wurde der EG-Teilungsplan — Verwandlung der innerjugoslawischen Grenzen in reguläre Staatsgrenzen, korrekte Interpretation des slowenisch/kroatischen Selbstbestimmungsrechts durch die Einführung von Demokratie und Marktwirtschaft — akzeptiert. Von Slowenien problemlos, weil ohnehin deckungsgleich mit dem eigenen Anspruch, von Kroatien mit dem unausgewiesenen Vorbehalt, die Landnahme in Bosnien-Herzegowina bei Gelegenheit voranzutreiben.

Einspruch gegen den EG-Plan kam aus Belgrad. Dort war man der Meinung, aus eigenem Recht, also im Vertrauen auf den übernommenen größten Teil der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee, bei der Aufteilung Jugoslawiens mitreden zu dürfen. Belgrad wollte sich dem EG-Diktat nicht einfach unterwerfen, sondern mitbestimmen; will noch zuständig sein in der Frage, welche Staaten es auf dem Balkan geben darf und wo die Grenzen verlaufen, will damit Entscheidungen treffen, die nach Meinung der EG-Mächte allein den EG-Mächten zukommen. Darin, und nur darin, besteht aus Sicht der EG-Diplomatie das Verbrechen „der Serben“.

Durch den Einspruch gegen die von der EG verordneten Grenzziehungen bzw. durch die Anwendung militärischer Gewalt — ein Mittel, das nach Meinung der Großmächte ebenfalls nur ihnen bzw. von ihnen ermächtigten Regierungen zusteht — hat sich Serbien den Schuldspruch zugezogen. Teilweise erfolgreich war der Einspruch insofern, als Teile Kroatiens und später auch von Bosnien-Herzegowina durch Anhänger einer serbischen Wiedervereinigung besetzt wurden. Vor allem aber sind die führenden EG-Staaten auf den Widerspruch ihres Antretens als neue Weltordner gestoßen worden, an dem seither ihre kritische Öffentlichkeit so entsetzlich leidet: Die selbsternannten Staatsgründer und Grenzzieher mußten entdecken, daß ihr Anspruch auf Hegemonie genau so viel wert ist, wie die Gewalt hergibt, die ihn durchsetzt. Die USA hatten das am Fall Irak vs. Kuwait eindrucksvoll durchexerziert und „Europa“ hatte keine Hemmungen, sich daran zu messen — und insofern sogar ein wenig zu blamieren. Die Europäische Politische Union ist als Projekt auf der Tagesordnung, existiert aber noch nicht, und erst recht existiert kein europäisches Militär. Damit kalkulieren die Souveräne nach wie vor ziemlich national, und das spielt eine gewichtige Rolle, wenn die öffentlich herbeigewünschte Eskalation des Krieges nicht und nicht in Schwung kommt. Deutschland besteht nach wie vor darauf, die Neuordnung des Balkan durchzuziehen, ohne sie selber durchkämpfen zu müssen, und schon deswegen denken England und Frankreich nicht daran, die für die radikale Bereinigung der Lage nötige Kampfkraft zu stellen, wenn der Balkan dann doch der gesamten EG gehört. Es sei denn, es gelänge ihnen, sich dadurch innerhalb Europas entscheidend durchzusetzen, wie das Deutschland in der Frage der Anerkennung vorgemacht hat.

Dennoch tut sich auch „unterhalb“ des Einsatzes der Waffen einiges. Einmal als EG und zusätzlich auch noch als UNO (= EG plus USA plus Rußland) sind die Großmächte schwer beschäftigt. Mit der Lage und vor allem miteinander.

Elemente demokratischer Friedenspolitik

  • Die vielgeschmähten „Friedensverhandlungen“ sind allein durch ihr Stattfinden ein Dauertest auf den serbischen Willen und die serbische Fügsamkeit. Durch die Teilnahme bekundet Belgrad seine Zustimmung zum Anspruch der EG auf Aufsicht und Zuständigkeit. Belgrad anerkennt also ausdrücklich die selbsternannten Weltordner — im Prinzip. Bloß der speziell ergangene Richterspruch wird zurückgewiesen; man will in Belgrad wirklich nur auf Kosten Kroatiens und Bosniens expandieren und ansonsten ebenso nach „Europa“ wie die anderen, wenn möglich.
  • UN-Truppen halten die serbisch gehaltenen Gebiete in Kroatien in der Schwebe. Weder wird die Gegend Belgrad einfach zugesprochen, noch an Kroatien „zurück“gegeben. So setzen die Ordnungsmächte sich mit Zustimmung der Kriegsparteien im Kriegsgebiet fest, relativieren deren Status und stellen klar, daß eine spätere Grenzziehung und Aufteilung vor allem von ihnen abhängt.
  • Die nichtmilitärischen Lieferungen an die bosnischen Moslems erhalten deren Durchhalte- und Leidensfähigkeit aufrecht, und zwar ohne ihnen durch Waffenlieferungen die Möglichkeit zu geben, auf eigene Faust ihre neue nationale Sache — das ist nun einmal nicht die der EG — weiterzubringen, statt die vorgesehene Opferrolle zu spielen. Die UN-Truppen überziehen die Gegend mit einem humanitären Netz, versuchen ständig, den örtlichen Kommandanten Bedingungen zu setzen, beeinflussen durch Lieferungen — Kämpfer brauchen nicht nur Waffen, sondern auch Verpflegung — durchaus die militärische Lage; und im Fall des Falles dürften den Interventionstruppen, so sie antreten, die kleineren militärischen Geheimnisse der Kriegsparteien schon bekannt sein.
  • Die Vance-Owen-Landkarte hat die frühere Anerkennung der Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina zwar formell bestätigt, inhaltlich aber kräftig zurückgenommen. Durch die Aufteilung nach ethnischen Gesichtspunkten haben die Großmächte akzeptiert, daß außer ihnen — sie wollen es aber nicht selbst militärisch durchsetzen — und der machtlosen bosnischen Regierung niemand mehr die alte Teilrepublik als Vielvölkerstaat weiterführen will, auch die kämpfenden Moslems nicht. Die bosnischen Serben und Kroaten bekommen eine „Autonomie“ unter einer windigen gesamtbosnischen Zentrale zugestanden — die EG glaubt, es sich schuldig zu sein, irgendwie doch noch auf Bosnien-Herzegowina zu beharren. Bis sie es sich anders überlegt. Die Durchführung der Aufteilung Bosniens und ihre Ausgestaltung sind durchaus flexibel.
  • Vor allem zwingt der totale ökonomische Boykott, der durchschlagend wirkt, wie man hört, die Regierung in Belgrad ständig zu einer Neukalkulation ihrer Situation. Die Wiedervereinigung mit den serbischen Brüdern und Schwestern in Kroatien und Bosnien ist eine Sache, wenn darüber aber Serbien zunehmend wirtschaftlich stranguliert wird und die normale, friedliche Nutzung des serbischen Volkes für Großserbien zunehmend erliegt, für die doch die Kontrolle über Territorium und Bevölkerung ausgedehnt werden soll, dann stellt sich schon die Frage, ob jeder Quadratkilometer, der für die Serben in Bosnien unverzichtbar ist, für die erpreßte serbische Regierung denselben Stellenwert hat.
  • Unter George Bush hatten die USA nach ihrem gescheiterten, bloß diplomatisch vorgetragenen Interesse am Bestand Jugoslawiens, den „Europäern“ die Initiative überlassen. Militärisch präsent waren sie ohnehin in der Adria, und durch den als „UNO“ agierenden Ami Vance, der in dem berühmten Gespann zusammen mit dem Europäer Owen auftrat, waren auch die USA bei den Verhandlungen immer dabei. Das europäische neiderfüllte Jammern über die eigene „Unfähigkeit“ zum ehrenhaften Zuschlagen ist drüben sicher registriert worden.
  • Unter Bill Clinton „bemühen“ sich die USA wieder stärker um „eine Lösung“. Der Präsident meint, Amerika ist es sich schuldig, dabei zu sein, wenn aus Gründen der Aufteilung des Balkan geschossen wird. Also hat er schrittweise die Initiative zurückerobert. Zuerst eine ganz eigenständige humanitäre Aktion aus der Luft gestartet und dann mit dem Flugverbot für serbisches Gerät über den Kampfgebieten weitergemacht. Die Idee, den bosnischen Moslems Waffen zu liefern, und erst recht der Plan, Luftangriffe gegen serbische Stellungen zu fliegen, folgten.
  • Die europäische Öffentlichkeit, blöd, wie man sie kennt, war begeistert. Die Idioten hätten sich zu gerne eingebildet, ihr „Druck“ hätte etwas bewirkt. Die europäische Diplomatie hingegen hat kapiert, wie es gemeint war und deswegen entschlossen mit „Njet“ geantwortet. Clinton hat begonnen, die USA als die Partei in Stellung zu bringen, die den „Friedensprozeß“ entscheidend vorantreibt. Also erstens die Maßnahmen vorschlägt, zweitens die Verbündeten hinter sich bringt und drittens die Rollen verteilt. Idealiter wie beim Golfkrieg, wenn auch mit Gewichtsverschiebungen: Die USA ordnen die Welt, Europäer dürfen mitmachen.
  • Das will sich Europa nicht mehr bieten lassen, schon gar nicht auf dem Balkan. Wenn schon ordnen, dann so, daß die USA nach europäischen Vorgaben den Weltpolizisten spielen, wozu diese wiederum wenig Veranlassung sehen. Es dürfte der seltene Fall eingetreten sein, daß die Rivalität der Imperialisten eine Ausdehnung der Schlächterei zumindest kurzzeitig bremst, nicht antreibt. In der Öffentlichkeit kursiert dazu der Witz der Woche: Dem Belgrader Regime sei es gelungen, in die westliche Wertegemeinschaft einen Keil zu treiben. Das Böse schreckt eben vor rein gar nichts zurück.
  • Als Alternative beginnt Europa schön langsam, wieder positiver mit den Belgrader „Verbrechern“ zu kalkulieren. Deren Ankündigung, die Serben in Bosnien zur Zustimmung zum Vance-Owen-Plan zwingen zu wollen, verdient laut BRD-Kinkel eine Chance. Serbien als Ordnungsmacht in Bosnien im Auftrag der EG? Warum denn nicht, wenn die ökonomischen Sanktionen einen Keil zwischen Belgrader Regierung und die Serben in Bosnien treiben, und wenn sowohl der Boykott als auch die Kriegsdrohungen aufrecht bleiben. Man verpflichtet sich ohnehin zu nichts, sondern nur die anderen. Die Kameraden in den Redaktionen müssen sich halt ein wenig umstellen, feindbildmäßig. Wie das geht? Nun, es wird tatsächlich entdeckt, daß zum Krieg in Bosnien-Herzegowina mehrere Parteien gehören, die sich alle ähnlich benehmen. Da muß die Frage erlaubt sein, ob die Opfer „der Serben“ verdienen, wie sehr sich die EG Tag und Nacht um sie kümmert. Kroatien, wir sind enttäuscht.
  • Wg. Hilfe und so würde Clinton möglicherweise Friedenstruppen nach Mazedonien schicken; das ist ein jugoslawischer Nachfolgestaat, der von der EG wegen griechischer Vorbehalte nicht so herzlich begrüßt und unter ihre Fittiche genommen wurde wie Slowenien und Kroatien. Vielleicht fühlen sich die Macher dort wirklich von der EG im Stich gelassen und sind deswegen aufgeschlossen gegenüber einer Aufwertung zum US-Stützpunkt auf dem Balkan. Wenn ja, werden sich „Zwischenfälle“, die ein humanitäres Luftlandeunternehmen gebieten, nicht verbergen lassen.
  • Kurz, nachdem die USA dem Vance-Owen-Plan durch die Bombardierung serbischer Stellungen weiterhelfen wollten, erklärt die US-Diplomatie, vereint mit der russischen, diesen Plan für „tot“ und zieht ein Konzept aus dem Hut, das auf die Teilung Bosniens zwischen Serbien und Kroatien samt einer Moslem-Schutzzone hinausläuft, was den serbisch-kroatischen Vormarsch in Bosnien natürlich beflügelt. Es ist vom Standpunkt der USA offenbar ziemlich gleichwertig, ob sie den Vance-Owen-Plan durchsetzen oder ob sie ihn für gescheitert erklären und eine neue Initiative in Gang setzen. Und so weiter.

Fazit

Die Neuordnung des ehemaligen Jugoslawien ist Gegenstand außenpolitischer Anstrengungen der verzwickten Sorte. Den engagierten Großmächten geht es wie immer nur um sich. Was sich vor Ort ereignet, ist Material einer Konkurrenz der Weltordner, die sehr methodisch um das eigene Gewicht und die eigene Durchsetzung beim Weltordnen kreist und so ständig Anlässe für Konsens und Konflikt schafft. Es geht um die Aufteilung der Welt, wer welche Staaten gründet und zur eigenen Einflußsphäre macht. Das ist ein Programm der Konkurrenz gegen andere, die ausgeschlossen werden sollen. Dabei will sich derzeit keine Seite dazu bekennen, sondern in aller Unehrlichkeit den Konsens mit den Partnern/Konkurrenten suchen und finden. Alle sind sich einig, auf „Alleingänge“ zu verzichten, weil alle die eigene Linie zum Konsens machen und die anderen dafür funktionalisieren wollen. Dabei blockieren sie einander zwar manchmal, aber der Vorwurf der Untätigkeit ist eindeutig eine Untertreibung.

Die EG-Mächte sind dabei durchaus beschäftigt. Bis auf Bosnien-Herzegowina ist die Neuordnung in ihrem Sinn vorangekommen: Slowenien etabliert, Kroatien ebenso, wobei ein allfälliger Verlust kroatisch beanspruchten Territoriums in Zagreb als nationale Schande gilt, während die EG gewiß damit leben kann. Gegen die Aufteilung von Bosnien-Herzegowina zwischen Kroatien und Serbien mit einem Moslemreservat dazwischen spricht allerdings, daß die EG damit ihren früheren Akt der Anerkennung torpediert. Die serbische Bereitschaft zur Unterordnung gegen einen angemessenen Respekt vor ihren bisherigen Eroberungen deutet sich mit dem Angebot an, die bosnischen Serben zur Räson zu bringen. Die USA waren eingebunden, und Rußland macht weitgehend mit.

Einer kriegsgeilen Öffentlichkeit geht das alles zu schleppend und zu unelegant, die Kritik wendet sich dagegen, daß mit Belgrad, nachdem es zum Feind erklärt wurde, überhaupt noch diplomatisch und berechnend umgegangen wird, statt die serbischen Waffen kurz und klein zu schlagen — und übersieht dabei glatt die Fortschritte, die das Programm „Balkan unser“ trotz aller Querelen mit sich bringt.

Sicher, die geforderte großartige Lektion an alle bis weit hinein nach Rußland, wonach jede Insubordination gegenüber EG-Diktaten beim Staatengründen mit dem gezielten Entwaffnungsschlag beantwortet wird, ist es (bislang) nicht geworden. Kann ja noch kommen. Die Befürchtung mitfühlender Kommentatoren, wonach von demokratischen Werten und einer ebensolchen skandalgewohnten Politischen Kultur geprägte Gentleman-Außenpolitiker es in punkto Hinterfotzigkeit und Durchtriebenheit mit den hundsgemeinen Schlitzohren vom Balkan nicht aufnehmen könnten und deswegen über den Tisch gezogen würden, hat sich jedenfalls als gegenstandslos erwiesen.

[*Jugoslawien war zwar keine Öl-, wohl aber eine vergleichsweise ordentlich sprudelnde Schuldentilgungsquelle. Ließe sich der moderne Imperialismus von ökonomischen Berechnungen der unterstellten Art leiten, hätte er massiven Druck gegen die Sezessionisten und für den Zusammenhalt des jugoslawischen Staates ausüben müssen, dessen vorher vorhandene ökonomische Brauchbarkeit über der Spaltung abhanden gekommen ist. Das offenkundige Fehlen solcher Interessen wird von Freunden „moralisch“ motivierter Kriege gern als Indiz für die Uneigennützigkeit und Lauterkeit der Ordnungsmächte genommen, anstatt als Argument gegen Werte, die nach großangelegten Schlächtereien verlangen. Darüberhinaus wird übersehen, worauf es ankommt, nämlich auf die Klärung von Macht- und Zuständigkeitsfragen. Es geht darum, jenseits jeder ökonomischen Kalkulation kompletten Staaten die Existenzberechtigung zu- oder abzusprechen, in der Gewißheit, daß die so exekutierte eigene Oberhoheit über eine Gegend die entscheidende Voraussetzung einer allfälligen Benutzung ist. Insofern besteht auch kein Unterschied zwischen Kuwait und Bosnien. Der maßgebliche Unterschied besteht im Verhältnis der engagierten Großmächte zueinander. Eine Unterordnung unter die USA wie gegen den Irak kommt für Europa nicht mehr ın Frage, höchstens, es geht doch wieder gegen die Russen.

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