FORVM, No. 120
Dezember
1963

Presse und Werbung

Der Rahmen meines Themas — Presse, Werbung und Demokratie — mag vielleicht etwas weit gespannt erscheinen; trotzdem bin ich guten Mutes, denn der Zusammenhang zwischen Demokratie und Presse einerseits und Werbung als Motor anderseits ist — jedenfalls in den letzten Jahren — unübersehbar geworden. Wenn die Presse unabhängig von Parteien und Gruppeninteressenten sein soll, kann sie ohne Werbung nicht bestehen. Die Werbung gehört also zu der Begriffstrilogie, von der ich ausgehe. Die Bedeutung der Werbung kann, wie letztlich auch die Bedeutung von Presse und Demokratie, im wesentlichen nur von der Praxis her umfassend erkannt werden. Und in der Praxis zeigt sich, daß die Werbung, sei’s auch indirekt, bei keinem anderen Medium eine so eminent politische und demokratische Aufgabe erfüllt wie gerade bei der Presse.

Die klassische Demokratie ist auch in der freien Welt durch Materialismus und Kollektivdenken verwässert. Dennoch ist der demokratische Rechtsstaat, wie er heute noch in der westlichen Welt gehandhabt und gelebt wird, jene einzige Staatsform, welche die Grundrechte des freien Menschen gewährleistet; hiezu gehört vor allem das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Presse — und hier verstehe ich darunter nur die freie Presse — ist die Inkarnation dieses Rechtes auf freie Meinungsäußerung. Hier handelt es sich um einen existentiellen Nachweis, denn wir wissen, daß es früher und heute in autoritären Staaten aller Schattierungen gleichfalls „Presse“ gab und gibt, nur: frei war sie dort nicht und frei ist sie dort auch heute nicht. Die freie Presse war neben dem freien Unternehmertum und dem persönlichen Eigentum (das es für eine neue Schicht und in sehr begrenztem Ausmaße in den kommunistischen Staaten wieder geben mag) jene Einrichtung der Demokratie, die von der Diktatur als erste vernichtet wurde sogleich nachdem die persönliche Freiheit im engeren Sinn verschwunden war.

Die Werbung ist ein wesentlicher Bestandteil der Pressefreiheit, denn sie ermöglicht der privatwirtschaftlichen Presse überhaupt erst die Existenz. Ohne die Einnahmemöglichkeiten, die der Presse durch die Werbung eröffnet werden, müßte diese eben auf ihre Unabhängigkeit von Regierungen, Parteien oder Interessenvereinigungen verzichten. Durch ihre absatzfördernde Kraft sorgt die Werbung überdies für Produktionssteigerung auch oder gerade bei rückläufiger wirtschaftlicher Entwicklung und erzwingt Höchstleistungen im Konkurrenzkampf der Wirtschaft.

Insbesondere in Österreich hat die Werbung noch jene zusätzliche Funktion, die sie mit Presse und Demokratie in einen integralen Zusammenhang bringt. Es gibt in unserem Land — im Gegensatz zu anderen Ländern des Westens — nicht viele wirklich unabhängige und viele sichtbar und unsichtbar parteigebundene Zeitungen. Wirklich frei aber ist nur die von allen Machtkomplexen unabhängige Presse. Vor nicht so langer Zeit stellte ein sehr bekannter österreichischer Politiker die Frage — ich nehme an, es war eine rhetorische Frage —: „Unabhängige Presse? Unabhängig wovon?“ Und das war noch das zahmste Urteil, das in diesem und in ähnlichen Zusammenhängen über die unabhängige Presse gesprochen wurde.

Ich will mich bemühen, die obige Frage zu beantworten: Die unabhängige Presse ist deshalb unabhängig, weil sie keine vorgezeichneten Bahnen geht. Selbstverständlich profiliert der Chefredakteur das Blatt; das bedeutet aber nicht, daß eine vorgefaßte Meinung vertreten wird, daß nach Befehlen von Außenstehenden, daß überhaupt nach Befehlen geschrieben wird. Die unabhängigen Tageszeitungen haben, soweit sie sich an einen gebildeten Leserkreis wenden, eine sehr hellhörige Leserschaft, die sich niemals in einem ihren Wünschen, Gefühlen und Empfindungen zuwiderlaufenden Sinn beeinflussen lassen würde. Hier reagieren Leser und Zeitung harmonisch aufeinander, und was dem Leser an der Zeitung nicht gefällt, wird in Leserbriefen zum Ausdruck gebracht. Die unabhängige Presse wirbt nicht um Wählerstimmen!

Einige kräftige unabhängige Tageszeitungen erscheinen in den Bundesländern. Hingegen gibt es — und dies ist doch etwas Merkwürdiges — in der Bundeshauptstadt gegenwärtig unter zehn Zeitungen nur drei unabhängige. Die freie Presse ist aber doch das deutlichste Symptom der Demokratie. Muß ich noch mehr sagen?

Wahl mittels Zeitung

In einem Land, in dem nicht Personen, sondern Parteien gewählt werden, gibt es daher kaum irgend welche persönlichen Kontakte zwischen dem Wähler und dem Gewählten; in sehr vielen Fällen hat der Gewählte in seinem Wahlkreis nicht einmal seinen Wohnsitz. Die meisten Österreicher wissen gar nicht, welcher Abgeordnete eigentlich der ihre ist. Als direkte Wahl, als Kontakt zu den Entschlüssen und Ereignissen, die uns alle betreffen, bleibt dem Österreicher die Wahl der Zeitung, die seine Stimme ist, seine Meinung vertritt und die sich etwas traut. Denn Mut gilt auch heute noch und gilt auch noch im eigenen Land. Er bedeutet allerdings den Verzicht, auf leichte Weise Geld zu verdienen.

In diesem Zusammenhang möchte ich einiges zu der Formulierung „sogenannte unabhängige Presse“ sagen, denn dieser Ausdruck ist schon an sich ein weiterer Beweis für deren absolute Notwendigkeit. Dieser Ausdruck wurde von Leuten geprägt und wird von Leuten gebraucht, die es gar nicht gern sehen, daß in den Zeitungen eine Beschwerde-Instanz für die Allgemeinheit besteht, ein Ventil für den öffentlichen Unmut, mehr noch: eine Art Gerichtshof, von dem der „Übermut der Ämter und die Schmach, die Unwert schweigenden Verdienst erweist“ in die Schranken gewiesen werden können. Eben deshalb ist so manchen Leuten der offenkundige Trend zur unabhängigen Zeitung ein Anlaß zum Ärgernis. Gewiß sind auch die parteiunabhängigen Zeitungen von finanziellen Erwägungen beeinflußbar; sie sind im stärkeren Maß auf Einnahmen aus dem Anzeigenteil angewiesen, als dies bei deklarierten und getarnten Parteiblättern der Fall ist, denn diese können auf direkte und indirekte Parteihilfe zurückgreifen. Aber bei der unabhängigen Presse gibt es keinen Inserenten, der stark genug wäre, durch Erteilung oder Verweigerung eines Inserates die Zeitung zu einer bestimmten Haltung zu zwingen. Was ein Inserent durch einen solchen Versuch erreichen könnte, wäre seine Demaskierung und damit das gerade Gegenteil von Werbung.

Damit komme ich wieder auf die Funktion der Werbung in einer Demokratie im allgemeinen und in Österreich im besonderen zu sprechen: Während einst und normalerweise der Erlös aus dem Verkauf der Zeitungen zu zwei Drittel alle Unkosten der Herstellung decken sollte und die Einnahmen aus den Anzeigen lediglich das dritte Drittel — einen Ertrag inbegriffen — zu erbringen hatte, ist die Kalkulation heute gerade umgekehrt. Heute werden zwei Drittel aller Kosten der Zeitungen aus den Werbeeinnahmen bestritten; der Verkauf bringt im Durchschnitt nur mehr ein Drittel der erforderlichen Mittel auf.

Diktatur der Inserenten?

Trotz dieser Situation wird eine verantwortungsbewußte Zeitung den Inserenten, die ja keine geschlossene Masse bilden, keinen Einfluß auf die politische Haltung und auf den Inhalt des Blattes einräumen. Die Zeitung kann dies auch gar nicht. Sie würde damit gegen ihre Interessen und entgegen dem Selbsterhaltungstrieb handeln, denn sie wäre dann für ihre Leser wertlos und ginge folglich zugrunde. Aber auch dem Inserenten würde eine solche Entwicklung, wäre sie möglich, nicht gut bekommen, denn die Ausweitung oder zumindest die Aufrechterhaltung eines für ihn interessanten Leserkreises ist eben wiederum die Voraussetzung, daß er die Zeitung in sein Werbebudget aufnimmt. Wenn der Inserent also Einfluß auf die Zeitung gewönne, so um den Preis, daß sie für ihn als Werbungstreibender uninteressant würde, weil sie weniger Leser hätte.

Wenn von den hohen Aufgaben, die der Presse zukommen oder doch zukommen können, die Rede ist, dann versteht es sich von selbst, daß Zeitungen, die den Anspruch erheben, eine öffentliche, dem Gemeinwohl dienende Aufgabe zu erfüllen, jene moralische Grundhaltung bewahren müssen, die allein die Voraussetzung für eine solche Aufgabe darbietet. Blätter, die um jeden Preis, auch um den der Seriosität, ihren täglichen „Aufmacher“ brauchen, um das tägliche Plan-Soll an Verkauf zu erfüllen, werden kaum für sich das Recht beanspruchen können, über öffentliche Organe oder Einrichtungen zu Gericht zu sitzen.

Hier und in allen zugehörigen Fällen Selbstdisziplin zu üben, gehört zu jener eben erwähnten moralischen Grundhaltung. Herausgeberverband und Journalistengewerkschaft sollten im Interesse der Demokratie und im Interesse des österreichischen Zeitungswesens rigorosere Schritte ergreifen, um dafür zu sorgen, daß der tägliche Kampf um den Leser in fairen Formen geführt wird. Journalisten, die schließlich durch ihren Kollektivvertrag weitestgehend geschützt sind, dürfen sich nicht dazu hergeben, Verantwortungsgefühl und Qualität ihrer geistigen Arbeit den materiellen Anforderungen, die an sie gestellt werden, unterzuordnen.

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