Jahr 2006
März
2006

Religions- und Ideologiekritik

Eine Veranstaltungsreihe der Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Religions- und Ideologiekritik
Eine Einführung mit Stephan Grigat

Karl Marx schrieb 1843: „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ In dem Vortrag soll erläutert werden, inwiefern Religions- und Gesellschaftskritik zusammenhängen, wie sich die Ideologiekritik als Kritik religiöser Vorstellungenentwickelt hat, und warum, wie Marx wußte, die „Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik“ ist.
Ausgehend von der Unterscheidung zwischen politischer und allgemeiner Emanzipation soll vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse daran erinnert werden, daß die Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten von Leuten wie Ayaan Hirsi Ali, die den Propheten einen perversen Tyrannen nennt, von Hip-Hoppern, die Jesus als „Bastard“ titulieren und von israelischen Poplinken, die verkünden, daß der Messias nicht kommen wird, die Voraussetzung jeglicher Bemühung um eine befreite Gesellschaft ist. Zugleich ist zu fragen, warum die beiden Letztgenannten mit Kritik und Empörung leben müssen, Ayaan Hirsi Ali aber mit Mordaufrufen konfrontiert ist.

Religion als universelle Zwangsneurose
Über Vergeistigung im Judentum und Regression im Christentum
Vortrag von Gerhard Scheit

Nach Sigmund Freud wäre „die Neurose als eine individuelle Religiosität, die Religion als eine universelle Zwangsneurose“ aufzufassen. Beide entspringen unerhellten Schuldgefühlen. Religion und Neurose sind damit aber keineswegs gleichgesetzt. So ist das Verhältnis der Religionen zueinander ein wesentlich anderes als das der Neurosen beim Individuum. In der Unterscheidung der Religionen geht nun Freud vom Judentum aus: dessen abstrakte Gottesidee ließ „das Volk Israel alle Schicksalsschläge überstehen“; sie verschmäht „Opfer und Zeremoniell“ und fordert stattdessen ein Leben „auf der Grundlage der Gesetze und der heiligen Texte“. Das Christentum erscheint demgegenüber als „eine kulturelle Regression“: es „hielt die Höhe der Vergeistigung nicht ein“, übernahm magische Elemente und stellte die Muttergottheit wieder her. Im Zentrum steht das vergöttlichte, von Jesus verkörperte Selbstopfer, das schließlich auch ein bestimmtes Verhältnis der Individuen zum Staat anbahnt: in der Identifikation mit dem Gekreuzigten entwickelt das Subjekt ganz von sich aus und fallweise ohne Rücksicht auf die Gesetze jene unbedingte Opferbereitschaft, die der Souverän im Ausnahmezustand einfordert.

Soweit das Judentum die falsche Versöhnung verweigert, die Christentum und Islam missionarisch im Selbstopfer als Erlösung und Eingang ins Paradies verbreiten, hält es zugleich die Möglichkeit grundlegender Veränderung der Gesellschaft offen. Darin erkennen dann Adorno und Horkheimer den Unterschied dieser Religion zu den anderen: „Hoffnung knüpft sie einzig ans Verbot, das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit.“

„Die Knechtschaft aus Überzeugung“
Über die protestantische Modernisierung des Katholizismus
Vortrag von Florian Ruttner

Religionskritik heute steht vor dem Problem, daß sie meist mit einer „Religion aus zweiter Hand“ konfrontiert wird, die sich mit Äußerungen wie der, daß es doch schön sei, an irgend etwas zu glauben, um eine Auseinandersetzung mit den Inhalten und Widersprüchen der einzelnen Glaubensrichtungen herumdrückt. Sonst könnte es ja jemanden auffallen: Wenn der Papst begeisterten jungen Menschen in Köln erklärt, dass das größte Geheimnis des katholischen Glaubens in der Wandlung der Hostie läge, so verweist er unfreiwilligerweise auf die Elemente magischen Denkens im Katholizismus, die diesem innewohnen, auch wenn er einen partiellen Fortschritt gegenüber einem Polytheismus darstellt. Demgegenüber erscheint der Protestantismus als liberalere und aufgeklärtere Variante des christlichen Glaubens. Es soll gezeigt werden, dass und wie das magische Denken von Luther nicht abgeschafft, sondern modernisiert und rationalisiert wird, wie äußere Autorität internalisiert wird und wie diesem Denken Luthers Hexenwahn und Antisemitismus entspringen.

Der Islam als politische Religion - Unterwerfung als Programm?
Vortrag von Florian Markl

Ebenso wie es im Katholizismus verschiedene Strömungen oder Orden gibt, die sich auf einen Kern gemeinsamer dogmatischer Behauptungen stützen, existiert auch im Islam die Differenz nur vor dem Hintergrund der Gemeinsamkeit. Sobald jedoch wieder einmal unter Berufung auf den Propheten und seine Lehre Geiseln geköpft, Botschaften angezündet oder Menschen in die Luft gesprengt werden, stehen die Apologeten der „Religion des Friedens“ bereit: Derartige Grausamkeiten hätten nichts mit dem Islam zu tun, und überhaupt gäbe es ja so viele verschiedene Strömungen, dass von „dem“ Islam keine Rede sein könne. Von Seiten so genannter „Islam-ExpertInnen“ wird immer wieder der Einwand formuliert, der militante Djihadismus der heutigen Zeit sei nicht mit der islamischen Tradition in Einklang zu bringen. Über Jahrhunderte hinweg sei die islamische Welt die bei weitem fortschrittlichste Zivilisation gewesen. So richtig der Verweis auf die „modernen“ Strömungen des Islam historisch auch ist, so notwenig ist es jedoch festzustallen, dass sich gegen diese mit konsequenter Brutalität immer die rückschrittlichsten Bewegungen durchgesetzt haben.

Es wäre aber falsch, den Siegeszug des islamischen Fundamentalismus als Prozess der Re-Islamisierung zu bezeichnen, da dies unterstellt, der Islam habe zwischenzeitlich einmal an Bedeutung verloren. Doch die Islamisten, allen voran die Muslimbruderschaft, mussten keine neue Tradition erfinden, sondern konnten erfolgreich an ohnehin vorhandene Traditionen anknüpfen und diese für ihre von Märtyrerkult, Gewalt und Antisemitismus geprägte „Re-Politisierung des Sakralen“ benützen. Bei genauerer Betrachtung bleibt also nicht viel übrig, das den Anspruch einer „Religion des Friedens“ begründen könnte.

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